Читать книгу Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga - Страница 7

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Wie immer, wenn er in die Wirtschaft ging, hatte Walter seine lederne Trachtenhose angezogen. Dazu nur ein kurzärmeliges Hemd. Eine dünne Strickjacke für den Heimweg trug er locker über dem Arm. Auch wenn die Temperaturen am Tag knapp dreißig Grad erreichten, wurde es in der Nacht kühl, vor allem, wenn der Himmel klar war und keine Wolkendecke die warme Luft zurückhielt.

Das Zelt stand fertig aufgebaut neben dem Musikheim. Er war beeindruckt. Als er die Längsseite passierte, machte er Meterschritte, um die Größe abschätzen zu können, was etwas komisch aussah, da seine normale Schrittlänge kürzer war. Fünfunddreißig Meter. Wow! Und die Breite? Etwas weniger. Walter tippte auf fünfundzwanzig Meter. Auf einem Hänger vor dem Zelt waren Holzsegmente gestapelt, die später als Boden verlegt werden sollten.

Als Walter die Dorfstraße erreichte, blickte er noch einmal zurück und staunte über die Ausmaße des Zeltes: sein Haus und das von Liesl hätten zusammen gut hinein gepasst, in der Höhe waren sie ungefähr gleich. Was für ein Wahnsinn. Balu schien das nicht zu interessieren. Er trabte locker an Walters Seite und hob gelegentlich ein Bein, um eine Markierung zu setzen. Walter schaute auf die Uhr: kurz nach acht. Und immer noch hell. Das würde sich bald ändern. Er schauderte, als er an die Zeit dachte, wenn es bereits um fünf Uhr dunkel wurde. Doch noch war es nicht soweit.

Kurz vor der Wirtschaft kam Walter an einem besonders gepflegten Garten vorbei. Anfang August war für die Kleingärtner die Zeit, um die Ernte einzufahren. Äpfel, Birnen, viele Beeren und natürlich allerlei Gemüsesorten. In den Beeten reckten verschiedene Kohlarten ihre riesigen Köpfe der späten Sonne entgegen, am Rand bogen sich die Äste eines alten Pfirsichbaumes unter der Last der reifen Früchte. Walter sah sich verstohlen um und zupfte einen Pfirsich ab. Er wischte ihn an seinem Ärmel sauber und biss hinein. Der Saft tropfte aus dem überreifen Fruchtfleisch und Walter beugte sich vor, um sich nicht zu bekleckern. Er schmeckte köstlich. Wer einmal einen reifen Pfirsich direkt vom Baum gegessen hatte, verzichtete danach gerne auf die Hochglanzprodukte, die das ganze Jahr über ihren Weg aus den Kühllagern in die Ladenregale fanden.

Die Wirtschaft war gut besucht und Walter freute sich, dass Elmar und Max schon am Stammtisch saßen. Während er sich auf seinen Platz setzte, verschwand Balu unter der Eckbank. Nur wenige Sekunden später stellte Marie zwei geöffnete Flaschen Bier vor Walter auf den Tisch. Dadurch sparte sie sich einen Laufweg.

„So Walter – schee, dass do bisch! Dätsch no veschpra wella?“

„Gerne. Ich nehme das normale Vesper.“ Das „normale Vesper“ unterschied sich nur durch einen riesigen Brocken Rauchfleisch vom „vegetarischen Vesper“. Die anderen Bestandteile, wie Blut- und Leberwurst, waren identisch. Walter hatte beides schon probiert, brauchte aber nach der Sushi-Demütigung vom Mittag das volle Programm.

„Ihr wart schnell mit dem Zelt“, lobte er Elmar, der sich gerade eine Lord anzündete.

„Ist kein Hexenwerk. Eigentlich wie beim Camping. Nur größer. Montag kommt der Boden rein, dann können wir den Rest aufbauen. Die Bühne, die verschiedenen Theken und natürlich die Bar.“

Walter war immer noch skeptisch. „Glaubt ihr wirklich, dass so viele Leute kommen? Ich meine … also … es ist ja nur ein Mofarennen.“

Elmar lehnte sich zurück und blies einen wohlgeformten Rauchkringel zur Decke. „Wir haben uns gut vorbereitet und natürlich auch informiert. Ein paar von uns haben sich woanders einige Rennen angeschaut und da Ideen gesammelt. Wieviel Besucher dann wirklich kommen, ist natürlich ein bisschen Glückssache. Stichwort Wetter. Aber allein durch die fünfundvierzig Teams, die am Start sind, können wir mit fünfhundert Leuten rechnen. Die Fahrer kommen ja nicht alleine. Meist sind ein paar Freunde dabei und auch Familie. Manche Teams haben sogar einen kleinen Fanclub, der mit ihnen von Rennen zu Rennen zieht. Und: wir haben ordentlich Werbung gemacht. Plakate, Banner, in der Zeitung kommt noch ein großer Artikel und über Socialmedia geht eh di Post ab.“

Walter war mit seinem iPhone mittlerweile auch in der digitalen Welt angekommen, doch seit er eine Mailadresse besaß, ärgerte er sich eigentlich nur über die lästigen Werbemails. Es war ihm schleierhaft wie da „die Post abgehen“ sollte, wie es Elmar genannt hatte.

„Und wir haben einen Promi am Start. Allein wegen dem werden viele Zuschauer kommen.“

Elmar sprach von Nico Berg. Ein aufgehender Stern am deutschen Rennsporthimmel. Mit gerade mal neunzehn Jahren würde er in der nächsten Saison von der Formel drei in die Formel eins wechseln. Schon jetzt wurde er als der neue Michael Schumacher gefeiert. Er stammte gebürtig aus dem Landkreis Ravensburg und irgendjemand hatte die richtigen Kontakte gehabt, um den Nachwuchsrennfahrer für das Mofarennen zu verpflichten.

„Ist der wirklich so gut?“, fragte Walter, der sich für Motorsport ungefähr so viel interessierte, wie für die Bundesligatabelle im Feldhockey.

„Der ist spitze“, mischte sich Max ein, der selbst nie ein Formel-Eins-Rennen verpasste. „So ein Talent gab es schon lange nicht mehr. Aber hier wird er sich warm anziehen müssen.“ Max lachte herzhaft und klopfte zwei Häufchen Schnupftabak auf seinen Handrücken. „Wenn der wüsste, was wir für eine Maschine am Start haben, würde er sofort Absagen. Da kann er sich nur blamieren.“

Schon als die ersten Gerüchte vom Mofarennen aufgekommen waren, hatte sich Max ein Mofa besorgt. Für ihn war es selbstverständlich, die Ehre des Dorfes mit dem Sieg in diesem Rennen zu verteidigen. Seitdem verbrachte er jede Woche mindestens einen Abend in Faxes Garage in Alberskirch. Gemeinsam schraubten sie an ihrem Mofa und versuchten, das Bestmögliche aus dem kleinen Zweitaktmotor herauszuholen. Im Rennen würden hauptsächlich Faxe und Fibi, ein motorsportbegeisterter Freund von Faxe, auf der Strecke sein. Aber auch Max hatte sich fest vorgenommen, ein paar Runden zu fahren.

„So, do isch dei Veschper“, unterbrach Marie und stellte den Teller vor Walter ab. Wie immer war die Portion riesig.

„Da hätte die Hälfte auch gereicht“, sagte Walter mehr zu sich selbst, doch Marie hatte ihn gehört.

„I woiss it wa des soll: afanga schwätzt jeder vo kloinere Portiona. Bisher hots doch au basst!“

Walter räusperte sich und strich über seinen Bauchansatz. „Die Leute leben halt bewusster. Und mal ganz nebenbei: wenn du die Portionen etwas kleiner machst und den gleichen Preis verlangst, dann machst du mehr Gewinn.“

Marie runzelte die Stirn. Daran hatte sie offensichtlich noch gar nicht gedacht.

„Wenn es dir zu viel ist, dann gib mir was von dem Rauchfleisch ab“, mischte sich Elmar ein. „Anne hat mich gebeten, ein Stück mitzubringen.“

Ohne ein Wort schnitt Walter drei Scheiben für sich ab und schob den großen Rest zu Elmar. „Wir wollen ja nicht, dass das Mädel verhungert.“

Elmar steckte das Rauchfleisch in die Tüte, die Marie vorsorglich schon dazugelegt hatte. „War übrigens nett, Panky mal wieder zu sehen“, erinnerte er sich an den Nachmittag. „Seit seine Frau gestorben ist, sieht man ihn nirgends mehr.“

Walter nickte verständnisvoll. Er wusste, was Panky durchgemacht hatte. Als seine Frau Anita vor ein paar Jahren gestorben war, hatte er sich auch zurückgezogen. Nur ganz allmählich war er in die Dorfgemeinschaft zurückgekehrt und erst Liesl hatte ihn endgültig aus seiner Trauer herausgeholt. Panky war nie ein großer Kneipengänger gewesen, trotzdem war er im Dorf sehr beliebt. Nach allem was Walter wusste, hatte er Halt bei seiner Familie gefunden. Pankys Tochter und ihr Mann waren nicht nur fleißig, sondern auch sehr nett. Die Enkelkinder hatten sicher auch ihren Teil dazu beigetragen.

„Hat er eigentlich den Hof schon an die Jungen übergeben?“, fragte Max. „Ist immer besser, wenn so was rechtzeitig geregelt wird.“

„Hab keine Ahnung“, gestand Walter und schmierte das letzte Stück Leberwurst auf eine Brotscheibe. „Das ist wohl ein Thema, um das ich mich nie werde kümmern müssen.“

Marie brachte Max ein weiteres Bier. „I hon scho älles gschrieba. Wenn i mol nemme bin gibt’s koin Schtreit. Und i muss au it als Gschpenscht zrickkomma, um die bucklig Verwandtschaft zum ärgra!“

Elmar lachte. „Du wärst aber sicher ein gutes Gespenst. Wenn ich überlege, wer jetzt schon alles wegen dir zittert …“

„Sei vorsichtig, Birschle“, mahnte Marie scherzhaft. „Sonscht iberleg i mirs no und lueg dänn bei dir vorbei.“

„Da mach dir mal keine Hoffnungen“, entgegnete Elmar selbstsicher. „Ich weiß ja, dass es keine Geister gibt. Da redet mir auch keiner was ein.“

Marie bückte sich zu Elmar hinunter und flüsterte nun fast. „Des hon i au immer dänkt. Aber manchmol bassieret scho komische Sacha. Grad des Häusle do gegenüber, wo jetzt scho a paar Johr koiner me wohnt … da heerschs nachts manchmol wimmra … und i hon au scho an Schatta gsäha …“

„Jetzt erzählst du aber Märchen“, unterbrach Elmar, doch Marie streckte warnend einen Finger hoch.

„Dänn gosch mol sälber numm. Nachts. Aloi. Dänn wirsch scho säha …“

Marie richtete sich wieder auf und stampfte Richtung Tresen davon. Elmar hatte nach ihren letzten Worten tatsächlich eine Gänsehaut. Er rubbelte sich über die Arme und schüttelte sich.

„Manchmal übertreibt sie es. Kommt - stoßen wir an!“

Ihre Bierflaschen trafen sich und das Klirren vertrieb die düsteren Gedanken. Außer bei Walter, der auf seiner nächtlichen Zeitungstour auch schon das Gefühl gehabt hatte, dass in diesem Haus etwas vor sich ging. Er hatte sich eingeredet, es sei ein Marderpärchen, das in den verlassenen Zimmern umhertollt oder vielleicht auch ein Rudel Ratten. Auch alte Rohre konnten Geräusche machen. An Geister glaubte er nicht. Würde man da jedes Mal einen Exorzisten rufen, hätte die Katholische Kirche eine lukrative Einnahmequelle.

Walter hatte eigentlich gehofft, auch Peter und Theo zu treffen, doch sie tauchten an diesem Abend nicht mehr auf. Als Marie bei ihm kassierte, erkundigte sie sich nach der Anzahl seiner verzehrten Brotscheiben und servierte ihm den obligatorischen Schnaps im Sprudelglas.

Auf dem Heimweg kam er an dem verlassenen Haus vorbei, von dem Marie erzählt hatte. Er blieb stehen und lauschte in die Nacht. Alles war ruhig. „So ein Blödsinn“, sagte er zu sich selbst und lief leicht schwankend weiter.

„Es ist kein Blödsinn“, korrigierte Kitty, nachdem Balu ihr von dem Gespräch am Stammtisch erzählt hatte. „Da tut sich wirklich irgendwas.“ Sie sprang von ihrem Strohballen herunter und begleitete die beiden ein Stück.„Du stehst auf Geistergeschichten?“, fragte Balu überrascht. „Das sage ich ja gar nicht. Aber ich habe da auch schon Geräusche gehört. Und ich weiß eins: das waren keine Tiere!“

Goschamarie Mofacup

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