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„Gedankengeschwätz“

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Machen Sie jetzt einmal ein Experiment. Hören Sie auf zu lesen und schließen Sie Ihre Augen. Nach nur wenigen Sekunden werden Ihnen vermutlich Gedanken bewusst, die in Ihrem Kopf umherschwirren. Lassen Sie diese Gedanken gehen, wohin auch immer sie wollen, beachten Sie sie nur, wie sie Ihnen durch den Kopf strömen ...

Lassen Sie sie zwei Minuten lang durch den Kopf gehen, dann erinnern Sie sich an den ersten Gedanken, dessen Sie sich bewusst wurden, und vollziehen Sie die Schritte nach, die zum letzten geführt haben.

Sie werden überrascht sein, wie viele unterschiedliche Gedanken Sie hatten, und welche eigentümlichen Wege diese gegangen sind. Vielleicht sind Sie von einem Ende der Welt zum anderen gesprungen, von einem Moment, der 20 Jahre zurückliegt, zu einem, der sich in ein paar Jahren in der Zukunft ereignen wird, von einem Buch, das Sie vor ein paar Monaten gelesen haben, zu einem Gedicht, das Sie in der Woche zuvor lasen, von einem Lied, das an diesem Morgen in Radio gespielt wurde, zu einem Hollywood-Star, über den am Morgen etwas in der Zeitung stand ...

Wenn Sie eine CD hören – vielleicht beim Autofahren –, dann stellen Sie manchmal fest, dass Ihnen ein ganz bestimmtes Stück in dem Lied besonders gut gefällt und Sie es gerne ein zweites Mal hören wollen. Sie kehren zu dieser bestimmten Passage zurück und 20 oder 30 Sekunden später bemerken Sie plötzlich, dass diese schon vorbei ist und Sie sie verpasst haben. Der Abschnitt des Liedes wurde zwar gespielt, aber Sie haben nicht darauf geachtet und ihn nicht gehört. Also springen Sie noch mal zu dieser Stelle zurück. Und normalerweise – allerdings nicht immer – verpassen Sie sie beim zweiten Mal nicht.

Das kann auch passieren, wenn Sie sich auf ein bestimmtes Essen freuen – vielleicht Ihre Lieblingsspeise oder eine bestimmte Schokoladensorte. Sie haben schon ein paar Bissen zu sich genommen und bemerken plötzlich, dass Sie etwas verpasst haben. Sie haben es zwar gegessen, aber nicht wirklich geschmeckt.

In diesen Situationen liegt das Problem darin, dass Ihre Konzentration auf die Musik oder den Geschmack von dem „Gedankengeschwätz“ in Ihrem Kopf ablenkt wird – also von dem Fluss der Erinnerungen, Sorgen und Vorstellungen zukünftiger Ereignisse. Innerhalb weniger Sekunden nach dem Zurückstellen der CD oder nach dem Beginn der Mahlzeit strömen diese zufälligen Assoziationen durch Ihren Geist und lenken Ihre Aufmerksamkeit ab. So bleibt wenig Raum für die sinnlichen Empfindungen von Klang oder Geschmack.

Etwas Vergleichbares kann beim Autofahren passieren. Plötzlich merken Sie, dass Sie einen bestimmten Punkt auf Ihrer täglichen Fahrt zur Arbeit erreicht haben, wissen aber nicht mehr genau, wie Sie dorthin gekommen sind. Sie haben die Spur gewechselt, sind abgebogen, haben an der Ampel gewartet und sind dann nach links gefahren, ohne das alles so recht wahrgenommen zu haben. Das kann einen schon manchmal ein wenig erschrecken. Wie konnten Sie fahren, ohne sich bewusst zu sein, was Sie gerade taten, also praktisch unbewusst? Was, wenn plötzlich jemand auf die Straße gerannt wäre oder das Auto vor Ihnen gebremst hätte? Glücklicherweise fahren Sie so oft und sind besonders mit dieser Strecke vertraut, dass quasi Ihr Autopilot übernimmt, so, als wenn Sie essen, während Sie Zeitung lesen.

In solchen Situationen ereignet sich Folgendes: Ihre Aufmerksamkeit ist ganz und gar vom Gedankengeschwätz in Anspruch genommen worden. Sie sind also komplett „woanders“ gewesen. Da Sie automatisch fahren, müssen Sie nicht bewusst darauf achten und können sich ganz Ihren Tagträumen und Erinnerungen hingeben.

„Gedankengeschwätz“ hat eine immense Eigendynamik. Hat es erst einmal begonnen, lässt es sich nicht mehr aufhalten. Als ich noch jünger war, trieb es mich manchmal fast in den Wahnsinn. Ich lag nachts stundenlang wach und konnte nicht einschlafen, da mir die Gedanken durch den Kopf rasten. Ich spielte die Gespräche und Ereignisse des Tages immer wieder durch, die Lieder, die ich gehört hatte, oder stellte mir Ereignisse in der Zukunft vor. Das war fast so, als hätte ein durchgeknalltes Plappermaul die Kontrolle über mich erlangt. Am liebsten hätte ich laut geschrien: „Halt endlich das Maul und lass mich schlafen!“

Hin und wieder, wenn ich spazieren ging, betrachtete ich die Landschaft oder den Himmel und wusste, dass sie schön waren. Aber ich konnte diese Schönheit nicht wahrnehmen, weil all diese chaotischen Gedanken durch meinen Kopf jagten. (Der Dichter Samuel Coleridge klagte einmal, als er den Mond und die Sterne betrachtete: „Ich schaue sie so herrlich schön / Ich sehe wohl, doch fühle nicht, wie wunderbar sie sind.“) Glücklicherweise hat sich mein Gedankengeschwätz mittlerweile etwas beruhigt und ich kann es heute besser kontrollieren.

Jeder, der schon einmal meditiert hat, weiß um die große Macht des Gedankengeschwätzes. Bei der Meditation verwendet man gewöhnlich ein Mittel zur Konzentration und Fokussierung, ein Mantra (einen Klang, den man im Geist ständig still wiederholt), eine Kerzenflamme, den Atem oder andere Methoden, um den Geist zu beruhigen und eine gewisse innere Ruhe herbeizuführen. Und dennoch funktioniert das nicht immer. Das Gedankengeschwätz ist so mächtig, dass es die Aufmerksamkeit sogar vom Mantra ablenkt. Man muss sich dann aus seinen Gedanken herausreißen und neu konzentrieren. In der Regel beruhigt sich der Geist schließlich, wenn man genug Ausdauer beweist, manchmal ist es aber so wild, dass man nur noch aufgeben kann. Gerade Anfänger sind manchmal extrem genervt, wenn sie mit der bloßen Intensität und der Kraft ihres Gedankengeschwätzes konfrontiert werden. Es kann sie so stören, dass sie nach ein paar Sitzungen vielleicht feststellen, dass die Meditation nichts für sie ist. Es ist jedoch wichtig, daran zu denken, dass sich bei regelmäßigem Meditieren – auch wenn der Anfang schwer sein mag – der Geist allmählich beruhigt.

Verrückte Welt

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