Читать книгу TREU - Sven Hornscheidt - Страница 17
ОглавлениеLUKAS
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Lukas saß in Shorts auf seiner Bettkante. Er inspizierte seinen rechten Arm und streckte ihn dabei mit einer drehenden Bewegung nach vorne. An der Innenseite seines Oberarms lief ein kleines rotes Rinnsal herunter. Er hatte sich offenbar wieder im Schlaf gekratzt. Er stützte sich auf seine weiche Matratze und suchte auf dem Oberbett nach Blutflecken, doch anscheinend hatte es nur das Kopfkissen erwischt. Im Haus war es ruhig, ihn fröstelte. Das Schlafzimmerfenster stand sperrangelweit offen.
Er war immer noch etwas sauer auf Marina. Er mochte es nicht, wie sie sich in Dinge einmischte, die sie nichts angingen. Und das große Geheimnis wollte sie auch nicht lüften, als genösse sie es, ihm damit überlegen zu sein. Blöde Kuh, dachte er.
Er stand auf und zog sich die alten Klamotten von gestern über. Sie rochen nach Zigarettenrauch, doch das war ihm jetzt egal. Nachdem er mit Marina gestern heimgefahren war, setzte sie sich zu Moritz ab. Und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als sich im örtlichen Pub volllaufen zu lassen. Max hatte ihm dabei spontan Gesellschaft geleistet und er fand in ihm einen guten Partner, um über Marina und Moritz herzuziehen.
Er schloss das Fenster und warf einen Blick nach draußen. Es regnete schon den ganzen Morgen. Die Ränder der Straße vor dem Haus wurden zu kleinen Bächen, die die Reste des Schneematsches den Berg hinunterspülten. Die Gullys waren wohl zu sehr mit Laub verstopft, als dass sie den ganzen Regen hätten aufnehmen können. Plätschernd fuhr ein alter Land Rover „Defender“ vorbei, der mal wieder eine Wäsche nötig hatte. Auf dem Beifahrersitz tobten zwei kläffende Zwergpinscher.
Lukas drehte sich um und ging hinaus in den großen Raum vor seinem Zimmer. Das Haus wirkte leer und verlassen. In solchen Momenten sehnte er sich nach seinen Eltern. Und nach Jakob.
Er öffnete die Zimmertür seines Bruders und ging hinein in den verlassenen Raum. Er war seit drei Jahren unverändert geblieben. Das Bett war frisch bezogen und eine Tagesdecke schützte das Oberbett vor dem Staub der Zeit. Auf dem Schreibtisch lagen Schulunterlagen neben Stiften und Zeitschriften und an dem Schreibtischstuhl hing ein dreckiger, bunter Rucksack. Ein kleiner Plüschhund schaute ihn hämisch an.
Lukas griff nach einem Stein, der im Regal lag und ein paar Bücher stützte. In ihm wanden sich einige schneckenförmige Gebilde, als würden sie noch den Meeresboden nach Aas und Kleinstlebewesen durchsuchen wollen. Er pustete den Staub ab, wischte mit seinem Ärmel über die Regalplatte und stellte ihn wieder behutsam zurück an seinen Platz. Es war stickig hier, also öffnete er ein Fenster. Die Seiten der Zeitschriften begannen leicht im Durchzug zu flattern. Unten knallte eine Tür.
Lukas zog die Tagesdecke glatt und schloss das Fenster wieder. Als würde er sich ertappt fühlen, zog er die Tür besonders leise hinter sich zu, als er das Zimmer wieder verließ. Er nahm einen Schlüssel von einem Haken, der in die Holzzarge der Tür eingedreht war und schloss ab. Den Schlüssel drapierte er wieder an seinen Platz.
Die Trümmer der vergangenen Party waren längst aufgeräumt. Es roch leicht nach Raumspray. Jans Wolldecke lag säuberlich gefaltet auf dem kleinen Sessel, der schon eine Sitzkuhle von den vielen durchzockten Nächten hatte. Die Spielekonsole hatte Lukas abgebaut und in einem großen Eichenschrank verstaut.
Heute war einer dieser Tage, an denen er die Schulferien hasste, und zum Lernen konnte er sich auch nicht aufraffen. Er schaltete den Fernseher ein und ging wieder in sein Zimmer. Bei offener Tür zog er, von dem Gebrabbel eines Nachrichtensprechers begleitet, das Bett ab und warf die dreckigen Laken in einen Korb aus Rattan. Dann holte er aus seiner Kommode einen neuen Bettbezug und verrichtete gewissenhaft seine Arbeit.
Aus einem schmalen Regal, das neben seinem Bett stand, holte er ein dickes Biologiebuch und schnappte sich aus einer Plastikbox daneben ein paar unbeschriebene Karteikarten. Er legte beides zusammen auf seinen Schreibtisch. Wenigstens die guten Vorsätze waren da. Das Wetter war eigentlich perfekt, um für das Abitur zu lernen.
Auf der Holztreppe machte sich leises Hundetapsen bemerkbar. Nun hatte auch Bella verstanden, dass der Tag begann. Ihm grauste es davor, bei diesem Wetter mit ihr nach draußen zu müssen.
Sie schaute ihn erwartungsvoll an, doch seine Laune war ziemlich mies, also ignorierte er sie fürs Erste.
Mit dem Smartphone in der Hand setzte er sich auf den Sessel und legte seine Füße auf den von Wasserkränzen verunzierten Beistelltisch. Bella trottete zu ihm hin und legte sich quer unter seine ausgestreckten Beine auf den Boden.
Mit ein paar geschickten Daumenbewegungen öffnete er das digitale Fotoalbum. Es dauerte immer eine gewisse Zeit, bis die Vorschaubilder erschienen. Er wischte die eingefangenen mosaikartigen Erinnerungen der letzten Monate in das leere Nichts unter seiner Hand. Der Fernseher referierte über das Wetter. Anscheinend hatte der kurze Schneefall der vergangenen Tage keine weißen Weihnachten angekündigt.
Auf einem Foto von Moritz stoppte sein Daumen mit einem kurzen Tippen die Scrollbewegung der Bilderflut. Er öffnete es und er sah in ein zu einer Grimasse verzogenes Gesicht. Moritz mochte es nie, wenn jemand von ihm Fotos machte und zog dann immer die unmöglichsten Fratzen. Hinter Moritz’ Kopf sah man zwei gestreckte Finger, die Hasenohren andeuten sollten, und die grinsenden Schemen von Max’ halbem Gesicht.
Lukas schmunzelte.
Er warf sein Smartphone auf den Tisch, das noch schlitternd an der Kante zum Stehen kam, stand auf und bewegte sich Richtung Treppe, ohne sich um die morgendliche Pflegeroutine zu kümmern.
„Komm, Bella. Gassi gehen.“