Читать книгу Marthe - Tanja Flügel - Страница 14
Der Frühling
ОглавлениеDie kleinen Hoffnungsschimmer und die Tatsache, dass unsere Wassersuppen, in denen vorher immer nur altes Gras und Rinde geschwommen waren, nun mit leuchtend grünen und nahrhaften Brennnesseln und Kräutern gekocht wurden, belebten uns etwas.
Dem mageren Pferd und den knochigen Ochsen wurde eine Pause von zwei Tagen gegönnt, damit sie sich frisches Gras zupften und so zu Kräften kommen konnten. Und es wirkte. Die Holztransporte konnten danach verdoppelt werden.
Eines Tages war der Magister Heisius eine zeitlang verschwunden und als er wiederkam, zog er eine störrische Kuh am Strick hinter sich her. Er war für uns betteln gewesen im Amt Lauenstein und dies war sein Abschiedsgeschenk. Eine Kuh gegen einen Pfarrer, welch ein Tausch!
Aber ganz so war es nicht, wir würden bald einen neuen Magister bekommen. Der Heisius hatte in Lauen-stein erfahren, dass sein Nachfolger, ein Pastor Ulrici sich von Hajen aus bereits nach Wallensen auf den Weg gemacht hatte.
Während ich hungrig und mit Tränen in den Augen dem Magister Heisius nachsah, wie er mit seinen wenigen Habseligkeiten aus dem Niedertor verschwand, ahnte ich nicht, dass mit dem Eintreffen des Pastors Ulrici die glücklichste Zeit meines Lebens beginnen würde.
Vorerst war das aufregendste Ereignis die Kuh. Wir Kinder hatten die Aufgabe, ihr die besten Weideplätze im Weihbergeschen zu suchen und den strengen Befehl, sie dann ganz in Ruhe grasen zu lassen und auf keinen Fall heimlich an ihrem Euter zu zupfen. Eine Kuh für ein ganzes hungriges Städtchen ist nicht eben üppig. Mit eifersüchtigen Augen überwachten wir das abendliche Melken und die Verteilung der Milch an alle noch lebenden Kinder. Meistens gab es für jeden nur ein Schlückchen, kaum größer als eine Vogelmahlzeit, aber welch ein warmer und sahnig-samtweicher Genuss nach all den Monaten, in denen sich beim Schlucken nur immer wieder unser kratziges Hungergefühl in der Kehle spitz verkantet hatte.
Ich hauste weiter mit meiner Familie in unserem Verschlag an der Stadtmauer, auch wenn der Bau der Mühle gut voranging. Tagsüber wurde es langsam wärmer, aber nachts war es noch immer empfindlich kalt. Wir kauerten eng aneinander geschmiegt auf unserem dürftigen Lager aus Laub, Hans, die kleine Louise und ich. Hätten wir einander nicht gehabt, wären wir auch in diesen Frühlingsnächten noch vor Kälte gestorben.
Oft zog ich dann heimlich mein kleines Öltöpfchen von der Kräuterfrau aus meiner Schürzentasche und drehte es im Dunkeln in meinen Händen. Seine raue Haut ließ jenen verzauberten Nachmittag wieder lebendig werden, an dem die Kräuterfrau in meinen Augen meine Zukunft gesehen hatte. Es war noch nicht so lange her, doch es schien eine Geschichte aus einer anderen Welt zu sein.