Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 15
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Es war schon dunkel, als sie zu Hause ankamen. Den ganzen Tag hatten sie im Wald verbracht und Lilly hatte tatsächlich schon einiges gelernt. Außer die Sache mit dem Aufspüren. Das bekam sie einfach nicht auf die Reihe. Mit Menschen und Tieren war es leicht. Aber mit Vampiren ging es gar nicht. Dabei kannte sie Denniz’ Geruch. Allerdings hatte sie ebenso schnell gelernt, dass es nichts brachte, sich nur darauf zu verlassen.
„Warum muss ich das können?“, hatte Lilly frustriert gefragt, als er sich zum x-ten mal versteckt hatte und anschließend lachend von einem Ast genau über ihr gesprungen war. Sie war so erschrocken, dass sie rückwärts gestolpert und über einen hinter ihr liegenden Baumstamm gefallen war.
Nachdem Denniz seinen Lachanfall überwunden hatte, hatte er ihr erklärt, dass es wichtig sei zu wissen, ob sich noch andere Vampire in der Gegend aufhielten. Zum Einen, weil nicht alle gesellig waren und sie leicht gereizt reagieren konnten, wenn auf einmal jemand daher spaziert kam und sie anquatschte. Und zum Zweiten, weil man dann im Zweifelsfall wusste, ob jemand im gleichen Revier jagte wie man selbst. Wenn 20 Vampire im selben Viertel unterwegs waren und es zufällig eine Kleinstadt wie diese hier war, wäre das nicht gerade ungefährlich. Der Gedanke, mal einem missgelaunten Artgenossen zu begegnen, beunruhigte Lilly ein klein wenig.
Jetzt lag sie jedoch entspannt in ihrer Wanne, die bis oben mit heißem Wasser gefüllt und einer dicken Schaumschicht bedeckt war. Der Tag war anstrengend und aufregend gewesen und im Moment, hatte sie nicht mal mehr Lust über irgendwas nachzudenken. Sie hörte, wie Denniz im Wohnzimmer durch die Programme zappte.
Der Ton vom Fernseher war ausgestellt und sie konnte nur das klick klick klick der Fernbedienung hören. Dann einen leisen, dumpfen Aufprall, als er sie neben sich aufs Sofa warf. Sie folgte lauschend seinen leichten Schritten, bis er vor der Badezimmertür stehen blieb.
„Ich geh kurz raus, Lilly. Bin bald zurück“, klang seine Stimme gedämpft durch die Tür.
Sie nickte, obwohl sie wusste, dass er es nicht sah und antwortete mit einem gesummten Mhh. „Nimm den Schlüssel mit“, fügte sie noch an, dann hörte sie, wie er ihn nahm und leise die Tür hinter sich schloss. Als seine Schritte verklungen waren, lauschte sie noch eine Weile in die Stille. Ihre Nachbarn schauten fern oder aßen. Sie konnte die verschiedenen Essensgerüche wahrnehmen und hörte leise die Stimmen von Nachrichtensprechern und Schauspielern. Je genauer Lilly hinhörte, desto lauter wurde aber alles.
Als es ihr zu viel wurde, tauchte sie unter und nun wurde die Geräusche durch das Wasser gedämpft. So toll es war, bessere Sinne zu haben, so nervig war es, wenn man seine Ruhe haben wollte. Lilly konzertierte sich auf das leise Rauschen ihres Blutes. Es klang seltsam langsam, wurde selten kurz beschleunigt von einem Schlag ihres Herzens und verlangsamte sich dann wieder. Länger als sie je getaucht war, blieb sie unter Wasser und wartete auf jedes einzelne Klopfen. Erst als es unangenehm kalt wurde, tauchte sie wieder auf.
Langsam stieg Lilly aus der Wanne, blieb vor dem Spiegel stehen und betrachtete ihr Gesicht. Sie sah gut aus. Erholt und frisch. Ihre Augen glänzten und ihre Haare lagen dunkel und nass auf ihren Schultern. Eigentlich sah sie aus wie immer und doch anders. Ihre Haut hatte keine Makel mehr. Die kleinen fiesen Pickelchen, die sie so oft aufgeregt hatten, waren verschwunden. Die Augenringe der vergangenen Tage weg. Keine Rötungen, keine Unebenheiten. Sie sah an sich hinab. Ihr ganzer Körper war wie überholt. Neugierig hob sie ihr Bein, um ihr Knie zu betrachten.
Vor ewigen Zeiten hatte sie sich beim Rasieren geschnitten und das hatte eine winzige weiße Narbe hinterlassen. Sie war verschwunden. Genau wie all die anderen, die sie sich im Laufe ihres - relativ kurzen - menschlichen Lebens zugezogen hatte. Ihr Blick fiel auf ihre Fußnägel. Komischerweise sahen auch die aus, wie nach einer guten Pediküre. Ein leichter Glanz lag darauf. Bei ihren Fingernägeln war es das Gleiche.
Da kam ihr ein Gedanke. Sie schaute wieder auf. Ihr Spiegelbild blickte ihr erwartungsvoll und interessiert entgegen. Langsam beugte sie sich vor und wischte den leichten Nebelfilm weg, der sich nun auf dem Spiegel gebildet hatte. Sie sah den Schimmer in ihren Augen. Ihr Blick wanderte hinunter zu ihrem Mund.
Kurz überlegte sie, was sie sehen würde, wenn sie ihn jetzt öffnete, dann tat sie es. Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend hob sie eine Hand und schob mit dem Zeigefinger ihre Oberlippe hoch. Ihr Zähne waren makellos weiß und gerade. Sie hatte immer ein gutes Gebiss gehabt, aber jetzt war es perfekt. Dann fiel ihr Blick auf ihre Eckzähne. Sie waren typisch, vampirisch spitz, aber nicht sehr lang, auch wenn sie die anderen ungewöhnlich weit überragten.
Lilly ließ die Hand sinken und grinste sich selbst im Spiegel an. Ihre Augen blitzten und strahlten. Ihr Lächeln wurde breiter. Sie war hübsch. Noch hübscher als sie zuvor schon gewesen war. Nicht dass sie eingebildet gewesen wäre. Sie fand es gesund, sich nicht allzu sehr kleinzumachen und es auch zuzugeben, dass sie sich selbst als hübsch empfand. Aber jetzt war sie wirklich unübersehbar schön. So ähnlich wie die Cover Models auf den Hochglanzmagazinen. Nur ungeschminkt und natürlich.
Wahnsinn, endlich ein Fakt, in dem wohl alle Vampirgeschichtenschreiber übereinstimmten. Als ob sie es genau wüssten, dachte sie. Immer noch lächelnd trocknete Lilly sich ab und zog sich frische Kleider an. Der Duft ihres Weichspülers war vertraut und intensiv. Wenigstens gab es noch immer einige Konstanten in diesem Leben, das in den vergangenen Tagen so durcheinandergeworfen worden war.
Die Wohnung war ruhig. Auch aus den Nachbarwohnungen kamen kaum noch Geräusche. Wenn Lilly hinhörte, konnte sie ihre schlafenden Mitmieter tief atmen hören, doch sie versuchte, nicht darauf zu achten. Leise trat sie auf den Balkon. Die Nacht war sternenklar und kalt, aber das machte ihr nichts aus. Lange stand sie da und hing ihren Gedanken nach. Sie beobachtete den Lauf der Sterne und die vorbeifliegenden, blinkenden Flugzeuge. Bis ihr ein Gedanke kam, der nicht gehen wollte.
Wo wollen die wohl hin? Und, wo will ich hin? Sie spürte schon seit ein paar Stunden eine Art Fernweh in sich aufkommen. Darauf geachtet hatte sie aber nicht weiter. Dafür hatte sie einfach zu viel anderes um die Ohren gehabt. Doch jetzt, wo sie satt und ruhig war, verstärkte sich dieses Gefühl. Es zog sie nach draußen. Wie lange war es schon da?
Wenn Lilly genau darüber nachdachte, seit heute Morgen schon. In diesem Moment hörte sie Schritte im Hausflur und dann trat Denniz auch schon hinter sie. Diese Geschwindigkeit war genial.
Sie drehte sich zu ihm um. „Sag mal“, fragte sie, „hast du auch so ein Gefühl bekommen, dass du ganz dringend raus musstest? Also nach deiner Verwandlung?“
Er sah sie nachdenklich an. „Also, so direkt kann ich mich nicht daran erinnern. Es ist aber auch schon eine ganze Ecke her.“
„Na ja, weil es komisch ist. Seit heute Morgen hab ich das Gefühl, es zieht mich irgendwo hin, aber bis jetzt hab ich es nicht so beachtet“, gab sie zu.
Denniz meinte nur: „Ich weiß nur noch, dass ich immer genau wusste, wo ich hin will, nachdem Memphis gegangen war. Vielleicht ist das so bei Neugeborenen.“
Lilly war erstaunt. Es gab tatsächlich was, was Denniz nicht über Vampire wusste.
Ihr Blick musste sie verraten haben, denn er grinste wieder sein typisches Dennizgrinsen. „Du wirst es nicht glauben, auch ich bin nicht allwissend. Aber wenn es dich beruhigt, kann ich ja Memphis danach fragen.“
Sie raunte zustimmend und drehte sich wieder zur Brüstung um, als Denniz sich zu ihr hinunter beugte, um ihr ins Ohr zu flüstern. „Weißt du was ich schlimm finde?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dieses Treppensteigen bis in deine Wohnung“, flüsterte er und sie spürte den Luftzug, als er an ihr vorbei über die Balkonbrüstung sprang. Mit vor Schreck geweiteten Augen stieß Lilly die Luft aus und schaute runter in die Dunkelheit. Sie wohnte ganz oben und es waren bestimmt zehn Meter bis unten. Außerdem standen unten Bäume und Sträucher ziemlich eng beieinander. Ihre Hände umklammerten fest die Brüstung und ihre Augen suchten angestrengt nach einer Bewegung. Erleichtert atmete sie auf, als Denniz ihr von unten aus zuwinkte und ihr bedeutete, es ihm gleich zu tun. Sie zögerte. Lilly hatte zwar kein Problem mit Höhe und Bungee Jumping wollte sie schon immer mal machen. Aber ohne Seil?
Sie stand nun eine Armeslänge von der Brüstung entfernt und überlegte noch, ob sie nicht doch lieber die Treppe nehmen sollte, als Denniz aus der Dunkelheit auftauchte und sich von außen am Balkon festhielt. Ein riesen Schreck durchfuhr Lilly und sie wich an die Hauswand zurück. Schwer atmend stand sie da und starrte ihn an. Er grinste ihr auffordernd entgegen. Da trat sie vor und holte aus, um ihm einen Klaps zu geben, doch ihre Hand durchschnitt nur Luft, denn er hatte losgelassen und flog schon wieder nach unten. Sie hörte ihn lachen und irgendwie war es ansteckend. Dann fasste sie sich ein Herz und kletterte ebenfalls auf die Brüstung.
Sie atmete noch mal tief durch und ließ dann los. Sie musste sich höllisch zusammenreißen, um ihre Nachbarn nicht mit einem Aufschrei zu wecken, doch schon im nächsten Augenblick landete sie sanfter als erwartet direkt vor Denniz, der seine Arme ausgestreckt hatte, um ihren Fall zu bremsen. Seine Hände lagen nun um ihre Hüften und sie sah ihm direkt in die Augen. Dann begann sie wieder zu lachen. Der Adrenalinschub und die Erfahrung taten ihr Übriges. Denniz griff ihre Hand und Lilly ließ sich von ihm, in atemberaubender Geschwindigkeit, in die Dunkelheit ziehen.