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1.5. Godvere Garien

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Der Thronsaal der Darkanischen Herrscher, war eine reine Zurschaustellung purer Macht, was in erster Linie dazu dienen sollte, Gesandten anderer Nationen und Königreichen, die pure Überlegenheit des Darkanischen Reiches vor Augen zu führen. Der gewaltige Saal war ganz bewusst äußerst düster gehalten und vermittelte somit jedem Besucher ein beklemmendes Gefühl. Vier Reihen von Säulen, aus schwarzem Tygischem Marmor, bildeten eine Phalanx, vom Thron bis hin zur gegenüberliegenden riesigen Doppeltür aus massivem Eichenholz. In den Wänden links und rechts vom Thron, waren mannshohe Nischen eingelassen, in denen jeweils eine Person Platz hatte. Zu jeder Tag und Nachtzeit, waren diese Nischen mit Soldaten der gefürchtetsten Eliteeinheit der Darkanischen Armee besetzt – den Blutwölfen. Jeder dieser Männer hatte einen heiligen Eid auf den Herrscher geschworen. Sie alle waren bereit, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, für Godvere Garien in den Tod zu gehen. Die langen schwarz gefärbten Fellumhänge, sowie ihre aus Wolfsköpfen gefertigten Helme, verliehen ihnen ein finsteres, bedrohliches Aussehen. Über den Nischen, von denen sich auf jeder Längsseite fünfundzwanzig befanden, hingen wie Trophäen die Flaggen der besiegten Königreiche, welche nun dem Darkanischen Reich eingegliedert waren. Der Fußboden des gewaltigen Raumes bestand komplett aus schwarzem Granit. Rund um den gesamten Saal befanden sich zwei Galerien, wobei die oberste selbst bei Empfängen, niemals geöffnet wurde. Auf ihr hielten die besten Armbrustschützen des Reiches ein wachsames Auge auf ihren Herrscher.

Godvere Garien, stieg langsam die marmornen Stufen, die zum höher platzierten Thron führten, hinab. Er trug einen dunkelblauen samtenen Mantel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Ein schwerer schwarzer, aber schlichter Gürtel hielt ihn um die Hüften herum verschlossen. An seinem Gürtel hingen sein Schwert sowie mehrere Dolche in ebenfalls einfachen Scheiden. Der Herrscher hielt nichts von überzogenem Prunk. Anstatt einer Krone, trugen die Darkanischen Herrscher eine Goldene Tiara die an der Stirn mit einem Wolfskopf verziert war. Dem Wappensymbol Darkans. Bedrohlich ging er auf den jungen Hauptmann zu, der den Oberbefehl über die Wärter des Kerkerkomplexes innehatte, blieb dann aber am gewaltigen Arbeitstisch, der sich links vom Thron befand stehen. Godvere starrte auf all die Pergamentrollen und endlos scheinenden Stapel von Papieren, die sich auf dem Tisch türmten. Völlig unerwartet schlug er plötzlich mit seiner flachen Hand so kräftig auf den Tisch, dass die umstehenden Schreiber ängstlich zusammenzuckten oder zur Seite sprangen.

„Sie ist verschwunden!“ brüllte der Herrscher den Hauptmann dermaßen wütend an, dass diesem augenblicklich die Schweißperlen von der Stirn liefen.

„Ich... ich!“ Der Hauptmann brachte vor Angst kein weiteres Wort über die Lippen.

„Und...“ Godvere machte eine kurze Pause woraufhin seine Stimme gefährlich leise klang:

„Nur das ich das richtig verstehe. Ein seit über dreihundert Jahren toter Herrscher ist in seiner Zelle wieder zum Leben erwacht und hatte nichts Wichtigeres im Sinn, als diese Hexe aus dem Verlies zu befreien?“

„Die... die Suchmannschaften sind bis in die untersten Bereiche vorgestoßen, Herr. Bis in die Zelle von Dormus dem Schrecklichen.“ Versuchte der Hauptmann sich zu verteidigen: „Dormus hat die Fackeln seiner Zelle entzündet,“ fügte er noch verschwörerisch hinzu. Godvere konnte nicht glauben was er da hörte und verdrehte beinahe fassungslos die Augen:

„Vollidiot!“ Brüllte er mit seiner kräftigen Stimme dermaßen laut, dass die Schreiber erneut zusammenzuckten:

„Habe ich es hier eigentlich nur mit Versagern zu tun?“

Blitzschnell und mit unglaublicher Geschicklichkeit, zog er einen seiner Dolche und warf ihn in Richtung des Hauptmannes, wobei er auf dessen Kehle zielte. Die Waffe fand ihr Ziel wobei der Offizier nur noch in der Lage war, entsetzt die Augen aufzureißen, bevor er tot zu Boden ging.

„Schafft mir diesen Müll aus den Augen!“ Fuhr er zwei Diener an, die sich in unmittelbarer Nähe befanden. Sofort eilte ein halbes Dutzend Bediensteter herbei, um den Leichnam aus der Halle zu schaffen. Andere machten sich sofort daran, das Blut vom Boden zu wischen. Lord Reichel, der sich ebenfalls im Thronsaal befand, freute sich insgeheim diebisch über die neueste Entwicklung der Dinge. Dadurch, dass die Mutter der Zwillinge fliehen konnte, ergaben sich ganz neue Möglichkeiten für ihn.

„Eure Exzellenz,“ begann er mit seiner krächzenden Stimme: „Es kann einfach kein Zufall sein, dass die Hexe, wenn ich sie so nennen darf, so kurz nach der Entführung der Kinder die Flucht ergriffen hat. Auf welche Art und Weise ihr das auch immer gelungen sein mag.“

Godveres Augen blitzten den Minister zornig an, worauf dieser sofort einen Diener machte, zwei Schritte zurückging, um sich sofort wieder zu verbeugen.

„Wollt ihr etwa andeuten, dass ihr ebenfalls an diesen Schwachsinn, an dieses Ammenmärchen von... wie heißt der Kerl noch gleich?“

„Dormus mein Herr. Man nannte ihn nur Dormus den Schrecklichen!“ Dann begann Lord Reichel zu kichern: „Selbstverständlich ist das nur ein Ammenmärchen eure Exzellenz. Aber Fakt ist, dass diese Frau entkommen konnte, das bedeutet, sie musste Helfer haben.“ Reichel wartete einen kurzen Moment ab um zu ermessen wie der Herrscher reagieren würde. Der machte jedoch nur eine Geste, die dem Minister bedeutete weiterzusprechen:

„Da die Mutter eurer Kinder zweifelsohne die Magie zu handhaben weiß und Helfer hat, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie selbst hinter der Entführung steckt. Sie hat euch selbst einst gesagt, dass sie mit den Zwillingen in den Schwarzen Wald zurückkehren will.

Godvere Garien ließ sich die Worte des Ministers durch den Kopf gehen. Er verabscheute diesen Mann, aber er war ein fähiger Politiker und seine Worte ergaben durchaus Sinn.

„Was schlagt ihr also vor Lord Reichel?“

„Wir sollten zunächst die Wärter, die gestern Dienst hatten, erneut befragen. Peinlichst genau befragen. Wir können uns nicht auf die Aussagen von dem da verlassen.“ Dabei zeigte der Minister zu dem toten Hauptmann, der gerade aus dem Saal getragen wurde.

„Gut Reichel, wenn ihr euch davon etwas versprecht. Ich habe das Versagen aller hier, auf ganzer Linie, gründlich satt. Ich beauftrage euch hiermit mit der Untersuchung der Flucht. Am wichtigsten jedoch...“ Drohend ging der Herrscher auf Reichel zu und packte ihn am Kragen:

„Bringt mir meine Kinder zurück, oder ich werde einen neuen Minister benötigen.“

Darauf ließ er ihn los, drehte sich um und schritt wieder zu dem Arbeitstisch mit all den Papieren zurück.

„Selbstverständlich eure Exzellenz! Selbstverständlich.“ Antwortete Reichel während er sich rückwärtsgehend vom Herrscher entfernte, und sich dabei mehrmals verbeugte: „Eine Frage wäre da noch zu klären eure Exzellenz!“

„Die da wäre?“ Fragte Godvere ohne sich zum Minister umzudrehen, während er eine Pergamentrolle, die unterschrieben werden musste, von einem der Schreiber entgegennahm.

„Wie sollen wir mit... mit der Hexe verfahren, sollten wir ihrer habhaft werden?“

„Tötet sie!“ Brachte Godvere monoton hervor. Er musste kurz schlucken, als ihm die Bedeutung seiner Worte klar wurden. Doch sofort gab er sich einen inneren Ruck. Seine Kinder waren ihm wichtiger.

„Wie ihr es wünscht!“ Erwiderte Reichel: „Wie ihr es wünscht!“ Er vollführte erneut zwei schnell hintereinander folgende Verbeugungen und verließ eiligst den Thronsaal.

Die Dinge hätten sich für ihn nicht besser entwickeln können. Er führte nun sämtliche Untersuchungen. Er konnte jetzt entscheiden, welche Einheiten sich wann und wo, auf der Suche nach den Zwillingen aufzuhalten hätten. Das Schicksal konnte ihm gar nicht großzügiger in die Hände spielen. Fast war er geneigt, doch an die Götter zu glauben, aber auch nur fast.

***

Als Morna erwachte, war sie zunächst wütend, dass Elze sie so lange schlafen ließ. Aber sie musste sich schnell eingestehen, dass sie den Schlaf dringend gebraucht hatte. Sie fühlte sich gestärkt und erholt. Leicht senkte sie den Blick und drehte sich vor dem Spiegel an der Wand. Sie trug ein einfaches Dienstbotenkleid, eine Schürze sowie ein Kopftuch. Ihre Füße steckten in groben Sandalen und als einziges Schmuckstück trug sie ein dünnes Lederarmband in das verschieden farbige Glasperlen eingearbeitet waren. Elze stand wenige Schritte neben ihr und betrachtete sie zufrieden:

„So werdet ihr wahrlich niemandem im Palast auffallen. Vergesst nur nicht, den Kopf immer leicht nach unten gebeugt zu halten, wenn uns Soldaten oder höher gestellte Bedienstete begegnen. Morna nickte stumm. Die Sachen die Elze ihr schon vor Tagen besorgt hatte, passten ihr tadellos. Die alte Dienerin hatte sich ganz offensichtlich, gründlich auf Mornas Flucht vorbereitet.

„Euch kann tatsächlich nichts entstellen meine Liebe,“ strahlte Elze: „Ihr seid jetzt ganz bestimmt die schönste Dienerin im ganzen Palast.“ Elze's Schmeicheleien entlockten der Halbgöttin ein leichtes Lächeln, über das die alte Frau sich ungemein freute. Morna trat auf einmal ganz dicht an Elze heran und umarmte sie:

„Bitte Elze, bitte hör auf mich dauernd anzusprechen, als wäre ich noch immer die zukünftige Ehefrau von Godvere Garien. Für Dich bin ich einfach nur Morna!“

Elze war sichtlich gerührt und wusste überhaupt nicht was sie antworten sollte. Morna war jedoch klar, dass sie einfach nicht aus ihrer Haut konnte und sie weiterhin so ansprechen würde, wie sie es halt tat. Der Gedanke, wie Elze sie wohl ansprechen würde, wenn sie von ihrer wahren Herkunft erfuhr, ließ die Halbgöttin leicht schmunzeln. Elze löste sich aus der Umarmung, ging quer durchs Zimmer und öffnete eine große Truhe, die unmittelbar neben dem Wandschrank stand, der in die labyrinthartigen Geheimgänge des Palastes führte. Dann kniete sie sich vor die offene Truhe und begann in ihr herum zu wühlen. Endlich fand sie wonach sie suchte, stand auf und wandte sich wieder Morna zu. In ihrer Hand hielt sie nun einen Dolch den sie Morna reichte:

„Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn ihr den unter eurer Schürze versteckt. Man kann nie wissen!“

Die Halbgöttin verabscheute Waffen jeglicher Art. Daher zögerte sie einen kurzen Augenblick, dann nahm sie den Dolch trotzdem an sich. Nicht nur um Elze zu beruhigen. Ihr war mittlerweile absolut klar, dass sie in eine Lage geraten könnte, in der sie sich verteidigen müsste. Solange sie sich außerhalb des Schwarzen Waldes befand, besaß sie keinerlei magischen Fähigkeiten, mit denen sie sich wehren konnte.

„Wenn ihr noch immer nicht davon abzubringen seid, zu Lord Reichels Gemächern zu gelangen, müssen wir die Geheimgänge zweimal verlassen.“ erklärte ihr die alte Dienerin: „Wir müssen öffentliche Flure durchqueren, um das geheime Labyrinth an anderen Stellen wieder zu betreten. Am besten, ihr haltet euch immer dicht hinter mir und vergesst nicht, niemandem direkt anzuschauen. Spielt einfach das verängstigte Mädchen, das neu bei Hofe und von allem noch recht eingeschüchtert ist. Das Reden, wenn es überhaupt nötig ist, überlasst mir. Ich denke, dann wird schon alles gut gehen.“

Morna nickte stumm, zum Zeichen, dass sie alles verstanden hatte. Elze öffnete den Schrank, schob die Schiebetür an der Rückwand beiseite, und die beiden Frauen verschwanden wieder in dem Gewirr aus Gängen, die Elze als den geheimen Palast bezeichnete. Die Dienerin nahm die Fackel wieder aus der Halterung, entzündete sie und ging voraus. Morna war es ein Rätsel, dass bisher niemand, wenn auch nur durch Zufall, das komplexe Wirrwarr der geheimen Gänge, die sich scheinbar durch den gesamten Palast Komplex zogen, entdeckt hatte. Die Halbgöttin versuchte, sich den Weg den Elze nahm zu merken. Doch nach kürzester Zeit gab sie auf. Zu oft kamen sie an kleine Kreuzungen, an denen sie mal nach links, mal nach rechts oder auch geradeaus gingen. Die Gänge waren überwiegend sehr eng. Nur selten gab es Passagen, an denen zwei Menschen nebeneinander laufen konnten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie den ersten Ausgang den sie nehmen mussten, um einen der öffentlichen Flure zu durchqueren. Elze löschte die Fackel und steckte sie wieder in eine Wandhalterung. Von ihnen befanden sich offensichtlich mehrere an jedem der Ausgänge. Die Dienerin zog an einem kleinen Hebel und eine schmale Schiebetür, die hinter einem schweren Samtvorhang versteckt war, glitt zur Seite. Elze lugte vorsichtig hinter den Vorhang hervor, doch der breite geräumige Flur war menschenleer. Die Frauen traten schnell durch die Öffnung, und die Schiebetür glitt automatisch wieder zu, wobei sie sich so in der Wand einfügte, dass man sie auch ohne den Vorhang kaum entdecken konnte. Ohne besondere Eile, schritten sie den geräumigen Flur entlang, und Elze hielt Morna einen Vortrag über ihre Pflichten als Dienerin in diesem Teil des Palastes. Wäre ihnen jemand über den Weg gelaufen, hätte er ihnen wahrscheinlich absolut keine Beachtung geschenkt. Es kam schließlich oft vor, das älteren Bediensteten Neulinge zur Seite standen, bis diese in der Lage waren, ihren Pflichten alleine nachzukommen. Am Ende des Korridors schob Elze wieder einen schweren Vorhang zur Seite, der von der Decke bis zum Boden reichte. Sie blickte sich vorsichtshalber noch einmal um, dann betätigte sie einen versteckten Hebel wobei erneut eine Schiebetür zur Seite glitt.

Beim zweiten Flur, den sie durchqueren mussten, hatten sie weniger Glück. Auch hier befand sich der Zugang hinter einem wuchtigen Samtvorhang versteckt. Lautes Stimmengewirr drang an ihre Ohren. Elze öffnete behutsam die geheime Schiebetür und lugte wie ein Spion hinter dem Vorhang hervor. Ein Heer von Bediensteten wuselte durch den Korridor. Viele von ihnen trugen Tabletts mit den verschiedensten Speisen, zu den Bewohnern der hiesigen Gemächer. Dienstmädchen waren damit beschäftigt, Bettwäsche auszutauschen während andere mit Putzlappen, Eimern und Besen bewaffnet kreuz und quer liefen. Blitzschnell huschte Elze zurück in den Gang und ließ die Schiebetür wieder zugleiten.

„Was ist los?“ Fragte Morna ungeduldig. Hilflos zuckte die Dienerin mit den Schultern.

„Es ist im Augenblick unmöglich, ungesehen den Flur zu betreten. Wir müssen einfach ein Weilchen abwarten.“

„Warten? Wie lange denn? Können wir keinen anderen Weg nehmen?“

Elze schüttelte mit dem Kopf: „Zum einen müssten wir dann den Flur von vorhin noch einmal durchqueren, zum anderen müssten wir fast den gesamten Palast umrunden. Glaub mir Kind, wenn die Götter wollen das wir einen Moment warten, dann sollten wir dem auch nachkommen.“

Elze setzte sich auf den Boden und kramte ein paar Trockenfrüchte aus ihrem Jutebeutel hervor, den sie immer bei sich trug. Morna setzte sich neben sie und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Lächelnd nahm sie die Früchte entgegen, die Elze ihr reichte.

***

Godvere las den Text vom Pergament, das ihm der Schreiber soeben reichte sorgsam durch. Seine Stirn begann sich in immer tiefere Falten zu legen. Wer den Herrscher gut kannte, wusste das dies ein Zeichen dafür war, ihm besser aus dem Weg zu gehen. Niemand bemerkte wie sich direkt hinter dem Thron lautlos eine kleine Schiebetür öffnete, die sich unterhalb eines großen Tisches befand. Ein kleiner Junge, von vielleicht acht Jahren huschte unter den Tisch, auf dem sich Speisen für den Herrscher befanden, und spähte vorsichtig jeden Winkel des Saales aus, den er von seiner Position her ausmachen konnte.

Der Herrscher warf die Pergamentrolle verärgert auf den Tisch der Schreiber, und brüllte den Mann, der ihm die Rolle gereicht hatte an:

„Seid ihr alle von Sinnen? Was soll dieser Unsinn? Die Kornspeicher der Stadt sind allesamt bis zum Rand gefüllt. Ich unterschreibe doch keinen Erlass, der die Preise für das Korn nahezu verdoppelt. Wer ist verdammt noch mal für den Gedanken verantwortlich? Was glaubt ihr was auf den Straßen los ist, wenn die Bürger das doppelte für einen Laib Brot zahlen müssen?“

„Es, es ist zwingend notwendig, denn...“

„Zwingend notwendig? Genauso wie dieses Dekret? Die Steuern sollen erhöht werden, da wir mehr Eisen aus dem Norden brauchen, welches das teuerste Eisen in der gesamten bekannten Welt darstellt?“ Godvere betrachtete erneut die Papiere, die auf seine Unterschrift warteten:

„Welcher verdammte Idiot hat sich all das ausgedacht?“

„Das Eisen wird für Rüstungen und Schwerter benötigt. Es wurde ausgehandelt, das dafür nur der beste Stahl verwendet wird.“

Godvere bedachte den Gelehrten, der für das Erstellen der Verordnungen verantwortlich war, mit einem fassungslosen Blick:

„Befinden wir uns etwa im Krieg. Einen Krieg von dem ich bisher noch nichts mitbekommen habe?“

Der Mann blickte beinahe panisch über all die Papiere bis er endlich die große gelbe Ledermappe erblickte. Augenblicklich befahl er einem der anderen Gelehrten ihm die Mappe zu reichen und hielt sie anschließend zitternd Godvere Garien hin.

Der Junge huschte lautlos unter dem Tisch hervor und verharrte für einen Moment in der Bewegung. Unter seinem verdreckten Gesicht, funkelten wachsame, intelligente Augen, mit denen er wiederholt in alle Richtungen blickte. Wie geplant befand er sich jetzt in einem toten Winkel zu den Armbrustschützen auf der oberen Galerie. Der Knabe war barfuß, hatte sich aber Lederlappen um die Füße gewickelt um nicht von spitzen Steinen oder Glas verletzt zu werden, sich aber trotzdem lautlos bewegen zu können. Seine weitere Kleidung bestand aus einer kurzen, dunklen, zerschlissenen Hose sowie ein ärmliches Hemd, welches er selbst schwarz gefärbt hatte. Er liebte schwarz, weil die Farbe bestens dazu geeignet war sich im dunklen zu verstecken, oder in irgendwelchen Schatten unterzutauchen. Mit einem schnellen Griff nahm er seinen kleinen Rucksack vom Rücken und füllte ihn mit verschiedenen Speisen, die direkt am Rand des Tisches platziert waren. Dass der Herrscher gerade einen seiner gefürchteten Wutausbrüche bekam, war dem Knaben nur recht. Sorge stets für eine gute Ablenkung, schossen ihm die Worte seines Bruders durch den Kopf. Wenn das nicht möglich ist, finde einen Schwachkopf der für diese Ablenkung sorgt. In diesem Augenblick stellte für den Jungen, der Herrscher höchst persönlich diesen Schwachkopf dar. Nachdem der Rucksack gut gefüllt war ließ er noch einmal seinen Blick umherstreifen. Für einen Moment blieb ihm fast das Herz stehen, als er den prächtigen Dolch, am äußersten Rand des Tisches liegen sah. Der Herrscher schrie noch immer diesen Trottel an, dem man gerade eine gelbe Mappe reichte. Der junge Dieb schlich sich soweit ans Ende des Tisches, wie er sicher sein konnte, nicht von einem der Armbrustschützen auf der Galerie gesehen werden zu können. Um die Blutwölfe in ihren Nischen machte er sich keine Gedanken. Von ihrem Winkel aus, war es unmöglich ihn zu erblicken.

Godvere nahm die gelbe Mappe entgegen und blickte auf das eingestanzte Wappen.

„Ist das nicht das Wappen der Stadt Kushtur?“ Fragte er den Gelehrten. Als dieser nur eifrig nickte öffnete der Herrscher die Mappe und begann die ersten Seiten eines Vertrages zu lesen, auf dem ganz offensichtlich nur noch seine Unterschrift fehlte. Als Unterhändler des Darkanischen Reiches wurde mehrmals Lord Reichel genannt, der die Bedingungen ausgehandelt hatte.

„Reichel!“ Brüllte der Herrscher aus Leibeskräften dem Minister hinterher, der erst vor kurzem den Thronsaal verlassen hatte. Dabei schritt er in Richtung der schweren Doppeltür. Der Herrscher bebte vor Wut. Mit seiner Hand zeigte er auf zwei der Blutwölfe, deren Nischen sich unmittelbar neben der Tür befanden.

„Holt mir sofort den Minister her. Sofort. Sollte er nach Ausflüchten suchen, schleift ihn hierher!“

Die Männer schlugen gleichzeitig mit ihrer rechten Faust auf ihre linke Brust und verließen umgehend den Thronsaal, um den Befehl auszuführen.

Der Junge konnte sein Glück kaum fassen. Ungesehen schlich er zum Ende des Tisches, griff nach dem Dolch und ließ ihn ebenfalls in seinem Rucksack verschwinden. Blitzschnell huschte er wieder unter die Tischplatte und verschwand in dem geheimen Gang. Ein schneller Griff am kleinen Hebel sorgte dafür, dass die Schiebetür sich wieder lautlos schloss. Es war stockdunkel in diesen geheimen Fluren. Trotzdem verzichtete der Junge darauf, eine der vielen Fackeln anzuzünden, die überall in den Halterungen steckten. Er liebte die Dunkelheit und es dauerte nicht lange bis sich seine Augen wieder vollständig ans Dunkle gewöhnt hatten.

Ein empörtes Gezeter verriet dem Herrscher, dass die Blutwölfe ihren Auftrag schnellstens erledigt hatten. Mit verschränkten Armen, dabei die gelbe Mappe haltend, stand der Herrscher mitten im Saal und beobachtete wie die beiden Hünen von Soldaten den kleinen Minister links und rechts unter den Armen gepackt hielten und in den Thronsaal trugen. Ohne ein Wort zu sagen ließen sie ihn kurz vorm Herrscher fallen, wobei Reichel Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Erneut schlugen sie mit ihrer rechten Faust auf die linke Brust, drehten sich um und schritten wortlos zu ihren Nischen. Lord Reichel zupfte sich seine Kleider zurecht und setzte augenblicklich sein freundlichstes Lächeln auf, als er die Mappe in den Händen des Herrschers erblickte. Godvere hielt sie ihm direkt vors Gesicht.

„Eine Erklärung Reichel. Aber sofort.“

„Ich... wir... es ist die einzige Möglichkeit... die einzige Möglichkeit uns vor der Stadt der Magier zu schützen und nicht von ihren Armeen überrollt zu werden.“

„Hast du den Verstand verloren du kleiner hässlicher Idiot?“ Schrie Godvere den Minister an: „Kushtur ist lediglich eine Stadt. Eine Stadt am anderen Ende der bekannten Welt. Dies hier ist das Darkanische Reich! Wie kannst du dir solche Bedingungen diktieren lassen.“ Der Herrscher packte die Mappe fester und schlug sie dem Minister ins Gesicht, worauf Reichel ängstlich quiekte.

„Niemals werde ich so etwas unterschrieben. Es gibt kein Korn und auch keine Waffen aus Darkan. Wir verteidigen unsere Grenzen mit unserem Stahl und unserem Blut, wenn es jemand wagen sollte uns zu bedrohen.“

„Mein Herr!“ Flehte Reichel, während er sich die schmerzende Wange hielt: „Ich habe etliche Stunden mit den Gesandten aus Kushtur verhandelt. Die Stadt der Magier ist dabei, eine gewaltige Armee aus dem Boden zu heben, um die umliegenden Königreiche zu unterwerfen. Wahrscheinlich sogar die gesamte bekannte Welt.“

Godvere Garien trat so dicht an Reichel heran, dass einige der Blutwölfe nervös wurden. Sämtliche Armbrustschützen hielten ihre Waffen auf Reichel gerichtet.

„Ihr werdet den Gesandten aus Kushtur ausrichten, dass ich ihre kleine Stadt ausradieren werde, sollte je einer ihrer Soldaten unsere Grenzen überschreiten. Sobald ihr ihnen das vermittelt habt, sollen sie verschwinden. Umgehend! Habt ihr das begriffen Reichel?“

„Jawohl, natürlich! Wie ihr wünscht. Sofort!“

Wie ein geprügelter Hund verließ Lord Reichel erneut den Thronsaal. In seinem Kopf überschlugen sich fast panikartig die Gedanken. Von dem euphorischen Gefühl, das ihm vor wenigen Minuten noch innewohnte, war nichts mehr übrig.

Godvere Garien wandte sich um und Schritt in Richtung seines Throns. Gedanklich war er schon wieder bei seinen Kindern, den verschwundenen Zwillingen. Ihr Schicksal lenkte den Herrscher dermaßen ab, dass er nicht länger über Lord Reichels merkwürdige Zugeständnisse an die Stadt der Magier nachdachte. Gemächlich stieg er die Stufen empor und umrundete seinen Thron, um sich etwas von den Speisen zu nehmen, die auf dem Tisch dahinter bereitstanden. Er neigte seinen Kopf ungläubig zur Seite, als er die geplünderten Platten und das Chaos auf dem Tisch wahrnahm. Selbst der Dolch, mit dem er stets die Fleischstücke aufspießte war verschwunden. Godvere wurde bewusst, dass er eine Ablenkung benötigte. Auf einen Wink eilte einer der Gelehrten zu ihm, worauf ein anderer Schreiber dessen Arbeit sofort weiterführte. Der Gelehrte, ein älterer Mann mit einem freundlichen Gesicht erklomm die ersten beiden Stufen und wartete ab, was der Herrscher von ihm wollte.

„Erzählt mir alles,“ forderte Godvere ihn auf, nachdem er dem geplünderten Tisch einen letzten Blick zuwarf: „Was es über Dormus den Schrecklichen zu berichten gibt!“

Andran und Sanara

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