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Herbst-Melancholie

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Nun ist es höchste Zeit, ein Entspannungsprogramm für die Herbst-Seelchen einzuleiten. Denn die haben das gerade ganz besonders nötig.

Damit meine ich nicht jene unter uns, die es toll finden, in Stiefeln durch Blätterhaufen zu toben, einen neuen Wollschal um den Hals geknotet. Nein! Ich meine jene, die mit dem Fallen der ersten Blätter eine unergründliche Melancholie überfällt. Wenn Sie eher der windzerzauste Kastanienaufsammler-Typ sind, dann legen Sie diese Geschichte besser beiseite. Denn sie wird Sie ganz sicher nicht ansprechen. Sie ist für die sensiblen, verwundbaren Seelen geschrieben worden, für Leute wie mich. Gedankenverloren stehe ich am Fenster, blicke hinaus in einen windigen Nachmittag und frage mich, wo der Sommer geblieben ist, der doch gerade erst angefangen hat. Mir ist jedenfalls so. Ich seufze. Bald werden die ersten Pakete Spekulatius in den Supermarktregalen liegen. Bald fällt der erste Schnee. Wieder ein Jahr um. Ich seufze noch mal. Diesmal lauter. Lucky, unser Mischlingshund, guckt mich an und wedelt sanft mit dem Schwanz.

»Die Zeit vergeht«, flüstere ich ihm zu und fast möchte ich anfangen, ein bisschen zu weinen. So traurig ist das alles. Wie aufs Stichwort weht ein gelbes Blatt am Fenster vorüber.

Lucky wedelt heftiger mit dem Schwanz. Dieses Tier ist vollkommen unsensibel. Ich wende mich ab und gehe durch die leere Wohnung. All meine Lieben sind ausgeflogen. Wie still es ist. Ein leeres Nest. Ich lasse meine Gluckenmutter-Flügel hängen und tue mir so richtig leid.

Doch bevor ich mich meinem Herbst-Blues unterwerfen kann, höre ich es hinter mir rascheln. Es ist Lucky, der mir gefolgt ist und mich nun unternehmungslustig anstarrt.

»Was willst du denn?«, meckere ich ihn an.

Ein kurzer Kläfflaut ertönt.

»Ab ins Körbchen«, sage ich streng und überlege, ob ich mir etwas Gutes tun sollte. Das, was in den Zeitschriften immer als »Verwöhn-Programm zu Hause« beschrieben wird.

Von einem Flugticket in die Südsee ist da nie die Rede, immer nur von »Ganzkörper-Peeling« und »Rosenblättern im Badewasser«.

Allein der Gedanke daran langweilt mich aufs Unerträglichste. Geschwächt lasse ich mich aufs Sofa fallen und schalte den Fernseher ein. Eine Talkshow läuft gerade. »Ich habe mit dem Mann meiner besten Freundin geschlafen« lautet das Motto und eine dicke Blonde ist gerade ziemlich sauer.

Ich unterdrücke ein Gähnen und schalte um. Es läuft Werbung für luftdurchlässige Slipeinlagen. Lauter fröhliche Frauen hüpfen wahnsinnig beschwingt durch die Gegend. Haben die alle nicht mitbekommen, dass der Herbst Einzug hält?

Auf dem nächsten Sender wird auf witzig-spritzige Art Schmuck verkauft. Alle haben gute Laune. Das geht mir allmählich auf den Wecker. Selbst Lucky, der gerade aufs Sofa gesprungen ist, scheint mich anzugrinsen. Es ist eine Verschwörung. Vor den Fenstern heult der Wind. Bin ich denn die Einzige auf der Welt, der das etwas ausmacht?

Ich schalte den Fernseher wieder aus und gehe, Lucky auf den Fersen, in die Küche. Ich könnte mir einen indischen Tee kochen, der mir Schlacke und Übellaunigkeit gleichermaßen aus dem Organismus spült.

Allerdings hätte ich eher Lust auf einen doppelten Cognac. Doch davon kriege ich nur wieder Kopfweh. Das werde ich von dem vielen Wind da draußen sowieso bald bekommen, denke ich und seufze mal wieder.

Lucky scharrt unruhig auf den Küchenfliesen herum. »Was denn?«, rufe ich entnervt.

Er winselt und tanzt wie besessen eine Art Hunde-Polka. Plötzlich verstehe ich. Das arme Tier muss dringend an den nächsten Baum geführt werden! Das habe ich vor lauter Verstimmung ganz vergessen. Herbst hin oder her, das Leben geht wohl weiter. Auf jeden Fall für Lucky.

Er rast vor mir die Treppe hinunter, zerrt mich aus der Haustür hinaus ins Freie und erleichtert sich keuchend am nächsten Baumstamm. Armer Kerl. Es dauert eine Weile.

Derweil betrachte ich die fallenden Blätter. Dann lasse ich mich von Lucky in den Park ziehen. Gar nicht so übel hier. Es riecht gut. Und ich ertappe mich dabei, wie ich ganz unsensibel in einen Blätterhaufen trete.

Außenstehende könnten jetzt fast annehmen, es würde mir hier Spaß machen. Ich hebe Kastanien auf und werfe sie für Lucky. Nur damit der Hund etwas zu tun hat und aufhört, mich anzukläffen. Nur deshalb tue ich das.

Am Nachmittag werde ich mit den Kindern wiederkommen, um einen Strauß gelber Ahornblätter zu sammeln. Die sind nämlich wirklich sehr hübsch.

Und dann werden wir windzerzaust nach Hause gehen und Kakao und indischen Tee trinken und die ersten Spekulatius essen.

Und während wir aus den gesammelten Kastanien kleine Stillleben basteln, werden wir uns auf den nächsten Sommer freuen!

Tanjas Welt Band 6

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