Читать книгу Allgemeines Verwaltungsrecht - Stefan Storr - Страница 16

4.Die Abgrenzungstheorien zur Bestimmung öffentlich-rechtlicher Rechtsnormen und Maßnahmen

Оглавление

21a) Die Interessentheorie. Die Interessentheorie geht auf den römischen Juristen Ulpian29 (170 bis 228 n. Chr.) zurück. Danach gehören zum öffentlichen Recht die Rechtssätze, die der Verwirklichung des öffentlichen Interesses dienen, zum Privatrecht diejenigen, die das private Interesse betreffen („publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem“).

In der Tat sind „privates Interesse“ und „öffentliches Interesse“, „Privatnützigkeit“ und „Gemeinwohlorientierung“, „Selbstbestimmung“ und „öffentliche Aufgabe“ maßgebende rechtsdogmatische Parameter. Doch ist der Interessentheorie entgegenzuhalten, dass sich öffentliches und privates Interesse regelmäßig nicht streng trennen lassen und viele Gesetze öffentliches und privates Interesse zugleich regeln. Z. B. dient die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze den Zielen der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen (§ 1 Abs. 2 EnWG) – was sowohl im Interesse der Allgemeinheit, wie auch im Interesse bestimmter Marktteilnehmer und der Verbraucher liegt. Außerdem setzt die Verwirklichung des öffentlichen Interesses nicht voraus, dass die öffentliche Hand sich öffentlich-recht­licher Handlungsformen bedienen muss. So werden Bürger, die z. B. ehrenamtlich öffentliche Aufgaben übernehmen und gemeinnützig tätig werden, nicht unbedingt öffentlich-rechtlich tätig (z. B. eine private Umweltschutzorganisation macht auf Missstände im Umweltbereich aufmerksam). Umgekehrt kann die öffentliche Hand mit privatrechtlichen Mitteln öffentliche Aufgaben erfüllen (z. B. Kauf eines Grundstücks, um darauf einen Spielplatz zu bauen).

22b) Die Subordinationstheorie (oder Subjektionslehre). Nach der Subordinationstheorie handelt es sich um öffentliches Recht, wenn zwischen den Rechtssubjekten eines Rechtsverhältnisses ein hoheitliches Über-/Unterordnungsverhältnis besteht. Um Privatrecht soll es sich handeln, wenn das Rechtsverhältnis durch Gleichordnung geprägt ist.30 Diese begriffliche Anleihe an ein veraltetes absolutistisches Staatsdenken überzeugt jedoch heute nicht (mehr). Der Subordinationstheorie kann daher nicht kritiklos gefolgt werden. Der Haupteinwand muss dahin gehen, dass das Denken in Über-/Unterordnungsverhältnissen in einem freiheitlichen Verfassungsstaat nicht mehr an­gebracht ist.31 Rechtsverhältnisdogmatisch stehen den hoheitlichen Rechten des Staates nämlich Grundrechte der Bürger gegenüber, die dessen Hoheitsmacht begrenzen. Von einem Über-/Unterordnungsverhältnis zu sprechen, würde dem nicht gerecht werden. Selbst das besondere Gewaltverhältnis – wie es ursprünglich für Strafgefangene, Soldaten und andere Personen konzipiert worden ist, die in einer besonderen Beziehung zum Staat stehen – ist als Rechtsinstitut, in dem die Geltung der Grundrechte relativiert sein soll, vom Bundesverfassungsgericht schon früh verworfen worden.32

Exkurs Besonderes Gewaltverhältnis: Das Rechtsinstitut des besonderen Gewaltverhältnisses wurde im Konstitutionalismus entwickelt. O. Mayer hatte das Gewaltverhältnis definiert als „umfassende rechtliche Abhängigkeit…, in welcher der Untertan zum Staat steht“, das besondere Gewaltverhältnis sollte „die verschärfte Abhängigkeit (meinen), welche zugunsten eines bestimmten Zwecks öffentlicher Verwaltung begründet wird, für alle Einzelnen, die in den besonderen Zusammenhang treten.“33 Das besondere Gewaltverhältnis sollte einen „Zustand verminderter Freiheit“ bedeuten, die Grundrechte sollen gerade hier nur eingeschränkt Anwendung finden,34 Grundrechtseingriffe sollten hier keinem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Doch gewährt das Grundgesetz umfassenden Grundrechtsschutz (Art. 1 Abs. 3 GG).

Außerdem sind besondere „Über-/Unterordnungsverhältnisse“ auch im privatrechtlichen Bereich bekannt (z. B. das elterliche Erziehungsrecht), und das öffentliche Recht kennt Gleichordnung z. B. zwischen zwei Hoheitsträgern, insbesondere zwei im hierarchischen Staatsaufbau auf gleicher Stufe stehenden Behörden. Schließlich lässt die Subordinations­theorie keine Aussage zu, wenn die öffentliche Hand privatwirtschaftlich tätig wird. Das Denken in Über-/Unterordnungskategorien passt in Vertragsverhältnissen grundsätzlich nicht, weil ein Vertrag durch zwei gegenseitige Willenserklärungen zustande kommt.35

Der Subordinationstheorie liegt schließlich ein Zirkelschluss zugrunde:36 Die Frage, ob ein Rechtsverhältnis durch Über-/Unterordnung oder Gleichordnung geprägt ist, muss aus dem Rechtsverhältnis selbst folgen. Dieses wird aber durch Rechtsnormen oder durch vertraglich begründete Rechte bestimmt. Ob diese Regelungen aber dem öffentlichen oder dem privaten Recht zuzuweisen sind, muss sich aus diesen selbst ergeben und kann nicht vorausgesetzt werden.

23c) Die Subjektstheorie. Die (ältere) Subjektstheorie stellt auf die Zuordnungssubjekte ab, d. h. auf diejenigen Rechtssubjekte, denen Rechte und Pflichten zugeordnet sind. Um öffentliches Recht handelt es sich demzufolge, wenn an dem betreffenden Rechtsverhältnis ein Träger hoheitlicher Gewalt beteiligt ist.

Dieser Theorie ist entgegenzuhalten, dass sich die öffentliche Hand angesichts der Formenwahlfreiheit der Verwaltung (Rn. 285 ff.) auch privatrechtlicher Instrumente bedienen und fiskalisch tätig werden kann,37 z. B. einen Kaufvertrag über einen Computer abschließen (§ 433 BGB). Daher kann nicht jede Maßnahme der öffentlichen Hand und nicht jede Rechts­norm, die deren Tätigkeit steuert, von vornherein dem öffentlichen Recht zugeordnet werden. Ebenso wenig kann aus der Beteiligung eines Privatrechtssubjekts geschlossen werden, dass zwingend ein privatrechtliches Rechtsverhältnis vorliegt, weil auch Privaten hoheitliche Aufgaben übertragen sein können (z. B. bei Beleihung Rn. 304).

24d) Sonderrechtstheorie. Nach der Sonderrechtstheorie handelt es sich um eine öffentlich­rechtliche Norm, wenn diese zumindest auf einer Seite ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt als solchen berechtigt oder verpflichtet.38 Diese Definition hat sich weitgehend durchgesetzt, obgleich auch sie zirkulär ist, weil sie eigentlich nur erklärt, was sie voraussetzt. Der Kaufvertrag über ein Grundstück zwischen Privaten oder zwischen einem Privaten und der öffentlichen Hand soll privatrechtlicher Natur sein, weil der Abschluss von Kaufverträgen nach § 433 BGB nicht auf die öffentliche Hand beschränkt ist. Dagegen soll der Erschließungsvertrag zwischen einem privaten Investor und einer Gemeinde dem öffentlichen Recht zuzuweisen sein, weil dieser Vertrag ein besonderes Instrument ist, um die Aufgabe der Gemeinde zur Erschließung von Grundstücken, etwa den Bau von Straßen, Wegen und Plätzen, zu übertragen (§ 11 BauGB).

Zu beachten ist, dass allein die Zugehörigkeit einer Norm zu einer bestimmten Kodifikation oder einem Gesetzeswerk noch nichts darüber aussagt, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Bestimmung handelt. Insbesondere im modernen Regulierungsrecht (Rn. 40) verschwimmt diese Unter­scheidung zunehmend. So ist z. B. die Verpflichtung von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze, anderen Betreibern auf Anfrage ein Angebot auf Zusammenschaltung zu machen (§ 16 TKG), privatrechtlich, der Regulierungsbehörde kommt aber die Befugnis zu, bestimmte Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze zu verpflichten, anderen Betreibern diskriminierungsfreien Zugang zu gewähren (§ 19 TKG).

Heute wird überwiegend und maßgeblich auf die Sonderrechtstheorie abgestellt; die anderen Theorien werden nur dann herangezogen, wenn mit dieser keine praktikablen Lösungen gefunden werden können.39 Doch darf nicht verkannt werden, dass alle Theorien dogma­tisch nur sehr eingeschränkt ergiebig und wegen ihres Formelcharakters zur Lösung komplexer Rechtsprobleme nur sehr bedingt brauchbar sind.40 Da die Frage der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privaten Recht vor allem für den Rechtsweg (Verwaltungsgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit oder ordentliche Gerichtsbarkeit) eine praktische Rolle spielt, haben sich die Gerichte hierzu häufig äußern und Stellung beziehen müssen.

25Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes weicht aus:

„Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn – wie hier – eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird… Öffentlich-rechtlich sind Streitigkeiten, die aus einem hoheitlichen Verhältnis der Über-/und Unterordnung entstehen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft.“41

Nicht ausgeschlossen ist schließlich, dass ein Rechtsverhältnis sowohl dem öffentlichen Recht, wie auch dem Privatrecht zugeordnet ist. So wird für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen überwiegend die sog. „Zwei-Stufentheorie“ zugrunde gelegt. Danach soll die behördliche Zulassung des Einzelnen zur öffentlichen Einrichtung (das „Ob“) öffentlich-rechtlich geregelt sein, sofern die Einrichtung durch einen Organisationsakt gewidmet ist und damit dem öffentlichen Recht bzw. dem Anstaltsrecht unterworfen wurde.42 Demgegenüber kann die zweite Stufe der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses (das „Wie“, etwa die Zugrundelegung eines Mietvertrages mit entsprechenden Nebenregeln für die Benutzung) öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sein. Die Zwei-Stufentheorie findet ferner Anwendung bei der Gewährung von Beihilfen (verlorene Zuschüsse); umstritten ist, ob sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge herangezogen werden soll (abl. h. M.).43

26Die Sonderrechtstheorie lässt unmittelbar keine Aussage zu, wenn die tatsächliche Maßnahme einer Behörde in Frage steht. Erhält der Bürger z. B. ein Schreiben des Stadttheaters, dass ihm ein Abonnement für die Winterspielzeit nicht gewährt werden könne, muss die Frage der Zuordnung dieses Schreibens in das öffentliche oder in das private Recht aus den Umständen ermittelt werden. Dabei ist von folgender Prüfungsreihenfolge auszugehen:

– Ist die Handlungsform von der Behörde eindeutig gewählt, z. B. weil das Schreiben des Stadttheaters als „Bescheid“ formuliert ist, ist diese Handlungsform (Bescheid als öffentlich-rechtliches Instrument) maßgeblich, und zwar ungeachtet der Frage, ob diese Handlungsform rechtmäßig oder rechtswidrig ist, etwa weil die beabsichtigte Regelung eine privatrechtliche Rechtsbeziehung betrifft.44

– Ist die Handlungsform nicht eindeutig, bedarf es der Auslegung. Dabei kommt es auf den Willen der Behörde an, wie ihn ein durchschnittlicher Empfänger verstehen konnte. Maßgeblich sind die Interpretationsregeln entsprechend §§ 133, 157 BGB. Ist das Schreiben z. B. mit einer Rechtsbehelfsbelehrung verbunden, spricht dies dafür, dass die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen wollte. Zudem kann vermutet werden, dass sich die Behörde rechtmäßig verhalten wollte, so dass im Zweifel die Handlungsform anzunehmen ist, die rechtmäßig ist. Keinesfalls darf aber eine Tätigkeit der Behörde so interpretiert werden, wie es ihrem Willen offensichtlich nicht entspricht. Ist das Theaterbüro z. B. privatrechtlich organisiert und ist eine Beleihung mit Hoheitsrechten nicht erfolgt, spricht die Rechtmäßigkeitsvermutung bei fehlender behördlicher Festlegung für einen privatrechtlichen Charakter des Schreibens.

– Führt eine Auslegung nicht weiter, ist auf das Rechtsregime abzustellen, das für die betreffende Handlung maßgeblich ist. Eine Zulassung zu einer kommunalen öffentlichen Einrichtung ist nach der Zwei-Stufentheorie etwa dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil das Zulassungsrechtsverhältnis maßgeblich im Kommunalrecht (z. B. § 10 SächsGO) geregelt ist. Freilich lässt die Zwei-Stufentheorie für die zweite Stufe keine konkrete Aussage zu.

27Die Rechtsprechung hat sich keiner Theorie angeschlossen, sondern zieht im Bemühen um eine im Einzelfall sachgerechte Lösung jeweils eine oder kombiniert mehrere Abgrenzungstheorien heran.45

Beispiel Hausverbot:

Fall 1a:46 Der Bundesminister für Verteidigung B verweigert einem aufdringlichen Lobbyisten L, der mit B über Rüstungsgeschäfte verhandeln möchte, Zugang zum Ministerium.

Fall 1b:47 Der Student S wird vom Kanzler der Universität des Hauses verwiesen, weil er Studentinnen belästigt hat.

Fall 1c: Punker P ist nicht Student der Universität, nutzt aber die sanitären Einrichtungen der Universität, um sich nach einer Nacht auf der Parkbank „aufzufrischen“. Auch er wird vom Kanzler der Universität des Hauses verwiesen.

Lösung Fall 1a bis 1c: Das Hausverbot kann auf die privatrechtlichen Vorschriften §§ 859, 903 und 1004 BGB gestützt werden. Möglich ist aber auch eine Anordnung auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Sachherrschaft. Ist das ausgesprochene Hausverbot nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Rechtsgrundlage gestützt worden und scheidet auch eine weiterführende Interpretation der Willenserklärung aus, kommt es maßgeblich darauf an, welche Rechtsnormen die Rechtsbeziehungen der Beteiligten und damit das Hausverbot prägen. Im Fall 1a stellte das BVerwG auf den Zweck des Hausverbots ab. Dieses stehe in untrennbaren Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen und einem etwaigen Vertragsschluss über den Kauf von Rüstungsgütern. Obwohl Verteidigungsinteressen öffentlichen Zwecken dienten, würde ein Kaufvertrag auf privatrechtlicher Grundlage abgeschlossen werden, L und B würden sich „auf dem Boden des Zivilrechts bewegen“. Daher sei das Hausverbot privatrechtlicher Natur.

Denkbar ist es aber auch, auf den Zweck der öffentlichen Einrichtung abzustellen. Jedenfalls dann, wenn der Gebrauch der Einrichtung nicht ausschließlich außerhalb ihrer Zweckbestimmung erfolgt, ist zu prüfen, welche Rechtsnormen den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Einrichtung durch den von dem Hausverbot Betroffenen regeln.48 Im Fall 1b ist zu berücksichtigen, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch der Einrichtungen einer Hochschule durch den Studenten S dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, weil dieser als Hochschulangehöriger einen öffentlich-rechtlichen Anspruch aus dem Hochschulgesetz auf Benutzung der Universität hat, mit der Folge, dass diesem Anspruch nur durch ein öffentlich-rechtlich ausgestaltetes Benutzungsverbot (Hausverbot) wirksam begegnet werden kann.

P dagegen (Fall 1c) ist nicht Mitglied der Universität. Die Nutzung der Universität erfolgte außerhalb ihrer Zweckbestimmung. Öffentlich-rechtliche Beziehungen zwischen der Universität und P bestehen nicht; der bestimmungsgemäße Gebrauch ist in keiner Weise durch öffentlich-rechtliche Normen geprägt. Demgemäß wird dort vom privatrechtlichen Hausrecht Gebrauch gemacht.

Auch Teile der Literatur stellen auf den Zweck des Hausverbots ab; sie leiten diesen aber nicht aus den Umständen des Besuchs des Bürgers, sondern aus der Funktion des Hausverbots ab. Diese besteht regelmäßig darin, die Erfüllung der Aufgaben sicherzustellen, die der Einrichtung zugewiesen sind, mithin für einen störungsfreien Dienstbetrieb Sorge zu tragen.49 Demnach wäre das Hausverbot in allen Fällen öffentlich-rechtlich.

Beispiel Dienstfahrt:

Fall 2a:50 Amtsarzt A wird vom Landrat L aufgefordert, einen auswärtigen Termin wahrzunehmen. A benutzt seinen eigenen Pkw, was von L stets geduldet wurde, und verursacht einen Verkehrsunfall, durch den der Fahrradfahrer F getötet wird. Die Kinder des F verlangen von A Schadensersatz wegen ausbleibender Unterhaltszahlungen.

Fall 2b:51 Der auf einer Dienstfahrt befindliche Lkw des Landes L stößt mit einem Pkw, der von E gesteuert wird und in dem B mitfährt, zusammen, wobei sich B verletzt. B verlangt vom Land Schadensersatz. E und der Fahrer des Lkw haben den Unfall zu gleichen Teilen fahrlässig verursacht.

Lösung Fall 2a: Im Fall 2a könnte ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Betracht kommen: Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu entrichten (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB). Allerdings leitet Art. 34 S. 1 GG diesen Anspruch auf den Staat über: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“ Dann besteht der Anspruch nicht gegenüber dem Beamten, sondern wird auf den betreffenden Verwaltungsträger (Rn. 385) übergeleitet.

Der BGH stellte in diesem Zusammenhang darauf ab, ob A in „Ausführung eines hoheitsrechtlichen Geschäfts“ unterwegs war. Das sei der Fall gewesen, weil der Landrat A gerufen hatte, A also im Rahmen seiner amtsärztlichen Betätigung gefahren sei. Dass A seinen eigenen Pkw benutzte, ist irrelevant, zumal L dies stets geduldet hatte. Folglich oblag A die Beachtung der Verkehrsregeln als Amtspflicht jedem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber.52 Den Amtshaftungsanspruch können die Kinder des F wegen Art. 34 S. 1 GG nicht gegenüber A, sondern nur gegenüber dem Land geltend machen. Diese Rechtsprechung ist kritisiert worden, weil sie dazu führt, dass ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG beim privatrechtlich handelnden Amtswalter gegen den Staat ausgeschlossen ist, obwohl es für den Geschädigten gleichgültig ist, ob er in „hoheitlicher“ oder „fiskalischer“ Mission geschädigt wird.53 In der Tat darf nicht diese Differenzierung maßgebend sein, weil § 839 Abs. 1 BGB und Art. 34 S. 1 GG darauf abstellen, ob der Schädiger „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ tätig wird. Das ist hier der Fall, weil A – ungeachtet hoheitlicher, verwaltungsprivatrechtlicher oder fiskalischer Tätigkeit – in seiner Funktion als Amtsarzt unterwegs war. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB ist damit ausgeschlossen (a. A. die h. M., die auf §§ 823, 31 und 89 BGB für leitende Beamte in Organstellung und auf § 831 BGB für übrige Beamte ausweicht.54). Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine Halterhaftung aus § 7 StVG und Fahrzeugführerhaftung aus § 18 StVG in Betracht kommt, weil diese Bestimmungen neben § 839 BGB Anwendung finden (Rn. 386).55

Lösung Fall 2b: Das Amtshaftungsrecht enthält folgende bedeutsame Einschränkung: Nach § 839 Abs. 1 S. 2 BGB (i. V. m. Art. 34 S. 1 GG) kann der Verwaltungsträger im Fall einfacher Fahrlässigkeit des Beamten nur in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Diese Verweisungsklausel könnte L der B entgegenhalten: B könnte von E den vollen Schadensersatz verlangen, weil L und E der B als Gesamtschuldner haften. Doch schränkt der BGH § 839 Abs. 1 S. 2 BGB reduzierend ein: Im Straßenverkehr gelten die Rechte und Pflichten für alle Verkehrsteilnehmer gleich. Deshalb müsse der Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung auch Vorrang gegenüber dem Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB haben. Das gilt jedenfalls, soweit der Amtsträger auf seiner Dienstfahrt keine Sonderrechte (§ 44 StVO [Blaulicht] oder § 35 StVO) in Anspruch nimmt.

Beispiel Kirchengeläut: Die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 137 Abs. 5 WRV i. V. m. Art. 140 GG). Daher stellt sich das Problem, welcher Rechtsnatur das Kirchengeläut ist. Das BVerwG unterscheidet zwischen liturgischem Geläut und Zeitschlagen:

BVerwGE 68, 62, 65 – „Liturgisches Geläute“: „Der Rechtsstreit fällt in die staatliche Gerichtsbarkeit. Zwar gehört das hier streitige Angelus-Läuten als kultische Handlung zu den inneren kirchlichen Angelegenheiten i. S. der Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. mit Art. 140 GG. Glockengeläut berührt aber auch staatliche Belange, denn es kann mit dem Ruhebedürfnis der Nachbarn kollidieren; der Schutz der Nachbarn vor schädlichen Immissionen ist Aufgabe des Staates…

Kirchliche Streitigkeiten der hier in Frage stehenden Art, für die staatliche Gerichte zuständig sind, sind … grundsätzlich als öffentlich-rechtlich gem. § 40 Abs. 1 VwGO zu behandeln; die Vermutung spricht für die öffentlich-rechtliche Qualifikation …, wobei hier offenbleiben kann, welche Ausnahmen in Betracht kommen. Das liturgische Glockengeläut ist eine typische Lebensäußerung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Kirche und damit nach der Natur des Rechtsverhältnisses öffentlich-rechtlich. Auch die Widmung der Kirchenglocken als öffentliche Sachen, zu der die Kirchen aufgrund ihres Körperschaftsstatus befähigt sind, begründet zwischen dem öffentlich-rechtlichen Träger der Sache und dem Nachbarn, dessen Rechte durch den widmungsgemäßen Gebrauch der Sache betroffen werden, eine öffentlich-rechtliche Beziehung. Es leuchtet nicht ein, die Widmung und den Sachbesitz dem öffentlichen Sonderrecht zu unterstellen, dagegen den widmungsgemäßen Sachgebrauch als privatrechtlich zu beurteilen …“

BVerwG, NJW 1994, 956 – „Zeitschlagen“: „Der VGH hat den Verwaltungsrechtsweg zu Recht verneint, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, die nach § 13 GVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Maßgeblich für die Rechtswegfrage ist, ob die Handlung der Beklagten gegen die der Kläger sich wendet, hoheitlicher oder privater Natur ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt nicht entscheidend davon ab, dass es sich bei der Beklagten. um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und bei den Glocken, um deren Benutzung es geht, um res sacrae und damit um öffentliche Sachen handelt; denn nicht jede Tätigkeit eines Trägers öffentlicher Verwaltung ist schon allein wegen dieses Status dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Ebenso wenig ist die Benutzung einer durch Widmung einem öffentlich-rechtlichen Regime unterworfenen Sache immer öffentlich-rechtlicher Natur, selbst wenn der Benutzer öffentlich-rechtlich organisiert ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die öffentliche Sache im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Zweckbindung genutzt wird, oder ob es sich um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb des Widmungszwecks handelt. Da das nichtsakrale Glockenschlagen unter heutigen Lebensbedingungen nicht mehr dem Bereich kirchlicher Tätigkeit zugeordnet werden kann, in dem die allgemeinen Gesetze nur eingeschränkt gelten (BVerwGE 90, 163 (167)), könnte – wenn überhaupt – eine fortbestehende öffentlich-rechtliche Zweckbindung der Glocken für diese Art ihrer Nutzung allenfalls dann angenommen werden, wenn sie vom Widmungszweck nach wie vor umfasst würde. Davon kann jedoch keine Rede sein im Blick auf das Vorbringen der Beklagten, es handele sich bei dem Zeitschlagen nach ihrem Selbstverständnis nicht um eine ihrem Sonderstatus zuzurechnende Tätigkeit, sondern um die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen außerhalb eines sakralen Widmungszwecks.“

Beispiel Beleidigende Äußerungen von Amtsträgern: Ansprüche auf Widerruf und Unterlassung ehrverletzender Äußerungen von Beamten können privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein:

Ein öffentlich-rechtlicher Widerrufsanspruch (§ 1004 BGB analog, zum Folgenbeseitigungsanspruch Rn. 403 f.) ist gegeben, wenn sich der Beamte bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben äußert. Der Widerrufsanspruch besteht gegenüber dem Verwaltungsträger.

Ein privatrechtlicher Widerrufsanspruch (§ 1004 BGB analog) ist gegeben, wenn ein Beamter sich als Privatperson äußert, z. B. im Freundeskreis. Der Widerrufsanspruch besteht gegenüber dem Beamten.

Problematisch ist der Fall, dass sich ein Beamter zwar in seiner Eigenschaft als Staatsdiener äußert, aber bei der Wahrnehmung privatrechtlicher Angelegenheiten. Nach überwiegender Auffassung soll dem Geschädigten ein privatrechtlicher Widerrufsanspruch (§ 1004 BGB analog) zustehen.56 Allerdings wird der Beamte grundsätzlich als Amtsträger tätig. Für einen privatrechtlichen Widerrufsanspruch muss seine fragliche Äußerung deshalb erkennbar und unzweifelhaft bei einer nur gelegentlich nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit oder überhaupt ohne Zusammenhang damit gemacht worden sein.57 Anders kann der Fall liegen, wenn ein von einem Beamten erhobener Vorwurf (Truppenarzt nennt Soldaten einen Quertreiber) unbeschadet seiner Zurechnung zur Amtsführung so sehr Ausdruck seiner persönlichen Meinung oder Einstellung ist, dass wegen des persönlichen Gepräges der Ehrkränkung die Widerrufserklärung nur dann, wenn sie vom Beamten persönlich abgegeben wird, geeignet ist, die Ehre des Verletzten wiederherzustellen.58 Im Einzelfall zu klären ist, ob Anspruchsadressat der Beamte (z. B. bei persönlichen ehrverletzenden Äußerungen) oder der Verwaltungsträger (bei fiskalischen Hilfsgeschäften der Verwaltung) ist.

Allgemeines Verwaltungsrecht

Подняться наверх