Читать книгу TREU - Sven Hornscheidt - Страница 18
ОглавлениеMoritz
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Moritz’ Beichte bei Marina war nun schon fast eine Woche her. Er war etwas aufgeregt, als er neben Lukas auf einer Parkbank saß, die in der Nähe seines Elternhauses am Feldrand stand. Der Feldweg vor ihnen führte zum Hof von Körperklaus. Die letzten Tage hatte es nur geregnet und heute kam das erste Mal die Sonne heraus. Auf die Parkbank hatten sie als Nässeschutz für ihren Allerwertesten zwei aufgerissene Einkaufstüten gelegt. Doch aufgrund der geringen Fläche ihrer bunten Sitzunterlagen und dem Wunsch, möglichst saubere Klamotten zu behalten, mussten sie recht nah zusammenrücken, was Moritz nicht gerade unangenehm fand.
Lukas rauchte. Es war das erste Mal, dass Moritz ihn mit einer Zigarette sah. Er wusste gar nicht, dass er rauchte. Selbst auf Partys lehnte er immer ab, wenn ihm mal ein Glimmstängel angeboten wurde.
Es war immer noch kalt. Lukas blies eine rauchende Wolke in die Luft, die erst wieder in ihre Richtung zurückwehte und sich dann in der kalten Luft verflüchtigte.
Das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten, hatte Lukas ihn wütend stehen gelassen, doch Moritz hoffte, dass er nicht allzu nachtragend war. Es hatte ihn ziemlich überrascht, als Lukas ihn am Mittag angerufen hatte, um nachzufragen, ob er Lust habe, ihn mit Bella über die Felder zu begleiten. Er verlor kein Wort über ihr letztes Zerwürfnis. Als wäre nichts passiert.
„Willst du auch eine?“, fragte Lukas.
„Nein, danke. Seit wann rauchst du eigentlich?“
„Bist du jetzt meine Mama?“
„Sei jetzt nicht eingeschnappt. Bist du eigentlich noch sauer?“
„Warum sauer?“
Moritz verstand dieses seltsame Spiel nicht so ganz, doch ihm war es auch ganz recht so. Heute hatte er keine Lust auf emotionale Gespräche. Der kleine Restkloß seiner persönlichen Probleme saß zwar immer noch tief in seinem Hals, aber er war nicht mehr ganz so dick. Und aufwecken wollte er sein Unbehagen auch nicht.
„Ich habe es letztens nicht so gemeint, oben!“ Er zog an Lukas’ Hand, in der er noch die Zigarettenschachtel hielt, um ihn dazu zu ermutigen, ihm nun eine abzugeben.
„Also doch?“ Er streckte ihm die Schachtel hin.
Mit schützenden Händen zündete Moritz sich eine an und musste sofort furchtbar husten.
„Mama kommt!“, rief Lukas und grinste dabei breit.
„Was?“ Moritz verstand nicht so ganz und räusperte sich.
„Du musst dran ziehen und dir vorstellen, dass deine Eltern dich beim Rauchen erwischen, erschreckt einziehen und dann ‚Mama kommt‘ beim Ausatmen rufen. So musst du nicht husten!“
Moritz stand immer noch auf dem Schlauch.
Es war eine blöde Idee und Lukas’ Tipp erschien ihm nicht besonders hilfreich zu sein. Das würde die erste und die letzte Zigarette sein, die er rauchte, doch er hatte jetzt das innere Bedürfnis, es zu tun.
Lukas ging nicht weiter auf ihren Streit von kürzlich ein. Er steckte sich die Zigaretten und das Feuerzeug, dass er Moritz wieder aus der Hand nahm, in die Jackentasche und holte ein kleines Leckerli heraus. Bella sprang begeistert auf und schnappte es noch im Flug.
„Meinst du nicht, die friert da auf dem Boden?“, fragte Moritz.
„Bist du jetzt auch ihre Mama?“
Aus Lukas’ Laune schloss er, dass Marina Wort gehalten hatte und ihm nichts erzählt hatte. Normaler Weise war Lukas immer ziemlich neugierig, doch jetzt war er entweder zu stur oder ihn interessierte es im Moment wirklich nicht, worüber er mit Marina gesprochen hatte.
„Wie war der Film?“, versuchte Moritz noch einmal die Stimmung abzuchecken.
„Eigentlich gar nicht so schlecht. Wenn da nicht so ein nerviger Mensch gewesen wäre, der dauernd Telefonterror gemacht hat.“
Lukas zwinkerte Moritz zu.
Offenbar wollte er das Thema auch abhaken.
Eine ganze Weile saßen sie still auf der Bank. Das war neu. Sonst gab es immer etwas zu bequatschen. Doch Moritz machte das gerade nichts aus. Er genoss die Wärme von Lukas’ Körper, die leicht herüberstrahlte und kraulte Bellas Kopf, die es sich inzwischen unter seinen Beinen bequem gemacht hatte.
„Ihr wird anscheinend nie langweilig“, sagte Moritz.
„Ich kann sie dir gerne schenken. Dann siehst du, wie oft ihr langweilig ist!“
Beide schmunzelten.
„Hast du schon fürs Abi gelernt?“, fragte Moritz, der Bella inzwischen hinter den Ohren kraulte.
„Nein, nicht wirklich. Aber eigentlich hab’ ich den Stoff ganz gut drauf.“
Damit hatte Lukas zweifellos recht. In seinen LK-Fächern war er sehr gut. Er half Moritz die letzten Monate oft aus, wenn er wieder mal Probleme mit dem Lernen hatte. Sie hatten beide die gleichen Leistungsfächer, doch im Gegensatz zu ihm fiel die innere Logik der Inhalte geradezu in Lukas’ Schoß hinein. Moritz wurmte es ein wenig, dass Lukas sich damit immer so leicht tat und er selbst stundenlang über seinen Büchern sitzen musste, um die gröbsten Zusammenhänge zu begreifen.
„Und du?“, fragte Lukas.
„Nee, nicht wirklich“, antwortete Moritz.
Lukas schnippte seine Zigarettenkippe in die Büsche. Moritz schaute ihn verdutzt an und wollte ihn schon tadeln, aber er ließ es dann lieber, denn er wurde für sein Empfinden heute schon oft genug „Mama“ genannt. Er hasste es, wenn andere Menschen unachtsam ihren Müll in die Gegend warfen. Er versuchte, streng zu blicken, doch Lukas musste lachen.
„Ist das dein Mamablick?“
Moritz verdrehte die Augen.
„Nein, das ist mein Lukasarschlochblick!“, erwiderte er mit einem Grinsen.
„Na gut, weil du es bist.“
Lukas stand auf und kramte im Gebüsch nach der noch qualmenden Kippe. Er blickte Moritz tief in die Augen, als er sie am Beton des Parkbankgestells ausdrückte und dann in den Mülleimer daneben warf.
Hinter Moritz’ Ohren begann es zu kribbeln.
„Brav so?“, fragte Lukas.
„Brav!“, antwortete Moritz.
Er setzte sich wieder neben ihn, dieses Mal kam er sogar etwas näher.
„Wie ist Jakob so?“
Moritz wusste, dass er verbotenes Terrain betrat und er verstand selbst nicht, wieso er gerade jetzt diese Frage stellen musste. Er sollte nach der letzten Auseinandersetzung mit Lukas den Bogen wirklich nicht überspannen. Aber manchmal passiert es, dass das Unterbewusstsein Fragen formuliert, die man selber gar nicht greifen kann. Die Fragen formen sich und drücken von unten gegen eine gefrorene Eisschicht auf dem Teich des Bewusstseins, bis das Eis irgendwann und völlig unvermittelt bricht und die Fragen nach außen dringen lässt. Meistens zu unerwartet und zu schnell, als dass das Bewusstsein noch die Notbremse ziehen könnte.
Lukas schaute auf den Boden und Moritz bereute schon, dass er gefragt hatte. Lukas klopfte Bella auf den Rücken. Seine Hand strich nach oben über das Fell zu ihrem Kopf, wo sich kurz ihre Hände berührten. Moritz erschrak dabei, doch er zog seine Hand nicht weg.
„Er ist wie du!“