Читать книгу Andran und Sanara - Sven Gradert - Страница 7
1.4. Geschenke
ОглавлениеDer Anblick der Göttin der Gerechtigkeit war atemberaubend. Ihr langes goldblondes Haar fiel ihr lose über die nackten Schultern und wurde nur durch ein silbernes Band gebändigt, während ihr Gesicht seitlich von lockigen blonden Strähnen eingerahmt war. Die dunklen braunen Augen der Göttin, liebte Vitras ganz besonders. In ihnen konnte er sich endgültig verlieren und alles um sich herum vergessen. Ihre makellose, fast Elfenbein weiße Haut unterstrichen ihre formvollendeten rosigen Lippen. Ein langes weißes Kleid, durchwoben mit goldenen Symbolen in der Sprache der Götter, betonte ihren traumhaften Körper. Das Kleid wurde von zwei hauchdünnen goldenen Schulterträgern gehalten, die mit leuchtend grünen Smaragden befestigt waren. Um ihre Hüfte schlang sich ein breiter weißer Gürtel, der mit diesen grünen Edelsteinen nur so übersät war. Neckisch blickte sie auf Vitras, der vor ihr kniete, herab:
„Wie immer befindest du dich in einem äußerst erbärmlichen Zustand, wenn wir uns begegnen mein Lieber. Bist du dir sicher, dass du einen Kriegszauberer darstellst? Oder steckt hier Absicht dahinter!“
Betreten blickte Vitras an sich herab. Seine zerrissene und größtenteils vom Blut durchtränkte Kleidung, der Schmutz und Dreck des vorangegangenen Kampfes, sowie sein zerzauster Bart – er musste wahrlich einen traurigen Anblick abgeben. Ein urplötzlich auftauchender Lärm, das Bersten von Holz sowie das zersplittern von Glas, ließ Vitras hochschnellen und herumwirbeln. Das Fehlen der zerstörten Seitenwand ließ die Dachkonstruktion seiner Hütte herunter sacken, worauf sein Heim endgültig in sich zusammenbrach. Mirna begann vornehm zu klatschen:
„Wahrlich ein Palast. Ein Bauwerk eines Kriegszauberers würdig. Du verstehst es wie kein zweiter, eine Frau zu beeindrucken.“
Ihr Klatschen verärgerte Vitras. Dies war nun schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass ihn ein Gott auf diese Art der Lächerlichkeit preisgab. Doch schnell schluckte er den Ärger wieder herunter, als er Filou bemerkte. Überglücklich sah Vitras das Frettchen aus den Trümmern hüpfen. Verwirrt blickte der Nager sich um, bis er seinen Herrn sah. Pfeilschnell rannte Filou zu dem Kriegszauberer und blieb kurz vor ihm stehen. Misstrauisch beäugte das Tier die Göttin. Sein Instinkt sagte ihm, dass eine seiner üblichen Freudenattacken hier fehl am Platze wäre. So kletterte Filou schnell an Vitras hoch und machte es sich auf seinen breiten Schultern gemütlich. Dort begann er jedoch sofort ängstlich zu zittern. Die vergangenen Ereignisse hatten das kleine Tier schlichtweg überfordert. Filou hatte lediglich begriffen, dass sein Leben sowie das seines Herrn in Gefahr war. Der furchtsame Blick den er Mirna zuwarf, bewies das er noch lange nicht davon überzeugt war, dass keine Gefahr mehr bestand. Die Göttin spürte seine Furcht sofort. Lächelnd ging sie einen Schritt auf Vitras zu und legte behutsam ihre Hand auf das Köpfchen des Tieres. Von einem Moment zum nächsten war die Angst des Tieres verschwunden. Mirnas Hand begann sachte zu leuchten und eine wohlige Wärme durchströmte den Körper des Tieres. Filou überkam das angenehmste Gefühl, dass er je in seinem bisher kurzen Leben erfuhr. Er fühlte sich nun absolut sicher. Dankbar, wie es nur ein Tier vermag, blickte er die Göttin an. Eine Freudenattacke erschien ihm jedoch immer noch als unangemessen.
„Du hast ihm die Angst genommen.“ Flüsterte Vitras beinahe voller Ehrfurcht.
„Nicht nur das,“ erwiderte sie: „Ich habe dem kleinen ein wenig göttlicher Energie gegeben!“
Vitras warf ihr einen Blick zu, so dass sie nicht anders konnte als belustigt zu lachen: „Er wird ein langes Leben haben mein Lieber... ein sehr langes!“ Nachdenklich blickte sie dem Kriegszauberer tief in die Augen:
„Ich habe dich immer dafür bewundert und geachtet, wie du es verstehst mit Tieren umzugehen. Wie du dich in sie hineinversetzt und behandelst. Dir gleichgestellt und nicht wie niedere Geschöpfe, wie es die meisten Menschen tun. Eine Gabe, die unsere Tochter von dir geerbt hat.“
Vitras biss sich vor Wut auf die Unterlippe. Mirna wusste genau wie er sich fühlte, wenn sie ihre gemeinsame Tochter erwähnte. Daher kam sie seiner Antwort zuvor:
„Du weißt, dass ich Astorius' Entscheidung zu keiner Zeit für gutgeheißen habe. Das du Morna niemals kennen lernen durftest war ein grausames Urteil. Ich musste schwören unsere Tochter von dir fernzuhalten. Astorius und die anderen Götter wussten wie sehr mich das schmerzen würde. Sie wollten uns beide für unsere Liebe zueinander bestrafen.“
„Du konntest sie wenigstens aufwachsen sehen.“ Stellte Vitras nüchtern fest: „Nur dass ihr sie von mir ferngehalten habt, hat ja nicht ausgereicht. Ihr musstet sie auch noch in den Schwarzen Wald verbannen.“ Die Stimme des Kriegszauberers bekam einen wütenden Unterton. Die Göttin verspürte jedoch keinerlei Zorn, dass er es als Sterblicher wagte, so mit ihr zu reden. Sie verstand ihn besser als er je erahnen würde:
„Du musst endlich begreifen, dass wir Götter unseren eigenen Regeln und Gesetzen unterworfen sind. Dass wir ein Kind gezeugt haben, hat für einen regelrechten Aufruhr im Singarium gesorgt. Astorius wollte unbedingt verhindern, dass Morna als Trägerin göttlichen Blutes, sich ebenfalls in einen Sterblichen verliebt. Daher wurde ihre Macht erdgebunden. Nur im Schwarzen Wald, oder den Wald der Götter wie wir ihn nennen, greift ihre göttliche Macht. Das kannst du nicht mit einer Verbannung oder dem Kerker vergleichen. Es konnte sich nur keiner von uns vorstellen, dass sie den schützenden Hain tatsächlich verlassen würde.“
Plötzlich musste Vitras laut auflachen:
„Na da hat die Kleine euch allen ja einen schönen Strich durch die Rechnung gezogen, und so ganz nebenbei den Beginn einer uralten Prophezeiung losgetreten. Sofern die Geburt der Zwillinge und nicht das Erwachen des Dämons den Beginn darstellt. Irgendwie bin ich stolz auf sie!“
Die Göttin der Gerechtigkeit bedachte ihn mit einem strafenden Blick:
„Unsere Tochter hat sich durch ihr Verhalten in tödliche Gefahr begeben. Hat Tantras dir das nicht verständlich gemacht? Auch die Zwillinge, unsere Enkelkinder schweben in diesem Augenblick in Lebensgefahr.“
Vitras Gesichtszüge veränderten sich, und er schien leichenblass zu werden:
„Davon hat Tantras kein Wort gesagt.“
Mirna ballte ihre Hände zu Fäusten, winkelte die Arme an und starrte zornesbebend zum Himmel empor, bevor sie sich wieder dem Kriegszauberer zu wandte:
„Hör mir gut zu mein Lieber. In diesem Augenblick befindet sich unsere Tochter in einem Verließ, tief unterhalb des Palastes des Darkanischen Herrschers. Harun Ar Sabah hat längst seine Häscher nach Darkan entsandt, um der Zwillinge habhaft zu werden.“
„Der Herrscher hat Morna ins Verließ geworfen?“ Fragte Vitras ungläubig nach: „Der Vater kerkert die Mutter ein?“ Vitras war schon so einiges über Godvere Garien zu Ohren gekommen, doch das überstieg seine schlimmsten Befürchtungen gegenüber diesem Mann.
„Hat Tantras dir wenigstens erklärt, dass Astorius uns verboten hat...“
Verärgert winkte Vitras ab: „Das hat er - allerdings. Daher wundert es mich, dass ihr beide vor mir erscheint.“
„Aus Angst vor einem erneuten Krieg mit den Heerscharen der Dämonen, hat Astorius uns allen zwar verboten sich in diesen Konflikt einzumischen...“ Mirnas Gesicht bekam mit einem mal wieder diesen schelmischen Ausdruck: „Er hat es jedoch nicht verboten, dass du dich einmischst. Da er kein Interesse daran hat, dass der Dämon die Welt ins Chaos stürzt, hat er mit Sicherheit auch nichts dagegen, wenn wir dich... sagen wir einmal ein wenig unterstützen.“
„Hat er nicht?“
Nun zogen sich Mirnas Mundwinkel sogar leicht nach oben und sie musste lächeln:
„Hat er nicht! Tantras davon zu überzeugen, hat jedoch etwas länger gedauert als bei dir.“
„Das Denken scheint ja eh nicht die größte Stärke deines Bruders zu sein.“ Bemerkte Vitras säuerlich, während er seine Arme abtastete, die Dank Mirna wieder vollkommen genesen waren. Ein weit entferntes Donnergrollen ließ den Kriegszauberer vermuten, dass der Kriegsgott ihr Gespräch verfolgte.
„Stimmt es...“ fragte Vitras hoffnungsvoll: „Das der Dämon noch mindestens zwanzig Jahre, wenn nicht länger braucht, um die Welt der Lebenden zu betreten?“
„Das ist richtig,“ antwortete ihm die Göttin: „Doch bis es soweit ist, hat er Harun Ar Sabah mit einer ungeheuren Machtfülle ausgestattet. Sicherlich, er ist nur ein Helfers Helfer, bis ES ihn nicht mehr braucht. Trotzdem geht von ihm im Augenblick die größte Gefahr für unsere Enkel aus.“
„Aber die Beiden werden ES besiegen?“
„Wenn sie nicht vorher getötet werden – ja! Und immer vorausgesetzt, dass sie zusammenhalten.“
„Die Zwei die Eins sind!“ Murmelte Vitras monoton einen Teil der Prophezeiung vor sich hin. Die Göttin wurde ausgesprochen ernst:
„Hör mir gut zu! Es gibt einiges das du über die Zwillinge wissen solltest. Unsere Enkel besitzen keinerlei Göttliche Fähigkeiten wie Morna. Unsere Enkeltochter ist jedoch mit gewaltigen Magischen Kräften gesegnet. Die göttliche Quelle, die jedem Zauberer innewohnt, die ihm oder ihr die Kraft der Magie verleiht, ist bei ihr dermaßen mächtig, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Ihre Fähigkeiten werden sogar deine eines Tages bei weitem übersteigen. Doch sie wird einen Lehrer brauchen, und ich kann mir wirklich niemanden vorstellen, der dazu besser geeignet wäre, als ihr Großvater.“
„Und der Junge?“ Hakte Vitras nach.
„Mit ihm verhält es sich sehr eigenartig. Seine Fähigkeiten sind uns Göttern noch verschlossen. Selbst die Orakel der Großen Himmelsspitze waren nicht in der Lage, uns auch nur irgendetwas über ihn mitzuteilen.“
Vitras runzelte mit der Stirn und schaute sie überrascht an. Als ob er an ihren Worten zweifeln würde: „In der Prophezeiung, steht dass beide Kinder über gewaltige Kräfte verfügen.“
Mirna zuckte ratlos mit ihren Schultern: „Der Junge wird bestimmt ein großes Potenzial aufweisen. Nur es muss nicht zwangsläufig mit Magie zu tun haben. Wir wissen es einfach nicht Vitras.“
„Fakt ist, dass die beiden zusammenhalten müssen,“ merkte Vitras noch einmal an:
„Ich nehme daher an, dass sich die Fähigkeiten der beiden irgendwie ergänzen werden.“
„Was auch immer geschehen wird,“ erklärte Mirna in einem Tonfall der absolut keinen Widerspruch duldete: „Das Wichtigste besteht zunächst darin, dass du die Zwillinge zu dir holst und vor Schaden bewahrst. Bei dieser Gelegenheit solltest du alles daransetzen, unsere Tochter zu retten. Aber, so sehr es mich auch schmerzt das folgende überhaupt nur auszusprechen... unsere Enkelkinder sind wichtiger. Wenn ihnen etwas geschieht, wird das große Übel eines Tages triumphieren.“
„Damit meinst du ES!“
„Richtig!“ antwortete sie ihm und fügte erklärend hinzu: „Wir weigern uns seinen Namen auszusprechen und unter die Menschen zu tragen. Je mehr ihn beim Namen nennen, ihn eines Tages vielleicht sogar anbeten... desto größer wird seine Macht!“
Vitras sah an sich herab und blickte dann zu seiner Hütte. Sie war dermaßen zerstört, dass er es sich nicht vorstellen konnte, noch etwas sinnvolles an Ausrüstung retten zu können. Sogar die beiden Pferde, die er immer auf der Lichtung grasen ließ, waren verschwunden. Die Göttin ahnte, was ihm gerade durch den Kopf ging und wandte sich zum Pfad, der von der Lichtung in den Wald führte. Dann begann sie eine Melodie zu summen, wie sie Vitras sich nicht schöner vorstellen konnte. Ganz sachte ging das Summen in ein Pfeifen über. Gespannt lauschte der Kriegszauberer den Lauten und blickte ebenfalls den Pfad hinab. Selbst Filou hob sein Köpfchen und schien wie hypnotisiert. Im nächsten Augenblick brachte Vitras vor Staunen kein Wort mehr hervor. In vollem Galopp erschien ein prächtiges Pferd, das dem Pfad folgend auf ihn und die Göttin zuhielt. In seinem ganzen Leben, hatte Vitras kein edleres, schöneres Pferd zu Gesicht bekommen. Ein ganzes Stück vor ihnen wurde das Tier langsamer, verfiel in einen leichten Trab, bis es vor Mirna und Vitras stehenblieb. Die Stute war, genau wie Mirnas Kleid, schneeweiß und warf aufgeregt den Kopf hin und her, so dass die prachtvolle Mähne durch die Luft wirbelte. Vorsichtig, aus Angst das Tier zu verschrecken, ging Vitras auf das Pferd zu und streichelte es über den muskulösen Nacken.
„Wie ist ihr Name?“ Fragte er Mirna voller Ehrfurcht.
„Sie hat noch keinen Namen!“ Antwortete sie ihm: „Aber ich glaube, sie würde sich sehr darüber freuen, wenn du ihr einen gibst.“
Vitras starrte die Göttin mit großen Augen an.
„Sie wird dich schnell wie der Wind nach Darkan tragen,“ Fuhr sie fort: „Sie wird dir eine treue Freundin sein, die dich niemals im Stich lässt.“ Zärtlich strich die Göttin nun ebenfalls mit ihrer Hand über den Nacken des Pferdes. Im nächsten Moment ließ sie jedoch vom Pferd ab und schaute angestrengt in alle Richtungen. Ihre Stimme bekam unerwartet einen zornigen Unterton.
„Verdammt noch eins wo bleibt er denn. Das ist wahrlich nicht der richtige Augenblick für seine närrischen Spielereien!“
Der Kriegszauberer blickte erstaunt zu ihr herüber. Auch wenn es dezent klang, er hatte Mirna noch nie fluchen gehört. Gerade als er zur Frage ansetzen wollte, begannen die Bäume wild zu rauschen, obwohl kein Windhauch zu spüren war. Unweit der beiden entstand ein spiralförmiger Wirbel, der Grashalme, kleinere Steine und Äste mit sich riss. Für einen kurzen Moment begann der Wirbel rötlich zu glühen, um im nächsten Augenblick komplett zu verschwinden. Wo sich eben noch der Wirbel befand, stand Tantras, der Gott des Krieges. Er hielt einen länglichen Leinenpacken in der einen, sein gewaltiges Schwert in der anderen Hand. Er sah mitgenommen aus, als ob er einen schweren Kampf hinter sich hatte. Wenn es jemanden gab, der dem Gott des Krieges so zusetzen konnte, wollte Vitras demjenigen wahrlich nicht über den Weg laufen. Anstatt des langen schwarzen Umhangs trug Tantras seine dicke schwarze, mit Nieten und Metallplatten übersäte Lederrüstung, die an etlichen Stellen aufgerissen war. Von den beiden schweren Armschienen, wickelte sich die rechte nur noch in Fetzen um seinen Arm. Die langen leicht gelockten, schwarzen Haare hingen teils wirr an ihm herab. Von seinem Schwert tropfte zähes dunkelrotes, fast schwarz schimmerndes Blut. Wütend funkelte er seine Schwester und den Kriegszauberer an:
„Du wusstest es!“ brüllte er Mirna an: „Du hast es doch ganz genau gewusst!“ Die prächtige weiße Stute kümmerte sich nicht im Geringsten um den Wutausbruch des Gottes und selbst Filou nahm das ganze Auftreten äußerst gelassen hin. Mirnas Berührung, hatte bei dem Nager wohl nicht nur für ein langes Leben gesorgt, ging es Vitras durch den Kopf.
„Tantras!“ Äffte der Kriegsgott seine Schwester bis zur Lächerlichkeit nach: „Tantras du musst mir helfen. Die Zukunft der Götter steht auf dem Spiel!“ Wütend spuckte Tantras auf den Boden: „Und dann verlangst du von mir ins große Sanktrum hinabzusteigen, um die Wächter der Dunkelheit zu bestehlen. Hast du eigentlich schon mal eines der Viecher gesehen, die sie beschützen!“
Die Doronen ging es Vitras durch den Kopf. Dämonische Wesen, die selbst den Göttern gefährlich werden konnten. Angeblich beschützten hunderte von ihnen die Wächter der Dunkelheit.
Mit einer Eleganz, wie es wohl nur eine Göttin fertigbrachte, überging Mirna den Wutausbruch ihres Bruders: „Hast du mitgebracht, worum ich dich gebeten habe?“
Aufgebracht warf der Gott des Krieges den länglichen Packen Vitras vor die Füße.
„Wir sind noch nicht fertig miteinander Kriegszauberer, wir sind noch lange nicht fertig miteinander. Wenn diese Geschichte erst einmal ausgestanden ist...“
„Ja, ja, ja... und wenn und Aber und irgendwann.“ unterbrach Mirna den Kriegsgott unwirsch. „Du darfst jetzt gehen Bruder!“
Tantras riss wutentbrannt die Augen auf. Für einen kurzen Moment glaubte er sich verhört zu haben.
„Ist dir eigentlich bewusst,“ dabei zeigte er auf Vitras: „Was er damit anrichten kann?“
„Ich bin dir sehr dankbar Bruder, aber ich möchte dich bitten, jetzt zu gehen.“ Dabei zeigte sie auf das bläuliche Blut, das überall an seinem Körper klebte. „Du stinkst fürchterlich!“
Für einen kurzen Augenblick befürchtete Vitras gleich Zeuge einer Auseinandersetzung zu werden, die er nicht überleben würde. Stattdessen blickte Tantras seine Schwester an, als hätte sie den Verstand verloren. Urplötzlich entstand ein erneuter Wirbel, der von Beginn an rötlich leuchtete. Von einem Moment zum anderen war der Gott des Krieges wieder verschwunden. Es dauerte einen Augenblick bis Vitras seine Sprache wiederfand:
„Du hast ihn in die Unterwelt geschickt, um die Wächter zu bestehlen? Das hätte selbst für einen Gott den Tod bedeuten können.“
Mirna blickte ihn verärgert an: „Wir reden hier von Tantras..., wenn es jemanden gibt der dem gewachsen war - dann er.“
„Und was bei allen Göttern sollte er für dich stehlen?“ Vitras strich mit einer Hand über seinen kahlen Schädel und spürte wie die tätowierten Runen leicht zu pochen begannen. Mirna setzte mit einem Mal wieder ihr strahlendes Lächeln auf. Der Packen, den Tantras zurückließ erhob sich in die Luft und schwebte auf Vitras zu. Direkt vor ihm hielt er in der Bewegung inne. Der Kriegszauberer betrachtete den Packen, der nun vor ihm schwebte, aus einer Mischung von Neugier und angespannter Vorsicht.
„Sieh selbst nach.“ forderte Mirna ihn auf. Vitras konzentrierte sich, und das Leinentuch fing an sich vollständig vom Packen abzuwickeln, bis es zu Boden fiel. Vitras musste schlucken und atmete tief durch. Vor ihm schwebten zwei großartige Schwerter, die niemals von Menschenhand geschaffen sein konnten. Auf den ersten Blick, sahen sie absolut identisch aus. Die länglichen goldenen Griffe endeten in der prächtigen Form von Löwenköpfen. Diese waren derart kunstvoll hergestellt, dass man sie beinahe für lebendig halten konnte. Dort, wo sich ihre Augen befanden, waren kostbare Edelsteine eingefasst. Bei dem einen Schwert waren Rubine, bei dem anderen Smaragde in den Löwenkopf eingearbeitet, die als Augen dienten. Das war jedoch der einzige Unterschied, den Vitras erkennen konnte. Die Klingen der Schwerter waren meisterhaft verarbeitet. Sie waren lang und bogen sich von der Mitte an, leicht bis hin zur Schwertspitze. Anstatt einer Parierstange besaßen sie ovale Scheiben, in die etwas in einer Sprache eingraviert war, die Vitras vollkommen unbekannt war. Die Schwerter schienen beide ganz schwach zu leuchten, wobei winzige Blitze zwischen den Waffen hin und her sprangen. Die Schwerter mussten enorm mächtig sein, schoss es Vitras durch den Kopf, erst recht, wenn man bedachte was nötig war um sie zu beschaffen. Mirna beobachtete Vitras, während er die Schwerter betrachtete. Erst als er sie wieder anblickte ergriff sie erneut das Wort.
„Das sind die Zwillingsschwerter von Asylya!“
„Zwillingsschwerter?“
„Passend, nicht wahr?“ Fuhr sie leicht amüsiert fort: „Außer den unterschiedlichen Edelsteinen in den Köpfen, wirst du keinen Unterschied zwischen ihnen finden können. Es heißt jedoch, sie besitzen gewisse Eigenarten, die sehr unterschiedlich sind.“
Mirna nickte leicht mit ihrem Kopf und direkt über den Schwertern tauchten zwei meisterhafte Scheiden auf, an denen ein Geschirr angebracht war, so dass man beide Schwerter auf dem Rücken tragen konnte. Ein weiteres nicken der Göttin brachte die Schwerter in Bewegung, so dass sie in ihre Scheiden fuhren. Nun trat sie auf die Waffen zu und nahm sie in ihre Hände.
„Es heißt, es gibt keinen Stahl den diese Waffen nicht durchtrennen.“ belehrte sie den Kriegszauberer: „Jedes Schwert für sich allein ist eine mächtige Waffe. Wer aber in der Lage ist, beide Schwerter gleichzeitig zu führen, ist vor jeglicher Art von Magie geschützt.“ Bedächtig näherte sie sich Vitras und streckte ihm die Waffen entgegen:
„Ich möchte, dass du die Zwillingsschwerter unserem Enkel übergibst, sobald er alt genug ist, mit diesen Waffen umzugehen. Da er nicht die magischen Fähigkeiten seiner Schwester besitzt, soll dies mein Geschenk für ihn sein. Wenn es eines Tages zum Kampf gegen ES kommt, werden die Schwerter ihn vor der Magie des Dämons schützen.“ Voller Ehrfurcht nahm Vitras die Waffen entgegen.
„Außerdem,“ fuhr die Göttin fort: „Werden dir die Schwerter mit Sicherheit ebenso gute Dienste leisten, bis du sie ihm eines Tages überreichen kannst. Auf jeden Fall bessere als dein lächerlicher Stab.“
„Lächerlich?“ Brummte Vitras ungehalten.
Mirna überging seinen unwirschen Einwand und brachte ihn stattdessen mit einem Wink dazu, seinen Blick wieder auf das Pferd zu richten. Es war urplötzlich gesattelt und blickte neugierig zu ihnen herüber. Mirna ging zum Pferd und strich mit ihrer rechten Hand über die linke Satteltasche:
„Bevor du dich auf den Weg nach Darkan machst, um die Kinder zu retten, solltest du dich entsprechend kleiden.“ Dabei strafte sie ihn mit einem beinahe abfälligen Blick:
„Bei deinem jetzigen Aussehen, lässt man dich in Darkan nicht einmal die Pferdeställe ausmisten, wenn man dich überhaupt durch die Stadttore lässt.“
Vitras nahm die Schwerter und verstaute sie zunächst in der Sattelpacktasche als ihm ein Gedanke kam.
„Mir ist ein Name für das Pferd eingefallen, von dem ich denke, dass er dich erfreuen wird!“
Da eine Antwort ausblieb, drehte er sich um. Doch Mirna war verschwunden. Der Kriegszauberer blickte in alle Richtungen, wobei er um das Pferd herumging. Dann schüttelte er leicht seinen Kopf:
„Sie liebt noch immer die großen Abschiede,“ murmelte er leise: „Genau wie vor zwanzig Jahren!“
Dann wandte er sich wieder der prächtigen Stute zu und strich ihr zärtlich über die Nüstern:
„Hallo Audris!“ Flüsterte er dem stolzen Tier ins Ohr. Ein freudiges Scharren mit den Vorderhufen verriet ihm, das Audris mit dem Namen der Göttin der Jagd und Mirnas Schwester einverstanden war. Als nächstes überprüfte Vitras den Inhalt der Satteltaschen. Er zog ein Päckchen hervor und wickelte vorsichtig den hauchdünnen Stoff vom Inhalt. Beinahe blieb ihm das Herz stehen und plötzlich verstand er den tieferen Sinn der neckischen Bemerkungen Mirnas, bezüglich seines Aussehens. Er hielt ein kostbares schwarzes Gewand der Kriegszauberer von Kushtur in seinen Händen. Die Robe war an den Ärmeln, sowie auf der rechten Brustseite, mit feinen goldenen und roten Runen versehen, die den Träger als mächtigsten Kriegszauberer auswiesen. Es war die gleiche Robe, die ihm damals in der großen Halle überreicht wurde und die er trug, als er Mirna das erste Mal begegnete. Vitras packte die Robe zunächst wieder in die Tasche, als ihm ein wesentlich kleineres Päckchen auffiel. Er nahm es und wickelte auch dieses aus, dessen Inhalt sich in einer Schachtel befand. Mirna hatte an alles gedacht! In der Schachtel befand sich sein ledernes Stirnband, in dessen Mitte, ein kraftvoller magischer Rubin eingearbeitet war. Aus diesem Stein konnte er magische Kraft ziehen, wenn die ihm innewohnende magische Quelle so erschöpft war, dass sie sich erst wieder regenerieren musste. Der Kriegszauberer dachte seinen persönlichen Magiestein, seit Jahren als verloren. Er legte das Stirnband mit dem Stein zurück in die Schachtel und verstaute auch diese zunächst wieder in der Satteltasche. Dann machte er sich daran, Filou sein Reiseplätzchen in der anderen Tasche zu bereiten. Freudig kletterte das Frettchen in die Tasche als Vitras damit fertig war. Filou liebte diese Art zu reisen.
Nachdem der Kriegszauberer sich davon überzeugt hatte, dass in den traurigen Überresten seiner Hütte tatsächlich nichts brauchbares mehr vorzufinden war, ließ er ein letztes Mal seinen Blick über die Lichtung schweifen. Viele Jahre, war dieser friedliche Ort zu seiner zweiten Heimat geworden. Vitras blickte hoch zu den Wipfeln der Schwarzerlen, hinter denen Harun Ar Sabah verschwand. Es ging ihm durch den Kopf, welche furchtbare Macht dem großen Übel schon jetzt innewohnte. Zu was ES fähig sein mochte, sobald er soweit wäre die Welt der Lebenden zu betreten, ließ Vitras erschauern.
Der Kriegszauberer stieg in den Sattel und klopfte Audris noch einmal zärtlich den Nacken:
„Nun denn meine Schöne, dann lass uns mal sehen wozu wir zwei in der Lage sind.“
Audris antwortete ihm mit einem lauten, freudigen wiehern. Vitras drückte mit seinen Beinen sachte gegen die Flanken des Tieres und Audris verstand sofort. Pfeilschnell schoss es den Pfad hinunter. Von den Doronischen Wäldern bis zur Hauptstadt des Darkanischen Reiches, benötigte man normalerweise mehrere Wochen. Doch Audris war kein normales Pferd. Hindernisse, schien die Stute überhaupt nicht wahrzunehmen. Das Pferd sprang mit einer Leichtigkeit, über umgestürzte Bäume, kleinere Flüsse oder sonstigen Barrieren. Viel schneller als erwartet, erreichten sie die ersten besser ausgebauten Handelsstraßen. Im halsbrecherischen Tempo galoppierte die Stute weiter. Als ob sie auf diesem Untergrund erst recht in ihrem Element war. Vitras war plötzlich äußerst zuversichtlich, dass sie ihr Ziel weitaus früher erreichen würden, als er es zu Beginn noch für möglich gehalten hätte.