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Die Grundeinstellungen des Geistes

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Gemeinhin bezeichnet man diese geistige Aktivität als „Denken“, doch das trifft es nicht ganz. „Denken“ impliziert eine aktive Handlung, die wir bewusst kontrollieren können, aber das ist bei einem Großteil unseres „Denkens“ nicht der Fall. Es ist fast immer unkontrolliert und geschieht zufällig. Es geht uns im Kopf herum, ob wir wollen oder nicht. Deshalb ziehe ich die Begriffe „Gedankengeschwätz“ oder „kognitive Zerrissenheit“ vor. Immer wenn unsere Aufmerksamkeit nicht von außen in Anspruch genommen wird, setzt das Gedankengeschwätz ein – wie eine Maschine auf Standby, die sofort loslegt, wenn Ihr Geist den externen „Aufhänger“ für die Aufmerksamkeit loslässt. Man könnte es auch die Standard- oder Grundeinstellungen unseres Geistes nennen.

Echtes Denken ereignet sich immer dann, wenn wir bewusst Verstand und Logik einsetzen, um unterschiedliche Optionen zu bewerten, Probleme zu reflektieren, Entscheidungen abzuwägen oder Pläne zu schmieden und so weiter. Wir halten uns selbst gern für „vernunftbegabte Wesen“, die über den Tieren stehen, weil wir über „Verstand“ verfügen. Doch diese Art des rationalen Denkens ist eher selten. (Selbst bei Entscheidungen und Plänen entschließen wir uns häufig intuitiv und wägen vorher nicht sorgfältig ab.) Tatsächlich erschwert das Gedankengeschwätz den Einsatz unserer rationalen Kräfte, denn wenn wir uns etwas genau überlegen müssen, strömt es durch unseren Kopf und lenkt unsere Aufmerksamkeit ab. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie überlegen sich, was Sie Ihrem Ehepartner anlässlich des Jahrestages Ihrer Hochzeit schenken wollen. Während Sie darüber nachdenken, erinnern Sie sich an Ihren Hochzeitstag und dann an Ihre Flitterwochen in Italien, was Ihre Gedanken auf den Skandal des italienischen Premierministers lenkt, von dem Sie kürzlich gelesen haben. Das wiederums bringt Sie dazu, über die politische Lage in diesem Land nachzugrübeln, und schließlich kommt Ihnen in den Sinn, dass Sie Ihre Steuererklärung noch nicht gemacht haben ... Es fällt Ihnen so schwer, Ihre Gedanken zu fokussieren, dass Ihnen rein gar nichts einfällt und Sie Ihre Arbeitskollegen fragen müssen, was sie sich denn wünschen würden, wenn es ihr Hochzeitstag wäre.

Im Gedankengeschwätz versunken zu sein unterscheidet sich nicht allzu stark vom Träumen – zumindest die Art des assoziativen Träumens, das die Eindrücke und Informationen sortiert, die wir kürzlich aufgenommen haben, und dann eine eigentümliche Mischung von ihnen durch unseren Geist zurücksendet. (Es kann schon sein, dass es bedeutungsvollere Arten des Träumens in den tieferen Schichten des Geistes gibt, die eine symbolische Bedeutung besitzen und mit dem verbunden sind, was Carl Gustav Jung das „kollektive Unbewusste“ nannte.) Wir können das Gedankengeschwätz etwas besser kontrollieren als unsere Träume, weil es dem bewussten, nicht dem unbewussten Geist entstammt. Generell handelt es sich aber um eine vergleichbare Vermischung von geistigen Inhalten. (Natürlich deutet das der Begriff „Tagtraum“ bereits an.) Wie wir später noch sehen werden, gleicht das Beenden des Gedankengeschwätzes dem Erwachen aus einem Traum: Es führt zu neuer, klarerer Bewusstheit und einer neuen Beziehung zur Wirklichkeit. Gedankengeschwätz ähnelt den Tagträumen, ist aber nicht mit ihnen identisch. Ich halte Tagträume eher für eine Art des Gedankengeschwätzes – ein intensiver Zustand der Versunkenheit in imaginäre geistige Szenarien, in der Regel in einem entspannten Geisteszustand.

Es gibt zwei Situationen, in denen wir Gedankengeschwätz erleben. Einmal, wenn eine Aktivität uns nicht genug interessiert oder herausfordert, um unsere Aufmerksamkeit zu halten. Erledigen wir Hausarbeit oder andere automatische Tätigkeiten, sind diese häufig nicht anstrengend oder interessant genug, um unsere Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Deshalb wendet sich unsere Aufmerksamkeit nach innen, hin zu den Gedanken und Tagträumen, die gerade in unseren Köpfen ablaufen. Das kann Ihnen auch an Ihrem Arbeitsplatz passieren, wenn Sie gerade nicht richtig von Ihrem Job gefordert werden. Wenn Sie Regale bestücken, Tee ausschenken oder Kleidungsstücke verpacken, benötigt das nur einen gewissen Grad an Aufmerksamkeit. Deshalb tauchen Sie zur gleichen Zeit in Gedanken darüber ein, was Sie am Wochenende vorhaben, oder Sie erinnern sich an Ihren letzten Urlaub.

Die andere Situation betrifft die Zeit zwischen zwei Aktivitäten, wenn nichts in der Außenwelt Ihre Aufmerksamkeit benötigt. Vielleicht warten Sie auf den Zug oder darauf, dass der Wasserkessel kocht, Sie sind im Bad oder liegen morgens bzw. abends im Bett – in all diesen Situationen füllt sich Ihr Geist gewöhnlich auch mit Gedankengeschwätz.

Dieses Gedankengeschwätz ist ein so natürlicher Teil unserer Erfahrungswelt, dass viele von uns es als gegeben hinnehmen. Objektiv betrachtet ist es jedoch recht bizarr. Warum sollte die gesamte Zeit über eine Stimme in unserem Kopf plappern, eine lärmende und Bilder erzeugende Maschinerie, die sich ununterbrochen an unsere Erfahrungen erinnert, permanent Informationen wiederholt, die wir aufgenommen haben, und ständig Szenarien durchspielt, die sich ereignen könnten? Warum sollte unser Geist so chaotisch und willkürlich von einer Assoziation zur nächsten springen? Man hält Menschen, die an Schizophrenie leiden, deshalb für krank, weil sie Stimmen im Kopf hören – aber unterscheidet sich das wirklich so sehr von unserem ganz „gewöhnlichen“ Gedankengeschwätz? Es sollte wirklich auch als eine Art der Verrücktheit verstanden werden – oder zumindest als eine Art Konstruktionsfehler, eine Fehlfunktion unseres Verstandes.

Verrückte Welt

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