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1.8. Der Schwarze Wald

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Zara pirschte sich lautlos durch das Unterholz. Dabei hielt die rothaarige Amazone den Pfeil ihres Bogens locker im Anschlag. Immer wieder blieb sie stehen und lauschte, dann gab sie ihren Gefährtinnen mit einem Nicken oder Kopfschütteln zu verstehen, ob sie in diese Richtung weiter pirschen oder einen anderen Weg einschlagen sollten. Zara war sehr groß und kräftiger als ihre Stammesschwestern, dennoch bewegte sie sich geschmeidig wie eine Katze. Sie war keine gebürtige Amazone. Vor etlichen Jahren traf sie mehr aus Zufall, auf ihren heutigen Stamm. Damals waren ihre Haare noch kurz geschoren und sie schwor Stein und Bein auf eine gute stählerne Rüstung. Heute trug sie ihr Haar lang, so dass es ihr wellenförmig über die Schultern fiel. An Stelle von Stahl, trug sie jetzt einen braunen Lendenschurz, lange, weiche bis zu den Knien gehende Stiefel und einen ledernen Brustschutz. Nur ihre Armschützer, die von knapp oberhalb des Handgelenkes bis hin zum Ellenbogen reichten, waren mit kleinen runden Stahlplatten verstärkt. Selbst ihr Schulterschutz bestand lediglich aus gehärtetem Leder. Dafür konnte sie sich jetzt auf eine Art bewegen, wie es ihr früher im Kampf unmöglich gewesen wäre. Zara hatte sich von ihrem alten Leben komplett verabschiedet. Heute lebte sie nur noch für ihre Amazonen Schwestern und für das Wohl des ganzen Stammes.

Die Amazonen waren jetzt schon seit Tagen erfolglos auf der Jagd. Zara musste unwillkürlich an ihren ersten Jagdausflug, mit ihren damals neuen Schwestern zurückdenken. An ihre damalige Fassungslosigkeit, als ihr erklärt wurde, dass die Tiere des Waldes den Amazonen heilig waren. Ausnahmslos. Nur alte, kranke oder gebrechliche Tiere, für die der Tod eine Erlösung darstellte, wurden von den Kriegerinnen erlegt. Das machte die Sache natürlich nicht gerade einfacher, aber inzwischen hatte Zara dies Verhalten verinnerlicht. Vor wenigen Stunden hatten sie die Spuren eines Hirsches aufgenommen, der sich mit einem gebrochenen Hinterlauf durch den Wald quälte. Die rothaarige Amazone, die den Jagdtrupp anführte, hatte nicht vor, sich diesen Braten durch die Lappen gehen zu lassen.

Das verletzte Tier stand auf einer kleinen Waldwiese, die im Begriff war von Wacholderbüschen erobert zu werden und schnupperte. Die Lichtung selbst war von gewaltigen Eichen und Buchen umgeben, zwischen denen immer wieder Ebereschen spitzbübisch hervorlugten. Ihre vier Schwestern waren dabei, das Tier einzukreisen. Zara wartete bis die anderen sich auf ihren Positionen befanden. Dann spannte sie den Bogen, zielte und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Sie war schon immer eine gute Bogenschützin gewesen, bei den Amazonen reifte sie jedoch zu einer Meisterschützin heran. Ihr Pfeil fand sein Ziel, und der Hirsch brach augenblicklich, und ohne leiden zu müssen, tot zusammen. Zufrieden hängte sie sich den Bogen über ihre Schulter, als sie ein unverhoffter Pfiff achtsam aufhorchen ließ. Der Pfiff kam von Tamara, der jüngsten in ihrem Trupp. Jedes noch so geübte Ohr hätte den Laut für das Pfeifen eines Vogels gehalten. Doch Zara und die anderen wussten sofort, dass es eine Warnung ihrer Schwester war. Keine der Kriegerinnen bewegte sich. Dem Pfiff folgten weitere, kürzere, dann wieder schnellere in unterschiedlichen Tonlagen. Fremde waren im Wald und bewegten sich auf sie zu. Immer wieder kam es vor, dass Barbaren aus dem hohen Norden den Wald betraten, um abgelegene Amazonendörfer zu überfallen. Doch so tief waren sie noch nie in den Wald eingedrungen. Wahrscheinlicher erschien es Zara, dass sich mal wieder Darkanische Soldaten in den Wald trauten. Tamaras Signale bedeuteten jedoch, dass es sich weder um Barbaren noch um Darkanier handelte. Es waren vollkommen Fremde, mit einer dunkleren Hautfarbe und seltsamen Gewändern, jedoch schwer bewaffnet. Insgesamt waren es acht Mann. Das in einigem Abstand, diesen Männern noch weitere folgten, ahnte Tamara nicht. Inzwischen konnte Zara die acht ebenfalls sehen, da sie direkt auf die Lichtung zu marschierten. Der Lärm ihrer Pferde, die sie am Zaumzeug hinter sich herführten, hatte sie ebenfalls verraten. Die rothaarige Amazone konnte die Männer sofort einordnen. Sie glaubte beinahe ihr Herz würde zerspringen, als sie die roten Uniformen, die nach oben spitz zulaufenden Helmen und die breiten Krummschwerter an den Hüften der Männer sah. Das Emblem auf der Brust der Soldaten kannte sie nicht, aber es waren zweifelsohne Soldaten der Garde Kushturs. Die Stadt, die sie beinahe umgebracht hätte, wäre nicht der einzige Mann zur Stelle gewesen, von dem sie sich je vorstellen konnte ihn zu lieben. Zara konnte beim besten Willen nicht nachvollziehen, was diese Soldaten fast bis ans andere Ende der bekannten Welt verschlagen hatte. Die Gardisten erblickten das erlegte Wild und griffen sofort zu ihren Waffen, als sie den Pfeilschaft aus dem toten Tier ragen sahen. Nervös blickten sie in alle Richtungen, konnten aber keine Gefahr entdecken. Die fünf Kriegerinnen verschmolzen nahezu perfekt mit der Umgebung des Waldes. Dann begannen einige der Soldaten zu lachen. Sie freuten sich ganz offensichtlich darüber, so unverhofft ihre Vorräte auffüllen zu können. Sie führten ihre Pferde ans linke äußere Ende der Lichtung und ließen sie dort grasen. Einer von ihnen blieb bei den Pferden, während die anderen Vorbereitungen trafen, den Hirsch auszunehmen und zu zerlegen. Zara imitierte ein Vogelgezwitscher, das ihren Schwestern befahl, sich vorsichtig zurückzuziehen. Sie erhielt sofort Antwort, außer von Tamara. Die junge Amazone war viel zu stolz und leider auch zu unerfahren, um einschätzen zu können wann man einem Kampf besser aus dem Weg ging. Entsetzt nahm die rothaarige Amazone wahr, wie Tamara sich aus ihrer Deckung erhob, den Bogen spannte und auf einen der Fremden zielte. Zara schickte noch ein missbilligendes Vogelgezwitscher von ihren Lippen, als Tamara ihren Pfeil schon auf die Reise schickte. Durch Zaras Gezwitscher abgelenkt, verzog sie jedoch leicht den Bogen und ihr Pfeil schlug lediglich in der Schulter, des von ihr anvisierten Fremden ein. Der Mann schrie laut auf und in den nächsten Augenblicken, verwandelte sich die beschauliche Lichtung in ein Schlachtfeld. Vor Schreck erstarrt, sah Zara zwei weitere Soldaten, die direkt hinter Tamara auftauchten. Tamara drehte sich blitzschnell herum, hatte aber nicht mehr die geringste Chance zur Gegenwehr, als der vordere der beiden Männer mit seinem Krummschwert heftig zuschlug, und den Körper der jungen Amazone vom Hals bis zur Brust aufschlitzte. Zaras verbliebenen drei Schwestern erhoben sich jetzt ebenfalls aus ihren Deckungen und ließen nahezu zeitgleich ihre Pfeile auf die Soldaten, die sich auf der Lichtung befanden, nieder. Zara sprang gleichfalls aus ihrer Deckung, wobei sie ihren Bogen von der Schulter streifte und fallen ließ. Mit gezogenem Schwert stürzte sie sich auf Tamaras Mörder. Der Gardist, der den tödlichen Schlag ausführte, wurde völlig überrascht als Zara urplötzlich vor ihm auftauchte und ihm ihr Schwert tief in den Oberkörper rammte. Ihre Schwestern ließen ebenfalls ihre Bögen fallen. Sie hatten mit einem Schlag drei ihrer Gegner außer Gefecht gesetzt, da jeder ihrer Pfeile sein Ziel gefunden hatte. Die restlichen fünf, darunter der Kerl mit Tamaras Pfeil in der Schulter, stürmten nun auf sie zu.

Der zweite Gardist, mit dem Zara es zu tun hatte, erholte sich schnell von dem Schock über Zaras plötzliches Auftauchen und dem Tod seines Kameraden. Er griff urplötzlich an und erwischte sie am linken Unterarm während sie mit der rechten ihr Schwert aus dem Körper des Toten zog. Der Schnitt war dank ihres Armschutzes nicht besonders tief, aber Zara wurde nun endgültig von unbändiger Wut gepackt, als sie ihr eigenes Blut auf den Körper ihrer toten Schwester tropfen sah, über deren leblosen Körper sie nun stand. Ihr Gegenüber hatte allergrößte Mühe, ihre Schläge zu parieren und wankte zurück. Die Amazonen trugen keine schweren Rüstungen, Kettenhemden, Helme oder Beinschienen aus Stahl wie ihre Gegner. Sie trugen leichte Lederkleidung, die kaum Schutz gegen Hieb oder Stichwaffen boten. Dafür waren sie wesentlich schneller und wendiger. Ein Vorteil, den sie mit jahrelangem harten Kampftraining zu perfektionieren wussten. Ein Vorteil, den Zara jetzt gnadenlos ausnutzte. Mitunter drehte sie sich blitzschnell um die gesamte Achse ihres eigenen Körpers, um mit dem gewonnenen Schwung und all ihrer Kraft zuzuschlagen. Nur um die gleichen Bewegungsabläufe augenblicklich, in die andere Richtung drehend zu wiederholen. Ihr Gegner war dermaßen mit seiner Verteidigung überfordert, dass er überhaupt nicht mehr dazu kam, eigene Angriffe zu setzen. Bei der ersten unbedachten Öffnung seiner Deckung, schlug Zara erbarmungslos zu.

***

In vollem Galopp raste Audris über die weite Ebene, die sie jetzt noch vom schwarzen Wald trennte. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, und Vitras sah in der Ferne die gewaltigen Konturen des Schwarzen Waldes näher auf sich zukommen. Die Bäume wirkten im Kontrast zur weitläufigen kahlen Ebene, wie eine Mauer aus undurchdringlichem Dickicht die immer höher wurde, je näher sie dem Wald kamen. Einmal mehr bewunderte Vitras die hohen stolzen Eichen, deren Blätterdickicht einen smaragdgrünen Glanz auf die tiefen liegenden Gewächse warf. Bald entdeckte er eine Öffnung im Wall der riesigen Bäume, wo einer der festen Pfade in den Wald hineinführte. Der Kriegszauberer lenkte Audris in Richtung des Pfades. Als sie die Wegöffnung erreichten und den Hain betraten, überkam Vitras ein kurzes aber heftiges Schwindelgefühl. Er war darauf gefasst, da er dies von früher kannte. Seine gesamten magischen Kräfte waren von nun an blockiert, solange er sich in diesem Wald aufhalten würde. Im Gegensatz zum Verlust seiner magischen Kräfte, sollte Morna jetzt wieder im Besitz ihrer Göttlichen Fähigkeiten sein. Die Stute war inzwischen in einen leichten Trab zurückgefallen, und Vitras schaute sich um. Die Bäume links und rechts vom Pfad verfügten über eine enorme Größe. Ihre riesigen Äste und das gewaltige Blätterwerk überdachten den Weg und ließen kaum einen Sonnenstrahl hindurch. Der Schwarze Wald. Der Kriegszauberer entdeckte jedoch bald zu seiner linken, eine kleine vom Sonnenlicht durchflutete Wiese und hielt auf sie zu.

Vorsichtig hob er Morna vom Pferd und bettete sie seitlich liegend auf weichen vom Moos bewachsenen Boden. Sie atmete kaum noch und Vitras war der schieren Verzweiflung nahe. Seine Tochter hätte längst ihre Göttlichen Fähigkeiten zurückerhalten sollen, die sie befähigten sich selbst zu heilen. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht begreifen.

Der Kriegszauberer zuckte unwillkürlich zusammen, als sich von hinten sanft eine Hand auf seine Schulter legte. Er drehte seinen Kopf und erblickte Mirna, die hinter ihm stand. Die Göttin weinte.

„Ich verstehe es nicht!“ brachte Vitras unwirsch und verzweifelt hervor: „Wieso hat sie ihre Fähigkeiten nicht zurückerhalten? Sie könnte längst wieder geheilt sein!“

Die Göttin der Gerechtigkeit umrundete Vitras und kniete neben ihrer gemeinsamen Tochter nieder. Sanft legte sie ihre Hände auf Mornas Stirn und ihren Hinterkopf. Ein strahlend helles Licht fuhr aus den Händen der Göttin und drang in Morna ein. Nach einer Weile zog sich das Licht wieder in Mirnas Hände zurück, und die Göttin erhob sich wieder. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte unendliche Traurigkeit wider:

„Ihr Lebensfunke ist beinahe erloschen,“ erklärte sie ihm niedergeschlagen: „Sie nimmt den Teil von ihr, der ihre Göttlichkeit ausmacht, einfach nicht mehr an. Es wirkt, als ob sie ihren Willen zum Leben verloren hat. Einzig die Macht des Waldes verhindert noch ihr Übertreten in die andere Welt.“

Vitras starrte fassungslos auf den leblosen Körper seiner Tochter. Das Schicksal hatte ihm und seiner Tochter nur wenige Stunden gestattet. Diese wenigen Augenblicke, die ihm mit ihr vergönnt waren, waren geprägt von Furcht und Gewalt. Es gab so vieles, dass er ihr erzählen und erklären wollte. Nichts davon würde sie je erfahren. Mirna ließ sich erneut neben ihrer Tochter nieder und berührte sie nochmals. Ein grelles, hellstrahlendes Licht umgab die Göttin und tauchte die Umgebung der kleinen Wiese in ein unwirkliches Farbenspiel. Das grelle Licht umschloss jetzt auch Morna. Vitras hob schützend eine Hand vor seine Augen. Urplötzlich zog sich das grelle Licht wieder zurück. Der mit Moos überwucherte Platz, wo die Göttin eben noch neben ihrer beider Tochter kniete war leer. Die Göttin und Morna waren verschwunden. Vitras sackte zu Boden. Mit den Knien kauerte er an der Stelle wo sich eben noch seine Tochter befand und vergrub seinen Kopf zwischen den Händen. Dabei verfiel er in einen starren, lethargischen Zustand. Er wusste nicht, wie lange er in dieser Position ausharrte, doch es musste eine geraume Zeit gewesen sein, da die Sonne ihren höchsten Stand überschritten hatte. Ein freudiges kratzen und schmatzen, dass seine Ohren immer feuchter werden ließ, riss ihn aus seiner niedergeschlagenen Verfassung heraus. Filou hatte seinen Herrn wiedergefunden. Und diesmal bestand er auf eine ausgiebige Körperpflege. Vitras erhob sich und ließ den kleinen Nager, der jetzt auf seiner Schulter stand, gewähren. Lächelnd sah er Elze auf einem Flachlandpony auf ihn zureiten. Gefolgt vom Schatten, der auf einem Esel saß und irgendwie nicht den glücklichsten Eindruck machte. Er ging ihnen entgegen und freute sich inständig, dass die beiden nicht von den Darkaniern aufgegriffen wurden. Elze entging nicht sein trauriger Gesichtsausdruck, als sie ihr Pferd kurz vor ihm anhielt und er ihr beim Absteigen behilflich war.

„Die Kleine?“ Brachte sie nur hervor, als Vitras auch schon mit dem Kopf schüttelte.

„Aber, aber ihr sagtet doch...“ Als sie den ganzen Schmerz in Vitras Augen sah, ließ sie den Satz unausgesprochen.

„Ihre Mutter war hier,“ fuhr Vitras fort: „Sie hat Morna mitgenommen. Vielleicht zeigt der Gott des Lebens ja Erbarmen und entzündet erneut ihren Lebensfunken.“

Der Kriegszauberer rechnete jedoch nicht damit, da er an das Gespräch zurückdenken musste, das er mit Mirna vor seiner völlig zerstörten Hütte geführt hatte.

„Was tun wir jetzt?“ Meldete sich der Schatten zu Wort, der auf seinem Esel eine äußerst unglückliche Figur abgab. Vitras schaute ihm ins Gesicht und stellte zufrieden fest, dass der Junge ihn ernst anschaute. Er schien begriffen zu haben, dass er in eine Geschichte geraten war, die sein bisheriges Leben grundsätzlich veränderte.

„Wir werden weiter reiten.“ Gab ihm Vitras zur Antwort: „Ich will nicht auch noch die Zwillinge verlieren.“

Elze sagte nichts weiter. Umständlich stieg sie wieder auf ihr Pony während Vitras mit einem kurzen Pfiff Audris rief. Sie verließen die kleine Lichtung und begaben sich wieder auf den Pfad. Seite an Seite ritten sie immer tiefer in den Wald hinein. Der Weg war sehr breit und gelegentlich lichteten sich die großen Baumkronen um die Sonne hier und da auf den Weg scheinen zu lassen. Elze war sichtlich von den mächtigen Buchen beeindruckt, deren Äste sich mit denen der nicht weniger eindrucksvollen Eichen und Erlen ineinander verrankten. Vitras war sich immer sicherer, dass die Gesandten vor nicht allzu langer Zeit, diesen Pfad ebenfalls entlang ritten. Kurz nachdem sie zu dritt weiter ritten, hatte der Kriegszauberer frische Hufspuren entdeckt, denen sie nun folgten. Dabei verließen sie den breiten Hauptweg und gelangten auf immer kleinere, fast verwunschen wirkende Pfade.

Aus heiterem Himmel hörten sie Kampflärm. Das Klirren von Metall auf Metall sowie wütendes Geschrei.

***

Baldaar starrte den Soldaten, der noch bei ihm verblieben war, während die anderen ihren Kameraden schon vor etlichen Minuten zu Hilfe eilten, wutentbrannt an. Die Zwillinge befanden sich in Decken eingehüllt in zwei Bastkörbchen, die am Fuße einer großen Schwarzerle standen.

„Was verdammt geht da vor sich?“ Der Magier mit der scharlachroten Robe hatte sich sein gesamtes Leben auf die Macht der Magie verlassen. Das der Schwarze Wald ihm seine Magie raubte, verursachte in ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit, wie er es nie für möglich gehalten hätte.

Der Gardist starrte ihn an und zuckte mit den Schultern.

„Ich muss wissen, ob uns das Darkanische Pack da vorne zu schaffen macht.“ Baldaar befahl dem Mann lediglich nachzuschauen, mit welchem Gegner sie es zu tun hatten, um ihm dann unverzüglich Bericht zu erstatten. Der Gardist salutierte vor dem Magier und begab sich sofort in Richtung des Kampfgeschehens. Baldaar befand sich nun allein mit den Zwillingen und blickte verächtlich auf die kleinen Geschöpfe. Harun Ar Sabah wollte nur den Jungen lebend. Warum schleppten sie sich eigentlich noch mit beiden Kleinkindern ab – ging es dem Magier durch den Kopf. Als das Mädchen plötzlich anfing zu schreien, war sein Entschluss endgültig gefasst. Er zog seinen gekrümmten Langdolch aus der Scheide und ging bedrohlich auf das Bastkörbchen zu, indem sich das weinende Mädchen befand.

Im gleichen Augenblick, tapste ein riesiger schwarz brauner Grizzly aus dem Dickicht und blieb direkt vor den Bastkörbchen stehen. Das gewaltige Tier kümmerte sich nicht im Geringsten um die Säuglinge, die jetzt beide weinten. Dafür warf der Bär dem Magier einen mörderischen Blick zu. Baldaar stolperte einen Schritt zurück, als der Grizzly vorsichtig über die Körbchen stieg, ohne sie zu berühren. Dabei schritt er mit funkelnden Augen auf den Magier zu. Entsetzt riss Baldaar die Augen auf, als das Tier sich direkt vor ihm aufrichtete. Der Bär wies auf der Brust ein großes weißes Mal auf, welches sich kragenförmig bis über die Schultern zog. Er riss dass Maul auf und entblößte seine furchtbaren Reißzähne. Speichel lief ihm von den Lefzen wobei er ein grauenvolles Grollen ausstieß. Baldaar ließ vor lauter Angst seinen Langdolch fallen. Der Magier wollte nur noch die Flucht ergreifen und drehte sich hastig um. Dabei nahm er nur noch den Schatten einer prächtigen Hirschkuh war, die sich direkt vor ihm aufbäumte. Mit einem fürchterlichen Krachen, zerschmetterte das Tier mit seinen Hufen den Schädel des Magiers. In diesem Augenblick erreichten, Vitras, Elze und der Schatten die kleine Waldwiese und sahen wie der Magier mit der scharlachroten Robe tot zu Boden sank. Beim Anblick des Grizzlys verschwand Filou mit einem Satz in Elzes Jutebeutel. Elze selbst, brachte beim Anblick der unwirklichen Szenerie kein Wort hervor. Der Schatten wurde leichenblass. Vitras musste schlucken, als er den riesigen Grizzly sah, der sich gefährlich nahe bei den Säuglingen aufhielt und ihn interessiert musterte. Die Hirschkuh, deren Vorderhufe sich vom Blut rot gefärbt hatten, bedachte ihn ebenfalls mit einem Blick, der nichts mit dem eines Menschenscheuen Tieres gemein hatte. Inzwischen steigerte sich das Weinen der Säuglinge in ein regelrechtes Schreien. Davon angelockt neigte der Grizzly, der nun wieder auf allen Vieren stand, seinen Kopf zu den kleinen Körbchen und schnupperte. Vitras bekam ein Gefühl, als bliebe jeden Moment sein Herz stehen. Er war schlichtweg unfähig, irgendetwas zu unternehmen oder auch nur klar zu denken. Überraschend stupste der Bär erst den einen, dann den anderen Korb zärtlich an und brachte somit beide leicht zum schwanken. Das Weinen der Zwillinge begann langsam zu verstummen. Noch einmal schritt das große Tier gemächlich um die Körbe herum, um sich seitlich von ihnen zu Boden zu legen. Dann begann er an seinen Pfoten zu schlecken, wobei er den Korb, der direkt neben ihm stand, nicht aus den Augen ließ. Die Hirschkuh schritt nun ebenfalls zu den Säuglingen und schnupperte an beiden Körbchen. Sie schien sich aber genau wie der Grizzly, mehr für den Korb zu interessieren, der direkt neben dem Bären lag. Der Kriegszauberer nahm all seinen Mut zusammen und ging ganz langsam und vorsichtig auf das vordere Körbchen zu. Aus der Ferne war noch immer der Lärm eines Kampfes zu vernehmen, der die Tiere allerdings nicht im Geringsten zu stören schien. Am vorderen Körbchen angekommen, bückte sich Vitras und nahm den Säugling vorsichtig heraus. Am Deckchen erkannte er sofort, dass er das Mädchen im Arm hielt. Als er einen weiteren Schritt auf das andere Körbchen zugehen wollte, erhob sich der Grizzly und baute sich wieder in seiner vollen Größe auf. Dabei schlug er mit seiner linken Pranke einmal in die Luft. Hätte er die rechte Pranke gewählt, hätte er den Kriegszauberer mit voller Wucht am Kopf erwischt. Auch die Hirschkuh begann nervös hin und her zu tänzeln wobei sie aufgeregt zu schnauben begann. Es war ganz offensichtlich, dass die Tiere es ihm nicht gestatteten, auch den Jungen zu nehmen. Ganz langsam schritt Vitras rückwärts, bis er wieder bei Elze angelangt war. Ein rascheln, das aus dem Dickicht links von ihnen kam und immer lauter wurde, ließ alle drei in diese Richtung gucken. Vitras drückte das Mädchen fest an sich und ihm stockte der Atem, als ein Rudel Wölfe aus dem Unterholz hervorkam und sich zwischen ihnen und den anderen Tieren platzierte. Der Kriegszauberer bemerkte nur am Rande, dass der Lärm des nicht weit entfernten Kampfes allmählich abklang. Was auch immer dort vorging, die Auseinandersetzung zwischen den Gesandten und ihren ihm unbekannten Gegnern, schien zu seinem Ende zu gelangen.

Überraschenderweise, fand Elze als erste ihre Stimme wieder:

„Geht Meister Vitras!“ Forderte sie ihn auf: „Bringt das Mädchen und unseren kleinen Schatten in Sicherheit. Ich werde bei dem Jungen bleiben.“

Vitras schaute sie mit einem entgeisterten Blick an, als ob sie den Verstand verloren hätte.

„Ich habe in den vergangenen Tagen so viel erlebt, gesehen und gehört...“ Begann Elze ihm zu erklären: „... dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass es das Schicksal des Jungen sein soll, hier zu sterben. Ganz gleich wer den Kampf dort hinten auch immer gewonnen haben mag.“

Vitras dachte über ihre Worte nach und blickte dabei auf die seltsame Meute von Waldtieren, die sich hier versammelt hatte. Es war inzwischen davon überzeugt, dass sie dem Säugling nichts antun wollten, ihn sogar beschützten. Es war jedoch auch offensichtlich das sie ihm nicht erlauben würden, den Jungen ebenfalls mit sich zu nehmen. Den Kriegszauberer beschlich das Gefühl das die Götter selbst, hier ihre Hände im Spiel hatten. Er blickte wieder zu Elze, die zu allem entschlossen schien und ihn gespannt anstarrte.

„Also gut!“ Brummte er. Einer Intuition folgend, entschied er sich erneut gegen den Willen der Götter zu handeln und bat Elze, das Mädchen kurz zu halten. Zärtlich nahm die Dienerin die Kleine in die Arme und blickte den Kriegszauberer fragend an. Vitras nahm das Geschirr mit den Schwertern von seinen Rücken und betrachtete noch einmal die prächtigen Waffen. Dann löste er das Schwert mit den Smaragden samt Scheide von der Bindung. Mirna wollte dass ihr Enkel beide Schwerter bekommen sollte, sobald er das entsprechende Alter erreicht. In diesem Moment aber entschied Vitras, dass jedes ihrer Enkelkinder eines der Zwillingsschwerter bekommen sollte. Somit würde es etwas weiteres geben, das sie miteinander verband. Er nahm das Mädchen wieder aus Elzes Armen und reichte ihr das Schwert. Fragend und verwundert zugleich blickte sie abwechselnd von der prunkvollen Waffe zu Vitras.

„Was auch immer geschieht Elze. Versprich mir, das Schwert dem Jungen zu geben, sobald er soweit ist, mit dieser mächtigen Waffe umzugehen.“

„Wann wird er soweit sein?“

„Wenn der Zeitpunkt gekommen ist,“ antwortete ihr Vitras: „wirst du es erkennen!“

Dann beugte er sich zu ihr herunter und drückte der älteren Frau einen Kuss auf die Stirn. Elze lächelte ihn an und schritt mit dem Schwert in der Hand an ihm vorbei. Vitras blickte ihr hinterher, als sie auf die Tiere zuging. Sie hatte eine panische Angst, jeden Moment von den Tieren zerrissen zu werden. Doch das Rudel Wölfe machte ihr Platz und ließ sie zu dem Jungen gehen, der in seinem Bastkörbchen schlief. Elze kniete sich nieder, lehnte das Schwert an den Baum und nahm den Säugling vorsichtig aus den Korb. Der Bär gähnte nur gelangweilt, während die Hirschkuh Vitras giftig anblickte.

„Oh, ihr Götter!“, murmelte der Kriegszauberer und legte seinen freien Arm um die Schultern des kleinen Diebes und verließ die Lichtung. Filou passte die Vorstellung gar nicht, mit Elze hier bei diesen merkwürdigen Artgenossen zu bleiben. Er krabbelte aus ihren Jutebeutel, gab der Dienerin einen Stups mit seiner Nase und flitzte flink wie ein Teufel an den Wölfen vorbei, seinem Herrn hinterher. Das Rudel würdigte den Nager jedoch keines Blickes.

***

Zara schritt mit ihrem blutigen Schwert die Lichtung ab. Sie hatten drei Schwestern verloren, für einen absolut sinnlosen Kampf. Außer Zara hatte nur Firsa den Kampf überlebt. Die rothaarige Amazone blutete aus mehreren Wunden, während Firsa mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Schwertarm abtastete. Gemeinsam schleppten sie ihre toten Stammesschwestern zu einem nahen stehenden Buche und bedeckten ihre Leichen mit Ästen und Gestrüpp. Zara schwor sich ihre toten Schwestern später zu bergen, um sie anschließend würdevoll als Kriegerinnen bestatten zu können. Zara bemerkte schnell, das Firsa auch eine schwere Wunde am Bein davongetragen hatte und wollte ihr helfen. Doch das ließ der Stolz der Amazone nicht zu. So schickten sie sich an, so schnell wie möglich zu ihrem Dorf zurückzukehren und hielten dabei genau auf die kleine Waldwiese zu, auf der Elze sich befand. Als die beiden Kriegerinnen den Ort erreichten, stockte ihnen der Atem:

„Bei den Göttern!“ Stammelte Zara, wohingegen Firsa überhaupt keinen Ton hervorbrachte. Das Rudel Wölfe blickte die beiden Neuankömmlinge gespannt an. Zaras Blick war zunächst auf die ältere Frau gerichtet, die einen Säugling in den Armen hielt und neben der ein Schwert am Baum lehnte, wie sie es noch nie gesehen hatte. Ein gewaltiger Grizzly lag neben den beiden und schaute zu, wie eine Hirschkuh den Baby Korb mit den verschiedensten Gräsern auslegte. Dann wanderten ihre Augen wieder zu den Wölfen, die anscheinend nur gelangweilt herumlungerten. Zara bedeutete Firsa, sich keinesfalls hastig zu bewegen und deutete dabei auf einen Leichnam mit zertrümmertem Schädel. Als ob dieser Anblick noch nicht genug war, sollte die nächste Überraschung für die beiden Amazonen noch kommen. Mit einem lauten knistern und knacken lichtete sich das Gebüsch direkt neben dem Baum, vor dem Elze saß. Eine schneeweiße Wölfin mit glutroten Augen trat aus dem Gebüsch hervor. Das Tier war gewaltig und seine Ausmaße hatten nichts mit denen eines normalen Wolfes zu tun. Firsa missachtete die Schmerzen in ihrem Bein und warf sich augenblicklich zu Boden. Ein schneeweißer Wolf mit roten Augen, war seit jeher das Totem ihres Stammes. Wie auf Kommando, erhob sich der Bär beim Erscheinen der Wölfin und marschierte gelangweilt durchs Unterholz bis er aus ihrem Blick verschwand. Auch das Rudel Wölfe und die Hirschkuh trotteten in verschiedene Richtungen davon. Die weiße Wölfin hingegen ging auf Elze zu und schnupperte am Säugling. Elze blieb ruhig und gelassen. Die Dienerin war mittlerweile schon überhaupt nicht mehr aus der Fassung zu bringen. Als ob sie ihrer Freude Ausdruck verleihen wollte, schleckte die Wölfin der alten Frau einmal quer durchs Gesicht und bewegte ihre Rute hin und her. Dann drehte sich das Tier um und ging auf die beiden Amazonen zu. Firsa die sich wiederaufgerichtet hatte, wurde leichenblass. Das Tier setzte sich direkt vor den Kriegerinnen hin und fixierte sie mit ihren roten Augen. Zara kam es vor, als würde die Wölfin auf irgendetwas warten. Die rothaarige Amazone schritt vorsichtig zu der Frau mit dem Säugling und kniete sich vor ihr hin, bevor sie sie ansprach:

„Wer seid ihr?“

„Ich bin Elze!“ Antwortete die Frau und sah die Kriegerin mit ihrem freundlichen, warmherzigen Lächeln an.

„Seid, seid ihr die Mutter?“

„Wo denkt ihr hin, ich bin seine Hebamme und habe geschworen den Jungen zu beschützen.“

„Und dieses Schwert?“ Hakte Zara nach, wobei sie auf die prächtige Waffe zeigte.

„Das Schwert gehört ihm!“ Antwortete Elze und zeigte dabei auf den Kleinen den sie im Arm hielt.

„Was hat das mit all den Tieren auf sich?“ Bohrte Zara weiter nach: „Seid ihr eine Göttin?“

Bei der Frage musste Elze urplötzlich lachen. Die ganze Anspannung der letzten Tage, fiel mit einem Mal von ihr herab:

„Ich eine Göttin!“ lachte sie: „Nein, ganz bestimmt nicht. Aber was den Kleinen hier anbelangt, da bin ich mir nicht so ganz sicher.“ Dabei drückte sie den Jungen fest an sich und schaute ihm verträumt ins kleine Gesicht.

Zara erhob sich wieder und gab sich größte Mühe, alles erst einmal zu verarbeiten. Die Wölfin näherte sich den beiden und setzte sich nun neben Elze.

„Ihr könnt unmöglich mit einem Säugling alleine hier im Wald bleiben.“ Stellte Zara unmissverständlich klar: „In unserem Dorf wird man euch Schutz gewähren. Kommt mit uns!“

Nun erhob sich Elze ebenfalls und blickte Zara dankbar an, als sie die schwere Beinverletzung der anderen Amazonenkriegerin wahrnahm. Behutsam legte sie den Jungen in sein Körbchen und ging auf sie zu. Sofort stand die Wölfin auf und legte sich unmittelbar neben den Jungen. Der Blick der Wölfin, ließ bei den beiden Kriegerinnen keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie den Jungen mit ihrem Leben beschützen würde. Elze bat Firsa sich auf einen großen Stein zu setzen und kramte in ihrem Jutebeutel herum. Anschließend säuberte sie die Wunden der Frau, so gut es eben ging, und trug eine schmierige schwarze Paste auf. Nachdem sie Firsa mit Stofffetzen verbunden hatte, die sie sich zuvor aus ihrem Dienstbotenkleid riss, kümmerte sie sich auch um Zaras Verletzungen.

Als die drei Frauen mit dem Marsch zum Dorf der Amazonen beginnen wollten, bat Elze die rothaarige Amazone, das Schwert für sie zu tragen, damit sie beide Hände für den Jungen frei hatte. Zara nahm das Schwert, das noch immer am Baum lehnte an sich und betrachtete es voller Ehrfurcht. Es war eine Klinge, die eines Königs würdig gewesen wäre. Die smaragdgrünen Augen des Kunstvollen Löwenkopfes schienen sie spöttisch anzublicken. Die Amazone zog das Schwert ein Stück aus der Scheide hervor und erkannte sofort, dass die Klinge aus einem ganz besonderen Stahl bestand.

„Zwei von diesen Schwertern in den richtigen Händen,“ meinte sie: „Und man könnte es mit der gesamten Darkanischen Armee aufnehmen:“

„Wenn ihr wüsstet,“ brachte Elze trocken hervor: „Wenn ihr wüsstet!“

Als die drei Frauen losmarschierten, schloss sich ihnen die weiße Wölfin sofort an und ging neben Elze her. Als sich ihre Blicke für einen kurzen Moment trafen, war sich Elze absolut sicher, dass die Wölfin für den Jungen durch das Feuer gehen würde.

Andran und Sanara

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