Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 12

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Sie lagen beide auf dem Bett. Denniz auf der Decke und Lilly darunter, beobachteten sie die Lichtspiele, die die vorbeifahrenden Autos mit ihren Scheinwerfern an die Zimmerdecke warfen und sagten nur ab und zu etwas. Kleine, belanglose Dinge oder mutmachende Worte. Lilly wollte gern wissen, wie es bei Denniz gewesen war, doch diese Frage traute sie sich nicht zu stellen. Sie wollte ihn nicht an unangenehme Dinge erinnern.

Gegen Mitternacht wurden ihre Kopfschmerzen so schlimm, dass sie am liebsten eine ganze Packung Schmerztabletten geschluckt hätte, doch sie wusste, dass es ihr nicht helfen würde, also versuchte sie, sich mit Gesprächen abzulenken.

„Vermisst Memphis dich eigentlich nicht?“, fragte sie Denniz, der auf dem Rücken lag, eine Hand unter dem Kopf. Auf dem anderen Arm lag sie an seiner Seite.

„Nein, ich denke nicht. Es gab schon Zeiten, da haben wir uns viele Jahre nicht gesehen. Er weiß, wo ich bin.“

Sie konnte hören, wie er grinste und fragte weiter: „Wie alt ist er eigentlich genau? Und wie habt ihr euch kennengelernt?“

„Memphis ist ein paar hundert Jahre alt“, antwortete Denniz lässig. „Er weiß es selbst nicht genau. Damals gab es noch keine genauen Aufzeichnungen über Geburten. Zumindest nicht dort, wo er geboren wurde. Außerdem hat er irgendwann aufgehört die Jahre zu zählen. Es sind irgendwas um die 500. Und er hat mich gefunden, wie er dich gefunden hat. Ich war 21, als ich gebissen wurde. Das war vor 130 Jahren in Philadelphia. Ich war dort auf Studienreise. Er half mir, wie ich dir, mit dieser ganzen neuen Welt klarzukommen. Man könnte ihn als meinen Mentor bezeichnen. Mein ganzes Grundwissen habe ich von ihm.

Wir waren keine Freunde damals. Er kam immer nur nachts zu mir. Dann lernte ich von ihm, wie man jagt oder sich in Gesellschaft von Lebenden richtig verhält. Ich fing irgendwann an, auch tagsüber mein Ding durchzuziehen, und er hat nichts dazu gesagt. Er ließ mich machen. Immer seltener begleitete er mich, bis er irgendwann gar nicht mehr kam. Das war ungefähr zwei Jahre nach meiner Verwandlung. Ich wusste weder, wo er hin war noch ob ich ihn jemals wiedertreffen würde. Aber ich war ihm unendlich dankbar, denn er hat mir geholfen zu überleben.“

„Und wie habt ihr euch wiedergefunden?“

„Nach fast einem halben Jahrhundert des Umherwanderns und Entdeckens, wollte ich mich irgendwo niederlassen und habe einen Ort gesucht, an dem ich ungestört einige Jahre leben konnte. Ich kam nach New Jersey und ging am ersten Abend dort in eine Bar. Ich hab ihn sofort erkannt. Er hatte sich kein bisschen verändert. Er saß da am Tresen und schob sein Glas hin und her.

Als ich mich zu ihm gesetzt hab, hat er nur genickt und das Glas zu mir rübergeschoben wie in einem Wild-West-Film. Er hat sich ein neues Getränk bestellt, mir zugeprostete und getrunken. Wir haben den ganzen Abend nicht ein Wort gewechselt. Ich war echt froh, ihn wiederzusehen und ich denke, ihm ging es genauso.“

Lilly merkte, wie Denniz in Erinnerungen versank, fragte aber nach einer Weile weiter: „Und wie seid ihr nach Deutschland gekommen? Die USA waren wohl nichts mehr?“

Er lachte. „Nein, zumindest nicht lange. Memphis hatte schon eine Weile dort gelebt und mir klargemacht, dass er nicht mehr bleiben wollte. Er bot mir an, nach England mitzukommen. Dort gehört ihm ein altes Herrenhaus, was wohl vor vielen Jahren irgendwie schon in seine Familie gehörte. Über 20 verschiedene Wege ist er an die Besitzurkunde gekommen und seitdem gehört es ihm. Ich hab zugestimmt. Zumal es nah an meiner Heimat, Irland, liegt. Zumindest näher als New Jersey. Ach so und hier sind wir, weil wir eigentlich nur Urlaub machen wollten, auf Empfehlung einer guten Freundin.“

„Urlaub“, hielt Lilly etwas ungläubig fest.

„Ja, Urlaub, Kleine. Stell dir vor, auch England kann langweilig werden“, grinste Denniz.

„Ich wollte schon immer mal dorthin“, sagte sie und kuschelte sich noch ein wenig näher an ihn. „Nimmst du mich mal mit?“

„Klar. Wir haben ja alle Zeit der Welt.“

„Du kommst also aus Irland. Und Memphis kommt aus Memphis?“, fragte sie dann scherzend.

„Nein“, lachte er. „Die Stadt Memphis gab es damals noch nicht“, fügte Denniz besserwisserisch an, grinste aber wieder. „Memphis stammt aus Kanada. Er hat mal erzählt, dass es ein winziges Dorf war, was heute nicht mehr existiert. Ich glaube sogar, er heißt nicht mal wirklich Memphis. Er hat sicher einen urkomischen Namen, über den sich alle lustig gemacht haben und der als Vampir einfach uncool klingen würde. Bestimmt hat er noch einige Geheimnisse“, mutmaßte Denniz. „Ist ja auch eigentlich egal, oder?“, fügte er an und schielte fragend zu ihr runter.

„Mhh“, raunte Lilly nur. Ihr Kopf dröhnte und ihr Magen zog sich immer wieder schmerzhaft zusammen. Denniz bemerkte es und schwieg. Er wusste ja, was jetzt kommen würde und bereitete sich sicher darauf vor, ihr in jeder Phase beizustehen. Er hatte sie ebenso lieb gewonnen - wie er sie schon hatte wissen lassen - und hätte ihr sicher gerne abgenommen was jetzt kam, auch wenn ihm sichtlich allein die Erinnerung daran, Schauer über den Rücken jagte.

Langsam fing Lillys Körper an, zu kämpfen, und es wurde von Minute zu Minute schlimmer. Aber sie hielt den Mund. Am liebsten hätte sie gestöhnt und sich herumgeworfen, doch sie wusste genauso, dass nichts davon ihr helfen würde. Also blieb sie einfach liegen und ließ die Krämpfe über sich ergehen.

Es begann sie am ganzen Körper vor Kälte zu schütteln und im nächsten Moment war ihr heiß. Ihr Kopf wummerte, ihre Kehle brannte und ihr Herz raste. Es schlug, als wolle es mit aller Macht verhindern, was nicht mehr zu verhindern war. Dann begann sie, ohne es zu wollen, zu weinen. Erst leise vor sich hin und schließlich drangen ihr laute Schluchzer aus der Kehle.

Denniz zog sie an sich und hielt sie die ganze Zeit fest. Sein T-Shirt war an der Stelle durchnässt, in die Lilly hinein weinte, doch er sagte nichts. Er war einfach da und hielt sie.

Stiche durchfuhren ihren Körper von oben bis unten. Ihre Haut fühlte sich an, als würde jemand brennende Zigaretten darauf ausdrücken. Immer und immer wieder an denselben Stellen. Lilly zitterte am ganzen Körper.

Das ist noch nicht das Schlimmste, dachte sie nur. Ich werde sterben.

Es fühlte sich wie viele Stunden an, die sie dalag, in denen ihr Körper rebellierte und nicht zulassen wollte, was da mit ihm geschah. In Wahrheit waren es nur ein oder zwei Stunden gewesen. Aber weder sie noch Denniz hatten auf die Uhr gesehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen die Schmerzen endlich nach. Langsam, ganz langsam begann Lilly sich zu fühlen, wie nach einer durchzechten Nacht mit extrem viel Alkohol. Ihr war schwindelig und alles drehte sich. Sie fror nun und zitterte so sehr, dass Denniz schon laut überlegt hatte, aufzustehen und weitere Decken zu suchen, doch er wagte es anscheinend nicht, sie allein zu lassen. Nicht für eine Sekunde wollte er, dass sie dachte, sie sei allein. Und Lilly war ihm unendlich dankbar dafür.

Sie hielt sich an ihm fest, wie an dem berühmten Fels in der Brandung und schließlich verschwand auch das letzte Zittern. Ihr Herz pochte nun so laut, dass es Denniz in den Ohren wehtun musste. Er musste ebenso ihren Puls fühlen können, doch Lilly lag still da und weinte noch immer.

Sie weinte, weil sie wusste, dass ihr Herz kämpfte. So sehr kämpfte und doch keine Chance hatte. Nur ein einziger beruhigender Gedanke mischte sich ein und sagte ihr: „Es wird nie ganz aufhören zu schlagen.“ Denn ein-, zweimal in der Minute hatte Denniz gesagt, schlug auch sein Herz noch.

Dann wurde alles still. Lilly achtete auf jeden einzelnen Klopfer. Zählte erst mit, brach dann aber ab. Sie wurden langsamer. Immer weniger Schläge wurden es, immer schwächer. Bis es eine Konstante erreicht hatte. Es war so weit. Sie würde sterben und doch nicht sterben. Lilly spürte, wie Denniz seine Lippen auf ihr Haar drückte und ihr beruhigend über den Arm strich. Er musste ihr Herz hören, so wie sie es fühlen konnte.

Und dann, mit einem letzten, großen Klopfer gegen ihre Brust, als wollte es sagen, alles ist gut, verstummte es.

Lilly hielt den Atem an. Sie hatte etwas anderes erwartet. Etwas wie einen Stich, als würde jemand ein heißes Schwert durch ihre Brust jagen und ihr Herz damit durchbohren. Doch nichts dergleichen geschah und mit einem Schlag wurde ihr bewusst - es war vorbei. Endgültig vorbei.

Erst eine Träne, dann noch eine und schließlich ein ganzer Schwall, ergossen sich erneut über Denniz’ T-Shirt. Er hielt sie noch immer, beschwerte sich nicht, war einfach da. Der Weinkrampf schüttelte sie so sehr, dass sie kaum bemerkte, wie ihr Herz sachte schlug. Ein Mal, eine gefühlte Ewigkeit später wieder. Sie wartete auf jeden einzelnen Schlag. Denn jeder einzelne beruhigte sie weiter, bis Lilly endlich in eine Art Wachschlaf verfiel.

Sie träumte nichts. Ihr war bewusst, dass Denniz neben ihr lag und sie festhielt. Doch sie war weit genug weg, um endlich etwas entspannen zu können. Ihre Muskeln schmerzten und ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie eine Ewigkeit nichts getrunken. Aber es war vorbei.

Sie hatte es geschafft, den Tod zu überleben.

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