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Kapitel 4
ОглавлениеSchnell gewöhnten sich alle an die neuen Umstände. Auf Roalds Hof gab es keine Mägde oder Knechte, die Familienmitglieder verrichteten die Arbeiten allein. Jeder besaß seine Aufgaben, von den Eltern angefangen, über Leif, der mit seinen acht Jahren schon eine vollwertige Arbeitskraft darstellte, bis hin zum fast dreijährigen Tjark. Die Aufgabe des kleinen Jungen bestand darin, täglich den Hühnern ihre kleine Schale zusätzliche Körner zu bringen und der Mutter zu helfen, indem er ihr einzelne Holzscheite ans Herdfeuer reichte. Leif begleitete seinen Vater auf Schritt und Tritt. Jede seiner Arbeiten erlernte er so von klein auf, bis sie ihm ins Blut übergingen. Schließlich würde er, als ältester Sohn, später den Hof übernehmen. Wenn die Götter gnädig waren, noch vor dem Tod seines Vaters, damit Roald und Hjördis noch einige Jahre im Haus ihres Sohnes leben konnten und dessen junge Familie unterstützten, indem sie kleinere Arbeiten übernahmen und sich um die Enkel kümmerten, wenn Sohn und Schwiegertochter draußen bei den Bienen wären.
Als Honigmacher hatte Roald beinahe das ganze Jahr zu tun. Drei dutzend Bienenvölker wollten gepflegt und kontrolliert werden, was gerade im Frühsommer, wenn die Bienen schwärmten, kein leichtes Unterfangen war. Hier, im recht ebenen Land, das weit in die große Bucht des Sees ragte, gab es viele Wiesen und kleinere Waldstücke, so dass die Bienen bis in den frühen Herbst, genug Blüten finden konnten, um ihren Honig zu produzieren.
Bereits in den ersten Tagen, nachdem Bjarne und Ylvi auf dem Hof eingezogen waren, nahm Roald den nun freien jungen Mann mit hinaus zu den Bienen. Eine knappe Meile nördlich vom Hof standen, nahe einer größeren Baumgruppe, drei offene Unterstände, in denen jeweils auf zwei Etagen die liegenden Klötze ruhten, die den Bienen als Zuhause dienten. Mehrmals im Jahr durchstreiften Roald und Leif die Waldstücke, auf der Suche nach umgestürzten, nicht mehr frischen Baumstämmen, deren Umfang sich für eine Bienenbehausung eignete. Noch vor Ort hackten sie Abschnitte von etwa zwei Ellen Länge aus dem Stamm, luden die Klötze auf den Handwagen und brachten sie heim. Eines ihrer wertvollsten Werkzeuge war eine Säge, mit der nun an einer Seite des Klotzes eine daumenlänge breite Scheibe abgeschnitten wurde. Sie würde später als hintere Verdeckelung des Bienenbaus dienen, von der aus sie an den Honig gelangten. Mit einem Löffel ähnlichem Eisen und einem Holzhammer, schlug der Honigmacher nun von der Mitte, wo die Jahresringe am kleinsten waren, zum Rand hin, kleine Holzstücke heraus und höhlte den Stamm so aus. Der Rand blieb etwa drei Daumen dick. Roald erklärte Bjarne, wie wichtig es war, den Rand nicht zu dünn werden zu lassen, sollten die Bienen im Winter nicht erfrieren. „Je dicker die Stämme sind, aus denen wir die Klötze machen, je mehr Rand können wir stehen lassen, ohne dass die Bienenhöhle zu klein ist. Im Winter frisst sich der Frost gern durch alles hindurch, aber mit einem dicken Rand, sind unsere Bienen geschützt. Sie nehmen ihren König in die Mitte und wärmen ihn.“ erklärte Roald. Er höhlte den Stamm aus, bis dieser aussah, wie eine Tonne. Durch den Boden, der in etwa die gleiche Stärke, wie die Seitenwände behielt, bohrte er ein Loch, das das spätere Ein- und Ausflugloch für die Bienen sein würde und verstopfte es zunächst mit Heu. Schließlich schnitzte der Honigmacher aus der abgeschnittenen Holzscheibe den Deckel, der mit Holzkeilen an der offenen Seite befestigt wurde. Roald erzählte, wie er die ausschwärmenden Bienen im Frühsommer mit Körben versuchte einzufangen, was ihm leider nicht immer gelang. Manchmal kam er zu spät und das Volk war ausgeflogen oder der Schwarm hing so hoch in den Bäumen, dass kein Herankommen für ihn war. Aber im Laufe seines Lebens als Honigmacher, erkannte er meist die Zeichen früh und saß dann oft Stunden, manchmal Tage, vor den Klötzen und wartete, um einen Schwarm sofort im Korb auffangen zu können, wenn dieser seinen Stamm verließ. Sobald er die Bienen eingefangen und diese sich etwas beruhigt hatten, stülpte er den Korb über die hintere Öffnung des Klotzes und klopfte so lange auf den Korb, bis die Traube der Bienen in den Stamm fiel. Nun musste er schnell den Deckel aufsetzen und verriegeln. Mit Hilfe von Leif und Hjördis, war es oft Schwerstarbeit, den Klotz dann in den Unterstand zu wuchten. „Wichtig ist, dass die Flugöffnung nach Süden zeigt.“ belehrte Roald, mit erhobenem Finger. „Am Abend, wenn die Sonne untergeht, nehme ich das Heu aus der Öffnung, damit die Bienen, ab dem nächsten Tag, ungehindert hinaus und hinein fliegen können.“
Bjarne war fasziniert. In jedem dieser Stämme, von denen manche so dick waren, dass selbst ein großer Mann sie kaum mit beiden Armen umfassen konnte, lebte ein ganzer Königsstaat.
„Geh nicht zu nah an die Klötze. Bienen sind sehr wehrhaft und stechen auf jeden Eindringling ein, der ihnen ihren Honig streitig machen könnte.“
Mit offenem Mund stand Bjarne in einigen Metern Entfernung und betrachtete das geschäftige Treiben an den Fluglöchern. „Sie machen den Honig?“ staunend konnte er es kaum glauben.
„Ja, sie bauen sich Waben aus Wachs, in dem sie den Honig lagern. Das ist ihre Nahrung. Wir ernten dann einen Teil davon, indem wir von hinten den Deckel abnehmen und ganze Waben herausbrechen. Das mögen die Bienen nicht und sie versuchen alles, uns zu vertreiben, aber wenn es im nächsten Jahr soweit ist, zeige ich Dir, wie wir uns schützen, um nicht gestochen zu werden.“ Roald lächelte Bjarne an, der entsetzt die Augen aufriss. „Aber wenn wir den Bienen den Honig wegnehmen, dann verhungern sie doch!“ rief er bestürzt. Der Honigmacher lachte nun leise. „Nein, wir nehmen ja nur einen Teil. Außerdem ernten wir früh genug, damit sie ihre Vorräte vor dem Winter noch auffüllen können.
Bevor sie wieder heim gingen, drehte sich Bjarne noch einmal um und winkte Richtung der Unterstände „Bis bald ihr schönen Bienen! Ihr braucht keine Angst vor mir haben und mich stechen. Ich bin Bjarne, ein Freund.“
Auch Ylvi lebte sich gut ein. War der erste Tag ihres Lebens so turbulent gewesen, genoss sie es nun, einfach nur ein geliebtes Kind zu sein. Für Hjördis war dieses kleine wunderschöne Mädchen ein Geschenk der Götter. Im letzten Winter verlor sie ihre eigene Tochter, als diese unerwartet früh auf die Welt kam. Das kleine Mädchen lebte kaum eine Stunde und lange konnte Hjördis nicht begreifen, warum sie dieses Kind gehen lassen musste. Wie grausam waren die Nornen, ihr das Kind zu schicken und sofort wieder wegzunehmen? Nicht einmal trinken konnte das winzige Wesen, das einfach in den Armen seiner Mutter lag, still und friedlich, bis sein schwaches Atmen für immer aussetzte. Nicht nur Hjördis und Roald trauerten. Auch Tjark hatte weinend auf dem Lager bei seiner Mutter gesessen, und obwohl er noch zu klein war, um zu verstehen was geschah, weinte er, denn die Trauer im Langhaus war regelrecht greifbar.
Leif hatte am Fußende gestanden, unfähig auch nur eine Träne zu weinen. In ihm war Wut. Seine Eltern und den kleinen Bruder so unglücklich zu sehen, die winzige Schwester, die zu klein geboren worden war, um leben zu können, gehen zu lassen, bevor sie sich auch nur richtig kennen lernen konnten... Er wusste nicht, auf wen er wütend sein könnte, trotzdem spürte er den Zorn mit einer Kraft, dass er aus dem Haus stürmte und mit einem eisernen Schällöffel, der sonst dazu diente, die Bienenklötze auszuhöhlen, wie besessen versuchte, den gefrorenen Boden aufzuhacken, um ein winziges Grab für seine Schwester auszuheben.
Seine Hände waren bereits blutig, das Eisen gebrochen und Leif merkte nicht einmal, wie er nur noch mit dem abgebrochen Stiel aus Holz auf die eisige Erde einhieb, als sich endlich die Tränen den Weg an die Oberfläche suchten. Irgendwann sank er weinend und zitternd auf die Knie, ließ den Stiel fallen und schluchzte hemmungslos. Roald hatte lang und unbemerkt hinter ihm gestanden. Er konnte nicht eingreifen, wollte seinen ältesten Sohn nicht daran hindern, sich zu befreien. In einem Moment wie diesem, sollte auch ein Mann weinen dürfen. Jetzt trat er nur leise hinter ihn, umfasste seine Schulter, hockte sich nieder und zog Leif an seine Brust.
„Verzeih mir Vater, ich habe den Schällöffel zerstört.“ bebend lag der Junge in den Armen seines Vaters, der ihm nur liebevoll übers Haar strich und flüsterte „Es ist gut. Alles ist gut! Wir haben heute einen teureren Preis bezahlt, als dieses Werkzeug. Morgen früh werden wir gemeinsam das Grab ausheben und Astrid bestatten.“
Von diesem Tag an war Leif verändert. Er wirkte ernster, verschlossener, erwachsener. Nur noch selten lachte er ausgelassen und schien sich jede Fröhlichkeit zu verbieten. Manchmal tobte er für Augenblicke mit Tjark, um ihn sogleich wieder barsch zurückzuweisen. Ein wenig hoffte Roald, dass die kleine Ylvi Leif sein Lachen zurückbringen würde, aber dieser sah das Mädchen fast verächtlich und ablehnend an.
Tjark hingegen, schien wie verzaubert. Obwohl nicht einmal ein Jahr vergangen war, seit Astrid von ihnen ging, konnte er sich an sie nicht mehr erinnern. Etwas in ihm wusste noch von Traurigkeit und er spürte, dass es mit Momenten zu tun hatte, wie denen, wo Hjördis Ylvi hielt und sie leise in den Schlaf summte, aber gerade weil eben jetzt mit Ylvi ein neues, glücklicheres Lachen eingezogen war, empfand er es, als sei die Zeit der Traurigkeit in seinem Elternhaus vorbei. Das kleine Mädchen musste etwas Besonderes sein, wenn seine Eltern offener miteinander lachten, als in den vergangenen beiden Jahreszeiten. So bemühte er sich, gerade wenn Hjördis Ylvi versorgte, möglichst in der Nähe zu sein. Tjark empfand nicht eine Spur von Eifersucht. Nein, er betete dieses kleine Geschöpf an, das seinen Eltern eine altvertraute und lang vermisste Fröhlichkeit zurück brachte.
Kaum zwei Wochen, nachdem Bjarne und Ylvi in die Familie gekommen waren, molk Bjarne die Stute, als Leif leise an ihn heran schlich. Erstaunt hörte er, wie der Ältere dabei mit der Stute und dem Fohlen sprach, ihnen dankte, für die Milch, die seine kleine Schwester nähren würde und dass er, Bjarne, dafür besonders gut für die Pferde sorgen würde. „Ihr seid meine Freunde,“ raunte er „und Freunde passen immer aufeinander auf. Du bist eine gute Mutter.“ dabei tätschelte er die Stute liebevoll, die ruhig den Kopf leicht nach hinten wandte, Bjarne ansah und zufrieden schnaubte. „Und Du bist sogar eine Mama für Ylvi.“ kicherte er.
„Warum tust Du das?“ Leif sah Bjarne mit unergründlichem Blick fast streng an.
„Was?“ irritiert schaute der Ältere den Jungen an.
„Das Pferd melken.“ mit einer Kopfbewegung, deutete er auf die Stute.
„Aber das muss ich doch tun, sonst verhungert meine kleine Schwester! Ich habe meinem Vater versprochen, dass ich auf Ylvi aufpasse und meine Freundin, die gute Mutter hier, hilft mir dabei.“ vergnügt grinste Bjarne.
„Was ist, wenn Ylvi geht, wie es Astrid getan hat?“ Bjarne verstand nicht, was Leif damit meinte. „Astrid war noch viel kleiner als das Kind, um das sich meine Mutter jetzt kümmert. Aber das ist nicht Astrid! Es wird nie Astrid sein!“
Bjarne begriff noch immer nicht. Er wusste nichts von der Tochter, die diese Familie verloren hatte. Aber er spürte eine tiefe Trauer und noch größere Wut in Leif. Sein unbefangenes Wesen, ließ nicht zu die Eifersucht in dem Jungen vor ihm zu erkennen. „Nein, das ist nicht Astrid, da hast Du Recht. Das ist Ylvi.“ schon wollte Bjarne sich wieder der Stute zuwenden, als Leif weiter sprach.
„War ihre Mutter nicht Deine Freundin? Wie kannst Du sie gern haben, wo sie Dir Deine Freundin genommen hat?“ wütend stampfte Leif auf den festgetretenen Lehmboden, der mit Stroh ausgelegt war.
Nun schüttelte Bjarne verständnislos den Kopf. „Aber Ylvi hat mir Jarla doch nicht weggenommen! Jarla musste gehen und hat mir Ylvi da gelassen, damit ich nicht so allein bin.“
Eine Zeit herrschte betretenes Schweigen. Dann fragte Leif zögernd und verunsichert „Ich hatte auch eine kleine Schwester. Astrid. Sie starb kurz nach der Geburt. Das war sehr schlimm für meine Eltern und Tjark. Meinst Du, Astrid hat Ylvi deshalb auch zu uns geschickt? Will sie vielleicht nicht mehr, dass meine Eltern traurig sind?“
Bjarne überlegte. „Ja, bestimmt hat Astrid das gewollt. Jarla wird sich jetzt sicher um Astrid kümmern, damit sie dort, wo sie hingegangen sind, nicht allein ist. Und ich glaube, dafür möchte Jarla, dass Deine Eltern sich um Ylvi kümmern.“
Ab diesem Moment war Leif zwar nicht unbedingt besorgter um Ylvi und er kümmerte sich nicht direkt um sie, aber immer öfter ertappte er sich selbst dabei, wie er auf das kleine Mädchen schaute, wenn es schlief. Anfangs redete er sich noch ein, er tue dies nur, um gewappnet zu sein, falls dieses Kind plötzlich nicht mehr atmete, aber dann erwischte er sich dabei, wie er das warme Tuch, das ein wenig verrutscht war, zurecht zupfte, damit Ylvi nicht fror. Vielleicht hatte Bjarne recht und Astrid hatte dieses Kind tatsächlich zu ihnen geschickt. Niemand konnte Astrids Leben retten, aber sie wollte sicher, dass dieses Mädchen hier aufwachsen durfte. Und in dem Moment, wo Leif dies dachte, fühlte er zum ersten Mal seit Monaten nicht den Zorn, der ihn seit Astrids Tod begleitete.
Der Herbst verging. Die Wochen vor dem Winter waren erfüllt von Arbeiten, um sich für die kalten Monate zu wappnen. Brombeeren und ein paar verspätete Himbeeren, trockneten tagsüber auf der Bank vor dem Langhaus. Hjördis verbrachte die immer früher anbrechenden Abende damit, Pilzscheiben auf dünne Schüre zu fädeln und zum Trocknen nah dem Herdfeuer zu hängen. Ebenso dörrte sie kleine Fische, die Roald in Reusen, in der großen Bucht fing und die verschiedenen Gemüsesorten, aus ihrem Garten. Kohl legte sie mit groben Meersalz in Holztonnen ein, die an aufrecht stehende Bienenklötze erinnerten.
Salz war rar und mit jedem Jahr schwerer zu beschaffen. Das Wasser in der Bucht war nie so salzig, wie das des Meeres gewesen, doch in den letzten Jahrzehnten veränderte sich die Landschaft. Land erhob sich. Kaum sichtbar, aber man konnte es spüren, denn die Meerenge zur großen Bucht wurde immer schmaler, das Wasser immer süßer. Früher hatte Roalds Familie das Salz selbst gewonnen. Sein Großvater hatte ihm oft erzählt, wie sie ab dem Frühjahr immer wieder Holztonnen, mit Wasser aus der Bucht gefüllt, auf dem Handkarren herangeschleppt hatten. In flachen großen Schalen ließen sie es dann verdunsten, bis nur noch eine dünne Salzkruste am Boden der Schale verblieb. Doch diese Zeiten waren längst vorbei. Das Salz, das sie für die Konservierung der Wintervorräte benötigten, tauschte Roald ein. Meist auf den Märkten in Birka oder Västra Aros. Aber auch dort wurde es immer schwieriger, das benötigte Salz bezahlbar zu erstehen. Die Meerenge, die im Osten in die große Bucht führte, verschmälerte sich beständig. Das Land erhob sich und größere Schiffe fuhren immer seltener auf diesem Weg zu den alten Handelsplätzen. So kamen längst nicht mehr so viele Händler aus der Ferne, wie noch zu Zeiten seiner Kindheit. Roald konnte sich nicht beklagen. Der Verkauf von Met lief auch auf diesen Märkten noch recht gut. Er würde allerdings mehr Gewinn erzielen, verkaufte er auf größeren Märkten. Bisher hatte er den langen Weg nach Uppsala nur selten auf sich genommen, jedoch wusste er, dass weit mehr Händler über die Mündung des Fyrisån in die Stadt kamen, die Hauptsitz des Königs war und zugleich Zentrum, um den Göttern in den großen Tempeln zu huldigen. Jetzt, wo Bjarne bei ihnen lebte, nahm sich Roald vor, würde er mit ihm zum Markt nach Uppsala gehen, auch wenn dies bedeutete, dass sie dann eine Woche, vielleicht auch länger, von Zuhause weg wären. Aber mit dem kräftigen Jungen an seiner Seite, konnte er mehr Waren transportieren und verkaufen, um wiederum genug Salz und andere nötige Dinge zu kaufen und auf den Hof zu bringen.
Es regnete. Durch die Öffnung im Dach, die als Abzug für den Rauch der Feuerstelle diente, tropfte es gleichmäßig und hinterließ kleine Pfützen um den Herd. Das patschende Geräusch der Regentropfen, die auf den gestampften Lehmboden schlugen, wurde in einem monotonen Singsang vom Zischen unterbrochen, wenn einzelne Tropfen sich in das Feuer verirrten und auf den glühenden Holzscheiten verdampften. Nasse Kälte breitete sich bereits seit Tagen im Haus aus und lieferte einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Winter.
Hjördis hatte Glutbecken aufgestellt, um die sich die Familie am Abend versammelte, um in Schaffelle gehüllt, die Arbeiten zu verrichten, für die die Ruhe der Dämmerstunden ideal war.
Roald zeigte Bjarne, wie man aus runden Holzscheiten kleinere und größere Gefäße mit Deckeln schnitzte. Leif war bereits geschickt darin und korrigierte ebenfalls Bjarnes Haltung, wenn dieser verkrampft das Schnitzmesser oder den kleinen Schällöffel hielt. Tjark kicherte. Immer, wenn Bjarne sich konzentrierte, wanderte seine Zunge, die stets etwas zu groß für seinen Mund wirkte und oft vorwitzig hervor lugte, noch etwas weiter heraus und schien sich umzusehen. „Mama schau,“ Tjark zupfte Hjördis flüsternd am Ärmel „Bjarnes Zunge will auch lernen, wie man schnitzt. Sie sieht sich alles genau an.“ Nun lachte auch Hjördis und Bjarne, der bemerkte, dass die Familie ihn schmunzelnd beobachtete, grinste ein wenig verlegen.
„Ja, ich habe eine neugierige Zunge. Sie macht immer was sie will, aber helfen tut sie mir nicht. Sie guckt nur immer.“ Jetzt lachten alle und Roald klopfte Bjarne kameradschaftlich auf die Schulter., während er aufstand und zwei Becher dünnen Bieres füllte, von denen er einen Bjarne reichte.
„Mach eine Pause, mein Junge. Auch die besten Schnitzer haben irgendwann einmal angefangen und mussten lernen.“ Er prostete dem jungen Mann zu, der dankbar das Messer zur Seite legte und kritisch das Stück Holz betrachtete, an dem er die letzten Stunden gewerkelt hatte. „Ja, ich werde bestimmt eines Tages auch schöne Gefäße schnitzen. Du und Leif helft mir zu lernen und ich werde üben, bis es mir gelingt, das verspreche ich. Und dann werden wir meine Gefäße auch auf dem Markt verkaufen. Davon kaufen wir Salz und feines Tuch. Dann bekommen Hjördis und Ylvi Schals und können sich Kleider nähen. Wie die feinen Damen, von denen Svea oft gesprochen hat, wenn sie mit Fjodor schimpfte, dass sie es nicht mehr ertragen könne, immer nur Kleider aus Wollstoff tragen zu müssen. Sie sagte, die Mägde webten den Stoff viel zu grob.“ eifrig nickte Bjarne und die stets abstehende Strähne kupferfarbenen Haares wippte im Schein der glühenden Kohle, wie eine kleine tanzende Flamme.
„Ich fühle mich geehrt,“ Hjördis lächelte, schüttelte jedoch leicht den Kopf „aber glaube mir, Bjarne, ich trage sehr gern meine Kleider aus warmer Wolle. Ein feines Kleid, bei all der Arbeit hier? Wie schnell würde ich mir das Gewand verderben?“ neckend knuffte sie Bjarne in die Seite „Oder gefalle ich Dir nicht in meinen Kleidern?“
Der Junge errötete und suchte nach einer Antwort. „Doch, Du siehst sehr schön aus, in den Kleidern. Eigentlich wie eine feine Dame. Das glaube ich zumindest, denn gesehen habe ich noch keine, außer Svea.“
Verächtlich schnaufte Roald „Eine wirklich feine Dame ist sie!“ während er mit den Augen rollte. Dann setzte er sich neben Bjarne, legte seinen Arm um dessen Schulter und beugte sich leicht zu ihm. „Ich wollte sowieso mit Dir sprechen, mein Freund.“ Bjarnes Miene erhellte sich. 'Freund' genannt zu werden, war noch immer ein fremdes, aber geliebtes Wort für ihn. „Die Stute diente auf Fjodors Hof, um Lasten zu ziehen. Glaubst Du, sie könnte auch einen Wagen ziehen?“
Der Heranwachsende überlegte mit leicht gespitzten Lippen und wiegte den Kopf. Dann nickte er. „Doch, ich könnte mir das vorstellen. Sie hat den Pflug gezogen und ist stark. Einen Wagen könnte sie sicher auch ziehen. In diesem Jahr hat sie den Pflug nicht gezogen. Das Fohlen hat sie unruhig gemacht, wenn sie in der Furche bleiben sollte. Da musste das Pferd von Notger vor den Pflug. Aber das tat seine Arbeit nicht so gut, wie die Stute und Notger hat gezetert, denn sein Pferd sei nicht für die Arbeit, sagte er, sondern um zu beeindrucken.“ Roald verkniff sich, etwas zu sagen, das ihm durch den Kopf ging. Notger war, in seinen Augen, ein eitler Gockel, mehr nicht.
„Was hältst Du davon, wenn wir im nächsten Jahr mit einem Wagen, den die Stute zieht, nach Uppsala gehen und unsere Waren dort verkaufen? Auf einen Wagen passt mehr drauf, als auf den Handkarren und wir könnten mehr verkaufen, um wieder mehr zu kaufen?“ Roald goss noch etwas Dünnbier nach.
Bjarne überlegte und sein Gesicht begann zu strahlen. „Nach Uppsala? Da wo der König lebt?“ aufgeregt rutschte er auf der Bank hin und her. Ganz zappelig sprudelte er los, dass er sehr gern mit Roald in die Königsstadt gehen und wie er im Winter mit der Stute üben würde, einen Schlitten zu ziehen, um im Frühjahr dann einen Wagen einspannen zu können. Mit geröteten Wangen, geriet er so sehr ins Schwärmen und Planen, dass er nicht bemerkte, wie die ganze Familie ihn fröhlich beobachtete. Bjarne so aufgeregt und glücklich zu sehen, war ein schöner Anblick, den sie genossen. Doch plötzlich zuckte Bjarne zusammen. Sein Lächeln gefror und er sank regelrecht in sich zusammen. „Aber wir können nicht nach Uppsala gehen, mit der Stute. Das ist doch ein langer Weg. Fjodor sagte immer, nach Uppsala ist es sehr weit. Und die Stute wird doch hier gebraucht. Sie muss doch meine Schwester ernähren. Ylvi darf doch nicht verhungern, das habe ich doch versprochen.“ traurig schaute Bjarne zu Boden und sein Gesicht spiegelte Schuldgefühle wieder. Wie konnte er sich über die Reise nach Uppsala freuen, wenn seine kleine Schwester dann hungern müsste?
Hjördis erhob sich und zwängte sich zwischen Tjark und Bjarne auf die Bank. Liebevoll legte sie ihren Arm um den großen Jungen und zog seinen Kopf an ihre Schulter.
„Mach Dir darüber keine Sorgen. Bis zum nächsten Sommer, wird Ylvi bereits ein gutes Stück gewachsen sein und kaum mehr Milch brauchen. Sie wird dann vom gleichen Getreidebrei essen, wie wir. Vom gleichen Gemüse und sogar schon Fleisch, wenn ich es ihr vorkaue.“
Erstaunt hob Bjarne den Kopf. „Im nächsten Sommer schon? Sie wird so schnell wachsen?“ Hjördis nickte lachend. „Ja, Bjarne, so schnell wird sie wachsen. Und das hat sie Dir und Deiner Stute zu verdanken.“
Nun war der Junge nicht mehr zu halten. Begeistert schmiedete er Pläne, in die sich auch bald die Jungen einmischten. Dieser Winter würde voller Arbeit sein. Anders als sonst, wo die kalte, verschneite Jahreszeit dem Warten auf das Frühjahr diente und man nur kleine Arbeiten verrichtete, bei denen man im Haus blieb.