Читать книгу Goschamarie Mofacup - Stefan Mitrenga - Страница 6
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„Jetzt komm schon Walter … stell dich nicht so an!“
Walter starrte auf den Löffel, der vor seiner Nase schwebte, und presste die Lippen zusammen.
„Ach bitte, nur noch diesen einen Löffel.“
Walter drehte demonstrativ den Kopf weg und ruderte mit den Armen.
„Jetzt werd ich aber gleich böse … los jetzt: mach den Mund auf!“
Walter überlegte verzweifelt, wie er dieser Attacke auf seine Geschmacksnerven entgehen konnte. Was Essen anging, war er bestimmt nicht heikel, aber alles hatte seine Grenzen.
„Ich hasse dieses Zeug“, brachte er hervor und verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, wer sich sowas ausgedacht hat. Sicher jemand, dem der Geschmackssinn abhandengekommen ist.“
Liesl zog den Löffel zurück und machte einen Schmollmund.
„Also gut … wer nicht will, der hat schon.“
Übertrieben genüsslich schob sie das Stück Sushi in den Mund und brummte zufrieden. „Glaubst du wirklich, über einhundertzwanzig Millionen Japaner leiden an Geschmacksverirrung?“
Ja, genau das glaubte Walter. Was war toll daran, rohen Fisch in pappigen Reis zu drücken und in ein Algenblatt einzurollen? Es schmeckte bestenfalls nach gar nichts, meist aber etwas fischelig nach Brackwasser. Pfui.
„Geschmäcker sind halt verschieden“, erwiderte Walter diplomatisch und scharrte unauffällig mit dem Fuß, um das vorherige Stück Sushi, das er in der Hoffnung, dass Balu es fressen würde, unter den Tisch hatte fallen lassen. Der Wolfsspitz hatte nur kurz daran geschnüffelt und sich beleidigt auf die Terrasse verzogen.
„Und so gesund kann das gar nicht sein. Überleg doch mal, warum die Japaner alle so klein sind … das könnte doch auch von diesem Zeug hier kommen.“
„Jetzt redest du aber Blödsinn“, lachte Liesl. „Gib mir deins rüber. Ich mache dir den Rest Spaghetti von gestern warm.“
Es war einer ihrer Versuche gewesen, Walters kulinarische Welt zu erweitern. Nicht, dass er sich schlecht ernährte, aber sie fand, dass Rauchfleisch, Braten und Spätzle nicht der Sockel der Ernährungspyramide sein sollten. Bei Salat und Gemüse hatte sie Walter bekehren können, wenn sie auch geschickt mit Dressings und Saucen hantieren musste, um es ihm schmackhaft zu machen.
Liesl hatte vor einiger Zeit das kleine Haus am Rand von Taldorf von ihrer Tante geerbt. Nach einer gründlichen Sanierung war sie eingezogen und hatte Walter kennengelernt. Schnell waren sie von Nachbarn zu Freunden geworden und irgendwann auch ein Paar. Ihre Häuser lagen dicht beieinander und sie verbrachten viel Zeit miteinander, doch die Idee zusammenzuziehen und eines der Häuser zu vermieten, war nie aufgekommen. Beide genossen die Rückzugsmöglichkeit in den eigenen vier Wänden. Unter der Woche, wenn Walter mitten in der Nacht aufstehen musste, um die Zeitungen im Dorf auszutragen, schliefen sie getrennt, um so mehr freuten sie sich auf die Wochenenden.
Liesl rührte in den Spaghetti und trug den dampfenden Topf zum Tisch. „Sie stellen nachher das Zelt auf. Schauen wir uns das an?“
„Natürlich“, sagte Walter mampfend und verbrannte sich die Zunge an der heißen Sauce. „Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen, wenn hier schon mal was los ist.“
Mit dem Neubau des Musikheims neben Walters Haus, zog auch das Taldorfer Gartenfest ins Hinterdorf um. Dort war mehr Platz und die Verantwortlichen versprachen sich mehr Besucher und dadurch höhere Einnahmen. Die Hauptattraktion sollte ein Mofarennen am Samstagabend werden. Man hatte sich bewusst gegen einen fröhlichen Tanzabend entschieden, da selbst die guten Partybands überall mit rückläufigen Besucherzahlen kämpfen mussten. Das Planungsteam hatte die ruhige Zeit des Corona-Lockdowns genutzt und ein perfektes Motorsportevent geplant, bis hin zu einem ausgeklügelten Regelwerk und einer strengen Kontrolle der teilnehmenden Fahrzeuge. Walter hatte seine Bedenken was die Besucherzahlen anging. Wer hatte Interesse an stinkenden Zweitaktmaschinen, die in beschaulichem Tempo zwei Stunden im Kreis fuhren? Am nächsten Wochenende würde diese Frage beantwortet werden.
Walter und Liesl liefen die wenigen Meter bis zum neuen Festplatz. Ein LKW parkte auf der Straße. Auf seiner Ladefläche waren Aluelemente verzurrt, die, nachdem sie zusammengesetzt waren, das Gerippe des Zeltes bilden würden. Über fünfzig Musikanten standen in Arbeitskleidung bereit, um beim Aufbau zu helfen.
„Das sieht aber nicht nach Arbeitskleidung aus“, rief der Alte (wie der Vorstand des Musikvereins genannt wurde, obwohl er eigentlich Alex hieß).
„Ich wusste nicht, dass ich … ähm … also, dass ich …“, stammelte Walter, wurde aber vom Vorstand unterbrochen. „War doch nur ein Scherz. Wir haben mehr Helfer, als wir brauchen. Das geht ganz fix. Das da hinten ist der Zeltmeister.“ Der Alte zeigte auf einen hageren Mann in zerschlissenen Arbeitshosen, der gestikulierend eine Gruppe Musiker in ihre Aufgaben einwies. „Ich geh da auch mal hin“, verabschiedete sich der Vorstand und gesellte sich zu den anderen Freiwilligen.
„Es gibt einen Zeltmeister … uuuuh“, lästerte Liesl und kicherte. „Wo verdient der sonst sein Geld? Auf einem Campingplatz?“
„Das wird schon seinen Grund haben“, sagte Walter mit einem Blick auf die Alustangen, die jetzt abgeladen wurden. Sie waren länger, als er es sich vorgestellt hatte. Der Aufbau war wohl doch aufwendiger als bei einem gewöhnlichen Zwei-Mann-Zelt.
Die ersten Segmente wurden unter Anleitung des Zeltmeisters verbunden und schnell bekam man eine Vorstellung von der Größe des fertigen Zeltes.
„Das wird riesig“, sagte eine Stimme hinter Walter, der sich umdrehte und den alten Mann begrüßte, der mit seinem Stock auf ihn zu humpelte. „Panky! Schön dich zu sehen. Mit sowas kann man dich also von deinem Hof runterlocken?“
Pankratz Wagner, der von allen nur „Panky“ genannt wurde, war der Altbauer eines Hofes im Hinterdorf. Seine Tochter und ihr Mann bewirtschafteten den Hof, doch Panky half noch immer, wo er konnte. Seine siebenundsiebzig Jahre sah man ihm nicht an. Es gab fünfzigjährige, die schlechter aussahen. Der Stock an dem er ging, war einer Arthrose im rechten Knie geschuldet. Die Ärzte hätten ihm gerne ein neues Gelenk eingesetzt, doch Panky hatte wenig Vertrauen in die „Herren in weiß“, wie er sie nannte.
„Ich bin mehr unterwegs, als du denkst“, reagierte er auf Walters Anspielung. „Nur weil ich nicht jeden Abend bei der Goschamarie sitze, bin ich noch lange kein Einsiedler.“
„Das ist übrigens meine Freundin“, stellte Walter Liesl vor, da die beiden sich noch nicht kannten.
Liesl streckte die Hand aus. „Es freut mich Sie kennenzulernen“, sagte sie freundlich. „Ich bin die Liesl!“
Der alte Mann hielt ihre Hand fest umklammert und zog sie näher an sich. „Freut mich! Ich bin Panky und nenn mich bitte auch so. Und das „Sie“ kannst du auch gleich vergessen.“
„Okay, Panky. Dann freut es mich noch mehr, dich kennenzulernen.“
Bevor sie sich weiter unterhalten konnten, wurden sie von Elmars Fliesenlegerbus von der Straße gehupt.
„Sorry, bin spät dran“, rief er zum geöffneten Fenster hinaus und schleuderte eine halbgerauchte Lord ins Gras. „Walter hat mich mal wieder aufgehalten. Wollte einfach nicht essen, der kleine Sturkopf.“
Walter grinste. Er liebte den kleinen Kerl, dessen Namensgeber er war. „Tja, mit den Walters ist es nicht immer einfach.“
Elmar blickte ihn grimmig an.
„Du hast da übrigens was“, wies ihn Walter auf ein paar orangefarbene Punkte auf seiner Stirn hin. Elmar wischte mit seinem Ärmel darüber und seufzte. „Spritzer vom Babybrei, den ich nicht in ihn reinbekommen habe. Für sein Alter weiß er schon sehr gut, wie er sich wehren muss.“
Der Vorstand hatte Elmar entdeckt und winkte ihn zu sich.
„Da geh ich jetzt besser hin. Ach Walter – ich gehe nachher noch zur Goschamarie. Kommst du auch?“
Walter antwortete mit einem gereckten Daumen und nahm Liesl in den Arm. „Sollen wir uns den Rest vom Garten aus anschauen? Ohne Schatten wird es mir jetzt doch zu heiß.“
Es war das erste Augustwochenende und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herab.
„Wenn du ein Bier ausgibst, folge ich dir überall hin“, flötete Liesl und hakte sich bei Walter unter. Sie verabschiedeten sich von Panky, der das Geschehen weiter beobachtete und gingen in Walters Garten. Unter dem großen Sonnenschirm öffneten sie zwei Flaschen Bier und sahen zu, wie die Giebelseite des Festzeltes aufgerichtet wurde.
„Das ist ja ein riesiges Zelt“, knurrte Balu. Der Wolfsspitz lag mit Kitty, der Tigerkatze, im Schatten der alten Jostabüsche am Rand der Terrasse. Kitty gehörte eigentlich zur Wirtschaft, doch Balu und sie waren beste Freunde und verbrachten viel Zeit miteinander. „Ich bin gespannt, ob wirklich so viele Leute kommen. Wenn ich das Zelt anschaue, sind die Erwartungen wohl recht hoch.“ „Ist mir egal“, sagte Balu ärgerlich. „Hauptsache, es ist bald vorbei. Dieses nervige Zweitaktgeschnatter halte ich nicht mehr lange aus.“ Als bekannt geworden war, dass beim Gartenfest ein Mofarennen stattfinden sollte, war im weiten Umkreis das Mofafieber ausgebrochen. Wer noch irgendwo eines herumstehen hatte, versuchte es zum Laufen zu bringen, wer keines hatte, versuchte sein Glück bei ebay-Kleinanzeigen. Die Preise für gebrauchte Fahrzeuge gingen durch die Decke, bis am Ende gar keins mehr zu bekommen war. Seitdem verbrachten die stolzen Mofabesitzer viel Zeit damit, ihre Fahrzeuge herzurichten und renntauglich zu machen. Längst verloren geglaubtes Jugendwissen über das „Frisieren“ wurde reaktiviert, was den kleinen Motoren mitunter zu erheblichen Leistungssteigerungen verhalf. Natürlich musste das auch getestet werden und so knatterte zu fast jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo ein Mofa durch Taldorf. „Da kommt schon wieder einer!“ Balu zeigte mit der Schnauze auf die Straße, auf der ein viel zu kleines Mofa mit einem viel zu großen Fahrer angerast kam. Der Rahmen war schwarz und die Felgen rot lackiert. Der Motor drehte am Anschlag. Dann ein lauter Knall und plötzliche Stille. „Der hat noch einiges zu tun“, stellte Kitty fest. „Hast du gehört, wie laut der allein schon war? Ich denke, ich werde beim Rennen nächsten Samstag nicht hier sein. Dann sind es fünfundvierzig von diesen Dingern, die Lärm machen. Das halte ich nicht aus.“„Da bin ich ganz deiner Meinung“, pflichtete Balu bei. „Wir könnten die Nacht bei Chiara verbringen und am nächsten Morgen ist alles vorbei.“Chiara war eine hübsche Border Collie Hündin und Balus Freundin. Sie lebte bei Walters Freund Georg nur ein paar Minuten Hundegalopp entfernt. „Ich weiß genau, was du bei Chiara willst“, grinste die Tigerkatze. „Aber mir soll’s recht sein. Hauptsache, wir entgehen dem Trubel. Vielleicht könnt ihr euch ja ein bisschen zurückhalten.“Balu verzichtete auf eine Antwort und beobachtete ein weiteres Mofa, das den Weg von Hütten her ins Tal hinunter raste. Als das Hinterrad blockierte, sah es erst so aus, als könnte der Fahrer das Gleichgewicht halten, doch dann schlingerte das Mofa heftig und der Fahrer wurde in den Graben geschleudert. „Autsch!“, kommentierte Kitty. „Autsch!“, stimmte Balu zu.