Читать книгу TREU - Sven Hornscheidt - Страница 14
ОглавлениеMORITZ
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Moritz saß etwas verloren auf der Couch im Wohnzimmer seiner Eltern. Sein Herz pochte und seine Gedanken rasten. Er spürte eine leichte Euphorie, die sich abwechselnd mit tiefen Zweifeln vermischte. Draußen war es dunkel, der Schnee der vergangenen Tage hatte sich größtenteils verflüssigt, nur noch ein paar Schneehaufen türmten sich hier und da an den Straßenecken auf. Er war nicht mehr so schön weiß wie letzte Woche, eher graumeliert. Veränderungen lagen in der Luft.
Er wusste gerade nichts mit sich anzufangen. Also ging er in die Küche und machte sich einen schwarzen Tee, in den er einen großzügigen Schluck Pottrum goss. Er schaute auf die Uhr – 0:45. Ob sie wirklich kommt?
Er war etwas verwirrt über das Telefonat. Marina mochte er eigentlich nie, doch nun war ausgerechnet sie es, die ihm sein größtes Geheimnis entlocken konnte. Er schaute zu, wie der Teebeutel vor sich hin zog und warf ihn dann in den Mülleimer. Mit der Tasse in der Hand ging er wieder ins Wohnzimmer und stellte sie auf dem kleinen Couchtisch ab. Dann stapfte er in den Keller, um nachzuschauen, ob sich noch eine Flasche Wein für Marina finden ließe.
Dornfelder, halbtrocken. Das hörte sich doch gut an. Er war zwar kein großer Weintrinker, doch wusste er, dass er die Flasche öffnen sollte, damit sie etwas atmen konnte. Er ging wieder nach oben und stellte sie zusammen mit zwei Weingläsern auf den Tisch.
Er roch an seinen Achseln. Eine Dusche würde er noch dringend brauchen, also ging er die Treppen hoch ins Badezimmer, das Teeglas in der Hand. Er stellte den Tee auf der Spiegelablage ab und zog sich aus. Die stinkigen Klamotten warf er den Treppenschacht hinunter.
Mit einem dumpfen Schlag landeten sie in der untersten Etage. Um die Wäsche würde er sich morgen kümmern.
Er steckte seinen Finger in das Teeglas. Es war noch zu heiß zum Trinken, also öffnete er die Tür der Duschkabine und stieg hinein. Er stellte das Wasser an und wartete einige Minuten, bis sich das heiße Wasser vom Heizkessel im Keller einen Weg nach oben gebahnt hatte. Dann nahm er eine Flasche Shampoo von der Ablage und setzte sich auf den Boden der Duschwanne. Das dampfende Wasser tat gut.
Eine ganze Weile kauerte er so da und ließ sich das heiße Wasser auf den Rücken prasseln, die Arme um seine Beine geschlagen, den Kopf auf seinen Knien. Weinen musste er nicht mehr. Er war jetzt sogar ein bisschen stolz auf sich.
Nachdem er sich fertig gewaschen hatte, stapfte er aus der dampfenden Duschkabine heraus. Es war ganz schön kalt im Badezimmer. Er hatte vergessen, die Heizung aufzudrehen. Seine Schultern waren leicht gerötet von dem heißen Wasser. Der Tee hatte nun eine gute Trinktemperatur, fast schon etwas zu sehr abgekühlt. Er trank ihn schnell aus, der Rum wärmte sein Inneres. Im Spiegel betrachtete er sich. Eigentlich ist doch alles okay bei dir, dachte er sich.
Mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt, wollte er sich gerade frische Klamotten aus dem Kleiderschrank holen, als es an der Tür klingelte.
„Oh, also, so hätte ich dich jetzt nicht erwartet.“
Marina umarmte ihn mit einem Lächeln, der kühle Wind aus der offenen Tür fröstelte ihn und er bat sie schnell herein.
„Sorry, ich habe noch eben geduscht, ich dachte, ich hätte noch etwas Zeit“
Sie musterte ihn.
„Also, ich könnte verstehen, wenn dir die Jungs hinterherlaufen!“
Das Eis war gebrochen.
„Ich zieh’ mir schnell was an, im Wohnzimmer steht schon der Wein.“
Er ließ Marina stehen und flitzte schnell die Treppen hinauf.
Vor dem Kleiderschrank sinnierte er noch kurz, was er sich eigentlich hier eingebrockt hatte. Doch er vertraute auf den Moment und zog sich schnell etwas an. Die Rollladen klapperten vom Wind, als würden sie ihm zustimmen wollen.
Wieder unten angekommen, saß Marina schon auf der Couch und nippte an ihrem Glas. Über den Schoß hatte sie sich eine Decke gelegt, die sie wohl irgendwo im Zimmer gefunden hatte. Auf der anderen Seite des Tisches stand ein volles Glas Wein für ihn bereit. Er setzte sich auf den Sessel gegenüber. Dann stand er wieder auf und ging zur Heizung, die er etwas aufdrehte. Es war wirklich kalt hier.
„Musik?“
„Ja, mach mal! Es ist doch etwas still hier.“
Er ging zum Regal und schaltete das Radio ein. Marina beobachtete ihn dabei und musste schmunzeln. Offenbar schaffte es heute niemand, einfach mal still sitzen zu bleiben.
„Was lachst du?“, fragte Moritz.
„Ach nichts – insider ...“
„Insider?“ Moritz verstand nicht so ganz.
„Du brauchst nicht so aufgeregt zu sein, es ist alles gut, Moritz.“
Er setzte sich hin.
„Also, willst du darüber reden?“, Marinas Stimme klang beruhigend.
„Hast du Lukas etwas erzählt?“, fragte Moritz unsicher.
„Nein“, sagte sie, „und es spielt auch keine Rolle, meinst du nicht? Es geht um dich und nicht um Lukas.“
„Ich liebe ihn“, protestierte er zögerlich und blendete aus, dass er es ausgerechnet Lukas’ Freundin offenbarte.
„Zuerst fängst du mal an, dich selbst zu lieben. Was Lukas angeht, ich glaube nicht, dass er sich etwas mit Jungs vorstellen könnte. Und er würde dich nicht fallen lassen, nur weil du ... schwul ... bist. Er kann zwar manchmal ein ziemliches Arschloch sein, aber er lässt niemanden hängen. Er mag dich ja auch.“
„Hattet ihr Streit?“
„Nun ja, ich dachte, es ginge hier um dich, aber gut. Er hat sich in letzter Zeit irgendwie unberechenbar verhalten. Manchmal ist er gut gelaunt, von einer auf die andere Sekunde kippt es dann. Ich weiß manchmal wirklich nicht, woran ich bei ihm bin.“
„Und liebst du ihn?“ Moritz war ihr auf einmal etwas zu direkt.
„Ich glaube nicht, dass wir das hier besprechen sollten, Moritz. Ich meine, hey, du hattest heute dein Coming Out, das ist toll. Du solltest dir nicht so viel den Kopf um Lukas oder andere zerbrechen. Fang an, dein Leben zu leben!“
„Ich weiß nicht ...“ Marina griff seine Hand und schaute ihm tief in die Augen.
„Doch, du weißt genau, Moritz. Du hast den ersten Schritt gemacht und du kannst stolz auf dich sein.“
Moritz lächelte.
„Prost, auf dein neues Leben!“ Sie hielt ihm ihr Weinglas entgegen, an dem etwas Lippenstift klebte. Seine Eltern würden sich freuen, wenn sie diesen Beweis einer weiblichen Anwesenheit hier zufällig entdecken würden.
Er dachte an seine Einhorntasse.
„Hast du es dir gedacht?“, fragte er.
„Ehrlich? ... Nein. Aber dazu kenne ich dich auch nicht gut genug. Aber ich glaube, keiner würde es sich denken. Aber vielleicht ist das ja auch gut so. Du bist kein bunter Paradiesvogel. Ein Kakadu bietet viel mehr Angriffsfläche für Häme als du!“
Sie dachte an all die bunten Vögel, die sich immer in die Medien drängten. Moritz war einfach normal für sie.
„Seit wann weißt du es schon?“
„Hmmm, keine Ahnung. Ich glaube, seit ich vierzehn bin. Aber ich weiß es nicht ...“
„Naja, die Hauptsache ist, dass du es jetzt für dich weißt –
und jetzt betrinken wir uns!“
Sie stießen an.
Moritz hätte nie gedacht, dass sie sich so gut verstehen würden. Er verspürte in diesem Moment keine Eifersucht, sie war für ihn ein Engel, der ihn ein bisschen näher ans Licht zog. Sie tranken die Flasche Wein aus und er fand ab und zu sogar sein Lachen wieder. Doch als sie ihn löchern wollte, auf was für einen Typ Mann er stehen würde, war es ihm zu früh und zu unangenehm, darauf einzugehen. Er wusste es ja selber noch nicht so ganz. Er war wie ein Küken, das seine Eierschale unter Wasser aufgebrochen hatte und erst mal an die Oberfläche gelangen musste, um klarer zu sehen. Er fühlte sich das erste Mal befreit, zumindest für einen kurzen Augenblick. Auch, wenn seine Angst noch nicht ganz verflogen war. Der Kloß, den er ständig in seinem Hals spürte, wurde etwas kleiner. Er konnte nun wieder freier atmen.
Sie öffneten eine zweite Flasche Wein und redeten lange über Gott und die Welt, ohne zu sehr auf Lukas oder Liebe einzugehen. Zum Abschied umarmte sie Moritz noch einmal und küsste ihn auf die Stirn. Sie vergewisserte sich mehr als einmal, dass er heute alleine klar kommen würde und machte sich dann früh morgens auf den Weg nach Hause.