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IV.Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht 1.Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht
Оглавление29Otto Mayer (1846 bis 1924) kommt das Verdienst zu, das Verwaltungsrecht als eine eigene Rechtswissenschaft etabliert zu haben. Zwar gab es eine Vielzahl von Vorarbeiten60, doch hat er – wie er in seinem berühmten Werk „Deutsches Verwaltungsrecht“ (1. Aufl. 1895) selbst schreibt – „mutig das Ganze angefasst“61 und die Strukturen und Institute des Verwaltungsrechts in Deutschland zusammengefasst und fortentwickelt. Bemerkenswert zügig hat sich das Verwaltungsrecht als eigenes Rechtsgebiet verfestigt, und in seinem Vorwort zur dritten Auflage 1924 konnte O. Mayer den berühmten, wenn auch mit Blick auf das zwischenzeitliche Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung durchaus zweifelhaften Satz formulieren: „Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen. „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“; dies hat man anderswo schon längst beobachtet.“ In der Tat ist es aber zumindest bemerkenswert, wie die verwaltungsrechtliche Dogmatik seit über einhundert Jahren Verfassungen, Revolution und Zusammenbrüche von Staaten „überlebt“ hat, und auch heute vielfach noch mit überlieferten Strukturen operiert.
Kein Bereich zeigt das besser als die von O. Mayer geprägte Dogmatik des Verwaltungsakts, den er als „ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Untertanen im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll“,62 definiert hat. Noch heute ist der Verwaltungsakt der Zentralbegriff des Verwaltungsrechts. Zwar ist die „hoheitliche Maßnahme“ (vgl. § 35 S. 1 VwVfG) mit Kategorien des Konstitutionalismus von „Obrigkeit und Untertan“ verhaftet wie sie für einen durch Grundrechte verfassten freiheitlichen Rechtsstaat nicht mehr akzeptabel sind.63 Während Kompetenznormen dem Staat Eingriffsrechte zuweisen, beschränken die Grundrechte als Abwehrrechte staatliche Gewalt, womit die Grundlage komplexer Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Bürger gelegt ist. Dennoch kann nicht geleugnet werden – und der Verwaltungsakt ist das beste Beispiel hierfür –, dass verwaltungsrechtliche Strukturen, Grundsätze und Rechtsinstitute offensichtlich verschiedenste Verfassungsordnungen überdauert haben.64
Gleichwohl kann O. Mayers Urteil über das Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsrecht aktuell schon deshalb nicht unkorrigiert stehen gelassen werden, weil das Grundgesetz die Maßstabsbildung für das (einfache) Verwaltungsrecht vorgibt (Art. 1 Abs. 3; 20 Abs. 3 GG). Auch das Verwaltungsrecht, das mit dem Grundgesetz vereinbar sein und im Lichte des Grundgesetzes ausgelegt werden muss, ist nicht resistent gegenüber gesellschaftlichen Umwälzungen. Am bildlichsten wird das in Fritz Werners berühmten Beitrag über „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“,65 in dem er sich gegen eine blinde Technizität des Verwaltungsrechts wendet. Freilich wird man O. Mayer den Vorwurf nicht machen können, er habe das Verwaltungsrecht vom Verfassungsrecht lösen wollen. Hier soll auch nur aufgezeigt werden, dass das Verwaltungsrecht – trotz aller Beständigkeit – der Verfassungsrechtsordnung nicht entrückt ist. Es ist ja das Verfassungsrecht, das die maßgebenden Strukturen des Verwaltungsrechts vorgibt.