Читать книгу Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga - Страница 11

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Es war kurz nach drei, als Walter mit Balu das Haus verließ. Am Festzelt waren die Seitenplanen hochgerollt und eine kleine Gruppe hatte begonnen, den Zeltboden zu verlegen. Unter ihnen waren auch Manne und Otto, zwei weißhaarige Rentner aus dem Vorderdorf, die Walter mit ihren behandschuhten Händen zuwinkten. Er beschleunigte seine Schritte, um nicht den Eindruck zu erwecken, er hätte zu viel Zeit, sonst könnte ja jemand auf die Idee kommen, ihn für die Arbeiten im Zelt einzuspannen.

Er sah absichtlich in die andere Richtung, wo neben der Straße ein tiefer Graben verlief. Er versuchte den Wasserstand auszumachen, doch da war nichts. Bei starken Regenfällen sprudelte hier das Wasser und auch über das Jahr hinweg plätscherte immer ein kleines Rinnsal friedlich vor sich hin, doch nun war der Graben bis auf den Grund ausgetrocknet. Walter erinnerte sich noch gut an die Hitzewelle im letzten Jahr, als sogar das Gießen und Rasensprengen verboten worden war. Sie brauchten dringend Regen, aber wenn man dem Wetterbericht glaubte, blieb es die ganze Woche sonnig und heiß.

„Heit bisch aber fria dra“, rief Marie über den Hof, als sie Walter entdeckte. Sie leerte einen Eimer mit Putzwasser in den ausgetrockneten Bach vor der Wirtschaft. „Komm rei, i hon dir au a kalts Bierle aus’m Kiehlschrank. Des brauchsch bei därra Hitz.“

Doch Walter lehnte ab. „Danke Marie, aber ich will gar nicht zu dir. Ich schaue mal auf dem Wagner-Hof vorbei …“

Marie nickte betroffen. „Jo, do hosch recht. Isch scho traurig, dass dr Panky jetzt nimme isch. Wär hett dänkt, dass des sooo schnell goht?“

„Ich komme vielleicht später noch auf dein Angebot zurück“, rief Walter und hob die Hand zum Gruß. Ein kaltes Bier war einfach zu verlockend.

Auf dem Wagner-Hof war alles ruhig. An den meisten Fenstern waren die Rollladen heruntergelassen, die Eingangstür stand einen spaltbreit offen. Walter wollte gerade klingeln, als er Stimmen im Haus hörte.

„Das kommt überhaupt nicht in Frage! Das hätte er nie gewollt!“, rief eine verärgerte Frauenstimme.

„Jetzt glaub mir halt“, drängte eine Männerstimme, „wir haben in letzter Zeit ein paar Mal darüber gesprochen und er hat mehrmals beteuert, dass er eingeäschert werden möchte.“

„Niemals. Du lügst!“

„Warum sollte ich lügen? Bringt doch nichts. Er hat seine Meinung eben geändert.“

„Nix hat er geändert. Für seine letzte Ruhe hat er sich nichts mehr gewünscht, als neben Mama beerdigt zu werden, in einem schönen Sarg und nicht als Asche in einer kleinen Dose.“

„Ach – und wann hat er das gesagt? Bestimmt vor ein paar Jahren!“

Keine Antwort.

„Siehst du: er hat es sich anders überlegt. Jetzt stell dich doch nicht quer und verweigere deinem Vater seinen letzten Willen. Wir sollten uns nur beeilen, damit wir einen Termin beim Krematorium machen können.“

„Ich will das nicht!“, schrie die Frauenstimme verzweifelt. „Und ich weiß, dass Papa das auch nicht wollte und damit Schluss!“

Der Mann resignierte. „Du musst dich erst mal beruhigen. Du bist ja völlig durch den Wind. Lass uns später nochmal darüber reden.“

Walter fand, es sei ein guter Moment um zu klingeln.

Dingdong.

„Hallo?“, rief er durch den Türspalt. „Jemand da?“ Er wollte nicht, dass die beiden das Gefühl hatten, er hätte sie gerade belauscht. Andrea öffnete ihm die Tür und blinzelte ins Sonnenlicht. Sie hatte geweint und ihre Augen waren gerötet.

„Hallo Walter, schön dich zu sehen. Was kann ich denn für dich tun?“ Sie wirkte zerbrechlich und sprach sehr leise. Walter vermutete, dass sie ihre letzte Energie bei dem Streit, den er mitangehört hatte, aufgebraucht hatte.

„Ich bin nur gekommen, um zu sagen, wie leid es mir tut. Mein aufrichtiges Beileid.“ Walter trat näher heran und umarmte Andrea sanft.

„Das ist lieb von dir“, schluchzte sie und zog ein zerknülltes Papiertaschentuch aus der Tasche, um sich die Nase zu putzen.

„Und ich wollte anbieten … also … wenn ihr irgendwas braucht … wenn ich euch helfen kann … dann sag mir einfach Bescheid.“

Sie nickte und wollte etwas sagen, doch in diesem Moment rauschte ein Auto in den Hof und parkte direkt neben der Eingangstür. Der kastige Volvo-Kombi schüttelte sich, als der Motor erstarb.

„Komme ich noch rechtzeitig?“, fragte die alte Frau und hielt sich am Rahmen fest, als sie umständlich aus ihrem Auto kletterte.

Andrea nickte. „Er liegt noch in seinem Zimmer. Der Bestatter kommt erst heute Abend. Schön, dass du es noch geschafft hast, Creszenz.“

Die alte Creszenz lebte in Oberzell. Jeder wusste um ihre Fähigkeiten als Gesundbeterin. Die Klassiker waren Warzenwegbeten und Brandlöschen (bei Verbrennungen). Als Jugendlicher war Walter selbst einmal bei ihr gewesen, um die Warzen an seiner Hand loszuwerden, die gegen die Mittelchen aus der Apotheke immun zu sein schienen. Die Frau war ihm damals unheimlich gewesen, doch ihre Sprüche hatten gewirkt: zwei Tage später waren alle Warzen weg gewesen.

„Was will denn die alte Hexe hier?“, flüsterte Andreas Mann, der hinter ihr im Türrahmen erschienen war.

„Ich bin zwar alt, aber nicht taub“, raunte die Alte. „Ich bin hier, weil dein Schwiegervater das so gewollt hat.“

Steffen sah ratlos zu seiner Frau. „Papa hat immer gesagt: wenn mal was mit ihm ist, soll ich die Creszenz holen. Nur der würde er vertrauen … also, hab ich sie angerufen.“

„Oh bitte, das geht jetzt aber echt zu weit!“ Steffen schob sich an seiner Frau vorbei und baute sich vor der Gesundbeterin auf. „Hören Sie Frau Creszenz, es ist wirklich nett, dass Sie gekommen sind, aber wir brauchen Sie hier nicht. Auch wenn mein Schwiegervater auf das … was immer Sie machen … reingefallen ist, wir tun das nicht. Sie können mit Ihrem Hokuspokus wieder nach Hause fahren.“

Walter stand teilnahmslos daneben und fühlte sich fehl am Platz. Oben lag der tote Panky in seinem Bett und hier unten zettelte sein Schwiegersohn einen Streit mit der alten Creszenz an. Das hätte Panky ganz und gar nicht gefallen.

Andrea zog ihren Mann am Arm in den Hauseingang. „Komm mal mit“, zischte sie ihm zu und zog ihn weiter ins Haus. Obwohl sie flüsterten hörte Walter, dass sie sich stritten. Verlegen wich er dem Blick der alten Creszenz aus, die ihn von oben bis unten musterte.

„Hast dich gut entwickelt, Walterchen. Und das mit den Warzen haben wir auch ganz gut hinbekommen.“ Sie zeigte auf Walters Hände.

„Ähm ja … das hat wirklich … also natürlich gut geholfen“, stotterte Walter. Die Frau war ihm immer noch unheimlich. Trotzdem war er neugierig.

„Warum wollte Panky eigentlich, dass du nach ihm siehst?“

„Er hatte Angst davor, nicht tot zu sein.“

„Wie das? Der Arzt war doch hier und hat ihn für tot erklärt.“

„Ach, das Gerücht kursiert bei den Älteren immer noch“, seufzte Creszenz. „Ganz früher kam es hin und wieder vor, dass jemand nur scheintot war und dann lebendig begraben wurde. Es gibt sogar Gräber, auf denen ist ein Glöckchen befestigt, das über eine Schnur mit dem Sarg verbunden ist, damit der Tote, falls er denn doch nicht tot sein sollte, auf sich aufmerksam machen kann.“

Walter war verblüfft. „Sowas ist wirklich passiert? Klingt ja fürchterlich. Ich hoffe, die Ärzte passen da heute besser auf.“

„Natürlich“, bestätigte Creszenz. „Ich kenne Pankys Hausarzt. Wenn der gesagt hat, er ist tot, ist er das auch. Aber da ist noch etwas: Panky hat mir aufgetragen im Falle seines Todes seine Leiche anzuschauen, um festzustellen, ob es eine natürliche Todesursache war.“

„Wie willst du das denn machen?“, zweifelte Walter. „Du bist doch keine Pathologin oder etwas Ähnliches.“

„Indem ich ihn mir anschaue.“

„Einfach nur anschauen?“

Creszenz nickte.

„Und dann weißt du, woran er gestorben ist?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Woran genau kann ich nicht sagen, aber ich sehe, ob es ein natürlicher Tod war oder nicht.“

Das mit den Warzen damals war ein toller Trick, dachte Walter, aber jetzt übertrieb sie es für seinen Geschmack. Am Ende würde sie noch mit Pankys Geist reden oder ihm aus der toten Hand lesen.

„Du kannst jetzt zu ihm“, sagte Andrea, die ohne ihren Mann zurückgekommen war. „Geh ruhig hoch. Du weißt ja, wo sein Zimmer ist. Ich würde lieber hierbleiben.“

Creszenz nickte und verschwand schweigend im Haus.

„Hat sich Steffen denn wieder beruhigt“, fragte Walter vorsichtig.

„Ach, der kriegt sich schon wieder ein. Er kann mit sowas halt nichts anfangen. Er ist in der Stadt aufgewachsen und kennt solche Leute wie die Creszenz nicht. Für ihn ist das alles Humbug.“

„Aber es kann ja nicht schaden“, sagte Walter gleichgültig. „Und wenn Panky das so wollte, dann ist es doch in Ordnung.“

„So sehe ich das auch.“

In diesem Moment kam Creszenz zurück und machte ein ernstes Gesicht. „Was hat denn der Arzt als Todesursache eingetragen?“

„Herz-Kreislauf-Versagen, glaube ich. Er sagte, das sei in dem Alter das Wahrscheinlichste.“

„Ich widerspreche dem Arzt ja nur ungern, aber ich denke, ihr solltet eine Autopsie machen lassen.“

Andrea und Walter sahen Creszenz fragend an.

„Ich bin mir sicher: Panky ist nicht auf natürliche Art gestorben!“

Goschamarie Mofacup

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