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1.4 Die Evolution der Sprache

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Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie groß das menschliche Gehirn im Verhältnis zum Rest unserer Körper ist? Menschen haben den höchsten Enzephalisationsquotienten (Quotient von Gehirnmasse zur Körpermasse) aller Säugetiere. Ein besonders großes Gehirn ist eine Herausforderung für Wirbeltiere, die lebendigen Nachwuchs gebären. Das Gehirn muss durch den Geburtskanal. Evolutionsprozesse haben eine gute Lösung für dieses Problem entwickelt; Menschen werden mit einem kleinen Gehirn geboren, das durch die gesamte Kindheit und Adoleszenz und sogar bis in das frühe Erwachsenenalter hinein wächst und sich weiterentwickelt. Diese Lösung bietet unserer Spezies einzigartige Vorteile. Das menschliche Gehirn ist exakt auf die Umwelt, in der es funktionieren soll, eingestellt. Das schließt den sozialen und kulturellen Kontext, in dem es sich entwickelt, mit ein. Der Nachteil ist, dass Kinder stark von anderen Menschen abhängig sind. Nur so werden ihre Bedürfnisse erfüllt und sie können überleben. Auch diejenigen, die für sie verantwortlich sind, sind wegen dieser zusätzlichen Bürde verletzlicher. Diese Abhängigkeit erfordert, dass Eltern so um das Wohlergehend der Kinder besorgt sind, dass sie auf all die Geräusche und Gerüche, die mangelndes Wohlbefinden des Säuglings anzeigen, reagieren. Sie reagieren mit dem Bedürfnis, sich dem Kind zu nähern, um es zu versorgen, statt zu fliehen oder es anzugreifen. Eine starke zwischenmenschliche Bindung, die durch kooperationsfördernde Emotionen, gegenseitige Aufmerksamkeit, durch Perspektivwechsel und Empathie getragen wird, erhöht die Überlebenschance sowohl für Kinder und Eltern als auch für die anderen Mitglieder der Gruppe, mit der sie eng in Verbindung stehen. Dieses Niveau zwischenmenschlicher Bindung ist außerordentlich nützlich. Es führt dazu, dass die evolutionäre Selektion eher auf der Ebene der Gruppe stattfindet als auf der Ebene des einzelnen Individuums (Nowak, Tarnita & Wilson, 2010; Wilson & Wilson, 2007). Das Überleben des Menschen hängt von einer Kultur der Kooperation ab und gedeiht in einer Kultur prosozialen Verhaltens. Sprache unterstützt beide Faktoren.

Die Relational Frame Theory ergibt dann vor allem Sinn, wenn man annimmt, dass Sprache und Kognition Formen von Kooperation sind, die zunächst entstanden, um die stark ausgeprägte soziale Natur menschlicher Gruppen zu erweitern und zu nutzen (Hayes & Sandford, 2014). Betrachten wir eine der ersten Gelegenheiten, bei denen wir bei Kindern Sprache beobachten können: das Benennen. Ein kleines Kind lernt, »Apfel« zu sagen, indem ihm ein bestimmter roter, runder Gegenstand gezeigt wird. Dabei wird auf den Gegenstand gezeigt und »Apfel« gesagt. Hierdurch wird eine Beziehung zwischen dem Symbol (»Apfel«) und dem Objekt (Apfel), hergestellt. Beachten Sie, dass diese Beziehungen stets in beide Richtungen funktionieren: Wenn ein Objekt auf eine bestimmte Weise mit einem Symbol in Beziehung steht, dann bedeutet dies auch, dass umgekehrt das Symbol und das Objekt eine bestimmte Beziehung zueinander haben. So können einige funktionale Eigenschaften eines Objektes in einem anderen Objekt erlebt werden, weil sie bidirektional in Beziehung stehen. Sobald das Kind gelernt hat, dass »Apfel« dasselbe bedeutet wie Apfel, wird es unter bestimmten Bedingungen auf das Symbol ähnlich wie auf das Objekt reagieren. Wenn es Äpfel nicht mag, wird es die Nase rümpfen, sobald es »Apfel« hört, auch wenn es den für es unangenehmen Geschmack oder die Frucht selbst nicht erlebt.

Die Bidirektionalität, die symbolischen Beziehungen eigen ist, ist kein Bestandteil allgemeiner Lernprozesse. Bei Pawlow’s Hunden lief der Speichel, sobald sie den Glockenton hörten. Aber sie spitzten nicht die Ohren, wenn ihnen Futter vorgesetzt wurde. Bidirektionalität ist jedoch der Kern der charakteristischsten Form menschlichen Lernens – dem sprachlichen Lernen. Warum haben Menschen begonnen, sich darauf zu verlassen?

Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir soziale, hilfsbereite Primaten sind. Um zu verdeutlichen, wie Symbole Kooperationen verbessern können, stellen Sie sich nun einmal vor, welche Rollen eingenommen werden können. Stellen Sie sich vor, ein Kind sieht, dass jemand einen Apfel hochhält und sagt: »Dies ist ein Apfel« (das ist die Rolle des Sprechers: einen Apfel sehen → sage das Wort »Apfel«). Später kann man das Kind danach fragen, ob Äpfel auf der anderen Seite eines Canyons oder um die Ecke herum zu finden sind (die Rolle des Zuhörers: »Hör zu! Sind dort Äpfel?« → »Suche nach Äpfeln«). Die Beziehung der Benennung »ist« begann wahrscheinlich mit einfachen Objekten und Aktionen, die davon lebten, dass Menschen soziale Wesen sind. Menschen können die Perspektive des Sprechers oder des Hörers einnehmen. Sie lernen die eine Seite der Beziehung und leiten die andere Seite ab. Die Gemeinschaft hatte eine starke Motivation, die Ableitung wechselseitiger Beziehungen zu üben, weil Kooperation zum Erfolg der Gruppe führt. Und sobald Menschen gelernt hatten, dies zu tun, verfügten sie über eine Schablone für andere Arten von symbolischen Beziehungen.

Das Wechseln zwischen der Rolle des Sprechers und des Hörers ist ebenfalls ein Aspekt, warum es nach tausenden von Jahren kultureller Evolution so nützlich ist, mit Hilfe von Symbolen zu kommunizieren. Durch die Anwendung symbolischer Kommunikation können wir das Verhalten anderer Menschen und sogar unser eigenes beeinflussen, einfach indem wir sprechen oder denken. Zu Beginn stand die einfache soziale Interaktion, z. B. ein Kind, das einen Erwachsenen um einen Apfel bat, selbst wenn gerade keiner in Sichtweite war. Die menschliche Kultur hat diese Fähigkeit wiederum zu abstraktem Denken, dem Erzählen von Geschichten, dem Lösen von Problemen und auf all die unzähligen weiteren Fähigkeiten erweitert, die wir täglich beobachten können.

Sprache als psychotherapeutische Intervention

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