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Viel zu tun für den Rat

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Aber immerhin hatten wir zu essen. Wir hatten sogar die Mühle und Platz, unsere Ernte zu lagern. Alle anderen hatten nur die Gemeinschaftsscheune, in der sie ihre Vorräte hatten unterbringen müssen. Das gab oft Zank und Streit, gerne wurden die Grenzen zwischen Dein und Mein verwischt und es wäre ein Richter für die Klärung nötig gewesen. Da aber der Amtsvogt noch in der Bequemlichkeit der Lauensteiner Burg weilte, fiel dem Wallenser Rat diese Aufgabe allein zu.

Der verbliebene Rat, dessen Mitgliederzahl durch die harten Zeiten erheblich verringert war, hatte überhaupt viel zu tun, denn durch den Brand fehlten die Häuser und mit ihnen die Grenzen zwischen den Landstücken.

Die Wallenser Privilegien besagen, dass die Balkensetzung eines jeden neu gebauten Hauses durch zwei Mitglieder des Rates bestätigt werden muss und das der, der einen neuen Zaun falsch setzt, sich vor dem Richter zu verantworten habe und für jeden falsch gesetzten Zaunpfahl einen Schilling an das Gericht und die Bürger zahlen muss. Diese Sonderrechte der Gerichtsbarkeit hoben uns von allen Flecken und Dörfern ringsherum ab und wir waren stolz darauf.

In der Zeit nach dem Brand mussten die Consule Schmides und Bleibaum besondere Geschicklichkeit beweisen, denn dieser hatte die Karten in der Stadt neu gemischt.

Das Land der zwei im Feuer umgekommenen Kötnerfamilien war nicht üppig, lockte aber zur Neuverteilung. Auf den Garten und die Hofstelle, in der meine Freundin Elisabeth aufgewachsen war, hatte deren ehemaliger Nachbar, der Ackerbürger Hintzen seine begehrlichen Blicke geworfen. Die Zäune waren verbrannt und er spaltete fleißig Kastanienhölzer, um einen neuen zu ziehen. Manchmal überschlugen sich die Hölzer beim Spalten und der Einfachheit halber steckte er sie dorthin, wo sie eben fielen, und das war durchaus nicht immer auf seiner Seite des Gartens.

Ganz ähnlich verfuhr der Nachbar von der anderen Seite. Sie beäugten sich misstrauisch, aber eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus und so wurde der Betrug erst offenbar, als überlebende Verwandte von Elisabeth Anspruch auf das Land erhoben und feststellen mussten, dass zwischen den blitzneuen Zäunen der Bürger Hintzen und Falcken gerade noch Platz genug war, die Harke einmal hin und wieder zurück zu ziehen.

Insgesamt drei Kötnerfamilien erhoben Klage wegen der immer schmaler werdenden Landstücke der Brandopfer und das Verfahren war eine der wenigen Abwechslungen in unserem arbeitsreichen Winter. Feierlich trafen wir uns in der Gemeinschaftsscheune, um das Urteil des Rates anzuhören.

Dieses war nicht so eindeutig zu treffen, wie ihr es vielleicht aus eurer Sicht heute, 400 Jahre später erwarten würdet. Denn selbstverständlich waren alle Ackerbürger davon überzeugt, mehr Rechte als die Kötner zu haben, bewirtschafteten sie doch eine größere Menge Land und gaben sie den Kötnern Arbeit und Lohn, wenn diese mit ihren spärlichen Ernten nicht über die Runden kamen. Ein wenig Dankbarkeit und Ehrerbietung wurden verlangt, mochten die Wallenser Privilegien auch eine allgemeingültige Regelung und das Recht zur Klage vorsehen.

Ebenfalls selbstverständlich bestand der Wallenser Rat aus Ackerbürgern, denen die Ansprüche der Nachbarn Hintzen und Falcken überaus einleuchtend erschienen. Andererseits war in dieser schwierigen Zeit niemand darauf versessen, Unfrieden in das Städtchen hineinzutragen, denn die Arbeitskraft eines jeden wurde dringend gebraucht. Das Urteil wurde also mit Spannung erwartet.

Der Rat, unter der Führung von Bleibaum und Schmides bewies Geschick. Natürlich konnten sie den Ackerbürgern nicht unterstellen, die Kastanienhölzer zu weit gesteckt zu haben, andererseits war aber auch nicht davon auszugehen, dass das Land allein aufgrund der gewachsenen Harkenbreite der klagenden Kötnerfamilien schmaler erschien. Da eine eindeutige Grenzziehung fehlte und keine Aufzeichnungen über die Ausbreitung des Gartens von Elisabeths Familie existierte, deklarierte der Rat den Fall als unlösbares Problem, für das es kein gerechtes Urteil gäbe.

Ohne den Kötnern Luft zum Atemholen für den nun fälligen Protest zu geben, erklärten sie weiter, der alte und neue Rat der Stadt Wallensen hätten aber beschlossen, den Kötnern Flächen außerhalb der Stadtmauern zu zusprechen, auf denen nach dem letzten Brand die zusätzliche Bebauung durch den Herzog Erich II gestattet worden war. Alle drei Kötner würden ein gutes Stück mehr Land erhalten, als sie aufgrund der Forderungen erwarten konnten. Die Gunst des Rates würde unter der Bedingung gewährt werden, dass alle drei Kötnerfamilien gemeinsam den Vorschlag akzeptierten und auf ihre Klage verzichteten.

Flüsternd berieten die Kläger, aber die Aussicht auf genügend Land, um sich davon ernähren zu können, war so verlockend, dass eine Entscheidung gegen das Angebot schier unmöglich war. Das Risiko, das sie dadurch in Kauf nahmen, war begrenzt. Innerhalb der Stadtmauer mit ihrem wenigen Land immerfort dem Hungertod auf der Schippe, würden sie sich durch die neuen Flächen besser satt werden können, wenn auch von Räubern bedroht und dem nächtlichen Heulen der Wölfe näher. Andererseits waren in der Vergangenheit Wall, Graben und die hohe Mauer auch oft ohne großen Nutzen gegen die Überfälle auf die Stadt gewesen.

Die Kötner willigten ein und die Häuser ‚Auf dem Anger’ wurden gebaut. Wallensen machte einen Schritt über die Saale und innerhalb der Stadtmauern konnte zukünftig ‚luftiger’ gebaut werden, wie es schon Herzog Erich II gefordert hatte.

Alter und neuer Rat gratulierten einander zu ihrer Weisheit und der ganze Ort feierte das Ereignis mit einigen zusätzlichen Schlucken kostbaren Breyhahn Bieres aus Beinlings geheimem Vorrat.

Die weise Entscheidung wurde wie ein hübsches Kinderspielzeug immer wieder von Hand zu Hand gegeben und bestaunt und so kam es, dass bei der Körfeier im nächsten Mai, bei der normalerweise die Hälfte der Ratsmitglieder ausgetauscht wurde, die Wallenser Privilegien großzügig gehandhabt und alter und neuer Rat wiedergewählt wurden.

Marthe

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