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4.Die Grundrechtsbindung der Verwaltung

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34Die Verwaltung ist gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Die Bestimmung gilt sowohl für die Verwaltung des Bundes als auch für die der Länder. Entgegen dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte nicht nur die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht, sondern die staatliche Gewalt in allen ihren Äußerungen. Daher ist auch der privatrechtlich handelnde Staat nicht von den Grundrechten entbunden. Er kann sich nicht, wie der Bürger, auf Privatautonomie berufen. Die Funktion einer Koordination privatrechtlicher Handlungsinstrumente mit dem öffentlich-rechtlichen Steuerungsanspruch erfolgt dogmatisch durch das Verwaltungsprivatrecht (Rn. 291 ff.).

Die Grundrechtsbindung der Verwaltung betrifft sechs Dimensionen:

– die Grundrechte als Abwehrrechte: Eingriffe der Verwaltung in Rechte der Bürger bedürfen nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern sind insbesondere an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, d. h. sie müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein.68 Diese Abwehrfunktion gegen übermäßige Staatseingriffe in Individualrechte darf für die Strukturbildung des Verwaltungsrechts nicht unterschätzt werden. Verwaltungsrechtliche Ansprüche auf Verhinderung verwaltungsrechtlicher Maßnahmen oder auf Wiederherstellung eines durch fehlerhaften Verwaltungsvollzug geschaffenen Zustands, die ungeschriebenen und erst durch Rechtsfortbildung entwickelten Rechtsinstitute des Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsanspruchs, Rechtsschutz- und Entschädigungsansprüche haben hier ihre dogmatische Grundlage.

– die Grundrechte als Leistungsrechte: Aus grundrechtlichen Schutzpflichten folgen Handlungsaufträge an die Verwaltung.69 Wegen ihrer Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln binden sie Gesetzgeber und Verwaltung indes primär als objektives Recht und vermitteln insoweit keine individuellen Ansprüche.70

– die Grundrechte als Teilhaberechte: Beim Zugang zu staatlichen Einrichtungen, wie den staatlichen Hochschulen,71 und bei bestimmten Verteilungsentscheidungen der Verwaltung, insbesondere in Knappheitssituationen, wie bei der öffentlichen Auftragsvergabe oder der Vergabe von Lizenzen72, haben die Grundrechte die Funktion, eine gerechte Teilhabe der Bewerber am Auswahlverfahren zu garantieren und eine bedarfsgerechte Knappheitsverwaltung zu gewährleisten.

– die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte: Die Grundrechte schützen nicht nur materiell Eigentum, Beruf oder Forschung, sondern verlagern diesen Schutz auf das staatliche Verwaltungsverfahren und verstärken so die Wirkung der materiellen Grundrechtsgewährleistungen.73 Das Verwaltungsverfahren ist freiheitlich auszugestalten und die Verfahrensvorschriften sind im Lichte der Grundrechte zu interpretieren.74 Die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte verschafft dem Bürger einen „status activus processualis“.75

– die organisationsrechtliche Dimension der Grundrechte: Die Grundrechte können auf die Organisation von Einrichtungen ausstrahlen, um Freiheitsgewährleistung zu optimieren. Die Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“ (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) verlangt eine Organisation des Rundfunks, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit und Sachlichkeit gewährt, wie sie z. B. durch eine binnenplurale Zusammensetzung der Gremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten möglich ist;76 der objektive Schutzgehalt der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) eine Hochschulverfassung, die die Gewähr für freie wissenschaftliche Betätigung gibt.77

– die grundrechtliche Garantie auf Rechtsschutz: Gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, die jemanden in seinen Rechten verletzen, lässt Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlichen Rechtsschutz zu. Es ist umstritten, ob sich der Schutzbereich dieser Rechtsschutzgarantie nur auf öffentlich-rechtliches Handeln des Staates erstreckt oder ob sein privatrechtliches Handeln einbezogen ist.78 Dieser Streit hat aber keine praktischen Auswirkungen, weil der allgemeine Justizgewährungsanspruch Rechtsschutz gegenüber den nicht von Art. 19 Abs. 4 GG erfassten Fällen gewährt. Dieser ist aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG festgelegten Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, herzuleiten.79

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