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1.7. Schicksalsschlag

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Godvere Gariens Gesicht war aschfahl, dabei zitterte er vor Wut wie Espenlaub. Der Herrscher konnte einfach die Zusammenhänge nicht begreifen, so sehr er sich auch das Gehirn zermarterte. Der hohe Offizier der vor ihm stand, und von den Ereignissen in Reichels Gemächern berichtete, soweit man davon Kenntnis gewonnen hatte, stand kerzengerade vor seinem Herrn. General Tergold war ein älterer Mann, der schon Godveres Vater gedient hatte. Zudem war er einer der wenigen Untergebenen des Herrschers, der nicht vor ihm katzbuckelte. Eine Eigenschaft die Godvere mehr an ihm schätzte, als der General ahnte. Der Diener, der Vitras aus dem Mauerloch steigen sah und daraufhin in Ohnmacht fiel, war ebenfalls im Thronsaal anwesend. Dem jungen Mann schlotterten die Knie als der Herrscher ihn zu sich heranwinkte.

„Du hast diesen Unbekannten also gesehen!“ Stellte Godvere fest.

„Nur kurz!“ Stammelte der Diener: „Es ging alles so furchtbar schnell.“

Der Herrscher musterte den Diener in seiner völlig verschmutzten Uniform, dabei bemerkte er, welche Angst der Mann vor ihm hatte.

„Irgendetwas musst du uns doch über diesen fremden Krieger sagen können.“ Fuhr der Herrscher in einem ehrlich gemeinten, freundlichen Tonfall fort: „Egal was du gesehen hast, ich werde dir kein Leid zufügen. Ganz gleich was dort oben geschehen ist, dir gebe ich keine Schuld dafür.“

Die Worte des Herrschers verfehlten ihre Wirkung nicht, und der Diener fasste seinen ganzen Mut zusammen:

„Ich weiß,“ begann er verzweifelt: „Die Statuen stellen ihn anders dar. Aber so wie der Fremde aussah, stelle ich mir den Gott des Krieges vor.“ Dann schilderte er seinem Herrn, was er sah. Der Herrscher überlegte eine Weile und musterte den Diener erneut. Godvere war davon überzeugt, dass der ängstliche junge Mann die Wahrheit sagte und bedeutete ihm mit einer Geste, dass er gehen durfte. Dann wandte sich wieder dem General zu:

„Achtzehn fähige Soldaten, bestens ausgebildet und ausgerüstet, von einem Fremden regelrecht abgeschlachtet, fünf weitere schwer verletzt – und das alles im am besten abgesicherten Teil des Palastes. Lord Reichel ermordet vor seinen Gemächern und obendrauf die Flucht dieser Hexe aus dem Kerker und zur Krönung des Ganzen, dies hier.“

Dabei hielt Godvere Garien die Babydecke hoch, die man in Reichels Gemächern gefunden hatte.

General Tergold zuckte mit keiner Miene als er anfing zu sprechen:

„Ich glaube wir übersehen ein ganz anderes Detail, von dem ich glaube, dass es mit alledem zu tun hat.“

„Was meint ihr?“ Der Herrscher blickte den älteren Offizier voller Anspannung an.

„Nun ja!“ Fuhr der General gestenreich fort: „Das rätselhafte Verschwinden der Gesandten von Kushtur. Niemand hat gesehen wie sie den Palast verließen. Reichel hatte verdammt viel mit ihnen zu schaffen. Wenn ich an den unbekannten Angreifer denke, so kann man einfach nicht umhin festzustellen, dass Magie im Spiel war.“

„Die Stadt der Magier!“ Fluchte Godvere halblaut, dabei gingen ihm die merkwürdigen Verträge durch den Kopf, die Reichel mit Kushtur ausgehandelt hatte. Godvere blickte wieder auf die mit Goldfäden verzierte Babydecke seiner Tochter, die er die ganze Zeit über in den Händen hielt. Der Herrscher bedauerte es zutiefst, dass der Minister ein dermaßen schnelles Ende fand. Kurz schloss er die Augen. Er benötigte einfach einen Augenblick um sich zu sammeln. Als er die Augen wieder öffnete, wirkte er wesentlich gefasster:

„Vollkommen gleichgültig,“ begann er wieder mit seiner gewohnt kräftigen Stimme zu sprechen: „Reichel ist tot und die Gesandten sind spurlos verschwunden, genauso wie dieser fremde Krieger und diese... die Mutter meiner Kinder. Sie werden versuchen, Darkan auf irgendeine Art zu verlassen. Ich habe das ungute Gefühl, dass wir im Palast niemanden von ihnen mehr finden werden.“

„Das Nord und das Südtor der Stadt sind auf meinen Befehl hin geschlossen worden, mein Herr.“ Begann der General auszuführen: „Das Osttor halten wir noch geöffnet, um den Warenverkehr nicht gänzlich zum Erliegen zu bringen. Allerdings sind am Osttor jetzt zusätzliche Einheiten postiert. Jeder der rein oder raus will, wird gründlichst durchsucht.“

Der Herrscher nickte zufrieden: „Ich will trotzdem, dass ihr eine komplette Garnison vor die Tore der Stadt schickt. Sie sollen jeden Stock und jeden Stein umdrehen. Wen auch immer die Soldaten aufgreifen. Ich will ihn lebend. Ich will Antworten. Und vor allem will ich die Kinder zurück.“

General Tergold nickte und schlug mit seiner linken Faust auf seine rechte Brust, um zu demonstrieren das er die Befehle verstanden und umgehend ausführen würde. Er machte auf den Absätzen kehrt und war im Begriff den Thronsaal zu verlassen.

„Tergold!“ Rief ihn die Stimme des Herrschers zurück.

„Ja, Herr!“

„Schickt zwei Garnisonen vor die Tore der Stadt!“

„Sehr wohl!“

Der Herrscher blickte dem General hinterher, als dieser den Saal verließ. Er konnte ihn noch lautstark Befehle donnern hören, nachdem die schweren Türen des Thronsaals schon wieder geschlossen waren. Godvere starrte wieder auf das Deckchen das er offensichtlich nicht mehr aus den Händen geben wollte. Betreten blickten einige der Blutwölfe in ihren Nischen zu Boden, als der mächtige Herrscher seinen Kopf in dem Tuch vergrub und zu weinen begann.

***

Elze gelang es, die kleine Gruppe zielsicher durch die Geheimgänge bis zur Kanalisation zu führen. Eine steile in den Stein geschlagene Treppe, führte die vier aus dem Geheimlabyrinth hinaus, direkt in die nicht weniger Labyrinthartig angelegten Abwasserkanäle Darkans. Am Ende der Treppe, trennte ein solides Eisengitter die Kanalisation von den Geheimgängen. Eine drückende, feucht stickige Luft schlug ihnen entgegen. Ein furchtbarer Gestank zwang die vier, die Ärmel ihrer Kleidung vors Gesicht zu halten. Im Gegensatz zu dem immer wieder einfallenden Licht in den verborgenen Gängen, war es hier unten stockfinster. Elze wirkte niedergeschlagen und resignierte:

„In dieser Dunkelheit finde ich mich beim besten Willen nicht zurecht.“ Dann rüttelte sie am mannshohen eisernen Gitter, das mit einem Schloss versehen war: „Außerdem geht es hier nicht weiter. Vitras starrte auf das Hindernis und war gerade im Begriff sich zu konzentrieren, als der kleine Dieb zwischen Elze und dem Schloss glitt:

„Das habe ich gleich!“ Trotz der Dunkelheit konnten die anderen drei erkennen wie der Junge in seinem Rucksack kramte und sich anschließend mit kleinen dünnen Metallstäben am Schloss zu schaffen machte. Vitras begann erneut, leise in einer Sprache zu sprechen die niemand verstand. Plötzlich erschien eine winzige Kugel aus Feuer dicht über seiner rechten Handfläche. Rasch begann sie an Größe zuzunehmen, bis sie beinahe den Ausmaßen eines menschlichen Kopfes entsprach. Sie erhob sich, kreiste kurz über ihren Köpfen um dann direkt über dem Jungen in der Luft zu verharren. Mit einem lauten quietschen und krächzen öffnete sich das Gitter nachdem der Schatten das Schloss geknackt hatte.

„Ich hätte es schneller geschafft, wenn du mir gleich etwas Licht besorgt hättest Vitras!“

Morna blickte ungläubig zu ihrem Vater, der gequält schmunzeln musste:

„Wunderst du dich noch immer über seinen Namen?“

Sie schüttelte mit dem Kopf: „Nein, dafür verstehe ich jetzt auch deine Befürchtungen, was seine Zukunft anbelangt.“

Der Schatten machte eine übertriebene Verbeugung nachdem er das Gitter mühsam soweit zur Seite gedrückt hatte, dass die vier nach einander hindurch schlüpfen konnten.

„Meine Damen!“ forderte er Elze und Morna angeberisch auf, die Kanalisation zu betreten.

„Gut gemacht Schatten!“ Lobte die Halbgöttin den kleinen Dieb, strich ihm einmal durch sein volles, dichtes, schwarzes Haar und betrat als erste die Kanalisation. Die Feuerkugel folgte ihnen, wobei sie dicht über den Köpfen der vier schwebte. Entgeistert betrachtete Elze die Licht spendende Kugel, die keinerlei Wärme abgab. Dabei spendete sie mehr Licht, als wenn jeder von ihnen eine Fackel getragen hätte. Die Kanalisation war ein Meisterwerk Darkanischer Baukunst. Erst recht, wenn man bedachte, dass sie schon vor Jahrhunderten errichtet wurde. Das Gewölbe war hoch und ging in einem halbrund rechts und links in die Wände über. Am Grund der Wände befanden sich ungefähr drei Fuß breite Steinpfade, die als Weg genutzt werden konnten. Zwischen diesen Pfaden schlängelte sich, zwei Schritt vertieft, die Jauchegrube wie ein zäher Strom. Die Wände sowie der Boden waren dermaßen glitschig, dass sie sich nur äußerst vorsichtig vorwärts bewegen konnten. Immer wieder gelangten sie an Kreuzungen, die schmale leicht nach oben geschwungene Steinbrücken aufwiesen, so dass man den Jauchefluss überqueren konnte. Da die Vorsprünge auf denen sie sich fortbewegten, an den Kreuzungen etwas breiter waren, hielt Elze an der ersten die sie erreichten an, um den Platz auszunutzen. Sie zog ihre Karten aus ihrem Jutebeutel und studierte sie sorgsam. Der Schatten bekam große Augen, als er erkannte, was Elze da in ihren Händen hielt:

„Ist in einer der Karten auch der Weg zur Schatzkammer des Herrschers beschrieben?“

„Vergiss den Gedanken mal lieber wieder ganz schnell!“ Forderte Vitras ihn missbilligend auf. Die alte Dienerin ignorierte den Jungen völlig und überlegte fieberhaft. Dabei schaute sie sich mehrmals um, obwohl hier unten ein Weg wie der andere aussah.

„Von hier wo wir uns befinden,“ begann sie unvermittelt zu erklären: „Führen zwei Wege aus der Stadt heraus. Woher sollen wir wissen welchen wir nehmen müssen?“

„Die Gesandten haben doch vor durch den schwarzen Wald, meinen Wald, zu fliehen, um den Darkanischen Soldaten zu entkommen!“ Stellte Morna fest.

„Dann werden sie vermutlich diesen Tunnel hier genommen haben.“ Antwortete ihr Elze und zeigte in einen der röhrenförmigen Gänge der in Richtung Westen verlief. Morna, Elze und der Schatten blickten Vitras fragend an.

„Also gut!“ Brummte dieser und fuhr sich mit einer seiner Hände über den kahlen Schädel:

„Nehmen wir diesen Weg!“

Vitras ließ den Schatten vorweg gehen, da der Junge mit dem tückisch glatten Untergrund am besten zurechtkam. Somit konnte er sie immer wieder warnen, wenn Pfützen in Kuhlen oder leichten Absenkungen sich als wahre Stolperfallen entpuppten. Elze dirigierte ihn dabei anhand einer Karte, die sie jetzt ständig in der Hand hielt. Allmählich gewöhnten sich auch alle vier an den erbärmlichen Gestank. Die alte Dienerin empfand ihn als dermaßen grauenvoll, dass ihr sogar die Ratten leidtaten, die hier unten in Mengen hausten, jedoch sofort die Flucht ergriffen, wenn sie in den Lichtschein von Vitras magischer Feuerkugel gerieten. Alles in allem kamen sie recht zügig und ohne jegliche Zwischenfälle voran. Vitras hoffte inständig, am Ausgang der Kanalisation keine Darkanischen Soldaten anzutreffen. Solange sich seine Tochter nicht im Schwarzen Wald befand, würde sie sich bei Kampfhandlungen in tödlicher Gefahr befinden. Auch für die ältere Frau fing der Kriegszauberer an einen Beschützerinstinkt zu entwickeln, besonders da er bemerkte wie sehr seine Tochter an ihr hing. Bei dem Schatten beschlich ihn das merkwürdige Gefühl, das der Junge es wohl auch fertigbringen mochte, einen ganzen Trupp Darkanier an der Nase herumzuführen. Die Hetzte durchs Gewirr der unterirdischen Kanäle schien sich endlos hinzuziehen. Inzwischen mussten sie auch öfter Halt machen, da der Dienerin die Erschöpfung inzwischen ins Gesicht geschrieben stand. Irgendwann gelangten sie endlich an einen Punkt, von dem aus die Steinpfade leicht nach oben verliefen. Elze wirkte schlagartig regelrecht aufgekratzt:

„Wir müssen es bald geschafft haben. Von hier aus kann es nicht mehr weit sein!“ Frohlockte sie.

Links von ihnen tauchte plötzlich ein Tunnel auf, der aus einem breiten Steinpfad bestand, wohingegen der Kanal weiter geradeaus verlief. Zielsicher bog Elze ab, und nach kurzer Zeit begann der Pfad stark ansteigend zu verlaufen. Durch ein weiteres Eisengitter, auf das sie nun zuhielten, konnten sie alle den Nachthimmel sehen wobei ihnen eine angenehme, frische und kühle Luft entgegenschlug. Der Schatten erreichte als erster das Gitter:

„Es ist aufgebrochen!“ Rief er den anderen zu.

„Warte auf uns!“ Befahl Vitras und der Junge gehorchte. Der Kriegszauberer benutzte wieder die seltsame Sprache, die selbst Morna nicht kannte und die Feuerkugel erlosch augenblicklich. Daraufhin betrat er als erster das hügelige Gelände, in das die Kanalisation sie entließ. Das aufgebrochene Gitter bestärkte ihn in der Hoffnung, dass sie den Entführern dicht auf den Fersen waren. Ein Blick zu den Gestirnen verriet Vitras, dass die Morgendämmerung nicht mehr lange auf sich warten ließ. Nachdem alle ins Freie geklettert waren, bedeutete er den anderen zu warten, um die Umgebung zu erkunden. Schnell fand der Kriegszauberer frische Hufspuren und fluchte innerlich. Die Gesandten aus Kushtur waren gut vorbereitet. Nahe den Spuren entdeckte er auch die Leichen von drei Darkanischen Soldaten. Offensichtlich hatten sie die Gesandten überrascht und dies mit ihrem Leben bezahlt. Der Magier war sich sicher, dass bald mit wesentlich mehr Darkaniern zu rechnen wäre. Hastig kehrte er zu den anderen zurück:

„Wir müssen schnell weiter!“ erklärte er ihnen: „Das wird hier bald von Soldaten nur so wimmeln.“

Jetzt marschierte der Kriegszauberer vorweg, wobei ihm die drei folgten. Sie mussten so schnell wie möglich das kleine Wäldchen erreichen, wo Audris auf ihn wartete. Er überlegte fieberhaft, wie er sich entscheiden sollte. Audris konnte sie unmöglich alle vier tragen. Würde er mit Audris die Verfolgung aufnehmen, so war er sich sicher, die Entführer noch vor dem Erreichen des Schwarzen Waldes einzuholen. Damit wären die beiden Frauen und der Junge jedoch der Gefahr ausgesetzt, von den Darkaniern aufgegriffen zu werden. Während sie einen Feldweg erreichten, reifte in ihm der Gedanke, Morna alleine mit Audris zum Wald reiten zu lassen. Mit dieser leichten Last wäre das Pferd allemal in der Lage den Wald noch vor den Gesandten zu erreichen. Sobald seine Tochter erst einmal den Boden des heiligen Hains wieder betreten könnte, hätte sie sofort ihre Göttlichen Kräfte zurück.

„Wo genau führst du uns jetzt hin?“ Fragte ihn Morna plötzlich, nachdem sie zu ihm aufgeschlossen hatte. Ihr Vater zeigte auf eine Hügelkette vor ihnen, die nicht mehr allzu weit entfernt lag:

„Siehst du die Hügel da vorne? Dahinter befindet sich ein kleines Wäldchen. Dort wartet eine Freundin von mir und deiner Mutter.“

„Eine Freundin? Was für eine Freundin denn?“ Erkundigte sich seine Tochter nun neugierig.

„Audris!“ Antwortete er.

„Tante Audris ist hier? Und sie wartet in.…“

Vitras verdrehte die Augen und ließ sie nicht aussprechen:

„Audris ist ein Pferd aus dem Singarium. Es ist ein Geschenk deiner Mutter gewesen, damit ich schneller nach Darkan gelangen konnte. Ich habe das Tier lediglich nach deiner Tante benannt.“

Wie aus dem Nichts, ertönte rechts von ihnen das ohrenbetäubende Gebrüll mehrerer Einheiten Darkanischer Soldaten, dass sie alle vier zusammenzucken ließ. Zeitgleich schlugen die ersten Pfeile einige Schritt von ihnen entfernt, in den Boden. Vitras wirbelte herum und sah die Männer, wie Ameisen den lang gezogenen Hügel hinunter schwärmen und auf sie zu rennen. Morna warf ihrem Vater einen hilfesuchenden Blick zu.

„Lauft weg!“ Brüllte Vitras als ein erneuter Pfeilhagel auf sie niederging. Vitras drehte sich blitzschnell herum, als er Elze laut aufschreien hörte. Die Dienerin hielt vor Schreck und Entsetzen die Hände vor ihrem Mund. Erst jetzt nahm er den dünnen Rinnsal Blut wahr, der aus dem Mund seiner Tochter lief. Sie blickte ihn mit glasigen Augen an, und er konnte sie gerade noch auffangen bevor sie zusammensackte. Aus ihrem Rücken ragten zwei Pfeilschäfte.

„Werft euch hin!“ Brüllte der Kriegszauberer Elze und den Schatten an. Dabei ließ er Morna behutsam zu Boden gleiten. Er hatte nicht die geringste Ahnung wie diese Truppen so überraschend auftauchen konnten. Doch das interessierte ihn im nächsten Augenblick nicht mehr. Das sonst übliche Schwirren das sich stets in der Luft um ihn herum bildete, wenn er kurz davor war seinen magischen Willen zu entfesseln, wurde diesmal von einem lauten knistern überlagert. Der Rubin in seinem Stirnband begann erst zu flimmern, bis er anfing strahlend rot zu leuchten. Blitzschnell zog er die Zwillingsschwerter von Asylya, stand auf und marschierte auf die Soldaten zu.

Die Bogenschützen knieten und standen in versetzten Reihen oberhalb des Hügels, während die Schwertträger weiter auf sie zustürzten. Der Kriegszauberer entfesselte mit Hilfe der ihm innewohnenden magischen Quelle und dem Rubin seines Stirnbands eine unvorstellbar zerstörerische Druckwelle, die mit ungeheurer Macht auf die Darkanier zuschoss. Viele Soldaten blieben sofort stehen und starrten ungläubig auf die Schneise der Verwüstung, die unaufhaltsam näherkam. Bäume die vereinzelt im Weg standen wurden entwurzelt und mitgerissen. Felsbrocken wirbelten durch die Luft während Erde wild zur Seite schoss. Dann schlug die Druckwelle auf die gut hundert Soldaten ein. Zuerst traf es die Schwertträger. Körper wurden durch die Luft gewirbelt, wieder auf die Erde geworfen und dabei regelrecht zerschmettert. Andere wurden von herumfliegendem Felsgestein erschlagen. Knochen brachen, Gliedmaßen wurden unnatürlich verdreht während andere hart zusammenprallten. Die Bogenschützen hatten nur wenige Augenblicke, in denen sie fassungslos auf das Chaos blickten, das ihre Kameraden ereilte. Dann wurden auch sie von der Druckwelle erfasst, die gnadenlos den Hügel emporfegte.

Urplötzlich war alles vorbei und es herrschte eine Totenstille. Einzig unterbrochen vom schmerzhaften stöhnen oder keuchen einiger schwer Verwundeter, die den Ausbruch überlebt hatten. Vitras führte die Schwerter wieder in ihre Scheiden und rannte zu Morna. Sie atmete noch, doch ihre Verletzungen waren lebensgefährlich. Elze strich ihr zärtlich über den Kopf während der Schatten eine von Mornas Händen hielt.

„Könnt ihr nicht irgendetwas mit euren Fähigkeiten für sie tun?“ Stammelte die Dienerin.

Vitras schüttelte nur mit dem Kopf. Er war ein Kriegszauberer. Er besaß nicht die Fähigkeit, heilend auflebende Körper einzuwirken. Ansonsten wäre Mornas geschundenes Auge längst genesen.

„Diese Art der Magie beherrsche ich nicht!“ Brachte er zitternd hervor. Dann versuchte er sich selbst Mut zu machen.

„Vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit. Ich muss sie so schnell wie möglich in ihren Wald bringen.

„In den schwarzen Wald?“ Schluchzte Elze ungläubig: „Wie soll es dem armen Kind helfen, wenn ihr sie in die Wildnis bringt?“

„Mann nennt ihn auch den Wald der Götter!“ Belehrte Vitras die alte Frau. Behutsam hob er seine Tochter, die nicht mehr bei Bewusstsein war, hoch:

„Morna ist keine Wilde, die in irgendeinem Wald aufwuchs, bis der Herrscher sie fand. Sie ist eine Halbgöttin und im Wald bekommt sie ihre Macht zurück. Wenn ich sie lebend dorthin bekomme.“

Daraufhin drehte er sich um und trug Morna zu dem kleinen Wäldchen. Elze stand auf und starrte noch immer, mit offenem Mund, dem Kriegszauberer hinterher. Dann blickte sie zur Seite, und ihr wurde das Ausmaß der Zerstörung klar, das Vitras über die Darkanischen Soldaten gebracht hatte. Sie packte den Schatten an der Hand, der wie betäubt neben ihr stand und folgte mit ihm im Schlepptau dem Kriegszauberer. Auf halbem Weg zu dem kleinen Wald, wo er das Pferd zurückgelassen hatte, kam ihm Audris entgegen galoppiert. Das Tier spürte instinktiv, das etwas Schreckliches geschehen war und wollte seinem Herrn zu Hilfe eilen. Kurz vor ihm kam das Tier zum Stehen und schien den leblosen Körper in Vitras Armen traurig zu betrachten. Die Luft um den Zauberer begann ganz leicht zu schwirren und Mornas Körper erhob sich aus seinen Armen und schwebte über das Pferd. Behutsam ließ Vitras seine Tochter auf dem kräftigen Rücken der Stute nieder. Inzwischen hatten die Dienerin und der Schatten den Zauberer eingeholt. Elze strich zärtlich über Mornas Kopf:

„Bitte tut alles, was nötig ist, um sie zu retten.“ Vitras blickte beide an und stellte dabei fest, dass der kleine Dieb von den Ereignissen regelrecht geschockt war. Ausdruckslos schaute er zu dem Pferd und Morna, während Elze ihn noch immer an der Hand hielt. Vitras neigte seinen Kopf der Dienerin leicht zu:

„Ich werde sie so schnell es geht zum Hain der Götter bringen. Alles weitere liegt nicht mehr in meiner Hand.“ Elze nickte stumm und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

„Ich werde euch beide zunächst verlassen müssen, die Zeit drängt und Audris kann uns nicht alle vier tragen. Aber ihr werdet schnell wieder zu mir finden.“

Elze schaute ihn verständnislos an:

„Wie?“

„Kommt zunächst mit mir mit!“ Vitras ging schnellen Schrittes auf das Wäldchen zu, wo sich noch immer seine Ausrüstung befand. Dort angekommen begann er sofort das Pferd zu satteln während Filou nur einmal kurz an ihm hoch und runter kletterte um sich anschließend Elze und den kleinen Jungen genauer zu betrachten. Als Vitras seine Sachen verstaut hatte, gab er einen monotonen Pfiff von sich, woraufhin Filou sofort angerannt kam und wieder an ihm hochkletterte. Vorsichtig nahm er das Frettchen und flüsterte ihm etwas zu, dann legte er den Nager Elze in die Hände:

„Ganz gleich, wo ich mich aufhalte, Filou findet mich immer. Lasst euch von ihm führen und ihr werdet mich im Schwarzen Wald wiederfinden. Elze nickte stumm und kraulte dabei geistesabwesend Filous kleines Köpfchen.

„Und du,“ wandte sich Vitras an den Schatten: „Du sorgst dafür, dass den beiden nichts passiert, kriegst du das hin?“

Der Junge hob seinen Kopf und Vitras meinte den schelmischen Glanz in seinen Augen wiederzuerkennen:

„Du kannst dich auf mich verlassen!“ Antwortete ihm der Schatten im überzeugenden Tonfall.

„Dann sehen wir uns bald wieder!“ Mit diesen Worten nahm Vitras das Pferd bei den Zügeln und führte es aus dem Wäldchen heraus. Dann stieg er behutsam auf und ritt mit dem leblosen Körper seiner Tochter vor sich liegend in Richtung des Schwarzen Waldes.

Elze war durch die Ereignisse, seit sie Morna aus dem Kerker befreite, sichtlich mitgenommen. Aber ihr war klar, dass sie sich jetzt nicht ausruhen konnte. Automatisch wollte sie den Jungen wieder an die Hand nehmen, doch der zog seine Hand diesmal weg:

„Ich soll auf euch beide aufpassen, ich bin doch kein kleines Kind mehr!“ Brachte er trotzig hervor: „Wir werden uns jetzt irgendwo Pferde borgen und dann Vitras folgen.“

„Pferde borgen?“

„Ach dann nenne es doch ausleihen, auftreiben! Wie auch immer! Hier soll es viele Höfe geben, mit sehr verständnisvollen Leuten.“

Andran und Sanara

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