Читать книгу Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga - Страница 10
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Es war kurz vor elf, als Walter die Augen aufschlug. Ein einzelner Sonnenstrahl zielte genau auf sein Gesicht und blendete ihn. Er hatte am Vorabend den Rollladen nicht richtig heruntergelassen, so dass zwischen zwei Lamellen eine Lücke klaffte.
„Scheißndreckn“, fluchte er und drehte sich zur Seite. Er beobachtete winzige Staubpartikel, die von dem Strahl beleuchtet wurden und träge im Raum schwebten. Er blieb noch ein paar Minuten liegen und streckte sich ausgiebig, bevor er sich aus dem Bett schwang und seinen Morgenmantel überwarf.
In der Küche wartete Balu vor der Tür zum Garten, die Walter nach einer kurzen Begrüßung öffnete.
„Guten Morgen, Langschläfer“, begrüßte ihn Kitty, die sich auf einem der Gartenstühle eingerollt hatte. „Nicht ich bin der Langschläfer, sondern Walter“, verteidigte sich der Wolfsspitz. „Und ich kann ja nicht immer selber die Tür aufmachen, sonst weiß Walter Bescheid. Das hebe ich mir für Notfälle auf.“ Er lief in die Sonne und streckte sich genüsslich: die Vorderpfoten weit nach vorne geschoben und das Hinterteil in die Höhe gereckt. Dann schüttelte er sich so heftig, dass ihn eine Wolke aus Hundehaaren einhüllte. „Wo warst du eigentlich heute Nacht?“, beschwerte sich Balu. „Ich dachte wir sehen uns an der Wirtschaft.“„Ich war mit Eglon unterwegs. Wir haben Seppi besucht.“ Eglon war der dicke rote Kater, der jetzt bei Liesl wohnte. Er hatte ursprünglich in Alberskirch bei dem alten Pfarrer gelebt, doch als dieser gestorben war, hatte er eine neue Bleibe gebraucht und war nach Taldorf gekommen. Seppi war der Igel, der zuletzt unten in Liesls gemauertem Grill gewohnt hatte, bis er im vergangenen Frühjahr weiter vor ins Dorf gezogen war. Dort wohnte er in einer kleinen Höhle, aus aufeinandergeschichteten Steinen in direkter Nachbarschaft zu einem Igelweibchen. „Wie geht es ihm denn?“, erkundigte sich Balu. „Eglon?“„Nein. Seppi natürlich.“ Kitty grinste. „Er hatte bei dem Weibchen Erfolg. Da gibt es demnächst Nachwuchs.“„Das freut mich wirklich für ihn“, sagte Balu ehrlich. Er mochte den ängstlichen Igel und nahm sich vor, ihn bald selbst einmal zu besuchen. „Und was gibt’s sonst Neues im Dorf?“„Am Morgen war der Notarzt im Hinterdorf“, wusste Kitty. „Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich glaube, er war auf dem Wagner-Hof.“ Balu überlegte. „Auf dem Hof wohnen doch nur Andrea, ihr Mann Steffen und der alte Panky. Die Kinder sind ja beim Studieren. Es ist wohl am Wahrscheinlichsten, dass irgendwas mit Panky ist. Wir sollten uns mal umhören.“„Das kann ich euch ersparen“, maunzte Eglon und sprang auf den Gartenstuhl neben Kitty. „Ich komme gerade von dahinten. Es ist tatsächlich Panky. Er ist tot.“Balu war entsetzt. „Was ist denn passiert? Ich habe ihn am Samstag noch gesehen, als er sich den Zeltaufbau angeschaut hat. Da hat er sich auch mit Walter unterhalten. Ich fand nicht, dass er schlecht aussah.“Eglon hatte sich zurückgelehnt und leckte durch sein Bauchfell. „Genau weiß ich es nicht. Ich war nicht im Haus. Aber ich habe seine Tochter mit einer Nachbarin reden hören. Er sei im Schlaf gestorben, hat sie gesagt. Sie hätten ihn heute Morgen tot in seinem Bett gefunden.“„Wie alt war er denn?“, wollte Kitty wissen. „Siebenundsiebzig. Da wären schon noch ein paar Jahre drin gewesen. Aber so ist das halt: wenn deine Uhr abgelaufen ist, kannst du nichts daran ändern.“ Eglon ließ sich von seinem Stuhl rutschen und streckte seinen buschigen roten Schwanz in die Höhe. „Mein Magen knurrt. Ich gehe mal rüber. Da müsste noch ein voller Napf auf mich warten.“Er schlenderte zwischen den Jostabüschen hindurch und verschwand in Liesls Garten. „Mal wieder ein Toter in Taldorf. Das hatten wir schon lange nicht mehr“, sagte Kitty nachdenklich. „Ein alter Mann ist gestorben“, entgegnete Balu. „Sowas passiert eben. Solange niemand ermordet wird, ist alles in Ordnung.“„Woher willst du denn wissen, dass es kein Mord war?“, hakte Kitty nach. „Nur weil er alt war, heißt das noch lange nicht, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist.“Balu knurrte verärgert. „Mal nicht den Teufel an die Wand. Wem sollte Pankys Tod denn etwas bringen?“Die Tigerkatze legte den Kopf schief. „Tja, das ist die Frage, um die es immer geht.“
Walter hatte noch immer seinen Morgenmantel an. Mit einer frischen Tasse Kaffee setzte er sich an das kleine Tischchen auf der Terrasse, musste aber vorher einen ganzen Berg roter Katzenhaare von seinem Stuhl wischen. Er saß kaum, als er Liesls Wagen in der Einfahrt hörte.
„Stell dir vor, was passiert ist“, keuchte sie kurz darauf atemlos. „Panky – der Alte, den du mir beim Zeltaufbau vorgestellt hast … er ist tot.“
Walter verschluckte sich an seinem Kaffee und stellte die Tasse hustend auf den Tisch. „Was? Wieso? Woher weißt du das?“
„Ich war im Lidl in Neuhaus und habe Karle aus Alberskirch getroffen. Der hat es mir erzählt.“
Walter konnte es nicht glauben. „Ja aber wie? Was ist passiert? Wusste Karle das auch?“
Liesls Atem beruhigte sich etwas und sie zeigte auf Walters Kaffeetasse, der zur Bestätigung nickte. Bevor sie weitersprach, nahm sie einen Schluck.
„Es war nichts Außergewöhnliches, meint Karle. Sie haben ihn heute Morgen in seinem Bett gefunden und den Notarzt angerufen. Sein Hausarzt kam dann auch noch, der hat aber nur noch den Tod festgestellt.“
„Wie furchtbar für Andrea und Steffen … und für Pankys Enkel. Soviel ich weiß, hatten sie ein sehr gutes Verhältnis.“
„Kennst du sie gut?“
„Wen? Die Enkel?“
„Alle. Die ganze Familie eben.“
Walter seufzte. „Mit Panky hab ich mich immer gut verstanden. Auch wenn er sich die letzten Jahre rar gemacht hat, war es immer nett ihn zu treffen. Er hatte so einen ganz besonderen Humor. Ein bisschen schräg, aber lustig. Seine Tochter und ihren Mann kenne ich eigentlich nur vom Sehen. Die sind ja auch einiges jünger als ich. So um die vierzig, schätze ich. Aber auch die waren immer sehr freundlich. Der Steffen hat mal mein Auto mit dem Traktor aus einer sumpfigen Wiese gezogen. Er wollte gar nichts dafür haben. Netter Kerl.“
„Jetzt ärgert es mich fast, dass ich Panky nicht besser gekannt habe“, sagte Liesl leise. „Da wohnt man nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt und ich habe ihn erst am Samstag kennengelernt.“
Walter nickte. „Das lag aber nicht an dir. Als vor ein paar Jahren Pankys Frau gestorben ist, hat er sich total zurückgezogen. So wie ich damals auch.“
Liesl verstand. „Nur, dass du eine neue Nachbarin bekommen hast, die dich in den Hintern getreten hat …“
„Genau“, lächelte Walter und gab Liesl einen Kuss. „Und dafür bin ich dir bis heute dankbar.“
„Was macht man denn bei so einem Anlass im Dorf?“
„Da gibt es keine festen Regeln, aber ich werde heute Nachmittag mal rüber gehen und meine Hilfe anbieten. Vielleicht brauchen sie ja irgendwas.“
„Das ist eine sehr nette Geste, aber geh bitte allein. Ich kenne die Leute ja gar nicht. Da scheint es mir nicht angemessen.“
Sie blieben noch eine Weile auf der Terrasse sitzen, dann verabschiedete sich Liesl in die Küche. Sie kündigte einen großen Salat mit Putenschnitzel an. Walter ging ins Schlafzimmer und zog sich um. Da der Schrank schon offen stand, inspizierte er seinen schwarzen Anzug, den er immer zu Beerdigungen trug. Demnächst würde er ihn wohl brauchen.