Читать книгу Sprache als psychotherapeutische Intervention - Steven C. Hayes - Страница 11
1.3.2 Herstellung eines Bezugsrahmens
ОглавлениеBezugnahme bedeutet, eine Sache in Beziehung zu einer anderen zu setzen. Das Wort »Mutter« hat ein spezielles Verhältnis zum Wort »Kind« oder wenn wir etwas als »größer« bewerten, nehmen wir Bezug auf etwas, das »weniger groß« ist. Indem wir Objekte und Ereignisse in Beziehung zueinander setzen, lernen wir etwas über sie. Wenn jemand sagt »Michèle ist die Mutter von Matthieu«, dann kann man weitere Informationen ableiten, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen werden muss: Matthieu ist das Kind von Michèle, Matthieu und Michèle sind Mitglieder derselben Familie, Michèle ist eine Frau, Matthieu ist jünger als Michèle. Man erhält alle diese Informationen, ohne dass sie einem ausdrücklich mitgeteilt wurden, indem man die enthaltene Information in ein Netzwerk von Bedeutung und Verstehen einbindet. Aus diesem Grund erhöht die Fähigkeit, Objekte und Ereignisse symbolisch in Beziehung zu setzen, die Effizienz des Lernens um ein Vielfaches.
Viele Arten des Lernens stellen im weitesten Sinne Beziehungen her. Symbolische Beziehungen aber weisen einige spezielle Eigenschaften auf, mit der die unglaubliche Kreativität von Sprache erklärt werden kann. Symbolische Beziehungen haben einen enormen Einfluss darauf, wie wir unsere Welt erleben. Rahmung (Herstellung eines Bezugsrahmens, engl. Framing) ist eine Metapher für diesen Prozess.
Stellen Sie sich vor, Sie blicken auf eine Landschaft, in der die Sonne durch die Äste majestätischer Nadelbäume scheint, die einen klaren Bergsee umrahmen. Wenn Sie auf diese Szene durch einen Fensterrahmen schauen, fühlen Sie sich vielleicht dazu angeregt, das, was Sie sehen, aktiv erleben zu wollen. Sie würden sich bereitmachen, eine Wanderung zu unternehmen, Schwimmen zu gehen oder ein Picknick vorzubereiten. Ihre Aufmerksamkeit wird sich auf Einzelheiten der Landschaft richten, die mit diesen Aktivitäten in Zusammenhang stehen, wie die Steigung eines Wanderweges, die Abgeschiedenheit einer zum Schwimmen geeigneten Bucht, oder einen Baumstamm, der sich als perfekter Picknicktisch eignen würde. Wenn die Landschaft nun jedoch in Gold eingefasst ist und in einer Kunstgalerie hängt, reagieren Sie möglicherweise passiver und denken vielleicht über das Bild als Objekt von Schönheit oder Inspiration nach. Sie werden eher dazu neigen, die Komposition des Bildes zu bemerken oder das Farbenspiel zu würdigen. Wäre die Szene durch einen Theatervorhang und eine Bühne begrenzt, würden Sie die Landschaft vielleicht nicht sonderlich beachten, weil Sie sich gedanklich mit der Geschichte befassen, die sich bald vor diesem Hintergrund entfalten wird. Eine Szene. Drei (Bezugs)Rahmen. Eine ganze Vielfalt an Wahrnehmungen und Reaktionen. Die Landschaft hat sich nicht verändert, aber die Auswirkung auf Sie schon.
Ein Beispiel aus dem täglichen Leben hilft dabei zu illustrieren, wie unser Verhalten dadurch beeinflusst wird, dass wir Objekte und Ereignisse konzeptuell entsprechend ihrer Beziehung zu anderen Dingen einfassen. Haben Sie jemals etwas gekauft, mit dem Sie sich nicht ausreichend auskannten? Vielleicht ein Auto, einen Computer oder eine besondere Flasche Wein? Aufgrund der Vielfalt an Auswahl, die moderne Geschäfte heute anbieten, war es möglicherweise schwierig für Sie, sich für ein Produkt zu entscheiden. Möglicherweise haben Sie einen Verkäufer um Rat gebeten, der einige Ihrer Optionen miteinander verglichen hat (z. B. dieser Computer ist billiger als jener, aber er ist langsamer; dieser Wein passt hervorragend zu Fleisch und jener besser zum Dessert). Während der Verkäufer beschrieb, verglich und die Unterschiede unter den Angeboten aufzeigte, errichtete er ein Netzwerk von Beziehungen (chilenische Weine sind billiger als Bordeaux; der Bordeaux, der am linken Ufer der Garonne wächst, ist anspruchsvoller als der vom rechten Ufer; 2009 war ein guter Jahrgang; dieser Wein passt gut zu Fleisch aber nicht zu Fisch). Dieses Geflecht von Beziehungen ähnelt den Bilderrahmen aus dem vorherigen Beispiel: Sie veränderten den Blick, mit dem Sie Ihre Optionen betrachteten. Sie begannen, einige Möglichkeiten auszuschließen und fühlten sich zu anderen eher hingezogen. Vielleicht waren Sie in der Lage, das Produkt selbst auszuprobieren, in einer Probefahrt oder einer Geschmacksprobe, und Sie begannen, neue Beziehungen herzustellen, die in das Geflecht eingebunden wurden. Letztendlich entschieden Sie sich für einen Kauf teilweise aufgrund der Einschätzung, die sich aus dem Beziehungsnetzwerk ergab, und nicht nur auf der Grundlage Ihrer direkten Erfahrung mit einem bestimmten Auto, Computer oder einer Weinsorte. Sprache hat Ihrer Erfahrung mit den Produkten einen konzeptuellen Rahmen gegeben und die Art und Weise beeinflusst, wie Sie sie wahrgenommen und darauf reagiert haben.
Bezugsrahmen (Relational Frames) beeinflussen nicht nur Ihren Verstand, sondern auch Ihre Emotionen und Wünsche. Neuroökonomen am California Institute of Technology (Caltech) erforschten dieses Phänomen, indem sie eine doppelt verblindete Weinprobe in einem funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI)-Scanner durchführten. Probanden testeten fünf Flaschen Cabernet Sauvignon, die sich lediglich durch ihren Verkaufspreis unterschieden, der zwischen $ 5 und $ 90 lag. Die Probanden wussten nicht, dass sie immer denselben Wein probierten, der jeweils mit den Preisen $ 10, $ 45 oder $ 90 ausgezeichnet war. Was haben sie herausgefunden? Die Probanden empfanden größeren Genuss beim Trinken des »teureren« Weins ungeachtet der Tatsache, dass sie dasselbe Produkt tranken. Indem auf die Weine als »anders« und »teurer« Bezug genommen wurde, erhöhte sich sowohl das subjektive Empfinden von Genuss als auch die Gehirnaktivität, die mit Befriedigung assoziiert ist (Plassmann, O’Doherty, Shiv & Rangel, 2007).
Innerhalb der Literatur über Relational Frame Theory gibt es eine Vielfalt an sehr präzisen technischen Bezeichnungen, die sich mit den Besonderheiten dieses Prozesses befassen. Diese Literatur steht dort für weitere Recherchen zur Verfügung. Unsere Absichten hier sind einfacher und pragmatischer. Die zentrale Idee ist erst einmal: Sprache ist ein Prozess, bei dem wir lernen, mit Dingen auf der Grundlage von Symbolen in Beziehung zu treten. Dieser Prozess beeinflusst die Art und Weise unseres Lernens und wie wir unsere Welt erfahren. Wir untersuchen nun zunächst die technischen Einzelheiten ein wenig genauer, indem wir überlegen, warum sich die Fähigkeit, auf der Grundlage von Symbolisierung zu lernen, überhaupt entwickelt hat. Es geht dabei sicherlich nicht nur darum, Autos zu verkaufen oder den Genuss von Wein zu verbessern.