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Kapitel 2 2.1. Sanara
ОглавлениеVierzehn Jahre waren vergangen seit Vitras mit seiner Enkeltochter und dem kleinen Dieb aus dem Darkanischen Herrschaftsbereich floh. Um nicht beide Kinder den Gefahren einer Flucht auszusetzen, schickte der Kriegszauberer den kleinen Schatten in die sagenumwobene Stadt Prem. Hier lebte Zaron de Megon, ein ehemaliger Dieb, der sich jedoch schon vor Jahren dazu entschlossen hatte, sein Leben zu ändern. Zaron war ein alter Freund von Vitras und nahm den Jungen bei sich auf. Der Kriegszauber blieb über die Jahre hinweg mit Zaron im ständigen Briefkontakt und musste bald feststellen, dass seine Tochter Recht behalten sollte. Aus dem kleinen Schatten wurde - „Der Schatten“ - ein Meisterdieb, der allmählich zu einer Legende heranreifte.
Immer auf der Hut vor den Häschern Harun Ar Sabahs, schlug sich Vitras mit seiner Enkeltochter zu den Hochlanden durch. Hier hatten sich die meisten Fürstentümer zum Hochlandbund zusammengeschlossen. Der Bund besaß eine Machtfülle, die es ihm sogar ermöglichte, der Darkanischen Armee erfolgreich zu trotzen. Das Fürstentum Durenald galt als mächtigstes Haus im Bund und wurde von Fürst Ingalf und seiner Frau Eldar regiert. Vitras hatte dem Fürsten einst das Leben gerettet und dabei ein Komplott aufgedeckt, das das Ziel hatte, den Fürsten zu stürzen. Ingalf beteuerte mehrmals, Vitras seine Hilfe niemals zu vergessen und dass er auf ewig in seiner Schuld stehen würde. Der Kriegszauberer beschloss, diese Schuld einzufordern, da er seiner Enkelin keinesfalls ein Einsiedlerleben, tief in irgendwelchen abgelegenen Wäldern bieten wollte, wie er es selbst schon einmal geführt hatte. Trotz seiner anfänglichen Bedenken, zeigte sich das Herrscherpaar hocherfreut, als er um eine sichere Beherbergung bat. Da das Fürstenpaar kinderlos war, zeigten sie sich von der Kleinen ganz besonders entzückt und bestanden sogar darauf, dass sie in der Burg eines der schönsten Gemächer bezogen.
Der Kriegszauberer brachte es nicht fertig, Audris in den Stallungen des Fürstentums unterzubringen. Das Tier war einfach zu freiheitsliebend. Daher ließ er die prächtige Stute stets vor den Toren des Fürstentums grasen, jedoch nicht ohne täglich nach ihr zu sehen. Eines Morgens war Audris verschwunden. Ein Bauer berichtete Vitras, dass sie in ein helles Licht galoppierte, aus dem sie nicht mehr zurückkehrte. Da wusste der Kriegszauberer, dass Audris wieder in ihre Heimstätte zurückgekehrt war.
Im Laufe der Jahre wuchs Sanara zu einem bildhübschen Mädchen heran, und die Fürstin, die schon längst einen Mutterersatz darstellte, übte sich in allergrößter Geduld, dem Mädchen die simpelsten Etiketten, die am Hofe ein Muss darstellten, beizubringen. Zu ihrem größten Entsetzen musste Fürstin Eldar jedoch feststellen, dass Sanara mehr Spaß an den Waffenübungen mit ihrem Großvater zu tage legte, anstatt den höfischen Lehrmeistern zuzuhören. Nachdem Vitras begann, seiner Enkelin die ersten Grundlagen der Magie näher zu bringen, dauerte es nicht mehr lange, bis dem ersten Höfischem Lehrmeister die Haare in Flammen standen. Der Arme schaffte es gerade noch rechtzeitig, kopfüber in einen Badezuber zu springen. Nach einigen weiteren Vorfällen ähnlicher Art, weigerten sich sämtliche Lehrkräfte Sanara weiterhin zu unterrichten. Das Donnerwetter von ihrem Großvater, das daraufhin erfolgte, war gewaltig. Zu allem Überfluss übernahm Eldar nun höchstpersönlich sämtliche Schulungen des Mädchens, sofern sie nichts mit Magie oder den täglichen Waffenübungen zu tun hatten.
„Da konnte man nichts machen, da musste man durch!“ dachte Sanara später immer wieder. Sanara mochte die Fürstin sehr und akzeptierte ihre Autorität. Daher brauchte sich Eldar auch nie um ihre Frisur zu sorgen.
Vitras stand nun schon eine ganze Weile, seit seiner Rückkehr aus dem Fürstentum Gorien auf dem breiten Mauergang und blickte auf die sonnendurchfluteten Gartenanlagen Durenalds. Der Kriegszauberer begleitete Ingalf in das ferne Fürstentum, das weit im Norden des Bundes lag. Gorien wollte dem Bund beitreten, und Vitras half dem Fürsten Ingalf und somit dem gesamten Hochlandbund, immer wieder mit seinem Verhandlungsgeschick. Jetzt beobachtete er seine Enkeltochter. Vitras liebte es zuzusehen, wie Sanara und Filou durch die Gärten tobten. Das Frettchen war noch immer äußerst agil. Die Berührung der Göttin der Gerechtigkeit, Sanaras Großmutter, hatte den Alterungsprozess des Nagers stark verlangsamt. Sanara brachte Filou das Apportieren kleinerer Gegenstände bei. Als sie gerade wieder den kleinen Stoffball warf, der Kraft ihres Willens selbstverständlich weiterflog als es ihr ohne Magie möglich gewesen wäre, entdeckte sie ihren Großvater auf dem Gang. Sofort rannte sie ihm freudig entgegen, wobei ihr langes pechschwarzes Haar durch die Luft wirbelte. Die vierzehnjährige fiel Vitras um den Hals, und der Kriegszauberer hielt sie lange fest an sich gedrückt. Als sie sich voneinander lösten, blickte Vitras sie vorwurfsvoll an:
„Findest du nicht, dass es irgendwie unfair ist, den armen Filou, unter Zuhilfenahme deines Willens, so durch die Gärten zu scheuchen?“
„Ich habe keine schwarze Magie angewendet,“ erboste sich Sanara: „Das tue ich nie!“
Der Kriegszauberer verdrehte die Augen und schaute kurz hilflos zum Himmel, bevor er sie wieder mit einem ernsten Blick bedachte:
„Was habe ich dir beigebracht?“
Sanara starrte betreten zu Boden, doch schnell neigte sie ihren Kopf wieder hoch. Da sie nun mit ihrem Wissen glänzen konnte, strahlte sie Vitras regelrecht an, während sie ihm antwortete:
„Es gibt keine schwarze Magie Großvater. Genau so wenig wie es weiße Magie gibt. Die Macht der Magie ist grundsätzlich indifferent, also neutral. Nur die Art wie die Menschen sie nutzen, lässt es zu, von guter oder eben schlechter, von weißer oder schwarzer Magie zu sprechen.“
„Und was denkst du,“ fuhr Vitras weiter fort: „wie du deine Magie eben bei Filou angewendet hast?“
Bevor Sanara antworten konnte, kam Filou mit dem Bällchen angeflitzt. Er stupste Vitras vor Freude einmal kurz an, um sich gleich wieder Sanara zu zuwenden. Er kratzte und biss ihr zärtlich in die nackten Waden, damit sie endlich mit ihm weiterspielte.
„Nun,“ antwortete Sanara: „, wenn ich mir den glücklichen kleinen Kerl so anschaue, habe ich meine Magie zum Guten angewandt!“
Vitras holte vor lauter Verzweiflung einmal tief Luft, bevor er sie langsam wieder ausstieß. Wieder blickte er zum Himmel. Er war überzeugt, dass Mirna gewiss eine ungemeine Freude an der Logik ihrer Enkelin hatte. Es gelang Sanara immer öfter, das letzte Wort zu behalten. Ganz gleich um was für einen Disput es ging oder mit wem sie ihn führte. Eine feste, aber freundliche Frauenstimme, riss ihn aus seinen Gedanken.
„Meister Vitras, ihr seid endlich zurückgekehrt!“ Vitras drehte sich herum und sah Fürstin Eldar auf sie beide zukommen. Trotz ihrer inzwischen fünfzig Jahren, war die Fürstin noch immer eine außerordentlich attraktive Frau. Die ersten Ansätze von zarten Falten verliehen ihrem Gesicht einen energischen Ausdruck. Die langen braunen Haare, in denen die ersten feinen grauen Strähnen zu erkennen waren, trug sie hochgesteckt. Der Saum, ihres langen dunkelblauen Kleides, schwang fröhlich hinter ihr her, während sie näherkam. Vitras deutete vor ihr eine leichte Verbeugung an, doch Eldar wimmelte diese sofort mit einer energischen Handbewegung ab.
„Hört endlich mit diesem Unsinn auf. Ihr und Sanara gehört, für mich und meinen Gemahl, nun wirklich zur Familie. Das solltet ihr doch inzwischen wissen!“
Bevor der Kriegszauberer irgendetwas erwidern konnte, wandte sich die Fürstin Sanara zu:
„Und du junge Dame, wie siehst du jetzt schon wieder aus?“ Dabei zeigte sie auf Sanaras schmutzige Füße und den ganzen Dreck auf ihrem Kleid, den sie sich durchs herum tollen mit Filou eingefangen hatte.
„Das ist ganz bestimmt nicht das standesgemäße Erscheinungsbild einer jungen Dame.“ fuhr sie belehrend fort: „und das einer jungen Magierin gewiss auch nicht! Geh dich jetzt waschen und ziehe dich um. Wir wollen gemeinsam zu Abend speisen, und den Fürsten sowie deinen Großvater zu ihrer erfreulichen Heimreise beglückwünschen.“
Bevor Sanara protestieren konnte, beugte sich der Kriegszauberer zu ihr herunter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn:
„Nun geh schon!“ flüsterte er ihr zu. Daraufhin rannte Sanara lachend, mit Filou im Schlepptau, den Mauergang entlang und verschwand im Innern der Burg.
„Sie wird so verdammt schnell groß!“ murmelte Vitras: „So verdammt schnell!“
„Das ist nun mal der natürliche Lauf der Dinge!“ Erwiderte die Fürstin. Dann bekam ihre Stimme einen ernsten Unterton:
„Wie ist es in Gorien gelaufen?“ erkundigte sie sich.
Vitras stöhnte kurz aber entnervt auf, bevor er antwortete:
„Die Verhandlungen waren weitaus schwieriger als befürchtet. Aber am Ende ist alles gut gegangen, und der Fürst hat sich dem Bund angeschlossen. Die Nachrichten die uns aus dem Süden erreichen werden immer beängstigender. Das hat die Verhandlungen nicht gerade erleichtert.“
Eldar nickte zustimmend, wobei sich leichte Sorgenfalten auf ihre Stirn legten:
„Glaubt ihr, dass es zu einem Krieg kommen wird?“
Vitras wägte seine nächsten Worte sorgsam ab. Eldar und Ingalf wussten nichts von der Prophezeiung - Der Zwei die Eins sein müssen. Schon gar nicht, das Sanara ein wichtiger Bestandteil dieser Prophezeiung war.
„So schnell werden die kriegerischen Handlungen im Süden, mit Sicherheit nicht zu uns in die Hochlanden kommen. Dennoch sind die Nachrichten, die wir von den Handelskarawanen erhalten, äußerst alarmierend. Das war auch der Hauptgrund, warum der Fürst von Gorien so lange zögerte, sich dem Hochlandbund anzuschließen. Er befürchtet, in einen Krieg hinein gezogen zu werden.“
Eldar blickte über die prächtigen Gartenanlagen, die bis zur Nordmauer der Burg führten. Hinter den Befestigungen konnte man die feinen weißen Rauchsäulen vereinzelter Handwerkshäuser erkennen, die sich aus ihren Schornsteinen schlängelten. Der Mauergang auf dem sie standen, bot einen atemberaubenden Blick rings um das weite Grün des Fürstentums. Die Vorstellung, dass dieser märchenhafte, friedliche Ort zum Schauplatz eines Krieges werden könnte, ließ Eldar erschauern.
„Die anderen Fürstentümer haben, während eurer Abwesenheit, Boten zu uns gesandt.“ richtete sich die Fürstin wieder an den Kriegszauberer: „Sie verlangen nach einer Zusammenkunft aller Fürsten, um zu beraten wie wir mit der aufziehenden Gefahr umgehen sollen.“
Vitras nickte ihr in Gedanken versunken zu, bevor er antwortete:
„Die größte Stärke des Bundes besteht darin, dass miteinander gesprochen wird. Dass die Fürsten sich beraten, bis sie auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Die Mitglieder des Bundes stehen ausnahmslos, für jedes andere Mitglied ein. Wäre dem nicht so, hätten die Darkanischen Armeen den Bund damals schlichtweg überrollt. Ihr könnt es den anderen Fürsten nicht übelnehmen, wenn sie angesichts der drohenden Gefahr eine Versammlung fordern. Auch wenn euch das Thema diesmal ganz und gar nicht gefällt.“
„Ihr habt ja wie immer recht Meister Vitras.“ Antwortete ihm die Fürstin. Ihre Stimme bekam einen traurigen Klang: „Ich war damals noch so jung, als der Krieg mit den Darkanieren ausbrach. Ich habe mir geschworen, alles zu tun um so etwas nie wieder erleben zu müssen.“ Mit diesen Worten hakte sie sich bei dem Kriegszauberer ein und ließ sich von ihm ins Innere der Burg führen.
„Begleitet ihr mich noch zu meinem Gemahl alter Freund?“
„Selbstverständlich!“ antwortete ihr Vitras: „Bei der Gelegenheit könnt ihr mir von Sanaras Fortschritten, was die Höfischen Etiketten anbelangt, berichten.“
„Fortschritte?“ Eldar musste plötzlich laut und gequält auflachen.
Als sie den großen Hauptkorridor erreichten, der zu den Gemächern des Fürstenpaares führte, blieb Eldar an der Abzweigung stehen, die zu Vitras und Sanaras Gemächern führte.
„Ich glaube beinahe,“ schmunzelte sie: „Wir müssen hier entlang. So wie ich Ingalf kenne, begrüßt er gerade Sanara und überhäuft sie mit jeder Menge nutzloser Geschenke.“
Vitras lächelte ebenfalls. So wie er den Fürsten kannte, hatte seine Gemahlin mit Sicherheit recht.
Der Tag der Versammlung der Fürsten rückte allmählich näher. Die Hofbediensteten hatten alle Hände voll damit zu tun, um Räumlichkeiten herzurichten, die Vorratskammern zu füllen und alles auf Hochglanz zu bringen. Selbst die Stallungen mussten mit einem Anbau versehen werden, damit man alle Pferde der Gäste versorgen konnte. Im Grunde, war das gesamte Fürstentum Durenald, vom einfachen Stallburschen oder Küchengehilfen, bis hin zu dem Fürstenpaar selbst, in heller Aufregung aufgrund der baldigen Ankunft der zahlreichen hohen Gäste.
Vitras befand sich am frühen Abend vor dem Treffen, mit Sanara in der Bibliothek, die sich in einem der Obergeschosse der Burg befand. Dies war der Ort, wo der Kriegszauberer seiner Enkelin alles über die Handhabung Magie lehrte. Die Fackeln tauchten den großen Raum in ein angenehmes warmes Licht. Sanara trug ein wunderschönes rotes Kleid, das Fürst Ingalf ihr aus Gorien mitbrachte. Aufmerksam lauschte sie den Worten ihres Großvaters. Anders als bei den Lehrstunden mit der Fürstin, saugte Sanara jedes Wort ihres Großvaters in sich auf. Vitras und seine Enkelin saßen sich an einem einfachen Arbeitstisch gegenüber. Das Mädchen betrachtete neugierig den Klumpen Wachs und den losen Docht. Beides lag zwischen ihnen auf dem Tisch.
„Du weißt mein Kind,“ begann er seine heutige Lehrstunde: „Wir, die den göttlichen Funken der Magie besitzen, werden mit einer Energiequelle geboren, die ihren Sitz tief in unserem Körper hat.“ er deutete mit seinem Zeigefinger zunächst auf ihren Bauch, dann hoch zu ihrem Kopf und schließlich zu ihrem Herzen:
„Entlang dieser Linie, verläuft die Quelle unserer Macht. Bei dem einen ist sie größer, bei dem anderen kleiner. Die allerwenigsten Menschen besitzen sie. Manche behaupten, dies sei ein letztes Relikt, das die Abstammung der Menschen von den Göttern beweist. Jedes Mal, wenn du Magie anwendest, deinen Willen wirken lässt, ziehst du die dazu benötigte Kraft aus dieser Quelle.“
Vitras hielt kurz inne und fixierte seine Enkelin, die nach wie vor gebannt an seinen Lippen hing. Mit ruhiger Stimme fuhr er fort:
„Du kannst dir jedoch selbst höchsten Schaden zufügen, wenn du dich vor dem Anwenden deiner magischen Kräfte, nicht ausreichend konzentrierst. Deinen Körper nicht vorbereitest. Deine Quelle urplötzlich anzapfst. Die Energien, die dein Wille dann freilässt, können dann unkontrolliert durch deinen Körper fließen und dabei erheblichen Schaden anrichten.“
„Aber das weiß ich doch schon längst alles Großvater!“ brachte Sanara mit einem Mal unwirsch hervor.
„Du weißt aber noch längst nicht alles Sanara,“ fuhr Vitras bestimmt, aber freundlich fort: „Du kannst mit deiner Magie Schäden anrichten, die du niemals wieder umkehren, rückgängig machen kannst.“
„Du meinst, wenn ich mit Hilfe meiner Magie einen Menschen töte?“
„Nein! Das ist ein anderes Thema. Ist ein Lebewesen erst einmal tot, so ist es unumgänglich tot. Ganz gleich ob der Tod durch Magie oder aufgrund eines natürlichen Ursprungs eingetreten ist. Ist ein Wesen tot, so ist es tot!“
Erneut lauschte das Mädchen wie gebannt den Worten ihres Großvaters.
„Wenn du Magie einsetzt, sagen wir um irgendeinen Gegenstand zu verändern, so wirkst du mit deinem Willen auf diesen Gegenstand ein.“
Sanara konzentrierte sich kurz und ließ einen leeren Krug, von einem der anderen Arbeitstische zu ihnen herüber schweben. Sanft setzte der Krug auf ihrem Tisch auf.“
„Das meine ich nicht Sanara.“ erklärte ihr Vitras: „Du hast mit deinem Willen nicht auf den Krug eingewirkt, sondern auf die Luft um ihn herum, die ihn dann hierher getragen hat. Wenn du einen Gegenstand oder etwas Lebendiges verändern willst, wirkst du direkt mit deinem Willen auf eben diesen Gegenstand oder dem betreffenden Wesen ein. Abhängig von dem, was du erreichen willst, wirst du Energie hinzufügen oder Energie abziehen. Wenn du Energie hinzufügst, kannst du das Erreichte jederzeit wieder rückgängig machen. Wenn du aber Energie entziehst, ist das Ergebnis unumkehrbar.“
Sanara sagte kein einziges Wort. Sie lauschte angespannt den Ausführungen ihres Großvaters. Vitras zeigte nun auf den Wachsklumpen und den Docht:
„Konzentriere dich,“ bat er sie: „Spanne deine Muskeln leicht an und versuche aus dem Wachs und den Docht eine Kerze zu formen.“
Sanara konzentrierte sich. Ganz sacht begann, wie bei ihrem Großvater, die Luft um sie herum leicht zu vibrieren. Urplötzlich richtete sich der Docht auf, während der Wachsklumpen sich verflüssigte, um sich daraufhin am Docht hinauf zu schlängeln. Immer stärker wurden die Konturen einer Kerze erkennbar. Vitras war jetzt schon hoch zufrieden. Doch Sanara musste der Kerze natürlich noch eine kunstvoll aussehende Spiralform verleihen. Als die Kerze fertig war, blickte sie Vitras stolz an.
„Du hast Energie hinzugefügt,“ flüsterte Vitras ihr so leise zu, dass man das Knacken der brennenden Fackeln hören konnte: „Du kannst die Kerze jetzt jederzeit weiterhin verändern. Es sei denn...“
Vitras starrte auf die Kerze und entzog ihr Kraft seines Willens jegliche Energie. Fast augenblicklich zerfiel sie zu einem Klumpen Wachs, in dem man die Konturen des Dochtes kaum noch ausmachen konnte. Sanara schaute mit großen Augen zu ihrem Großvater.
„Du kannst diese Kerze jetzt nie mehr mit deinem Willen beeinflussen und so schön aussehen lassen wie zuvor. Das ist ein Naturgesetz!“
Vitras erhob sich von seinem Stuhl und blickte auf Sanara hinab: „Denke daher immer genau darüber nach, wie du deine Magie einsetzt.“ Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, fuhr er fort:
„Bleib noch eine Weile hier und denk über meine Worte nach. Dann komm mit Filou nach unten, es ist Zeit schlafen zu gehen.“
Mit diesen Worten verließ Vitras die Bibliothek. Sanara wartete noch einen Moment ab, um ganz sicher zu sein das ihr Großvater nicht mehr in der Nähe war. Dann starrte sie auf den deformierten Klumpen Wachs. Die Luft um sie herum begann zu flimmern und zu schwirren, bis sie plötzlich sogar eine bläuliche Verfärbung annahm. Urplötzlich erloschen die Fackeln, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befanden. Der Wachsklumpen wurde wieder flüssig und der Docht löste sich heraus. Innerhalb von Sekunden stand wieder die kunstvolle spiralförmige Kerze vor ihr. Vor Aufregung begann sie zu zittern. Sie hatte etwas geschafft, von dem ihr Großvater behauptete, dass es unmöglich sei. Sanara beschloss, ihm nichts davon zu erzählen, da sie befürchtete, dass er verärgert sein könnte. Sie erhob sich jetzt ebenfalls, nahm die Kerze und versteckte sie unter einem der Wandschränke. Dann schickte sie sich an ihrem Großvater zu folgen.
In ihrem Zimmer kleidete sie sich um und huschte ins Bett. Als sie eingeschlafen war, betrat Vitras leise ihr Zimmer um noch einmal nach seiner Enkelin zu sehen und die Kerzen in ihrem Raum auszumachen. Lächelnd sah er auf Sanara und Filou herab, der wie immer auf Sanaras Schultern lag und ebenfalls schlief.
***
Im großen Saal der Burg des Fürstentums Durenald ging es hoch her. Die Fürsten schrien wild durcheinander, nur um die Meinung der anderen zu verdrehen, oder um die eigenen Sorgen am dringlichsten darstellen zu können. Fürst Ingalf, der als Gastgeber die Führungsrolle innehatte, gelang es nicht, all die verschiedenen Gemüter zu beruhigen, um eine auch nur halbwegs vernünftige Diskussion ins Rollen zu bringen. Fürst Ingalf war eine imposante Erscheinung. Mit seiner Körpergröße und Kraft, hätte er sich wahrscheinlich mit jedem Barbaren nördlich des Drom Gebirges messen können. Aber hier und jetzt wirkte er regelrecht verloren. Vitras stand schon eine ganze Weile im Abseits, an eine Säule gelehnt, und beobachtete das Sinnlose hin und her, der kaum verständlichen Wortfetzen. Er trug die schwarze Robe der Kriegszauberer, dessen Kapuze er tief über sein Gesicht gezogen hatte. Ingalf sah mehrmals flehend zu ihm herüber, bekam dabei jedoch das Gefühl, dass sein Freund nicht vorhatte, in irgendeiner Form zu intervenieren. Innerlich brodelte es jedoch in dem Kriegszauberer. Als er auch noch einige der Fürsten verächtlich lachen hörte, da sie sämtlichen Gerüchten, die besagten, dass bei den Kämpfen im Süden Magie im Spiel sei, als Firlefanz abtaten – platzte ihm der Kragen. Er trat aus dem Schatten der Säule hervor, blickte zum riesigen Kamin, der Platz genug bot um zwei Ochsen in ihm zu braten. Dann ließ er seinen Willen wirken. Mit einem ohrenbetäubenden Knall schoss eine Stichflamme aus dem Kamin hervor, die sich bis zur hohen Decke des Saales erstreckte und dort einen schwarzen Rußfleck hinterließ. Das wilde Geschreie der Fürsten verebbte zunächst zu einem erstaunten Gemurmel, als eine zweite Flamme aus dem Kamin hervorschoss, sich zu einer Kugel formte und gefährlich knisternd über den Köpfen der Fürsten kreiste, bis sie zurück schwebte und sich wieder mit dem Kaminfeuer verband. Schlagartig wurde es still im Saal. Alle Augen richteten sich auf Vitras. Der Kriegszauberer ließ seine Kapuze nach hinten gleiten und viele der Anwesenden stöhnten leise auf, als sie die Runen auf seinem Kopf erblickten, die rötlich zu leuchten begannen. Vitras schritt von der Säule auf den Pulk von Fürsten zu, die augenblicklich eine Gasse bildeten, um ihn hindurch zu lassen. Als er sich mitten unter ihnen befand, hob er beschwichtigend die Hände:
„Edle Herren, edle Fürsten und Mitglieder des Hochlandbundes,“ begann Vitras mit lauter, fester Stimme und bedachte dabei jeden mit einem verächtlichen Blick, der zuvor über die Existenz der Magie gelacht hatte:
„Die Kämpfe, die von Kushtur aus, in den gesamten Süden getragen werden, sind im Augenblick noch weit von unserer Haustür entfernt.“
Ein zustimmendes Nicken und zufriedenes Gemurmel erfolgten von nahezu allen Anwesenden.
„Trotzdem sind die neuesten Nachrichten, die uns aus dem Süden erreichen, äußerst alarmierend.“ fuhr Vitras fort: „Die Truppen Kushturs blockieren wichtige Gebirgspässe, Brücken und Straßen, so dass es für die Handelskarawanen immer schwieriger wird, die Hochlanden zu erreichen. Wir dürfen keinesfalls zulassen, dass die Kämpfe in den Bund getragen werden. Wir müssen jedoch dafür Sorge tragen, dass die Handelswege sicher und offen bleiben.“
Ein zustimmendes Gemurmel, das rasch lauter wurde, erfolgte jetzt von ausnahmslos allen Anwesenden.
„Aber wie sollen wir das bewerkstelligen Meister Vitras?“ Meldete sich ein kleiner, korpulenter Fürst mit roten Haaren zu Wort: „Wie sollen wir die Handelsrouten sichern, ohne selbst dabei in Kämpfe verwickelt und somit in den Krieg, der da unten tobt, herein gezogen zu werden?“
Wieder erhob sich ein zustimmendes Gemurmel, nur diesmal wurde es noch lauter.
„Wir verlegen einfach die Handelsrouten!“ schlug Vitras vor. Dann schritt er zum Kamin über dem eine riesige Karte der bekannten Welt hing und zeigte auf einen bestimmten Punkt:
„Hier befindet sich die Stadt Diran. Wie wir alle wissen, wird sie von den Truppen Kushturs bedroht. Unglücklicherweise treten von hier sämtliche Handelskarawanen ihren Weg nach Norden und somit auch zum Hochlandbund an.“ Vitras ließ seinen Finger auf der Karte plötzlich weiter nach links ziehen:
„Und hier liegt die Hafenstadt Keldan, von wo aus den Karawanen ebenfalls zum Bund aufbrechen könnten. Genau wie bei Diran, können sie einem Flusslauf folgen, der sie fast bis ins Hochland führt.“ dabei zog Vitras eine Linie auf der Karte, um seinen Vorschlag zu verdeutlichen.
„Aber die Route die ihr vorschlagt...“ meldete sich ein weiterer Fürst zu Wort: „... ist ab dem Punkt wo man den Flussverlauf verlassen muss, bis hin zu den unteren Fürstentümern, gänzlich unbekannt!“
„Dann werden wir hier, hier und hier Handelsposten errichten,“ schlug Vitras weiter vor wobei er auf die verschiedenen Punkte auf der Karte deutete: „Ferner werden wir die Karawanen ab dem ersten Handelsposten mit Begleitschutz versehen, bis sie die Grenzen des Hochlandbundes erreichen.“
„Aber, aber die Kosten!“ wimmerte der dickliche rothaarige Fürst. Ein zorniger Blick des Kriegszauberers brachte ihn jedoch sofort zum Schweigen.
„Das scheint mir die vernünftigste Idee zu sein, um nicht in den Krieg hineingezogen zu werden, aber trotzdem die Handelsbeziehungen zu den Städten und Königreichen im Süden nicht zu verlieren.“ warf Ingalf nun lautstark ein und begann vor Begeisterung in die Hände zu klatschen. Alle Fürsten stimmten dem Vorschlag des Kriegszauberers zu und Fürst Ingalf versah seinen Freund mit einem dankbaren Blick.
***
Tief in der Nacht, saßen Ingalf und Vitras allein vor dem riesigen Kamin, wo kurz zuvor noch die hitzige Debatte stattgefunden hatte. Diener hatten ihnen gemütliche Sessel und einen kleinen Tisch vor das warme, ausgelassen vor sich hin prasselnde Feuer gestellt. Fürst Ingalf war innerlich noch immer recht aufgewühlt, aber auch hocherfreut, dass der gesamte Bund einvernehmlich zu einer vorübergehenden Lösung der Probleme gefunden hatte. Während Ingalf die beiden Becher, die auf dem Tisch der zwischen den beiden Sesseln platziert war, mit kühlem Wein füllte, fiel ihm das besorgte Gesicht des Zauberers auf:
„Was ist los Vitras. Bereitet dir irgendetwas Sorgen?“
Der Kriegszauberer nahm dankbar den Becher Wein vom Fürsten entgegen, bevor er sich seinem Freund öffnete:
„Es geht um Sanara!“ brachte er zunächst trocken hervor.
Augenblicklich hatte er Ingalfs volle Aufmerksamkeit:
„Hat die Kleine schon wieder etwas angestellt?“
„Wenn es nur das wäre!“ Vitras überlegte einen Augenblick, doch er hatte nun eine Tür geöffnet und musste somit hindurchgehen. Also erzählte er dem Fürsten von seiner Lehrstunde mit Sanara am frühen Abend in der Bibliothek.
„Und dann hast du die Bibliothek alleine verlassen, um sie über die für immer zerstörte Kerze nachdenken zu lassen?“ stellte Ingalf fragend fest: „Ich verstehe wirklich nicht, was dich so besorgt.“
„Ich habe einen Verhüllungszauber gesprochen!“ antwortete ihm der Kriegszauberer: „Anschließend bin ich sofort wieder in die Bibliothek zurückgekehrt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Sanara meine Worte einfach so akzeptiert. Sie muss ja ständig alles hinterfragen!“
„Und?“ fragte Ingalf neugierig: „Was ist dann geschehen?“
Vitras wurde leichenblass, als er fortfuhr zu erzählen: „Sie hat es nicht nur versucht, sie hat es tatsächlich geschafft. Sie hat die Kerze kraft ihres Willens wiederhergestellt! Das wäre niemandem gelungen. Nicht einmal mir. Soweit ich weiß, ist das noch nie einem Magier gelungen!“
Fürst Ingalf verstand nicht viel über das genaue Wirken oder gar die Gesetze der Magie. Er begriff jedoch sofort, das Sanara etwas Ungeheures gelungen war:
„Und was bedeutet das jetzt?“
Vitras zuckte nur mit den Schultern:
„Ihre magische Quelle ist wahrscheinlich die gewaltigste, die je einen Menschen in sich trug – und sie ist noch so verdammt jung. Ich kann mir überhaupt nicht ausmalen, wozu sie in einigen Jahren fähig sein wird. Dabei habe ich Angst, dass diese Kräfte sie vielleicht eines Tages zerstören werden.“
Der Fürst erhob sich und legte seine Hand tröstend auf Vitras' Schulter.
„Das mein Freund, wird niemals passieren!“