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Kapitel 10
ОглавлениеHjördis seufzte. Sollte der Verkauf der Waren in Uppsala wirklich so gut laufen, wie sie erhofften, würde Roald im nächsten Jahr später reisen müssen. Ausgerechnet jetzt, kurz vor der Roggenernte und mitten in der Ernte des Hafers, wurde ihr die Arbeit, allein mit den Kindern zu viel.
In den ersten Tagen nach der Abreise von Roald und Bjarne, hatte sie zunächst mühevoll die Gerste eingebracht. Auf allen Vieren, langsam kriechend und die einzelnen Körner vom Boden aufsammelnd, hatte sie tagelang das Gefühl, ihren Rücken nicht mehr zu spüren. Wie viel einfacher würden sich da die Ernten der anderen Getreide gestalten, die nicht, wie die Gerste, ihre Saat einfach aus den Ähren fallen ließen, wenn sie reif war? Aber es nutzte nichts. Gerade Gerste, war eines der grundlegendsten Nahrungsmittel für die Familie, die das Getreide in Suppen, Grütze und Brei aß. Außerdem brauchten sie Gerste, um Bier brauen zu können. Vermischt mit Hafermehl und Honig, würde Hjördis Süßspeisen backen oder die geschrotete Gerste, mit Roggenmehl, zu Fladen verarbeiten, die sie wie eine Tasche mit gekochtem Kohl, wildem Knoblauch und Kräutern füllen würde.
Trotzdem war die Arbeit in diesem Jahr beschwerlicher, da der Honigmacherin die Hände ihres Mannes fehlten. Zudem begann die kleine Ylvi gerade zu stehen und, sich festhaltend, mit tapsigen Schritten vorwärts zu bewegen. Das wiederum ermöglichte ihr, auch an Dinge zu kommen, die man zuvor als relativ sicher vor ihr erachtete. So dauerte die Gerstenernte ungleich länger, als sonst, denn galt es nicht gerade Tjark zur Ordnung zu rufen, der entdeckt hatte, wie lustig es für ihn sein konnte, seinem konzentriert sammelnden Bruder Gerstenkörner entgegen zu schnippen, wodurch er nicht selten schmerzhaft im Nacken oder Gesicht getroffen wurde, musste sie Ylvi einfangen, die unerschrocken davon kroch oder versuchte, sich an den hohen Halmen hinaufzuziehen, was natürlich scheiterte, wenn die Stiele nachgaben und sie unsanft zu Boden plumpste.
Zwei Wochen war ihr Mann nun schon fort und es würde noch mindestens eine weitere Woche, wahrscheinlich sogar zwei dauern, bis er und Bjarne zurückkamen. So lange konnten Hafer und Roggen nicht warten, denn sobald sie geerntet waren, müsste auch schon der Buchweizen eingebracht werden. Hjördis betete still zu Freyr, dem Gott der Fruchtbarkeit und Ernte, dass er bitte wohlwollend blieb und Sorge trüge, die sonnig warmen Tage noch anhalten zu lassen, bis alle Ernten eingefahren waren.
Nachdem Tjark und Ylvi nun zum wiederholten Male durch die am Boden liegenden Ähren mit Hafer getobt waren, reichte es Hjördis. Zum ersten Mal schimpfte sie so laut mit ihren Kindern, dass diese zu weinen begannen. Die Honigmacherin erschrak vor sich selbst. Müde strich sie sich mit dem Handrücken über die Augen, wankte einige Schritte zurück und ließ sich auf die Bank fallen, die sich an der Außenwand der Esse befand. Da saß sie nun und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie weinen musste, fühlte sich einfach nur unendlich erschöpft.
Eine Weile kauerte sie einfach nur da, während ihr still die Tränen über das Gesicht liefen. Plötzlich spürte sie eine kleine Hand an ihrem Bein, fühlte die zweite Hand, weiter oben, an ihrem Knie und sah an sich hinunter, als Ylvi sich gerade an Hjördis Bein hochzog. Das kleine Mädchen lächelte sie an, streckte das fleischige Händchen aus und machte damit Bewegungen, als wollte es die Frau streicheln. „Mamama“ stieß Ylvi strahlend hervor und Hjördis hatte das Gefühl, als wollte ihr Herz einen freudigen Sprung machen. Ylvi hatte ihr bewusst erstes Wort gesagt und sie 'Mama' genannt. Vergessen war die Müdigkeit und Verzweiflung, all die Arbeit nicht bewältigen zu können. Sie griff hinunter, fasste das kleine Mädchen unter den Achseln und hob es zu sich herauf.
„Du sprichst ja, kleine Ylvi! Dein erstes Wort. Und Mama ist es!“ lachend warf sie das Kind in die Luft, um es gleich wieder aufzufangen und an sich zu drücken. Während sie Ylvi hin und her schaukelte, die Wange des Mädchens an ihre gedrückt, fiel ihr Blick auf Leif, der ein Stück entfernt stand und Tjark am Kragen hielt. Er wollte eigentlich Sorge tragen, dass Tjark sich bei der Mutter entschuldigte, doch nun stand er nur da und grunzte abfällig. Wieder einmal hatte Ylvi ihm die Schau gestohlen. Gerade in dem Moment, wo er seiner Mutter beweisen wollte, den kleinen Bruder bändigen zu können, der noch immer mit hängenden Schultern vor ihm stand und schuldbewusst zu Boden blickte.
„Leif, Tjark, habt Ihr gehört? Ylvi hat Mama gesagt!" strahlte Hjördis ihre Söhne an. Tjark hob das Gesicht an und grinste, doch Leif ließ einfach nur den Kragen seines Bruders los, drehte sich um und schlurfte davon, um mit dem Handkarren die nächste Ladung Hafer zum Dreschen zu holen.
Hjördis erkannte nicht die Wut und Eifersucht ihres älteren Sohnes. Zu tief saß die Erschöpfung ihr in den Gliedern und zu groß war die überschwängliche Freude, die Ylvi ihr gerade bereitet hatte. Nur Tjark schien zumindest zu ahnen, wie missmutig Leif war.
„Leif will das gar nicht hören. Er mag doch Ylvi gar nicht.“ ereiferte er sich altklug und Hjördis sah erstaunt zu ihrem Sohn hinunter, der nun auch zu ihr gekommen war.
„Aber wie kommst Du denn darauf, dass Leif Ylvi nicht mag?“ fragte sie kopfschüttelnd „Natürlich hat Dein Bruder die Kleine gern! Er kann es wahrscheinlich nur nicht so zeigen.“
Nun war es an Tjark den Kopf zu schütteln. „Nein, er mag sie nicht, weil er denkt, sie nimmt uns alle ihm weg.“ mit diesen Worten drehte er sich herum, griff nach dem Dreschflegel, der doch viel zu schwer für ihn war und mühte sich ab, wenigstens so auszusehen, als könnte er den Hafer dreschen.
Am Abend, als Leif Hjördis, die am Webstuhl saß, eine gute Nacht wünschen wollte, griff sie nach seiner Hand. „Auf ein Wort.“ sagte sie und bedeutete ihm, neben ihr auf der kleinen Bank Platz zu nehmen. Leif gehorchte, saß aber nur da und starrte vor sich hin, während seine Mutter ihn beobachtete und versuchte, in seinem abweisenden Gesichtsausdruck zu lesen.
„Weißt Du, was ich immer so an Dir mochte?“ fragte sie leise und der Junge zuckte zögerlich mit den Schultern. „Du hattest von Geburt an immer so eine stille und reife Haltung, wirktest erwachsener und vorausschauender, als man es einem Kind zugetraut hätte. Du machst keine großen Worte und saugst all das, was es zu lernen gibt, in Dich auf. Das hat mich immer sehr stolz auf Dich gemacht und Du erinnerst mich damit an meinen Vater, den ich sehr geliebt habe.“ Leif zeigte immer noch keine Anstalten, sich am Gespräch zu beteiligen und schaute auf seine Füße, die er gelangweilt, fast trotzig, schaukelte.
So sprach Hjördis weiter. „Ich musste dich nie tadeln, aber jetzt sehe ich mit Erschrecken, wie Du Dich verändert hast.“ Leif riss entsetzt die Augen auf und starrte seine Mutter an, die ungerührt weiter sprach. „Seit Ylvi bei uns ist, habe ich versucht, meine Augen vor der Wahrheit zu verschließen, aber nun muss ich erkennen, dass Du scheinbar eifersüchtig bist.“ Leif wollte etwas erwidern, aber Hjördis schnitt ihm das Wort ab, indem sie kurz die Augen schloss und mit dem Kopf schüttelte. „Ich weiß nicht, was Ylvi Dir getan haben könnte. An manchen Tagen fällt es auch gar nicht auf, dass Du sie wohl nicht magst. Dann aber wieder umso heftiger. Du siehst sie an, als ekelst Du Dich vor ihr und das finde ich so traurig.“ Die Honigmacherin hatte geendet und sah ihren älteren Sohn nur noch unverwandt an. Dieser seufzte kurz, setzte zum sprechen an, schwieg dann doch und versuchte es nach einer Weile noch einmal. Das wiederholte sich einige Male, bis die Worte endlich ihren Weg nach draußen fanden.
„Ich will sie nicht hier haben.“ stieß er hervor und Tränen stiegen ihm in die Augen „Seit sie da ist, tut jeder hier so, als sei sie etwas Besonderes.“ bockig wollte er aufspringen und weglaufen, doch Hjördis griff wieder nach seinem Arm und hielt ihn zurück.
„Ja, natürlich ist sie etwas Besonderes.“ rief die Honigmacherin aus „Sie ist ebenso besonders, wie Du es bist, Tjark, Dein Vater und auch Bjarne. Jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes.“
„Und warum,“ schniefte Leif nun laut „könnt Ihr dann nur noch mit Ihr lachen, miteinander und nie mit mir?“ seine Stimme wurde lauter und verzweifelt.
Hjördis dachte einen Moment nach. Tiefes Mitgefühl machte sich in ihr breit und sie hätte ihren größeren Sohn am liebsten fest in die Arme gezogen. Doch sie wusste, dass er das nicht gern wollte. Er sah sich als Mann an und Männer weinen nicht mehr in den Armen ihrer Mütter. So streichelte sie ihm nur sanft über den Rücken, lächelte und antwortete „Leif, glaube mir, wir würden so gern auch wieder öfter mit Dir lachen, aber Du gibst Dich stets so mürrisch und wendest Dich ab, wenn wir lachen wollen. Sag mir, was sollen wir tun, damit auch Du wieder mit uns lachen magst.“
Heftig kam es aus ihm heraus geschossen und erst, als er die Worte bereits gesagt hatte, wurde ihm bewusst, dass er sich damit tiefer über seine Gefühle offenbart hatte, als er eigentlich beabsichtigte. „Ihr sollt aufhören sie lieber zu haben, als mich!“
Hjördis schluckte schwer. Müde legte sie ihre Stirn an seinen Kopf, atmete schwer und flüsterte „Leif, wir haben sie nie lieber gehabt, als Dich, das glaube mir bitte. Wie ich sagte, war und bin ich immer stolz auf Dich, meinem so ernsten und umsichtigen Sohn, der schon so reif ist und später ein Honigmacher wird, der seinem Vater alle Ehren macht. Es ist nur so, dass man sich meist bei den jüngeren Kindern gestattet, sie mit offensichtlicher Liebe zu überschütten und sich nicht mehr traut, dies auch bei den älteren Kindern zu tun, weil diese das vielleicht nicht mehr möchten. Aber dennoch liebt man eben diese Kinder nicht weniger. Eines Tages wirst du den Hof übernehmen und die Götter werden es richten, doch wenn es ihnen gefällt, werden Dein Vater und ich dann auf Deinem Hof alt werden. Wir werden Deine Kinder aufwachsen sehen und wissen, dass wir alles richtig gemacht, Dir alles beigebracht haben, was Du wissen musst. Tjark und Ylvi dagegen, werden dann nicht mehr hier sein. Dein Bruder wird in die Welt hinaus gehen, um sein eigenes Glück zu machen und Ylvi wird in eine andere Familie einheiraten. Dann sind diese unbeschwerten Tage alles, was uns an sie erinnert. Verstehst Du das?“
Erschrocken sah Leif auf. So hatte er es noch gar nicht betrachtet und so sehr er sich in den vergangenen Monaten auch gewünscht hatte, dass Ylvi nie in seine Familie gekommen wäre, behagte der Gedanke, dass sie tatsächlich irgendwann wieder gehen könnte, ihm auch wieder nicht.
„Aber,“ er begann zu stocken „aber, wenn Tjark und Ylvi eines Tages gehen müssen, werdet Ihr doch traurig sein. Werdet Ihr mich dann nicht hassen, weil sie fort sind und ich nicht?“ ängstlich starrte er die Mutter an, die nun zu lächeln begann.
„Aber natürlich werden wir Dich nicht dafür hassen. Im Gegenteil, wir werden froh sein, dass Du noch da bist.“ sie streichelte ihrem Sohn über das hellbraune Haar, drückte ihn kurz an sich und genoss die kurze Umarmung, die auch er ihr schenkte. Dann schob sie ihn von der Bank und wünschte ihm eine gute Nacht.
Leif lag noch eine längere Zeit wach und dachte angestrengt nach. Alles, was seine Mutter ihm gesagt hatte, klang so einleuchtend und auch beruhigend. Und doch war da etwas, was Unwohlsein hervorrief. Wenn also Tjark und Ylvi eines Tages den Hof verlassen müssten, würde es für Leif schmerzhafter sein, den Abschied zu ertragen, wenn er die Jüngeren tiefer in seinem Herzen trug. Und diesen Schmerz wollte er nicht spüren. Somit beschloss er, zwar an sich zu arbeiten und sich nicht mehr so sehr von der Familie zu distanzieren, aber weder zu Tjark, noch zu Ylvi, stärkere Liebe zuzulassen, als jetzt. Denn dann würde er sie einst auch nicht so vermissen.
Hjördis ahnte in dieser Nacht nicht, mit welchen Gedanken sich Leif quälte. Vielleicht hätte sie zu verhindern gewusst, dass ihr ältester Sohn sein Herz verschlossen hielt und so entgegenwirken können, was in jetzt noch ferner Zukunft geschehen sollte.
Mit einer Inbrunst stürzte Leif sich nun noch mehr in die Arbeit und umging es so, sich allzu viel mit den jüngeren Kindern auf dem Hof befassen zu müssen. Hjördis, die ihren älteren Sohn nie anders als fleißig kannte, hielt seinen noch zunehmenden Eifer für das Resultat ihres Gesprächs von vor wenigen Tagen.
Nachdem auch der Hafer geerntet und gedroschen war, stand nun die Roggenernte an. Mit einer Sichel schnitt Hjördis bündelweise Halme ab, deren Ähren sich unter der Last der reifen Samen bereits zu biegen begannen. Leif und Tjark sammelten die Abschnitte ein und trugen sie zum Handkarren, mit dem die Roggenernte dann zum Hof transportiert wurde.
Die langwierigste Arbeit, auf die Hjördis jedoch bestand, war es, jede einzelne Ähre durchzusehen und zu begutachten. Fanden sie an einer Ähre ein dunkleres, braunes Korn, das meist etwas länger gewachsen zu sein schien, als die übrigen Samen, sortierten sie die gesamte Ähre sofort aus und verbrannten sie.
„Warum werfen wir sie weg?“ fragte Tjark wissbegierig und Hjördis erklärte ihm, dass das dunkle Korn an der Ähre Mutterkorn genannt wurde. „Es gibt Heiler, die verwenden das Mutterkorn, wenn es Frauen bei oder nach der Geburt schlecht geht oder ein Kind nicht auf die Welt will, obwohl es geboren werden müsste. Allerdings ist es sehr vorsichtig zu verwenden, denn nur ein Hauch zu viel und ein Mensch kann vom Mutterkorn sterben. Deshalb wollen wir es auch nicht in unserer Ernte haben, nicht wahr?“ sie zwinkerte dem kleinen, blonden Jungen zu, der mit weit aufgerissenen Augen, nur erschrocken nicken konnte. Kurz darauf sah Hjördis Tjark im Schneidersitz zwischen den Roggenähren sitzen und genauestens jedes Korn an den Rispen inspizieren, während er vor sich hin murmelte und drohte, dass sich alle Mutterkörner zeigen sollten, um von ihm dem Feuer übergeben zu werden, denn er würde es nicht dulden, dass seine Familie vergiftet werden könnte.
Ylvi versuchte es Tjark nachzuahmen, ließ sich plumpsend neben ihn fallen und griff mit ihren kleinen, dicken Fingern beherzt in die Halme. Sie drehte und wendete die Ähren, bestaunte sie, zupfte daran und stopfte sich schließlich einige harte Stiele in den Mund, um darauf herum zu lutschen und ein Gesicht zu ziehen, als habe man ihr Sauerampfer gegeben.
Tjark schimpfte. „Wie soll ich denn unsere Familie retten, wenn Du alles durcheinander bringst?“ wütend riss er dem Mädchen die Halme aus der Hand. Doch anstatt nun beleidigt zu sein, strahlte die Kleine ihn an und klatschte auffordernd in die Hände.
„Mutter, sieh nur, Ylvi freut sich auch, dass ich nun auf uns aufpasse, damit wir nicht vergiftet werden.“ wieder lachte Hjördis. Nur Leif kam wütend heran gestapft und zog Ylvi weg. „Ja, da sitzt Du und schaust zu, wie sie sich alles in den Mund schiebt. Wenn da nun eben gerade ein giftiges Korn bei gewesen wäre, könntest Du Held ihr auch nicht mehr helfen.“ mit diesen Worten trug er die strampelnde und quengelnde Ylvi weg und setzte sie neben einen leeren Eimer, in dem eine Schöpfkelle steckt. Für einen Moment war das kleine Mädchen nun damit beschäftigt, laut in dem Eimer herum zu rühren. Tjark saß dagegen pikiert zwischen seinen Ähren und fühlte sich unheldenhaft auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Schließlich stand er auf, klopfte sich die Hände an seiner Tunika ab und rauschte Richtung Langhaus davon. Seine letzten Worte, bevor die Tür krachend ins Haus fiel waren „Nichts kann man Leif Recht machen. Der schimpft immer nur.“
Am nächsten Tag weigerte Tjark sich, beim Verlesen der Roggenähren mitzuhelfen. Dickköpfig zeigte er auf seinen Bruder und schnaufte nur „Leif kann das ja viel besser.“ drehte sich um und lief davon. Hjördis sah ihm hinterher, bis er hinter dem Grubenhaus verschwunden war und setzte dann ihre Arbeit fort. Bis zur Mittagsstunde dürften sie mit dem Verlesen fertig sein und dann bis zum Abend einen großen Teil bereits gedroschen haben.
Konzentriert sahen sie Ähre für Ähre durch und bemerkten erst den Lärm, der vom Pferch her zu ihnen herüber drang, als sie ein lautes Wiehern vernahmen, untermalt vom hektischen Gackern der Hühner.
Hjördis sprang auf und lief los. Kaum um die Ecke des Grubenhauses herum, holte Leif auf und so kamen sie fast gleichzeitig am Pferch an. Das Bild, das sich ihnen bot war verwirrend. Der junge Hengst bäumte sich auf, während um ihn herum die Hühner in heillosem Durcheinander umherstoben. Oben auf dem Zaun saß Tjark, eine lange Rute schwingend, als dirigierte er den wilden Tanz der Tiere und brüllte dabei „Ja, Ihr Schurken, nehmt die Strafe an, die Euer König Euch auferlegt!“
Mit wenigen Sätzen war Hjördis am Zaun, riss den Jungen herunter und zerrte ihn ein Stück weg, bevor der Hengst ihn mit einem Huf verletzen konnte. Leif betrat indessen den Pferch und versuchte sich beruhigend dem Pferd zu nähern. Es gelang ihm schließlich, den Hengst zu besänftigen und die Hühner aus dem Pferch zu treiben.
„Wie um alles konnte das passieren?“ fragte er finster seinen kleinen Bruder, der schief grinsend neben ihrer Mutter stand „Das Pferd hat doch sonst keine Angst vor den Hühnern.“
„Das Pferd hat auch keine Angst vor den Hühnern.“ Tjark zuckte gleichmütig mit den Schultern „Aber heute war es ja auch kein Pferd, sondern der König. Die Hühner waren die Schurken und ich der Held, der die Bösewichte zum König trieb, damit er sie verurteilen kann.“
Hjördis rollte mit den Augen und Leif grummelte.
„Und was fällt Dir als nächstes ein? Mit dem Hahn in die Schlacht zu reiten?“ Tjark kicherte. „Nein, das geht doch gar nicht. Der Hahn kann mich doch gar nicht tragen. Aber ich könnte mir ja überlegen, eines der Schafe zum Schlachtross zu machen...“
„Wage ja nicht, auch nur darüber nachzudenken!“ Leif trat mit erhobener Hand näher, doch sein Bruder wich lachend zurück und lief davon, während er über die Schulter zurück rief „Und Leif ist dann einer der Braunkittel, die nie essen und mit ihren Kreuzen herumfuchteln!“
Gerade, als sie an diesem Abend zum Mahl saßen, hörten sie ein Rumpeln auf dem Hof. Kurz darauf erschallte das aufgeregte Wiehern des Hengstes, das vom Schnauben eines anderen Pferdes beantwortet wurde. Leif sprang auf und stürmte zur Tür. „Sie sind da! Vater und Bjarne sind zurück.“ rief er und war bereits verschwunden. Tjark folgte ihm auf dem Fuß. Hjördis eilte beunruhigt hinaus. Sie hatte die Männer frühestens in drei Tagen erwartet. War am Ende etwas passiert? Aber all ihre kurzen Befürchtungen, lösten sich in Luft auf, als Roald sie, kaum war sie auch hinaus getreten, bereits an sich riss und lachend herumwirbelte. „Weib, Du glaubst nicht, was unsere Waren in Uppsala einbrachten. Mehr als das Doppelte haben wir verdient! Alles, was Du wolltest, haben wir gekauft. Von jedem sogar etwas mehr. Und Geschenke haben wir ebenfalls mitgebracht.“ der Honigmacher war übermütig wie ein Kind und steckte die Anderen mit an. Leif begann bereits die Stute abzuschirren, während Tjark seinem Vater am Hosenbein zupfte und ebenfalls wild und lachend herum hüpfte. Ylvi bekam von alledem nichts mit. Auch als alle wieder im Haus waren und Hjördis mit großen Augen auf die mitgebrachten Waren und Geschenke starrte, schlief das kleine Mädchen friedlich in seiner Wiege weiter.
„So viel Salz!“ rief sie aus und hielt die Hände an die Wangen, die vor Aufregung glühten „Und die Kleiderstoffe! So fein könnte ich in hundert Jahren nicht weben.“ Sie hielt das Tuch gegen das Licht des Feuerscheins und seufzte verzückt. Tjark lag bereits auf der Schlafbank, sein Drachenboot fest im Arm haltend. Bjarne und Leif verglichen ihre Messer und schnitzten an einem Stück Feuerholz herum, um die Schärfen der Klingen zu prüfen.
„Ich darf gar nicht daran denken, was wir verdienen, wenn im nächsten Jahr Honig und Wachse der neuen Völker hinzu kommen.“ flüsterte Roald seinem Weib zu „Natürlich sollten wir eigentlich nicht mit etwas planen, was wir noch nicht haben, aber wenn es im nächsten Jahr wieder so gut wird und wir diese Preise erzielen, dann werde ich uns zwei Ferkel kaufen. Mit denen fangen wir dann an, uns eine eigene kleine Zucht aufzubauen. Dann können wir Schinken und Speck räuchern.“ wohlig rieb er sich den Bauch, zwinkerte seiner Frau zu und deutete auf zwei Beutel, die sie öffnen sollte. In einem, dem etwas größeren, befanden sich Rosinen, dem anderen, kleinen Beutel, schwarze Körner, die Hjördis verwundert betrachtete. „Das ist Pfeffer.“ stolz richtete sich Roald auf „Ein sehr wertvolles Gewürz, das mit den Händlern aus dem Orient nach Uppsala kommt. Sie tauschen ihn gegen dicke Pelze oder eben, wie dieses Säckchen, gegen ein Fässchen Met.“ er lachte laut und erzählte seinem Weib von dem Gehilfen des orientalischen Händlers. „Ein Sklave, der aus dem Süden, von der Küste der Ostsee stammt und über Umwege zu seinem Herrn kam. Er erzählte mir, dass sein Herr niemals Alkohol trinke und auch ihm den Wein verbot. So stahl er seinem Herrn den Pfeffer, um ihn bei mir gegen Met einzutauschen. Mir war es recht, denn wir hatten bereits gut verdient und so etwas kostbares, wie den Pfeffer, konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.“ dann erklärter er Hjördis, wie sie die schwarzen Körner zu zerstampfen hatte und wie wenig reichte, um die Speisen zu würzen. Auch das weiße Mehl erlangte Hjördis Aufmerksamkeit. Dieses wollte sie aufheben und, zusammen mit den Rosinen und Honig, zu Kuchen backen, die sie zum Julfest, in der Mittwinternacht, verspeisen würden.
Dankbar, dass die Männer so früh und auch erfolgreich zurückgekehrt waren, konnte sich Hjördis in den nächsten Tagen um die Arbeiten kümmern, die sie durch die Ernten vernachlässigen musste, während Roald, Bjarne und Leif den Roggen droschen und Buchweizen ernteten. Unter Anderem bereitete die Honigmacherin in der Esse alles für das Brauen des Bieres vor. Hier war es warm genug, um die gewässerte Gerste zum Keimen zu bringen und anschließend, nachdem die Keime entfernt waren, zu trocknen. In der Esse brannte nun nachts ein Feuer, um die Temperatur in der kleinen Hütte gleichmäßig angenehm zu halten.
Während die Gerste trocknete, versetzte Hjördis lauwarmes Wasser mit etwas Honig und legte getrocknete Apfelstücke hinein. In wenigen Tagen würde der Ansatz vergoren sein und eine Grundlage für den Gärprozess im Bier liefern. Tjark wich seiner Mutter nicht von der Seite. Er liebte es, wenn sie braute und so war Hjördis gezwungen, auch Ylvi mitzunehmen, immer im Auge, dass sie sich der Esse nicht zu sehr näherte und verbrannte. Aber auch auf Tjark musste sie achten, denn sie ertappte ihn mehr als einmal, wie er sich der angesetzten Gärflüssigkeit auf dem Regal näherte, weil er es auf die süßen Apfelstücke abgesehen hatte.
Als die Honigmacherin die gekeimte und getrocknete Gerste in einem hohen hölzernen Bottich zu einem groben Mehl zerstampfte, saß das kleine Mädchen am Boden und hieb mit einem Stöckchen auf die Erde, als ahme sie die Ziehmutter nach. „Schau, Mutter, Ylvi schrotet auch Getreide.“ lachte Tjark „Sie braut ein eigenes Bier. Ob das dann auch schmeckt?“ Mutter und Sohn kicherten, was Ylvi animierte, noch wilder mit dem Stock auf den Boden einzuschlagen und dabei vergnügt zu juchzen.
Als es daran ging, die geschrotete Gerste, mit Wasser versetzt und unter ständigem Rühren auf verschiedenen Temperaturen zu erhitzen, rief Hjördis Leif und übergab ihm die Kinder. Bei den bevorstehenden Arbeitsschritten wollte sie sich ungestört konzentrieren und nicht ständig durch ein abenteuerliches kleines Mädchen oder einen nach Apfelstücken gierenden Jungen ablenken lassen. Leif rollte mit den Augen und war entnervt, folgte aber dem Wunsch der Mutter. So zog er Tjark und Ylvi mit sich hinaus und ließ sie nah bei den Männern spielen.
Nachdem der Sud vom Getreide getrennt war, füllte Hjördis ihn in einen zweiten Kessel, gab Schafgarbe für einen würzigeren Geschmack hinzu und kochte die Flüssigkeit. Zufrieden zog sie den Kessel vom Feuer der Esse, nahm die Apfelstücken aus dem fertigen Gärsud und verließ die Hütte, um nach den Kindern zu sehen, während die Flüssigkeit herunter kühlte.
Kaum war sie ins Freie getreten, wurde sie auch fast von Bjarne umgerannt, der hektisch mit den Armen rudern auf sie zu gestürmt kam. „Ylvi,...“ keuchte er atemlos und wies Richtung Hof „Ylvi...“ er war das kurze Stück so gerannt, dass er kaum sprechen konnte, weil ihm die Luft fehlte. Dazu kam die Aufregung und es war ihm kaum möglich, der Honigmacherin, die mit ängstlich aufgerissenen Augen vor ihm stand, zu erklären. Sie packte Bjarne bei den Schultern, schrie ihn an „Was ist mit Ylvi?“ und spurtete los, ohne die Antwort abzuwarten. Keuchend rief Bjarne ihr noch nach „Ylvi kann laufen.“ doch das sah Hjördis, die um die Ecke des Grubenhauses bog bereits. Roald hockte am Boden, dem kleinen Mädchen die Arme entgegen gestreckt, während Tjark neben Ylvi stand und sie anfeuerte. Die Arme zum Himmel gerichtet und schwankend, tapste die Kleine auf den Honigmacher zu und gluckste vergnügt. Kurz vor ihrem Ziehvater fiel sie, schaute etwas verblüfft und ließ sich von Roald, der das kurze Stück zu ihr kam, in die Arme reißen. Hjördis lachte und weinte zugleich, vor lauter Freude. Nur Leif stand mit finsterer Miene am Rande.
Fast hätte die Honigmacherin an diesem Tag das Bier vergessen, so sehr ergriffen und beschwingt war sie von Ylvis neuestem Entwicklungsschritt. Eigentlich war es Bjarne, der sie mehr zufällig daran erinnerte, was in der Hütte mit der Esse noch auf sie wartete, als er interessiert fragte, ob sie denn glaube, dass das Bier gelinge. Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, murmelte eine Entschuldigung und lief zu ihrem Braukessel.
Noch nie hatte sie dermaßen flink und fahrig Gärflüssigkeit und Honig in den Brausud gegeben, aber sie war zu aufgeregt, um sich länger als nötig mit etwas zu beschäftigen, das sie davon abhielt, der kleinen Ylvi bei ihren unermüdlichen Gehversuchen zuzuschauen. Hjördis schwoll vor Stolz auf ihre kleine Ziehtochter.
Am Abend, als die Kinder schliefen, setzte sie sich auf die Bank neben Bjarne, nahm seine Hand in die ihre und saß eine Weile schweigend neben ihm.
„Bjarne, weißt du, der heutige Tag war etwas ganz Besonderes. Ylvi kann laufen. Sie ist ein kleines Stück erwachsener geworden und das verdankt sie vor allem Dir, weil Du geholfen hast, sie in diesen ersten Monaten ihres Lebens gut zu nähren.“
Der junge Mann drückte Hjördis Hand und legte seinen Kopf an ihre Schulter. „Ylvi ist doch meine Schwester und ich habe meinem Vater versprochen, auf sie zu achten.“ sagte er nur, bevor sie wieder schwiegen.
Bevor Bjarne in dieser Nacht einschlief, richtete er sich noch einmal auf und flüsterte in die Dunkelheit, die nur von der verglimmenden Glut der Feuerstelle unterbrochen wurde „Vater, Jarla, habt Ihr gesehen was Ylvi jetzt kann? Sie ist jetzt schon ein großes Mädchen. Ich habe gut auf sie aufgepasst, so wie ich versprochen habe.“ und als er sich kurz darauf niederlegte, war ihm so, als fühle er ein sanftes Streicheln an seiner Wange. Doch als er die Augen wieder aufschlug, war da niemand.