Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 10
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Die Worte schwebten zwischen ihnen, als hätten sie eine unsichtbare Mauer aufgebaut.
Lilly konnte Denniz’ Angst vor ihrer möglichen Reaktion fast spüren. „Vampire?“, stellte sie dann nüchtern fragend fest.
„Vampire“, bestätigte er, womit die Mauer in sich zusammenfiel und mit ihr, begann Lillys Weltbild zu bröckeln.
„Du sagst, du weißt, was mit mir passiert ist. Erzähl es mir, bitte.“ In ihrer Stimme schwang ein Flehen mit. „Ich will alles wissen.“ Erwartungsvoll sah sie ihn an. Denniz schien vor allem überrascht, dass sie nicht lachte oder davonlief. Oder eben die Aktion mit dem Kaffee brachte.
Er sammelte sich kurz und begann zu erzählen. „Memphis kann Menschen spüren, die von Vampiren gebissen wurden. Es ist nicht immer sicher, ob sie sich auch verwandeln. Meist erholen sie sich ohne Probleme. Manchmal aber auch nicht.“ Bei diesen Worten schaute er Lilly fast mitleidig an. „Er fand mich vor vielen Jahren, kurz nachdem ich gebissen wurde. Es war ähnlich wie bei dir. Nur war mein Erschaffer, wohl einfach ein Idiot, der sich was beweisen wollte. Was deinen angeht, haben wir keine Ahnung, warum er dich so zurückgelassen hat. Wir glauben allerdings, er wurde gestört und ist deshalb nicht fertig geworden.“
Lilly erstarrte. Nicht fertig geworden?, dachte sie und fragte: „Wollte er mich töten?“
„Nein, das glaube ich nicht. Das Ganze ist etwas komplizierter, ich erkläre es dir später. Jedenfalls war Memphis sich nicht sicher, wie weit der Typ gegangen war. Aber nachdem du aufgestanden und recht munter zu Hause angekommen warst, war er der Meinung, dass nichts passiert sei. Wie ich schon gesagt hab, war ich zurecht anderer Meinung.“
Denniz drehte nervös seine Tasse in den Händen. „Du hast dich elend gefühlt, stimmts? Kopfschmerzen, Übelkeit, Durst? Genau das hatte ich auch. Und als der Typ im Park dich dann angegriffen hat, hast du instinktiv gehandelt, oder? Meist ist es Wut oder Verzweiflung, die unsere Instinkte weckt. Du hast dich da praktisch nur verteidigt und dein Biss hat den Reflex, zu trinken, ausgelöst. Mit diesem Blut hast du deiner Verwandlung den nächsten Schub gegeben und ich denke, ich gehe richtig in der Annahme, dass es dir jetzt gerade fantastisch geht?“ Er sah sie fragend an.
Lilly konnte wieder nur nicken. Was er ihr erzählte, war absurd. So abwegig, dass es schon wieder logisch klang. Es passte zu dem, was sie sich selbst schon zusammengereimt hatte.
Es … passt. „Ich bin auch ein Vampir“, flüsterte sie so leise, dass sie sich selbst kaum verstand, doch er hörte es, denn er nickte mitfühlend. Er ist ja schließlich übernatürlich, dachte sie spöttisch.
In ihre plötzlich aufkeimende Verzweiflung mischte sich Lachen. Ein hysterisches Lachen, das immer lauter wurde. Denniz legte eine Hand auf ihre und sah sie immer noch mitfühlend an. Dann senkte er den Blick, als er die Tränen mitbekam, die in ihren Augen schimmerten. Die anderen Gäste schauten vorwurfsvoll zu ihnen herüber, weil Lilly so laut und unecht lachte. Sie bemerkte es, verstummte und ließ den Blick durchs Café gleiten, bis sie bei wieder Denniz ankam. Er hielt noch immer ihre Hand und schaute auf, als ihr Blick auf ihn fiel. Ihre Augen trafen sich. Lillys ungläubig, Denniz’ mitfühlend.
Dann senkte sie die Augen auf den Tisch und murmelte ein albernes: „Echt jetzt?“
Er drückte ihre Hand sanft und beugte sich zu ihr. „Du bist nicht allein. Hab keine Angst. Wenn du willst, helfe ich dir, das alles zu verstehen. Bitte lass mich“, fügte er an, als sie ihn endlich wieder anschauen konnte.
„Das ist dein Ernst, oder? Das ist kein Witz? Ich … “ Es verschlug ihr beinahe die Sprache und sie musste schlucken. „Ich bin ein Vampir?“, keuchte sie halb erstickt. Wieder kam dieser mitleidige Blick. War das denn noch nicht alles?
„Na ja, noch nicht ganz. Noch bist du ein Mensch. Da du nicht gestorben bist, dauert die Verwandlung noch an“, erklärte Denniz.
Lilly schloss die Augen für einen Moment, dann sah sie ihn wieder direkt an. „Kann man das denn stoppen?“, fragte sie hoffnungsvoll und konnte die Antwort an seinen Augen und den zusammengepressten Lippen erkennen, noch bevor er den Kopf schüttelte.
„Leider gibt es keine Heilung.“
„Aber wenn ich das nicht will? Wenn ich kein Vampir werden will. Es muss doch eine Lösung geben?“
„Du kannst sterben und dann noch mal sterben, indem du dich verbrennen oder pfählen lässt“, antwortete er ihr so trocken, als wäre es das Normalste der Welt.
Sie sah ihn entgeistert an. „Wie … bitte?“
„Du hast das Gift in deinem Körper. Es gibt keine Möglichkeit, es wieder herauszubekommen, da es deinen Kreislauf schon vollständig durchlaufen hat und in deine Organe und so weiter eingedrungen ist. Normalerweise gibt ein Vampir sein Gift beim Trinken nur in den Körper, um das Opfer zu beruhigen, saugt es aber mit dem Blut größtenteils wieder raus.
Das ist in deinem Fall nicht passiert. Hätten wir dich eher gefunden und genau gewusst wie es abgelaufen ist, hätten wir das unter Umständen ändern können. Aber so wussten wir nicht, wie viel Gift noch in dir war und wie viel der Andere getrunken hatte. Wir hätten dich vielleicht getötet, hätten wir es riskiert.“
„Warum habt ihr nicht?“, fragte Lilly leise.
„Weil wir dich nicht töten wollten“, antwortete Denniz mit fester Stimme. „Du bist jung, warum solltest du sterben, wenn es auch nur die geringste Chance gab, dass du leben konntest.“
„Aber jetzt werde ich trotzdem sterben, irgendwie.“ Ihre Stimme brach, als ihr bewusst wurde, was sie da sagte. Sie wollte leben. Sie hatte schon immer Angst vor dem Tod gehabt. Nicht vor dem Danach, denn sie war sich sicher, dass es eines gab. Der Tod war nur die nächste Stufe dorthin. Aber sie wollte nicht gehen und alle hier alleinlassen, die sie liebte. Sie wollte nicht allein sein und sie wollte niemanden verlassen. Doch genau das würde geschehen, wenn sie ein Vampir wurde. Und das wiederum, würde hier wohl unvermeidlich passieren.
All das wurde ihr in diesen paar stillen Sekunden bewusst und ein Kloß setzte sich in ihrem Hals fest. Heute Morgen noch, war alles gut gewesen. Jetzt fühlte Lilly sich schrecklich. Verloren. Denniz hielt noch immer ihre Hand und als es ihr bewusst wurde, zog sie sie weg. Sie wollte ihn nicht berühren. Sie wollte nicht glauben, was er ihr erzählte. Selbst wenn ihr irgendwie schon klar war, dass er nicht log.
Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Der Regen trommelte leicht gegen das Fenster, an dem sie saßen und als Lilly aufschaute, sah sie, wie Denniz’ Blick von der Scheibe zu ihr flog. Er war nicht mehr mitleidig und darüber war sie froh. Denn Mitleid half ihr nicht.
Sein Ausdruck war eher entschlossen, als er sagte: „Pass auf. Ich will dir helfen. Dein Leben ist nicht vorbei. Jetzt im Moment denkst du, du hättest alles verloren, aber denk weiter. Du bist hier. Du sitzt hier vor mir und kannst alles haben. Es hat auch seine Vorteile, unsterblich zu sein. Du kannst überall hin. Du kannst tun, was immer du willst und sobald du gelernt hast, wie man mit dem Vampirismus umgeht, hast du alle Freiheiten auf der Welt.“ Denniz hatte sich wieder zu ihr gebeugt, während er gesprochen hatte und sie sah seine Augen vor Aufregung leuchten. Er freute sich sichtlich über das, von dem er ihr vorschwärmte.
Er hat es bestimmt auch schon gelebt, dachte sie. Aber das Einzige was sie selbst jetzt wollte, war sich in ihrem Bett verkriechen, um nichts mehr zu sehen oder zu hören.
Sie stand auf. „Ich geh nach Hause“, sagte sie entschlossen, aber mit rauer Stimme. Dann wandte sie sich um und ging hinaus. Vor der Tür blieb sie stehen. Der Regen tropfe sanft auf ihr Haar, sie schloss die Augen und hob das Gesicht zum Himmel.
Das darf doch alles nicht wahr sein, es ist alles nur ein schräger Traum. Doch als sie den Kopf senkte und die Augen öffnete, stand Denniz neben ihr und beobachtete sie. Sie hatte ihn nicht kommen gehört, obwohl die Tür ein Glöckchen hatte, das klingelte, wenn jemand das Café betrat oder verließ.
„So ein Vampirding?“, fragte sie spöttisch und Denniz wusste sofort, was sie meinte.
„Jupp. Und ab und an echt praktisch.“ Er grinste offensichtlich froh darüber, dass sich ihre Laune zu heben schien.
Ohne zu fragen, folgte er ihr, aber Lilly hatte nichts dagegen. Er lief immer einen halben Schritt hinter ihr und ließ ihr damit die Luft, die sie brauchte, um das alles zu verarbeiten.
Sie ging doch nicht nach Hause. Der Regen war nicht mehr so stark und Lilly wollte nun doch nicht grübelnd auf dem Sofa sitzen oder im Bett liegen. Denniz folgte ihr schweigend überall hin. Manchmal vergaß sie, dass er da war. Manchmal wünschte sie sich, er würde ihren Gedanken zustimmen oder ihr Argumente dagegen nennen.
In ihrer Stadt gab es ein Schloss. Es war alt und hatte ein Museum drinnen, doch heute hatte es geschlossen, also ging sie nur durch den Innenhof. Vorbei an alten Säulen und Wänden, die nach Heimat aussahen. In solchen alten Gemäuern fühlte Lilly sich immer in die Zeit des Mittelalters zurückversetzt. Im Burggraben fanden hier im Sommer immer Ritterspiele statt und es gab einen Töpfermarkt und Festumzüge, bei denen alte Kostüme getragen wurden und Leute Gaukler mimten. Doch über die kalte Jahreszeit geschah nichts. Man konnte dann einfach ruhig spazieren gehen.
Die Saale floss an der Burg vorbei und ihr Rauschen erfüllte die Luft. An einem Aussichtspunkt, von dem aus man auf ein Wehr schauen konnte, blieb Lilly schließlich stehen und lehnte sich auf das nasse, kalte Geländer. Denniz tat es ihr nach.
„Wie geht’s jetzt weiter?“, wollte sie wissen und fühlte sich ein wenig, wie in einem Hollywood Liebesstreifen. Nur war das hier nicht annähernd romantisch. Es war viel mehr Wahnsinn, im negativen Sinne.
„Du wirst dich komplett verwandeln und dann werden wir sehen, dass wir dich in unsere Gesellschaft integrieren. Wie gesagt, würde ich dir gern dabei helfen. Du musst lernen Blut zu trinken, ohne dein Opfer zu töten oder zu verwandeln. Du musst lernen mit anderen Menschen umzugehen, ohne sie merken zu lassen, dass etwas an dir anders ist. Es gibt viele kleine Dinge, die dir vielleicht banal oder unwichtig vorkommen, aber den Menschen um dich herum wird es auffallen, glaub mir.“
„Was denn zum Beispiel?“, fragte Lilly ernsthaft neugierig.
„Na, zum Beispiel deine Atmung. Vampire brauchen keine Luft zum Leben, also brauchen wir nicht zu atmen. Anfangs machst du es noch gewohnheitsmäßig, aber dein Gehirn sagt dir irgendwann, dass man das getrost abschalten kann. So wie es dir sagt, dass du deine Nase nicht wahrnehmen brauchst, sie ist ja eh da.“
Lilly grinste, als sie bemerkte, dass der Nasenfakt stimmte. „Und was noch?“
„Du hast keinen menschlichen Herzschlag mehr. Dein Herz schlägt noch. Aber nur, um das Blut in deinem Kreislauf in Bewegung zu halten. Es fließt allerdings so langsam, dass dein Herz nur ein- bis zweimal in der Minute schlägt. Deswegen ist auch unsere Körpertemperatur niedriger, als bei Menschen, was ebenfalls zu den Dingen gehört die man beachten muss.
Im Winter mag es okay sein, da haben selbst Menschen oft kalte Haut. Im Hochsommer ist es eher befremdlich für Lebende, wenn du sie versehentlich berührst und sie eine Gänsehaut davon bekommen.“
„Ich dachte immer, Vampire haben gar keinen Herzschlag mehr, weil sie ja irgendwie tot sind. In den Geschichten sagen sie das immer“, hakte Lilly stirnrunzelnd nach.
„Es sind eben nur Geschichten. Von Menschen, die vielleicht sogar an uns glauben, aber nur von dem schreiben, was sie selbst gelesen haben oder gern glauben würden.“
„Na ja, ich hab schon bemerkt, dass du auch bei Sonne draußen warst und du hast nicht geglitzert.“ Sie grinste ihn frech an.
„Enttäuschen tut dich das ja nicht gerade, was?“ Er lächelte zurück.
„Nein“, lachte Lilly nun. „Nicht wirklich.“
Wieder schwiegen sie eine ganze Weile, bis Denniz sich schließlich aufrichtete und ihr zuwandte. „Was meinst du, wollen wir uns mal ein trockenes Plätzchen suchen? Dir fallen bestimmt noch einige Fragen ein, oder?“
„Ja, das sollten wir“, seufzte Lilly und richtete sich ebenfalls auf. Einfallen mussten ihr die Fragen nicht. Sie wusste schon, was sie alles fragen wollte. Sie musste alles nur gut sortieren, damit sie nicht selbst etwas vergaß.