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Kapitel 1
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Schatten tanzten an den Wänden, gezeichnet von den Flammen der Feuerstelle und zogen mit verzerrten Masken hämische Grimassen. Fjodor versuchte, den Kopf wegzudrehen, sich zu zwingen, diese wilden Schattentänze nicht mehr anzusehen, doch sein fiebriger Blick hatte nicht die Kraft sich von ihnen loszureißen. Wie in einem Bann starrte er sie an, glaubte ihr Lachen zu hören, untermalt vom kraftlosen Stöhnen der jungen Frau, die dort drüben am Fuße der Feuerstelle lag und versuchte, den Schmerz zu unterdrücken. Es fiel Fjodor schwer, sich nicht immer wieder in den schwarzen Sog ziehen zu lassen, in den ihn das Fieber zu locken drohte. Nein, er musste kämpfen, durfte sich nicht der Gleichgültigkeit hingeben. Für Jarla und das Kind, das sie gerade im Begriff war, auf die Welt zu bringen.
Unter Aufbietung seines ganzen Willens, schaffte er es endlich, die Augen von den Schatten zu wenden und in die Richtung zu sehen, aus der Jarlas Seufzen zu ihm drang. Der alte Mann konzentrierte sich allein auf Jarla. Er wollte bei ihr sein und sie schützen. Ja, Schutz war das, was sie jetzt so dringend brauchte. Gegen die Boshaftigkeit der beiden Menschen auf der anderen Seite des Langhauses.
Svea und Notger saßen beieinander, mit verhärteten Gesichtern und tuschelten, sahen abschätzend zu Jarla und schnauften verächtlich. Fjodor hoffte, sein Wort würde Achtung finden, so lange er bei Verstand blieb. Nur so konnte er Jarla und ihr Kind schützen. Vor seinem Weib Svea und dem Sohn Notger.
Leise begann Fjodor zu beten. Seine Lippen bewegten sich kaum, doch er hoffte, dass sie ihn hören würde. „Frigg, Göttermutter, ich bitte Dich, stehe Jarla und unserem Kind bei. Gib mir die Kraft durchzuhalten bis Bjarne mit Roald und Hjördis zurück ist und schütze Jarla. Verzeih meine Selbstsucht und Schuld, mit der ich die Verantwortung für all das hier trage. Ich bin bereit, mich dem zu übergeben, was Hel mir auferlegt. Nur lass mich so lange auf Erden bleiben, bis ich Jarla und das Kind in sicherer Obhut weiß, weit weg von diesem Ort und dieser Sippe, die so von Hass getrieben ist.“ Monoton hauchte Fjodor immer wieder diese Worte. Ungehört von den übrigen Menschen in der kleinen Halle, aber hoffentlich verstanden von der Einzigen, die in diesen Stunden die Macht hatte, zu helfen. Nicht für ihn, sondern einzig für Jarla, hoffte er auf die Unterstützung der Göttin. Nur sie konnte nun noch verhindern, dass Fjodors Schuld an Jarla noch größer wurde. Dieses stille Mädchen, das ihm so viel Glück auf seine alten Tage geschenkt hatte. Sie, die eben dieses, sein Glück, so teuer bezahlte. Jarla hatte alles still ertragen, ohne für sich selbst auch nur irgendwann etwas zu fordern. Und wie in einem Traum wanderten seine Gedanken davon, zurück zu den Tagen, die einer scheinbar längst vergangenen Zeit angehörten.
Die Götter hatten es gut mit Fjodor gemeint. Als einziger Erbe des ansehnlichen Hofs und des dazu gehörigen Landes, war er nie gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Anders als so viele junge Männer, die fortgingen um in der Fremde zu rauben und so das nötige Kapital zusammenzubringen, um ein kleines Stück Land pachten oder gar kaufen zu können, von dem sie mehr schlecht als recht eine Familie ernähren konnten.
Der Vater war früh verstorben und die Mutter hatte an Stelle des Sohnes den Besitz verwaltet, bis er alt genug war, sein Erbe anzutreten. Fjodor konnte sich nicht erinnern, seine Mutter jemals ausgelassen lachen gesehen zu haben. Meist wirkte sie müde und doch verbissen genug, alles dafür zu tun, ihrem Sohn einen gut bewirtschafteten Hof zu erhalten. Noch vor dem Gesinde war sie aufgestanden und zur Nacht die Letzte, die sich auf ihr Lager legte. Sie war nicht einfach nur Herrin, sondern kannte jeden Handgriff, egal ob Arbeit der Männer oder Frauen. Und ebenso erwartete sie von den Knechten und Mägden, dass sie genauso hart arbeiteten. Streng konnte sie sein, manchmal fast hartherzig wirken, aber Fjodor wusste, dass seine Mutter ihre Kraft einzig auf das warf, was sie für ihren Sohn tun konnte. Auch wenn er sich als Kind oft nach einer Umarmung sehnte, spürte er doch, dass sie ihn in Gedanken in den Armen wiegte, wenn sie nachts, im verglühenden Schein des Feuers, nach ihm sah, bevor sie sich selbst niederlegte. All das, was sie ihm übergeben hatte, als er mit sechzehn Jahren mündig wurde, drückte ihre Liebe aus, denn mit dem Tag war Fjodor zum angesehenen und wohlhabenden Herren eines Stück Landes geworden, von dem sicher vier Sippen ohne Hunger hätten leben können.
In einem einzigen Punkt wagte der neue Herr, seiner Mutter die Stirn zu bieten. Zumindest eine Zeit lang, denn was sie auch redete, weigerte Fjodor sich zwei Jahre lang, dem Wunsch seiner Mutter nachzukommen und um Svea zu freien. Er wollte diese Frau nicht, die drei Sommer mehr erlebt hatte, als er selbst. Und es gefiel ihm nicht, dass er sie nur zum Weib nehmen sollte, weil ihre Väter einst, bei einem Trinkgelage beschlossen, die Kinder einander zu versprechen. Fjodor wollte sich selbst ein Mädchen aussuchen und als Herrin auf seinen Hof führen. Eine junge Frau, die hart arbeiten konnte wie die Mutter und doch vermochte, Freude zu empfinden, die sie auf die Menschen um sich übertrug. Er lehnte Svea nicht ab, aber er konnte ihrer Art nicht viel abgewinnen. Sie berührte sein Herz nicht. Kräftig war sie wohl, jedoch genoss sie, als Tochter eines Vaters, der zu Wachs in ihren Händen wurde, viele Privilegien, die sie schon früh eine Herrin werden ließen. Alles, was sie lernte, um einst eine gute Hausfrau zu werden, sah sie lediglich als Wissen an, das sie besitzen musste, um dem Gesinde Instruktionen zu erteilen und dessen Arbeiten kontrollieren zu können. Svea war selbstverliebt und schien sich als göttliches Geschenk zu sehen. Nichts in ihren Augen war besser, als sie. Von den Menschen um sie herum erwartete sie natürlich, dass auch diese sie als vollkommen ansahen und ihr ehrfürchtig zu Füßen lagen. Sie wollte Fjodors Weib werden, aber nicht, weil dieser junge Mann sie verzückt hätte, sondern um Herrin eines großen Hofes zu sein.
Ein lautes Knacken des brennenden Holzes ließ Fjodor zusammenfahren. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen und zu verstehen, wo er war. Langsam klärte sein Bewusstsein ihn auf und ergeben seufzte der alte Mann. Ja, er lag hier, auf seinem Lager, im Fieber und wartete auf den Tod. So wie sein Weib und Notger dort hinten hockten, von wo aus sie auf Jarlas Tod hofften und warteten. Die Zunge klebte an Fjodors Gaumen und seine Kehle fühlte sich an, als sei sie vertrocknet. „Durst“, murmelte er schwach und hatte nicht wirklich die Hoffnung, erhört zu werden, doch entgegen seiner Erwartungen erhob Svea sich langsam, ging zum Wassereimer und nahm die volle Schöpfkelle heraus, mit der sie zu ihm trat. Svea half ihrem Mann nicht, sich aufzurichten. Ihre Verachtung dem eigenen Mann gegenüber stand ihr deutlich im grimmigen Gesicht geschrieben, untermalt vom Ekel, den der faulige Geruch, der Fjodors Wunde am Bein entströmte, bei ihr verursachte. Mühsam hob Fjodor den Kopf und bot seine ganze Kraft auf, um sich aufzusetzen. Diesem Weib gegenüber wollte er so wenig Schwäche zeigen, wie ihm möglich war. Lieblos hielt Svea ihm die Kelle an den Mund. Der lange Griff schien symbolisch für den Abstand zu stehen, der in all den Jahren ihrer Ehe immer bestanden hatte. Fast hätte man die Distanz, die immer zwischen ihnen geherrscht hatte, mit Respekt verwechseln können. Doch Respekt empfand Svea nie diesem Mann gegenüber. Er war nur Mittel zum Zweck. Die Last, die sie zu ertragen hatte, als Preis, Herrin des Anwesens zu sein.
Wasser lief Fjodor seitlich an den Mundwinkeln vorbei und tropfte auf die Tunika aus fein gewebtem Wollstoff. Svea grunzte verächtlich und deutete dann mit dem Kopf zur Feuerstelle. „Wie lange soll das da noch weitergehen? Hier findet niemand Ruhe. Soll sie ins Grubenhaus gehen.“
Zorn stieg in Fjodor auf. „Sie geht nirgends hin und bleibt hier! Das ist mein Weib, wie auch Du es bist und sie gebiert mein Kind, wie auch Du meine Kinder geboren hast, hier an meinem Herdfeuer, in meinem Haus. Es ist schon eine Schande, mit der Du Dich eines Tages vor den Göttern zu verantworten hast, dass Du meiner Zweitfrau nicht einmal gestattest, sich auf ein Lager zu betten und sie am Boden gebären muss. Wage es nicht, sie hinauszubringen, wenn Du es auch schon nicht als Deine Pflicht siehst, dem Kind Deines Mannes auf die Welt zu helfen, Du garstiges Weib.“, es fiel ihm schwer, die nötige Kraft in seine Worte zu legen, aber er wusste, dass er Svea gegenüber die Schwäche nicht zeigen durfte. Sie würde sich darauf stürzen und zu ihrem Vorteil verwandeln, um ihn zu übergehen und Jarla hinaus zu werfen.
Der Mund seines älteren Weibes verzog sich zu einem schmalen Lächeln, in dem nichts Herzliches lag. „Früher oder später geht sie, das weißt Du. Schau Dich an. Was denkst Du, wie lange Du hier noch Herr bist? Ein paar Tage höchstens noch, dann ist mein Sohn Dein Erbe und die Hure geht mitsamt ihrem Balg. Und dass sie dort am Boden wirft zeigt nur, welchen Platz sie bei uns hat. Hebe Du sie doch aufs Lager, sterbender Mann“ sie lachte hämisch auf „aber das wirst Du ja nicht mehr tun können. Die Nornen haben bereits begonnen, Deinen Lebensfaden zu durchtrennen.“, mit diesen Worten drehte sie sich um, warf die Schöpfkelle in den Eimer und stampfte zum Platz neben Notger zurück, wobei sie demonstrierend einen großen und unnötigen Schritt über die sich windende Jarla machte.
Es half nichts, wie viel Kraft es Fjodor auch kostete, er musste an Jarlas Seite und durchhalten, bis die Anderen da waren. Zittrig und geschwächt richtete er sich weiter auf, schob die Beine langsam vom Lager und griff nach einem der senkrecht stehenden Trägerbalken, um sich festzuhalten und daran hoch zu ziehen. Für einen Moment lehnte er den Kopf an das Holz, während er es mit beiden Händen umklammerte. Seine Beine wollten nachgeben, doch der Wille, die wenigen Meter zu Jarla zu gelangen, war größer. Schleppend taumelte er vorwärts, die scheinbar genießenden Blicke von Svea und Notger spürend. Doch ihm war egal, wie sie sich daran ergötzten die Zeichen zu sehen, die das Ende des alten Hofherren zeigten.
Kurz vor Jarla wandte er sich nach rechts, dem Wassereimer zu, nach dem er griff, um ihn schwer über dem Boden zu der jungen Frau zu schleifen. Nicht einmal einen Eimer konnte er mehr heben, dachte er bitter und ließ sich zu Jarlas Kopf fallen. Er hatte kaum die Kraft, unter ihren Kopf zu greifen und die volle Schöpfkelle zu ihrem Mund zu führen. Jarla schaffte es nur mühevoll, zu trinken. Immer wieder wurde sie erfasst von einer Woge des Schmerzes, die sie sich wimmernd zusammenziehen ließ. Tropfen rannen ihr über die Stirn und ihr hübsches Gesicht war umrahmt von Schweiß verklebten Haaren. Nachdem Fjodor die Schöpfkelle zurück in den Eimer gelegt hatte, streichelte er mit der freien Hand eben diese nassen Haare aus dem Gesicht, das er so liebte. Jarla öffnete die Augen und sah ihn angstvoll an. Ihre Stimme war nur ein schwaches Flüstern, als sie ihn ansah. „Wenn sie rechtzeitig kommen, wird das Kind leben, nicht wahr?“
Fjodor zwang sich, Jarla anzulächeln. „Wir alle werden leben, meine Liebste. Wir alle.“, dabei wanderte sein Blick wieder zu Svea, die sich sichtlich zu amüsieren schien, über das, was dort am Boden vor dem Herdfeuer geschah.
Wie hatte er dieses Weib nur jemals zur Herrin seines Hofes machen können, dachte er zornig, während seine Gedanken in der Zeit wieder zurück wanderten.
Im zweiten Winter nach Antritt seines Erbes, erkrankte die Mutter und es sah eine Zeit so aus, als hielten die Nornen bereits eine Schere an ihren Lebensfaden. Bereit, seiner Mutter den Frieden zu geben, der in seiner Macht stand und ihr ermöglichte, ohne Kummer gehen zu können, sollte ihre Zeit gekommen sein, machte Fjodor das Versprechen, Svea zur Frau zu nehmen. Vielleicht war es die Aussicht, schon bald einen Enkel in den Armen halten zu dürfen, dem sie die Zeit widmen konnte, die sie Fjodor so gern geschenkt hätte oder Segen der Götter. Einige Wochen nach Fjodors Versprechen, gewann die Mutter wieder etwas Kraft und schien gesund zu werden.
So bekam der Hof im Jahr darauf eine neue Herrin, die streng verwaltete, selbstbewusst die Knechte scheuchte und die starke Hand der Mutter fortführte. Jedoch machte sie nie einen Hehl daraus, wie wenig Interesse sie daran hatte, ihren Mann zu lieben oder von ihm geliebt zu werden. Diese Ehe war in ihren Augen ein Geschäft. Jeder bezahlte seinen Preis und bekam, was er wollte. Zu verschenken hatte Svea nichts.
Fjodors Mutter erlebte noch die Geburt des ersten Sohnes und einer Tochter, dann schlossen sich ihre Augen für immer. Sie ging in dem Bewusstsein, ihr Sohn hatte nun eine eigene Sippe und konnte nicht ahnen, dass ihre Enkel, wie noch eine weitere Tochter von Fjodor und Svea, ihr in den kommenden Jahren folgen würden.
Der erste Sohn starb, kaum zweimal alle Jahreszeiten erlebt, an Fieber. Eine Tochter wachte einfach nicht mehr auf. Sie lag in ihrer Wiege, als schliefe sie nur, aber ihre Seele hatte das Langhaus bereits verlassen, als Svea sie am Morgen zu wecken versuchte, um sie zu stillen. Und die jüngste Tochter ertrank in dem Bach, nahe dem Haus, kaum konnte sie laufen.
Nie hatte Fjodor sein Weib auch nur eine Träne um die Kinder weinen sehen und doch wusste er, welchen Schmerz sie erlebte. Diese Kinder alle zu verlieren, machte sie noch härter, mürrischer und ließ sie immer ungerechter auch dem Gesinde gegenüber werden, das es fortan gar nicht mehr schaffte, die Herrin mit seiner Arbeit zufrieden zu stellen. Erst mit der Geburt von Notger zeigte sich, wie sehr Svea ihre Kinder geliebt haben musste, denn in der Angst, auch ihn zu verlieren, verwöhnte sie ihn maßlos und schottete ihn von allem ab, was sie als mögliche Gefahr für ihn sah. Der Junge bekam seinen Willen immer, dafür wusste sie zu sorgen. Dieses einzige Kind, das ihr geblieben war, sollte all das erhalten, was seine Geschwister nicht mehr bekommen konnten. So wurde Notgers Wesen von klein auf zu einem Abbild der kaltherzigen Art seiner Mutter. Er zollte dem Vater den nötigen Respekt, aber auch er bemühte sich nicht, zu verbergen, dass Fjodor für ihn nur der war, den er einmal beerben würde.
Unter der strengen Hand von Svea und der harten Arbeit der Menschen auf dem Hof, mehrte sich der Wohlstand weiter. Mehr Vieh wurde gekauft und schon bald reichte der Platz im hinteren Teil des Langhauses nicht mehr, das Vieh zu beherbergen. Ein Teil der Vorräte lagerte bereits im Grubenhaus, gegenüber dem Wohnhaus, doch auch dieses konnte nicht mehr aufnehmen, was im Langhaus nicht unterzubringen war. Ein zweites Grubenhaus musste gebaut werden. Das Heu, das dem Vieh als Winterfutter diente, bekam eine zusätzliche Scheune. Da das Vieh Svea wichtiger war als ihr Gesinde, verbannte sie Knecht und Mägde in die Scheune und gewann nun so genug Platz im hinteren Teil des Langhauses, um auch das neue Vieh unterzubringen. Ohne Feuerstelle froren der Knecht und die Mägde erbärmlich. Sie mussten in den langen und kalten Winternächten Schutz vor dem Kältetod suchen, indem sie sich, mit Decken aus zusammengenähten Kaninchenfellen, tief ins Heu verkrochen.
Mit wachsendem Reichtum mehrte sich auch die Arbeit auf dem Hof. Und Svea zeterte so lange, bis Fjodor ihr gestattete, sich nach einer weiteren Magd umzusehen. Ihren Blick, in dem sich diebische Freude wieder spiegelte, als sie ihrem Mann die junge Sklavin vorstellte, die sie für einen Sack Gerste von deren Hunger leidenden Familie abgekauft hatte, würde er nie vergessen. Zu arm, die Tochter verheiraten zu können und nicht in der Lage, einen weiteren Esser mit durchzufüttern, war sie der Preis, durch den ihre Familie eine kurze Zeit leidlich satt werden würde. Und doch schien das Mädchen, das Tuva geheißen wurde, nicht allzu bekümmert, nun Sklavin und Eigentum einer fremden Sippe zu sein. Hier bekam es nicht im Übermaß, aber dennoch regelmäßig zu essen. Es schien, als sei Tuva sogar dankbar, denn sie bemühte sich nach Kräften, ihre Herrschaft zufrieden zu stellen. Bei Svea konnte ihr das zwar nie gelingen, jedoch wuchs in Fjodor die Illusion, dass da ein Mensch war, der sich um ihn sorgte. Nicht, weil dies seine Pflicht war, sondern aus dem Wunsch heraus, ihn einfach nur glücklich zu machen. Mal belohnte er all ihre Bemühungen mit einem Lächeln, mal steckte er ihr heimlich einen runzligen Apfel zu, den er aus dem stets verschlossenen Grubenhaus hatte mitgehen lassen. Es war so einfach, das Mädchen mit bescheidenen Geschenken zum Strahlen zu bringen. Je mehr Tuva merkte, dass Fjodor sie zu mögen schien, je weniger versuchte sie, Svea gegenüber aufzufallen. Still, vorausschauend und fleißig schuftete sie, und es gelang ihr tatsächlich, sich Sveas Aufmerksamkeit weitestgehend zu entziehen. Solange es an Tuvas Arbeit nichts auszusetzen gab, war sie für die Augen ihrer Herrin unsichtbar. Nicht aber für die ihres Herren. Immer öfter berührte sie ihn schließlich wie zufällig, unbemerkt von allen Anderen. Heiß und kalt zugleich durchfuhr es Fjodor, dem es mit jedem Mal schwerer fiel, nicht die Beherrschung zu verlieren und sich nicht ausgehungert nach Zärtlichkeit auf Tuva zu stürzen. Wie hätte er anders reagieren können, wo sein Weib sich ihm stets nur leidenschaftslos hingegeben hatte und seit Notgers Geburt gänzlich verweigerte? So war es wohl nur noch eine Frage der passenden Gelegenheit, bis das Unvermeidliche geschehen würde. Und die bot sich im Frühjahr, das Notgers sechstem Winter folgte.
Sveas Bruder, dem zukünftigen Erben des väterlichen Hofes, war der ersehnte Stammhalter geboren worden, gerade als die Zeit des Lammens begonnen hatte. Anlässlich des Festes der Geburt ihres Neffen, bestand Svea darauf, unverzüglich aufzubrechen und der väterlichen Sippe bei den Vorbereitungen zu helfen. Fjodor durchschaute sein Weib, ohne dass es dies ahnte. Ihr ging es sicher nicht darum, durch Fleiß ihrer Hände zu glänzen, als vielmehr die Gelegenheit zu ergreifen, sich als wohlhabende Hofherrin zu präsentieren und den, nach ihrer Meinung perfekten, Sohn zur Schau zu stellen. Dankbar schickte Fjodor in diesem Jahr an eben die Göttin ein Gebet, der er noch im letzten und vorletzten Jahr gegrollt hatte. Erdmutter Fjörgyn hatte ihm gleich zwei Schafe beschert, die beim Lammen immer wieder Probleme zeigten und entweder unter Komplikationen tote Lämmer zur Welt brachten oder die eigenen Lämmer nicht annehmen wollten. Angesichts des möglichen Geredes, das beim Fernbleiben ihres Mannes entstehen könnte, setzte Svea Fjodor zunächst noch zu, dem Knecht die Verantwortung für die Schafe und die anstehenden Geburten der Lämmer zu überlassen. Fjodor, fern ab jedem Bedürfnis, auch nur ein Mitglied der Sippe seines Weibes zu sehen, überzeugte seine Frau recht schnell mit dem Argument, dass sie kein Risiko eingehen sollten, wieder Lämmer zu verlieren. Was es den Knecht schere, argumentierte Fjodor, wenn die Lämmer nicht überlebten. Solange er selbst nur genug zu essen habe, konnte es ihm gleichgültig sei, ob seine Herren in den Tieren den Wohlstand hielten. Darin stimmte Svea ihm schließlich zu und schien sogar ein wenig zufrieden, einige Zeit von ihrem Mann fortzukommen.
Bereits zwei Tage nach ihrer Abreise, begannen die beiden Schafe kurz hintereinander zu lammen. Zwar verloren sie eines der Mutterschafe samt dem Lamm, dafür brachte das Andere gleich zwei muntere und kräftige Lämmer zur Welt, die es auch ohne Weiteres annahm und säugte. Zufrieden und beschwingt lud Fjodor an diesem Abend Knecht und Mägde ein, bei mit Honig versetzen Bier ein wenig zu feiern. Auf die Geburt von Lämmer anzustoßen war nicht üblich, aber Fjodor konnte schlecht zugeben, dass er vielmehr die Tage der Freiheit feierte, die er in Sveas Abwesenheit genoss. Solange er lebte, konnte er sich nicht erinnern, dass in seinem Haus jemals eine so fröhliche Stimmung geherrscht hatte. Als das Gesinde sich in die Scheune zurückziehen wollte, um sich zur Nachtruhe zu begeben, fasste Fjodor nach Tuvas Hand und hielt sie zurück.
Bjarne. Wo er nur blieb? Wie lange war er nun schon fort? Bereits am Morgen hatte er ihn losgeschickt, Hjördis zu holen und gebeten, auch deren Mann Roald mitzubringen. Selbst bei den jetzt herrschenden Herbststürmen, musste der Junge den Weg zu Fjodors Base in vier bis fünf Stunden schaffen. Noch einmal so lange, bis sie wieder zurück waren. Wo blieben sie nur? Angestrengt dachte Fjodor nach und hoffte mit jeder Minute mehr, dass Bjarne sich nicht verlaufen hatte. Es war ein Risiko, den Jungen zu schicken, aber er war auf diesem Hof der einzige Mensch, dem er neben Jarla vertrauen konnte. Selbst dem Knecht und den Mägden würde er sein Vertrauen nicht schenken. Zu groß war deren Angst vor Svea und dass sie unter dem neuen Herrn Notger, keinen Platz in diesem Haus mehr hätten, wenn Fjodor nicht mehr war. Versonnen lächelte Fjodor bei den Gedanken an Bjarne, dem Sklaven seiner Sippe, der mit seinen vierzehn Jahren, trotz seiner eher geringen Größe, stärker war, als mancher Mann, der in die Schlacht zog. Vor seinem inneren Auge sah Fjodor das Gesicht des Jungen, mit seinen leicht schräg stehenden Augen, der Zunge, die sich so oft vorwitzig aus dem Mund schob, als schaue sie sich neugierig die Welt an und dem kupferroten Haar, das immer so eigensinnig nach oben stand, als wollte es zeigen, in welcher Richtung die Sonne lachte. Bjarne war anders als die meisten Menschen, die Fjodor kannte. Er war etwas Besonderes, auch wenn Svea und Notger ihn nur den Tölpel nannten. Wieder stieg Wut in ihm hoch. Ja, Bjarne war anders, brauchte länger, um etwas zu lernen und er machte nicht viele Worte. Sagte er doch etwas, nuschelte er meist ein wenig, aber alles, was er tat, machte er mit einer beispielhaften Gewissenhaftigkeit und verlangte von sich selbst Perfektion, so dass niemand ihn schelten musste, wenn er versehentlich etwas zerbrach. Er schalt sich selbst dafür, schimpfte dann manchmal über Stunden leise immer wieder vor sich hin, wie ungeschickt er doch gewesen sei und dass er sich beim nächsten Mal noch mehr bemühen müsste. Als habe Jarla Fjodors Gedanken gehört, schaute sie zu ihm auf. „Meinst Du, Bjarne hat es geschafft?“, Angst schwang in ihrer Stimme.
Wieder zwang Fjodor sich zu lächeln. „Aber natürlich hat er es geschafft! Du wirst sehen, sie sind bald hier. Bjarne könnte sich verlaufen und würde doch nicht aufgeben, bis er seinen Auftrag erfüllt hat.“
Jarla lächelte nun auch. „Ja, Du hast Recht, er gibt nicht auf. Das hat er von Dir.“
Noch bevor sie weitersprechen konnte, erfasste eine neue Wehe ihren Körper und zwang sie, konzentriert zu atmen, um sich gegen den Schmerz zu stellen, der ihr den Verstand zu nehmen drohte. Als sie danach erschöpft den Kopf zurück in Fjodors Arm sinken ließ, hallten ihre Worte noch in seinem Kopf nach. „Das hat er von Dir!“
Ja, es stimmte, und der alte Mann spürte, wie sein Herz vor Stolz schneller schlug. Stolz des Vaters auf seinen Sohn.
Svea bemerkte nicht, was zwischen Fjodor und Tuva vor sich ging. Wann immer sich die Gelegenheit ergab, trafen sie sich heimlich, um einen Moment der Zweisamkeit zu genießen. Fjodor liebte Tuva nicht, aber er hatte sie gern. Und er begehrte sie, die ihm das gab, was sein Weib ihm verweigerte. Der Sommer kam und wurde vom Herbst abgelöst, da bemerkte Fjodor, wie Tuva sich veränderte. Lachte sie sonst wenigstens, wenn sie allein waren, so verschloss sie sich immer mehr und zog sich auch nicht mehr aus, wenn sie gemeinsam ins Heu oder auf ein Moosbett im Wald sanken. Sie hob nur noch ihren Rock und zeigte mit der Zeit auch keine Leidenschaft mehr, die ihm doch so sehr das Gefühl gegeben hatte, ein begehrenswerter Mann zu sein. Eines Tages kam er dahinter, was Tuva bedrückte. Oder eher, Svea brachte ihn darauf, als sie sich ungehalten über Tuva ausließ und von ihrem Mann eine Entscheidung forderte. „Da beweist man seinen Großmut und holt das Ding von diesen Hungerleidern zu sich und was tut es? Wirft sich auf den Rücken, wie eine läufige Straßenhündin, die sich von jedem bespringen lässt.“ keifte sie und wedelte dabei mit einer Weidenrute, mit der sie kurz zuvor aus Tuva heraus geprügelt hatte, was sie bereits ahnte. „Du wirst sie augenblicklich vom Hof werfen, sonst tue ich das. Und ich sage Dir, wenn ich das mache, wird sie nicht auf den Beinen laufen, sondern von dannen kriechen.“
Fjodor fettete gerade das Leder, mit dem der Ochsen vor den Karren und Pflug gespannt wurde, damit es im Winter nicht porös wurde. Abrupt schaute er zu seinem Weib auf.
„Was hat sie jetzt wieder getan, um in Deine Ungnade zu fallen?“, versuchte er betont gelassen zu wirken, doch innerlich erfasste ihn Unruhe.
„Um in meine Ungnade zu fallen?“ Sveas Stimme kippte fast, so schrill kreischte sie nun „Hast Du nicht bemerkt, dass sie ein Kind trägt? Einen Bastard, den sie uns ins Haus schleppt. Wer weiß, von wem sie sich den eingefangen hat. Und wir sollen den dann durchfüttern? Nein, soll sie woanders rumhuren um sich und das Balg durchzubringen, aber nicht bei uns!“
Fjodor erstarrte. Mit einem Schlag verstand er, warum Tuva sich so verändert hatte. Sie wollte ihm ihren Zustand so lange es ging verbergen. Völlig durcheinander wusste er nur, dass er jetzt zwei Möglichkeiten hatte: Tuva vom Hof zu jagen, wie Svea es verlangte und seine Beteiligung an dem Kind zu verleugnen oder sich seinem Weib zu stellen und Tuva für die glücklichen Momente, die sie Fjodor beschert hatte zu danken, indem er dafür sorgte, dass sie und ihr Kind bleiben konnten.
„Sie wird nirgends hingehen, sie bleibt hier.“ beschloss er mit fester Stimme, während er scheinbar gelangweilt seine Arbeit fortführte. Svea glaubte nicht, richtig gehört zu haben und wollte gerade aufbegehren, als sie die Bedeutung seiner Worte begriff.
„Willst Du damit sagen, dass Du sie besprungen hast? Du bringst uns einen Bastard ins Haus und verlangst von mir, dass ich großziehe, was der Herr in die Welt setzte, weil er den Bock spielen musste? Vergiss das ganz schnell, jetzt geht die Hure erst Recht.“, Svea wollte sich umdrehen und davon stürmen, doch Fjodor schoss empor, ungeachtet des frisch gefetteten Leders, das dabei in den Schmutz fiel und packte sein Weib bei der Hand, das so plötzlich zum Stehen kam, dass es strauchelte und beinahe hinfiel. Nie zuvor hatte Fjodor Svea gezeigt, wer der Herr im Haus war. Nie hatte er Gehorsam von ihr verlangt und sie schalten und walten lassen, wie sie wollte, um seine Ruhe zu haben, aber in diesem Punkt würde er ihr unerbittlich die Stirn bieten. Ihre Augen zogen sich wütend zusammen, während sie langsam den Blick auf ihren Arm richtete, der von Fjodors Hand umklammert wurde. Noch nie hatte es jemand gewagt, sie anzufassen und zu belehren. Auch jetzt würde sie es nicht erlauben. Erst recht nicht, wenn ihr Mann verlangte, dass sie seine Hure auf ihrem Hof zu dulden hatte. Sie hob den Arm, in dessen Hand sie die Weidenrute hielt, holte aus und schlug ihrem Mann die Zweige zischend ins Gesicht. Stechend und heiß durchzuckte es seine Wange, doch die Wut ließ ihn den brennenden Schmerz ignorieren. Soweit sollte es noch kommen, dass eine Frau, seine Frau, ihn schlug. Blitzschnell griff er mit der freien Hand nach Sveas Zopf und zog sie nah an sich heran, während er die Hand an ihrem Arm löste und ihr die Weidenrute entriss. In rasendem Zorn schlug er mit der Rute auf sein Weib ein, das kreischte und schrie, sich wand und doch nicht entkommen konnte. Er spie förmlich die Worte „Du wagst es nie wieder, Deine Hand gegen Deinen Mann und Herren zu heben Weib! Hörst Du? Nie wieder!“
Als er mit Svea fertig war, bemerkte er erst die beiden Mägde und den Knecht, der Notger festhielt, um ihn davon abzuhalten, sich zwischen die Eltern zu werfen. Entsetzt starrten sie auf die wimmernde Herrin, die mit Schmerzen und gedemütigt am Boden lag. Fjodor warf die Weidenrute weg, spuckte neben Svea auf den Boden und zischte dann laut genug, damit jeder es hören konnte „Tuva bleibt. Ebenso ihr Kind. Es wird, wenn es alt genug ist, auf dem Hof arbeiten, um sich sein Essen zu verdienen.“
Mit diesen Worten hatte Fjodor über das Schicksal seines illegitimen Kindes entschieden und es zum Sklaven erklärt, wie seine Mutter eine Sklavin war. Doch er wusste auch, das Kind offiziell anzuerkennen, würde eventuell sein Leben bedrohen. Viel zu groß war die Gefahr, würde es ein Junge werden, dass Weib und Sohn das Kind beseitigten, um nichts von Notgers Erbe auch nur zu riskieren.
Der Winter war nicht lange vorbei, als der Knecht eines nachts ins Langhaus kam und meldete, Tuva habe einen Sohn geboren. Fjodor eilte umgehend in den Stall, wo die Mägde den Jungen ein Stück entfernt von seiner Mutter, auf ein kleines Lager aus Heu, am Boden gelegt hatten. Niemand wagte es, das Kind der Mutter zu geben, damit sie es stillen konnte. Bis der Herr nicht über sein Schicksal verfügt hatte, durfte es keine Nahrung bekommen. Das Gesetz besagte, dass ein Kind nur dann im Wald ausgesetzt oder getötet werden durfte, wenn es seine erste Mahlzeit noch nicht zu sich genommen hatte.
Langsam, fast vorsichtig, trat Fjodor zu dem kleinen Lager aus Heu und kniete nieder. Lange betrachtete er den kleinen Jungen, der wild mit den Armen ruderte und seinen Unmut in die Welt hinaus schrie. Ein feiner roter Flaum umkränzte den Kopf und funkelte regelrecht im schwachen Licht der Talglampe. Wie klein und zart er doch war. Ein leichter Dampf stieg von der noch feuchten, warmen Haut in die kalte Nachtluft empor. Vorsichtig strich Fjodor mit einem Finger über die rosige Wange und das Kind verstummte sofort, als wüsste es, dass dieser Moment über sein Leben entscheiden würde. Die Augen öffneten sich einen Moment und Fjodor blickte in ein Dunkelblau, das ihm das Gefühl gab, darin zu versinken. Etwas war mit diesem Kind, das ihm befremdlich vorkam, doch er konnte nicht sagen, was. Waren es die leicht schräg liegenden Augen, die ihn irgendwie an die der Monggholkrieger erinnerten, die er einst auf dem Markt in Uppsala gesehen und fast ehrfürchtig bestaunt hatte? Eine Weile betrachtete er den Jungen weiter, streichelte ihn, griff nach der kleinen Faust und als er ihn hochhob, um ihn zu seiner Mutter zu tragen, war ihm längst bewusst, was so anders an seinem Sohn, den er nicht anerkennen durfte, war. Er sah anders aus, ähnelte einem Tölpel, den er einst in Birka gesehen hatte und er wusste, dass dieser, sein Sohn nie ganz so sein würde, wie andere Jungen. Und doch sollte der Junge leben. Wer war er, Fjodor, dass er sich gegen das entscheiden könnte, was die Götter ihm zur Aufgabe machten?
So übergab er Tuva den Sohn. „Sein Name soll Bjarne sein und Du wirst ihn gut nähren, damit er kräftig wird und gut arbeiten kann.“
Dankbar lächelte Tuva Fjodor an. Auch wenn es ihre gemeinsamen Stunden nie wieder geben würde, wusste sie doch, dass ihr Herr ihr einen großen Beweis seiner Zuneigung geschenkt hatte, indem er ihren Sohn am Leben ließ.
Jarla bäumte sich auf. Ihr Keuchen wurde zu einem schmerzerfüllten Schrei und mit all ihrer noch verbliebenen Kraft, begann sie zu pressen. Fjodor fühlte sich hilflos, konnte sie nicht wirklich stützen und war so verbannt, dem Geschehen nur zuzusehen. Mehr, als hin und wieder einige aufmunternden Worte an Jarla zu richten, war ihm nicht möglich.
„Weiter, meine Liebste, dann hast Du es bald geschafft. Nicht mehr lang und all das ist vergessen. Gleich ist unser Kind da.“ doch Jarla hörte ihn nicht. Sie war gefangen in den Wehen, die sie nun nicht mehr losließen. Kaum kam sie zu Atem und riss die Beine weit auseinander, um ihrem Kind Platz zu machen, auf die Welt kommen zu können.
Es schien Fjodor, als vergingen Stunden, in denen Jarla immer wieder den Oberkörper nach vorn warf, sich in die Kniekehlen griff und mit einer Kraft das Kind aus sich heraus zu schieben versuchte, die man in ihrem schwachen Körper nicht mehr vermutete. Stumm betete Fjodor zu Frigg, Jarla zu helfen. Inbrünstig bat er die Göttermutter, dass dieses Kind bald auf die Welt kam. Dabei schaute er schuldbewusst auf die junge Frau, die nun noch zarter und zerbrechlicher, noch jünger aussah, als sie es ohnehin war.
Vor zwei Jahren hatte er sie heimgeführt und Weib und Sohn erklärt, dass dies seine neue, zweite, Frau sei. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie doch noch ein Kind, aber Fjodor konnte der Versuchung und Gier, die ihn befallen hatten, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, nicht widerstehen. Jarlas Vater war ein armer Pächter, der ein Stück Land auf Fjodors Grund bewirtschaftete. Zwei Jahre war die Ernte kaum genug gewesen, Vater und Tochter ernähren zu können und im dritten Jahr zerstörte später Frost schließlich die gesamten Triebe der Aussaat. Fjodor hätte beide davon jagen und den wenigen Besitz behalten können. Einen neuen Pächter zu finden, wäre ein Leichtes gewesen. Stattdessen aber forderte er die Tochter und bot dem Vater an, dafür auf dem Land bleiben zu können. Großzügig legte er sogar noch einen Sack Saatgut obendrauf, so wie ein Ferkel, das dem armen Mann im nächsten Winter genug Fleisch gäbe.
Still und ergeben ging Jarla mit ihm. Sie war so anders, als Svea, so rein und begehrenswert. Er musste sie besitzen, doch er würde nie wieder den gleichen Fehler machen, wie bei Tuva. Er würde nie wieder eine Magd oder Sklavin besteigen. Nein, wenn er sich eine zweite Frau nahm, konnte er ihr Lager aufsuchen, wann immer er wollte, ohne auf Svea achten zu müssen. Und als Weib an seiner Seite würde sie nicht einfach gehen wie Tuva, die eines morgens, als Bjarne gerade einmal sechs Jahre alt und damit alt genug war, um voll auf dem Hof mitzuarbeiten, verschwand.
Svea hatte getobt und gezetert, aber Fjodor erinnerte sie daran, nicht zu vergessen, wer der Herr im Haus war. Schließlich gab Svea auf, behandelte Jarla aber immer wie eine Magd und ließ sie ihren Hass spüren. Notger schloss sich dem Verhalten seiner Mutter an. Für ihn war dieses junge Ding, das vier Jahre jünger war, als er selbst, nicht wert, beachtet zu werden. Er würde auf der Hut sein und aufpassen, denn unter keinen Umständen wollte er zulassen, dass ein weiterer Sohn ihm am Ende noch den Hof streitig zu machen versuchte. Dem Gesetz nach war er der Erbe und daran würde sich nichts ändern.
Ein letztes Mal griff Jarla in ihre Kniekehlen und zog die Beine zu sich heran. Mit einem lang gezogenen Schrei, der eher der unbeschreiblichen Kraft, die sie aufbrachte entstammte, als dem Schmerz, schob sie das Kind aus ihrem Schoss heraus. Mit einem schmatzenden Geräusch rutschte es auf den Boden und lag nun da. Durch die Nabelschnur noch mit seiner Mutter verbunden, selbst völlig erschöpft und glänzend von Blut und weißer Schmiere. Fjodor sah, wie die Wärme des Babys dampfend emporstieg und konnte den Blick kaum abwenden. Es bewegte sich nicht und für einen Moment dachte er schon, das Kind sei tot.
Jarlas Atem ging noch immer heftig, als sie ungelenk nach dem Kind griff und es zu sich heran zog. Noch während sie schwach und umständlich die Nabelschnur mit einem dünnen Lederband abschnürte, das sie von ihrem Gürtel nestelte, sah sie zu Fjodor auf. „Du musst die Schnur durchtrennen... Ein Stück über dem Band... Bitte.... Mir fehlt die Kraft dazu.“, ihre Stimme ging fast in dem keuchenden Atem unter, doch Fjodor verstand. „Gib mir ein Messer.“ raunte er unwirsch in Richtung Svea, die ungerührt sitzen blieb. An ihrer Stelle antwortete Notger. „Wozu? Der Bastard sieht aus, als sei er tot. Soll doch Deine Hündin gemeinsam mit ihm verrecken!“
„Gib mir ein Messer, habe ich gesagt. Sofort! Und wage es nicht, mir noch einmal zu widersprechen, sonst jage ich Dich und Deine Mutter vom Hof und erwirke vorm Thing die Entrechtung von Deinem Erbe, indem ich vortrage, Du bist ein Bastard Deiner Mutter. Beweisen könnt Ihr nicht, dass es anders ist.“
Notger begann zu lachen. „Alter Mann, für einen Sterbenden reißt Du den Mund sehr weit auf. Zu welchem Thing wirst Du wohl noch kommen? Willst Du Dich von Deinem Bastard, dem Tölpel tragen lassen? Nein, Du wirst dieses Haus nicht mehr lebend verlassen, das wissen wir beide. Dieser Hof ist praktisch schon meiner und daran wirst Du nichts mehr ändern.“, trotz der Worte, die Notger seinem Vater voller Hass entgegen schleuderte, warf er ihm ein Messer zu „Da, nable Deinen Bastard ab. Er wird Dir sowieso bald in Hels Reich folgen. Von allein oder mit meiner Hilfe, denn ich dulde ihn nicht auf meinem Hof.“
Fjodor griff nach dem Messer, hielt es einen Moment in die nahen Flammen des Herdfeuers, bis die Klinge glühte, wartete noch einen Augenblick, um sie abkühlen zu lassen und begann dann mühevoll die Nabelschnur zu durchschneiden. Angst kroch in ihm hoch. Wenn Bjarne mit den Anderen nicht bald zurück war, konnte er Jarla und das Kind sicher nicht lange vor Notger schützen. Er spürte, wie das Leben aus seinem eigenen Körper wich und wusste, hauchte er seinen letzten Atemzug aus, bevor er Jarla und das Kind an Roald und Hjördis übergeben hatte, käme jede Rettung für dieses junge Leben, das doch gerade erst begonnen hatte, zu spät.
Als die Nabelschnur endlich durchtrennt war, bemerkte er, wie sich die kleinen Beinchen des Kindes bewegten und Tränen der Freude stiegen ihm in die Augen. „Jarla, unser Kind lebt!“ stieß er hervor und suchte ihren Blick. Sie lag da, die Augen geschlossen, aber ein schwaches Lächeln umspielte ihren Mund in dem unnatürlich bleichen Gesicht. Leise flüsterte sie „Haben wir einen Sohn?“ und Fjodor schaute nun erst nach dem Geschlecht des Kindes. Leise lachend beugte er sich zu Jarla und küsste sie vorsichtig „Nein, wir haben eine kleine Tochter. Sie ist wunderschön, wie ihre Mutter.“
Wieder lächelte Jarla. Diesmal noch schwächer. Ihre Augen blieben geschlossen. „Bitte sorge... für ihre Sicherheit. … Lass mich ihr... einen Namen geben...“, eine eiskalte Hand griff nach Fjodors Herz. Irgendetwas stimmte nicht. Warum verlor Jarla ihre Kraft, jetzt wo das Kind endlich da war?
„Ja, gib Du ihr einen Namen.“ hauchte er ihr ins Ohr und streichelte über die Wange, die erschreckend kühl war.
„Ylvi.“ war das letzte Wort, das Jarla über die Lippen brachte und während Fjodor noch in ihr Gesicht starrte, weil er nicht begreifen konnte, was gerade geschah, rutschte Jarlas Hand von dem Kind auf ihrer Brust zu Boden. „Jarla! Was ist denn los?... Jarla!“ rief er verzweifelt und schüttelte ihren Kopf, doch sie regte sich nicht mehr. „Sie ist tot!“, schrie er verzweifelt, mehr zu sich selbst, doch nun stand Svea auf, trat heran und keifte nur „Noch besser. Und beschmutzt mir dabei noch mein Haus!“
Jetzt erst sah Fjodor das Blut am Boden, das sich in einer Lache, zwischen Jarlas Beinen gesammelt hatte. Es sickerte noch immer an der Nabelschnur vorbei, die aus seiner geliebten Frau heraus hing und breitete sich vor der Feuerstelle, auf dem festgetretenen Lehmboden aus. Entsetzen machte sich auf Fjodors Gesicht breit. Mit großem Kraftaufwand griff er nach seiner Tochter, um sie an sich zu ziehen. Jetzt konnte er nur noch hoffen, so lange durchzuhalten, bis seine Base kam. Sie musste einfach rechtzeitig hier sein, bevor Notger seine Drohung wahr machte und das Kind wegbrachte. Fjodor wusste, dass er seinem Sohn körperlich nicht mehr gewachsen war, um die kleine Tochter zu schützen. Verächtlich lachte Notger ihn von der anderen Seite der Feuerstelle an. „Ja, halt das Balg ruhig fest, es wird Euch nichts mehr nützen. Der Bastard wird nicht wieder kommen. Wer weiß, wo er sich verlaufen hat. Bei Tagesanbruch bringe ich Deinen kleinen Balg in den Wald. Sollen die Tiere sich darum kümmern.“
Als hätte das kleine Mädchen Notgers Worte verstanden, schrie es auf und wollte sich kaum beruhigen lassen. Fjodor wiegte es in seinen Armen, bis es aufhörte zu weinen und flüsterte immer wieder „Kleine Ylvi, kleine Wölfin, Du wirst leben, das verspreche ich Dir!“