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ОглавлениеJAKOB – damals
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„Bella?“, rief Jakob leise, der immer noch wie versteinert auf dem lehmigen Pfad stand. Sein Herz pochte in seinen Schläfen.
Immer größere Tropfen rieselten von oben herab und erfüllten den Wald mit einem leisen Rauschen.
Das grünliche Licht war gespenstisch.
Ein Blitz zuckte in weiter Ferne.
Bella war außer Sichtweite. Für einen Sekundenbruchteil war es nun still.
Kein Laut von Bella und kein Rascheln. Nur der Regen.
Dann plötzlich ein lautes tosendes Krachen, nur wenige Meter entfernt.
Er schrie auf und stolperte einen Schritt zurück.
Er sah zuerst die spitzen Ohren, die großen schwarzen Augen und den langen braunen Hals, der aus dem Gebüsch schoss. Dann ein zweites Paar Ohren und endlos lange Beine.
Er verlor fast das Gleichgewicht. Hinter ihm war ein zwei Meter tiefes Loch mit kleinen herausgeschlagenen Steinplatten in der Mitte.
Bella quiekte. Der Laut hallte durch den sonst so stillen Wald.
Wie ein Geschoss stürzten zwei Rehe an ihm vorbei, schlugen einen Haken und verschwanden ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, mit einem Krachen am Waldrand, an dem sich die Felder anschlossen. Bella wollte hinterherrennen, doch sie hatte sich ebenso erschrocken wie Jakob und wollte ihn auch nicht alleine lassen. Sie winselte leise und lief reumütig zu ihrem großen Menschenbruder, der inzwischen auf den Boden gesunken war und fast schon asthmatisch hechelte. Sie begann damit, seine Beine abzulecken.
„Alter ....!“, rief er und hielt sich mit der Hand seine Brust und spürte sein pochendes Herz. Ein Adrenalinschauer explodierte in seinem Körper. Dem Schrecken folgte euphorische Entspannung, als er begriff, dass er sich wegen zwei Rehen fast in die Hose gepinkelt hatte. Gänsehaut überzog seinen ganzen Körper. Er musste laut loslachen.
Bella nahm das zum Ansporn, laut zu kläffen und um ihn herumzutänzeln. Sie hatte nun auch ihr erstes Hundeabenteuer erlebt und war ziemlich stolz, diese großen braunen Ungeheuer verjagt zu haben.
Das Grollen wurde lauter. Sie sollten sich nicht bei Gewitter im Kraterwald aufhalten.
„Komm, Bella“, rief Jakob, der in vom Adrenalin aufgeputschter Stimmung war. Er zog sich seine Kapuze über den Kopf und hielt sie wie ein Vordach nach vorne, als er joggend den Wald über einen etwas breiteren Pfad an offizieller Stelle verließ. Bella rannte hinterher.
Den Weg, der hinter dem Kraterwald weiterführte und sich durch eine grüne Böschung zog, war Jakob noch nie gegangen. Komisch eigentlich, denn hier lag alles so nah beieinander. Der Weg führte in ein anderes Stadtgebiet, an dem riesigen Steinbruch und weiteren Wäldchen und Teichen vorbei. Den Steinbruch konnte man nur erahnen. Er verbarg sich hinter einem Hang, der auf der rechten Seite des Weges steil nach oben führte. Mit Unkraut zugewuchert verbarg er die Mondlandschaft des Kalksteinbruches, die sich hinter ihm verbarg. In seiner Fantasie stellte Jakob sich vor, wie ein kleines Wesen über diesen Hang marschierte, das einen verzauberten Ring bei sich trug, um ihn in den Steinbruch zu werfen. Doch glühende Lava gab es hier nicht, nur jede Menge rutschigen Kies und die steilen Bruchkanten von den Sprengungen. Der Diesellärm der riesigen Schaufelbagger, die im Steinbruch arbeiteten, drang, begleitet von dem grollenden Himmel, in seine Ohren.
Ob Lukas seinen Vorschlag, dort einmal hinzugehen, um nach Fossilien zu suchen, ernst gemeint hatte?
Auf halber Hanghöhe stand ein circa zwei Meter hoher Stahlzaun, der sich parallel zum Weg den Hang entlangschlängelte. Auf knallgelben Plastikschildern war alle paar Meter ein unmissverständliches Piktogramm mit der Unterschrift „BETRETEN VERBOTEN! LEBENSGEFAHR!“ angebracht, doch Jakob wusste vom Hörensagen, dass schon ein paar Jungs aus seiner Schule darüber geklettert waren, um im Steinbruch zu spielen. Die ganzen Schulferien hatten sie damit angegeben und eine Hysterie unter Eltern und Lehrern ausgelöst, die zur Folge hatte, dass Mitarbeiter der Kalksteinwerke in jede Klasse und jede Schule marschieren mussten, um über die Gefahren des Steinbruchs aufzuklären und die Kinder eindringlich davor zu warnen, dort hineinzugehen.
Jakob überlegte, ob er sich den Zaun mal von nahem anschauen sollte, doch ein zuckender Blitz am grüngrauen Himmel gab ihm direkt eine unmissverständliche Antwort.
Er war sowieso schon ziemlich nass und bestimmt schüttete es gleich wie aus Eimern. Er drehte sich um und ging talabwärts Richtung Bauernhof. Die Kastanie thronte einsam auf ihrer großen Wiese, die Kühe waren offenbar in ihrem Stall.
Auf dem Feldweg drehte er sich noch einmal um und betrachtete den nun düster aussehenden Kraterwald, der im schummrigen Gewitterlicht wie eine schwarzgrüne Festung aussah.
„Rehe ...“, sagte er und sprang über ein paar Pfützen, die sich schon auf dem Feldweg gebildet hatten. Sein Rucksack hüpfte im Takt seiner Schritte mit, die Glasschale darin schepperte leise.
Auf halbem Weg passierten sie einen morschen Holzpfahl.
Ein kleiner bunter Papierfetzen hing noch an seiner Spitze, widerstrebte noch den Zuckungen des Windes und flog dann unbemerkt davon, als Jakob mit Bella vorbeiging.
Sie sollten nun schleunigst nach Hause gehen, wenn sie nicht noch nasser werden wollten.