Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 13
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Die Sonne schien durch die Rollläden, als Lilly die Augen aufschlug. Sie blinzelte, weil die einzelnen Lichtpunkte sie blendeten. Eins nach dem Anderen nahm sie wahr. Erst das Licht, dann die Luft, die sich bewegte - lebte und in tausend Farben leuchtete. Es waren die Staubkörnchen, die durch die Sonne draußen angestrahlt wurden.
Sie roch Essen. Irgendjemand in ihrem Haus kochte zu Mittag. Sie fühlte die Decke über und das Laken unter sich. Beides war weich wie Seide, aber nicht warm. Es fühlte sich an, als wäre sie gerade erst ins Bett gegangen und es müsse sich noch aufwärmen, aber das tat es nicht.
Dann hörte sie ein Klopfen und fast sofort ein zweites. Das erste war Denniz’ Herz. Er hatte sich keinen Millimeter von ihr wegbewegt und so lag sie noch immer mit dem Gesicht an seiner Brust. Der zweite Klopfer war ihr eigenes Herz. Es war nur Einer. Der Nächste würde eine Weile brauchen.
Sie atmete tief ein, ihre Kehle war trocken. Lilly roch Eisen, warm und flüssig, mit vielen verschiedenen Nuancen. Kaffee, Tee, würzig und süß. Schal nach Alkohol und Tabak. Sie rümpfte die Nase und brummte angewidert. Denniz rührte sich und rückte ein winziges Stück von ihr ab, um sie ansehen zu können.
Er betrachtete sie eine Weile, dann fragte er: „Wie geht’s dir?“
So eine simple Frage und doch musste Lilly kurz überlegen. „Gut, denke ich“, antwortete sie und stellte fest, dass ihre Stimme irgendwie anders klang. Es war die gleiche Tonlage, aber feiner. Als hätte jemand am Regler für Weichheit gedreht. Langsam setzte sie sich auf und auch Denniz tat es ihr nach. Er beobachtete sie immer noch genau. Jede Bewegung, jede Mimik oder Gestik.
Sie stand auf und ging durchs Wohnzimmer zum Balkon. Die Aussicht von hier war schon immer wirklich schön gewesen. Sie konnte weit über Felder und Wälder sehen. Der Vorteil, wenn man am Stadtrand wohnte. Jetzt war der Ausblick atemberaubend. An der Landschaft hatte sich natürlich nichts verändert, doch Lilly fielen nun winzige Details auf, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Vogelnester in den Bäumen oder Wildblumen auf den Wiesen. Alle Farben schienen heller und kräftiger zu sein. Die Geräusche um sie herum waren ... belebend.
Die wenigen Vögel zwitscherten fröhlich und einige Tiere raschelten in den Büschen durchs Laub. Lilly hörte Grunzen aus den Wäldern und das Fiepen und Piepen von Mäusen und dem was da sonst noch so herumschlich. Wäre das alles nicht so faszinierend, so fesselnd gewesen, hätte es sie überschwemmt.
Leise näherten sich Schritte und schon stand Denniz hinter ihr. Lilly hatte ihn vorher nie gehört. Er ging so leise, dass sie beinahe der Meinung gewesen war, er würde den Boden gar nicht berühren. Nun hörte sie ihn. Er atmete und es klang wie Wind, der durch eine schmale Gasse weht.
„Das ist unglaublich“, brachte sie schließlich heraus. „So anders und doch irgendwie gleich.“
„Ja, das ist es. Und es ist nur der Anfang.“
Sie drehte sich zu ihm. „Was meinst du? Was noch alles?“
„Hast du schon vergessen, dass du jetzt übernatürlich bist?“ Denniz grinste breit und deutete erst auf seine Ohren, dann auf die Augen. „Du kannst jetzt nicht nur viel besser hören und sehen. Du kannst auch schneller rennen und höher und weiter springen. Du kannst Gerüche auseinanderhalten, für die Menschen tausend Nasen bräuchten. Du bist stärker. Deine Zunge kann jetzt die feinsten Noten schmecken. Es gibt viel, was du lernen solltest und einiges, was du lernen musst“, fügte er an und schaute nun ebenfalls in die Ferne. „Aber als Erstes solltest du trinken.“ Sein Blick wurde ernst und Lilly wusste, was ihr jetzt bevorstand. Ihre erste Jagd.
„Was jagen wir denn? Menschen oder Tiere?“, wollte sie wissen und kam sich etwas lächerlich bei der Frage vor. Menschen jagte man ja im Allgemeinen nicht. Zumindest nicht, wenn man selbst ein Mensch war. Aber das bin ich nicht mehr, dachte sie wehmütig.
„Du solltest Menschen jagen. Du bist jung und dein Körper muss sich noch an all das gewöhnen. Wenn du jetzt schon Tierblut trinken würdest, könnte es dir nicht bekommen.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und ging zur Wohnungstür. „Kommst du?“, fragte er mit so leiser Stimme, als stünde er noch neben ihr, doch sie hörte ihn.
Wahnsinn! Lilly flog beinahe ins Badezimmer, wusch sich hastig und zog sich neue Sachen an. Kurz betrachtete sie sich im Spiegel, wobei sie Notiz von ihren Augen nahm, die Vorfreude ausstrahlten, dann schnappte sie sich ihre Jacke und folgte Denniz. Auf dem Weg nach unten band sie sich noch die Haare mit einem Gummi aus der Jackentasche zusammen. Er roch gemein nach Haarspray und Lilly nahm sich vor, demnächst ein anderes zu kaufen.
Die Sonne schien zwar, aber die Luft war eisig kalt. Der Wind, der ihr ins Gesicht wehte, roch frisch und nach Schnee. Lilly bemerkte jetzt viele kleine Dinge, auf die sie vorher nie geachtet hatte. Denniz schwieg und so konnte sie all das entdecken und genießen.
„Wo gehen wir hin?“, fragte sie nach einer Weile des Schweigens. Sie war ihm, ohne nachzudenken, hinterhergelaufen.
„Zum Tierpark. Wir haben festgestellt, dass es unter der Woche und vor allem morgens ein perfekter Ort zum Jagen ist“, antwortete er und lächelte sie an. „Dort ist um diese Zeit fast keiner unterwegs. Das macht es leichter für dich und du kannst wirklich in Ruhe das erste Mal jagen.“
„Gehst du oft jagen?“
„Nein, nicht so oft wie du vielleicht denkst. Ich brauche nicht mehr so viel Blut.“
„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“, fragte Lilly erstaunt darüber, dass der Blutdurst nicht so extrem zu sein schien, wie sie dachte.
„Vor ungefähr einer Woche. Um ehrlich zu sein, hätte ich wirklich auch mal wieder Lust, aber im Moment bist du wichtiger.“
Sie wurde rot. Denniz verzichtete wegen ihr aufs Trinken. Wenn es ihm gerade genauso ging wie ihr, war das sicher nicht so einfach. Ihr brannte der Hals und sie roch überall diesen Duft von Eisen mit anderen Aromen vermischt.
Es müssen Menschen in der Nähe sein, überlegte Lilly. Sie kannte den typischen Blutgeschmack, wenn sie sich geschnitten hatte und das Blut ableckte. Ihr wurde heiß bei dem Gedanken an den süßen Geschmack. Ihre Hände begannen zu zittern und sie bemerkte nicht, dass sie stehengeblieben war. Diese verführerischen Aromen in der Luft. Lilly witterte sie wie ein Tier seine Beute.
Da war ein Geruch, einer der ganz nah war. Sie würde den Ursprung binnen Sekunden gefunden haben. Ihr Blick flog über die Häuser zu ihrer Linken. Es waren kleine Einfamilienhäuser und dort im Garten war jemand. Eine Frau. Ihr Parfüm wehte in einem Schwall zu Lilly und Denniz herüber.
Denniz. Er stand vor ihr. Sie bemerkte ihn erst jetzt.
„Lilly!“, fuhr er sie an. „Hör auf! Konzentriere dich auf mich! Das hier ist falsch!“
Seine Stimme war autoritär und flehend zugleich. Doch sie hörte ihn kaum. Der Geruch von Blut wurde stärker. Sie konnte Kaffee herausriechen und der Duft von frischen Brötchen mischte sich darunter. Erdbeermarmelade und Butter und Käse. Lilly bebte.
Sie machte einen Schritt auf das Haus zu, von dem all diese Gerüche kamen. Sie wusste genau, was sie tun würde. Dort stand eine Glastür offen, da musste sie durch. Einen Raum weiter saßen die Menschen jetzt. Die Frau mit ihrem Mann. Das Blut des Mannes nahm Lilly nicht so sehr wahr. Es roch nach Nikotin und das ließ es in ihrer Beliebtheitsskala nach unten wandern. Doch die Frau roch sie umso deutlicher. Süß und fruchtig.
Lilly machte einen zweiten Schritt, aber Denniz hielt sie fest. Wirklich sehr fest. Seine Hände waren Schraubstöcken gleich und der Druckschmerz ließ Lilly den getanen Schritt zurückgehen. Sie sah ihren Freund vorwurfsvoll an. Doch als sie den mitfühlenden Ausdruck in seinen Augen bemerkte und die Bitte darin, nicht zu tun, was sie vorhatte, gab sie nach. Eigentlich wollte sie sich losreißen und in dieses Haus stürmen, doch Denniz würde sie nicht gehen lassen und sie wusste, dass er stärker war.
„Tut mir leid“, flüsterte Lilly und senkte den Blick.
Er hob ihr Kinn an. „Das muss es nicht.“ In seiner Stimme lag Verständnis und ohne ein Wort ließ sie sich von ihm weiterziehen. „Es ist nicht mehr weit“, sagte er nur. Doch das wusste sie selbst. Schließlich lebte sie seit ihrer Geburt in dieser Stadt, kannte sie besser als er. Wenn sie wollte, könnte sie sich vor ihm verstecken und er würde vergebens nach ihr suchen.
Hör auf damit, mahnte sie sich in Gedanken. Er will dir helfen, verdammt noch mal! Aber die Enttäuschung über die vertane Chance wurmte sie.
Denniz schien ihre Gedanken gelesen zu haben, denn er erklärte: „Das ist ganz normal am Anfang. Du willst deinem Instinkt nachgeben und tun, was er dir sagt. Das wird besser werden. Mit der Zeit lernst du, dass du diesen Trieb kontrollieren kannst. Du lernst, ihn zu beherrschen und einzusetzen, wie du es willst. Das ist nicht allzu schwer, ich verspreche es dir.“ Er zog sie weiter.