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Jakob – damals

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Jakob war versunken in seine Umgebung. Er hockte in kurzer Hose, halbhohen Converse und mit Ohrstöpseln in den Ohren auf dem Boden eines Kraters. Aus seinem MP3-Player dröhnte „Geile Zeit“ und er zog mit beiden Händen schmalbrüchige Steinplatten aus der Wand vor sich, um sie dann zu begutachten. Jedes Mal bröckelte ein bisschen Schutt dabei herunter und fiel knisternd auf einen kleinen Haufen, der sich schon vor ihm gebildet hatte. Seine Hände waren ganz weiß vom Gesteinsstaub und neben ihm türmte sich eine kleine Auswahl an Brocken auf, die er sich später noch näher anschauen wollte. Sein bunter Rucksack war in der Ecke an einen hervorstehenden Felsen angelehnt und eine kleine PET-Flasche Cola stand direkt daneben auf dem Boden zwischen Baumwurzeln und Grasbüscheln. Ein kleiner Plüschanhänger mit einem braunen Hund – es sollte wahrscheinlich so etwas wie einen Schäferhund darstellen – baumelte per Karabinerhaken an der oberen Trageschlaufe und spielte mit einer kindlichen Anmutung. Bella lag neben Jakob in einem kleinen, flimmernden Sonnenfleck, der sich durch das wabernde Blätterdach auf dem Grund abmalte.

Launischer Wind spielte mit den Baumkronen und sie schwankten leicht hin und her. Sehr zum Leidwesen von Bella, die hin und wieder eine Korrektur ihrer Liegeposition vornehmen musste, um ganz von der Sonne angestrahlt zu werden. Dabei genoss sie, wie sich ihr schwarzes Fell aufheizte, denn heute war es sogar ausgesprochen kühl für einen Tag im späten August. Ab und zu schloss sie ihre Augen und döste vor sich hin. Nur das Klacken der Steine, die Jakob in regelmäßigen Abständen auf seinen kleinen Haufen warf, ließ kurz ihre aufmerksamen Ohren zucken.

Jakob kramte in der Seitentasche seines Kapuzenpullis, um den Next Button seines Players zu betätigen. Die Playlist, die Max ihm kopiert hatte, war so gar nicht nach seinem Geschmack, er musste morgen unbedingt daran denken, Lukas nach anderer Musik zu fragen. Dieses Zeug, das den ganzen Tag im Radio lief, interessierte ihn nicht.

In seinen Ohren begann mit einem dreckigen Lachen der Beat zu Gorillaz’ „Feel Good Inc.“. Okay, damit war er einverstanden. Vielleicht gab er der Musik auf seinem Player noch eine letzte Chance.

Seinen Zehenspitzen begannen zu kribbeln und dieses Gefühl strahlte bis in seine Waden aus. Er vergaß schnell die Zeit, wenn er konzentriert seinen Dingen nachging. Er stellte sich hin und schüttelte kurz seine Beine aus. Sie waren eingeschlafen. Tausende kleiner Ameisen krabbelten in seinen unteren Extremitäten umher und es dauerte eine Weile, bis sie wieder verschwanden.

Bella saß nun aufrecht und beobachtete dieses lustige Gezappel.

„Dir macht das lange Rumliegen nichts aus ...“, sagte Jakob zu ihr, doch sie verstand nur etwas von „lieg“ und „aus“, und wusste nicht so recht, was er ihr damit nun sagen wollte. Sie beobachtete, wie er zu seinem Rucksack hinüberstapfte und sich nach seiner Colaflasche bückte.

Als würde ihr die Ansprache von eben nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen, stand Bella nun auf und tapste zu ihm hin, um ihn dann fragend anzusehen. Brav setzte sie sich auf ihren Allerwertesten, ihre Augen immer noch zu groß für ihren kleinen Welpenkopf. Langsam musste Jakob sich daran gewöhnen, dass sie nicht immer so drollig bleiben würde.

Er öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks und zog eine kleine Glasschale heraus, die er zur Sicherheit in ein Küchentuch eingewickelt hatte. Dann kramte er noch etwas tiefer und angelte sich eine Fahrradtrinkflasche, die nicht weniger bunt war als sein Rucksack, und goss etwas Wasser in die Schale. Bella begann zu trinken.

Mit verschränkten Armen sah Jakob sich seine Baustelle an. Irgendwie war die Ausbeute hier nicht so toll. Er nahm ein paar handtellergroße Steinplatten von seinem Haufen und kniete sich wieder hin. Sie waren alle glatt. Er schlug eine Platte gegen die Felswand, bis sie sich wie Blätterteig in mehreren Schichten löste. Manchmal hatte man Glück und man fand zwischen den Schichten etwas Brauchbares, doch wieder wurde er enttäuscht.

Nun startete ein Lied über einen Monsun. Das reichte nun wirklich. Er schaltete seinen MP3-Player aus und wickelte das Kabel der Ohrhörer darum. Mit einem geschickten Wurf traf er die Öffnung seines Rucksacks, in dem der Player dann verschwand. Wenigstens das klappt, dachte sich Jakob. Zu gerne hätte er noch ein paar versteinerte Zeugnisse einer vergangenen Zeit gefunden, doch er hatte einfach kein Glück. Er stopfte sich eins von seinen Kaubonbons in den Mund und begann zusammenzupacken.

Der Wind wurde etwas stärker und der Himmel zog sich zu. Erste Tropfen fielen vereinzelt auf den trockenen Waldboden herab. Jakob verzog das Gesicht.

In der Ferne hörte er ein Grollen.

Das Licht verfärbte sich langsam grünlich und die Sonne fand keinen Weg mehr in den zimmergroßen Kessel, in dem er sich befand. Ein leises Tröpfeln erklang, und als würden die Blätter flüstern, verwandelte sich der Wald in eine angenehme Symphonie aus lauten und leisen Tönen. Die Schatten verloren ihre Schärfe und ein seichter Wind bewegte die Härchen auf Jakobs Beinen.

„Ich glaube, wir sollten los“, sagte er zu Bella, die gerade damit beschäftigt war, an einem Ast herumzukauen.

Er ging zum Rand des Kraters, wo eine kräftige Baumwurzel vom oberen Rand bis zu ihm herunterreichte. Er hatte sie eben schon als Leiter benutzt, als er in den großen Erdkessel hinabgestiegen war.

Jakob strich sanft über das knorrige Holz und beobachtete, wie ein kleines Rinnsal versuchte, über die Erdkante zu laufen. Der Boden war noch staubtrocken und so versiegelte er sich gegen jede Feuchtigkeit. Wie eine Perle kullerten die Wassertropfen über den staubigen Rand und fielen dann hinab auf die Außenwand des Kessels, wo sie schließlich versickerten.

Plötzlich hielt er inne.

Bella spitzte ihre Ohren und machte ein paar aufgeregte Schritte näher an Jakobs Seite. Er lauschte, doch nur das Tröpfeln war zu hören.

Wieder ein Grollen, diesmal näher.

Er konnte sich nicht erinnern, wann das Unbehagen einsetzte, doch seine unbekünnerte Stimmung machte nun einer inneren Unruhe Platz.

Auch Bella schien nervös zu werden. Sie machte gurgelnde Laute und schaute aufgeregt umher. Ihre Ohren hatte sie wie zwei hektische Radarschüsseln, die unentwegt die Umgebung abscannen, aufgestellt.

Ein Rascheln. Dann ein brechender Ast.

Jakob stockte der Atem. Er griff Bella an ihrem grünen Halsband und zog sie noch ein Stück näher zu sich, als er sich hinkniete. Unter seinem rechten Arm war der eingeklemmte Rucksack. Er fokussierte das andere Ende seiner Leiter und konnte über die Kuppe des Kessels nur das Walddach erkennen, das im immer stärker werdenden Wind unruhig tanzte, als würde es hämisch auf ihn hinabblicken.

Wieder ein Knacken.

Bella machte keinen Mucks mehr.

Jakob verharrte in seiner Hockstellung und empfand nun große Angst. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, doch er fasste all seinen Mut zusammen, setzte sich seinen Rucksack auf, nahm Bella unter seinen linken Arm und griff nach der Wurzel, um sich langsam hochzuziehen. Die hervorstehenden Steine in der Wand boten einen guten Halt für seine Füße. Als er die Kante erreichte, setzte er Bella wieder ab und schaute unruhig umher. Der ausgefahrene Lehmpfad vor ihm warf nun dunkle Schatten in jede Spur und der Ilex war zu dicht, um weit sehen zu können.

Kalte Regentropfen fielen auf seinen Nacken.

Wieder ein Knacken. Eine Bewegung.

Diesmal näher.

Jakob stand stocksteif da und hielt seinen Atem an.

Nun regte sich auch Bella. Sie jaulte erst leise, dann bellte sie den kräftigsten Laut, den sie je hervorgebracht hatte. Sie fing an zu laufen. Schnell und zielstrebig. Um eine Ecke, hinter einen Haselstrauch. Dann ein lautes Krachen.

Jakob wollte rennen, doch wie versteinert stand er da und sah vor sich in die grüne Leere.

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