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Lust auf Veränderung
ОглавлениеHaben Sie die auch manchmal? Es gibt verschiedene Methoden, diese Lust auszuleben. Die meisten sind teuer. Viele bereut man später. Und was die Familie dazu sagt, ist noch mal ein ganz anderes Thema.
Sich in wilder Veränderungswut in die nächste Modeabteilung zu stürzen, kostet meistens sehr viel Geld und endet damit, dass man ein untragbares Kleidungsstück mehr im Schrank hängen hat. Seit meinem letzten »Jetzt muss aber mal was passieren«-Anfall, der auch irgendetwas mit Midlife-Crisis zu tun hatte, liegt ein transparenter Minirock in Leopardenoptik hinter einem Stapel Pullover. Er war sehr teuer, das Preisschild hängt noch dran, und jedes Mal, wenn mich ein neues Mimikfältchen überfällt, erinnert mich der Minirock stumm daran, dass ich nicht Sonya Kraus bin und auch gar nicht sein will und dass Älterwerden auch ganz nett sein kann. Ich meine, Brigitte Mira war doch auf ihre Weise auch ein ganz heißer Feger.
So richtig überzeugt war ich aber doch nicht. Den Minirock hat meine Tochter Sanne schließlich bei einer Verkleidungsparty getragen. »Der ist ja so herrlich peiiiiiiinlich!«, hat sie gerufen und sich als »Blöde Tussi« verkleidet. Die wahre Ursprungsgeschichte des »Tussi-Rocks« habe ich meiner pubertären Tochter erspart. Und dass ich mich immerhin eine Viertelstunde lang in einer Umkleidekabine ganz umwerfend darin gefunden hatte, auch.
Inzwischen habe ich einen neuen Weg gefunden, wenn mir nach Veränderung ist, einen viel preisgünstigeren, um mich neu zu erfinden: Ich räume meine Wohnung um. Denn heißt es nicht, dass das Äußere auch das Innere widerspiegelt? Was will mir also diese bauchige, verstaubte Vase aus den Siebzigern über meinen Seelenzustand sagen? Dass ich Tante Gertrud, die sie mir vermacht hat, so besonders gern gehabt habe? Dass ich in der Lage bin, Dinge in Ehren zu halten? Nö, eigentlich nicht. Eher, dass ich keine Lust habe, ganz oben im Regal Staub zu wischen. Nachdenklich betrachte ich das orangefarben gescheckte Monstrum und schüttele den Kopf. Dieses Ding muss raus aus meinem Leben.
Sogleich fühle ich mich wohler. Was jetzt? Eine Rundum-Veränderung ist ein Vasen-Rausschmiss nun auch nicht wirklich. Man könnte ja mal das Sofa umstellen, den Teppich aufrollen, die Gardinen herunterreißen. Wild klopft mein Herz. Ja! Das werde ich tun, denn zu einer modernen, selbstbewussten, extravaganten Frau (all das beschließe ich ab sofort zu sein) passt diese überaus spießige Wohnzimmereinrichtung nicht mehr. Energisch zerre ich am Sofa. Was soll diese stereotype Anordnung? Warum müssen sich alle Sitzmöbel um den Fernseher gruppieren? Mein neues wildes Ich keucht entsetzt. Wie KONNTE ich bloß so lange so leben? Wenig später steht das Sofa lässig mit dem Rücken zum Fernseher. Das sieht geradezu avantgardistisch aus. Wer will schon fernsehen im Hause Wekwerth? Hier wird ab sofort über Kunst diskutiert, hier werden Lesungen und Vernissagen stattfinden. Ich sollte mir einen Opiumtisch anschaffen. Ich werfe einen skeptischen Blick auf den langen Kratzer im Parkett, den das Sofageschiebe verursacht hat. Na und? Nicht immer alles so perfekt, Frau Biedermann … Ab sofort sehe ich das Leben gelassener. Was so eine Ummöblierung alles bewirkt!
Jetzt die Gardinen von den Fenstern gerissen. Eine einzige, energische Handbewegung befreit mich von der bürgerlichen Last. Ich will ab sofort hinaussehen können, dem Himmel, den Bäumen näher sein. Doch wo man hinaussehen kann, kann man auch hineinsehen. Und das tut gerade Frau Kroger vom gegenüberliegenden Balkon. So wahnsinnig befreit von bürgerlichen Konventionen bin ich noch nicht. Es stört mich. Vielleicht gewöhne ich mich noch daran? In diesem Moment kommen die Kinder nach Hause.
»Was ist denn hier los?«, fragt Samuel. »Wieso reißt du die Gardinen runter?«
»Wenn wir das gemacht hätten«, beschwert sich Mäxchen.
»Jetzt kommt gleich Kim Possible im Fernsehen«, sagt Sanne.
Wie eine verkrampfte Braut ihren Schleier, halte ich noch immer die Gardine in meinen Händen. Und glaube die neugierigen Blicke der gesamten Nachbarschaft in meinem Rücken zu spüren. Ach was, der ganzen Welt.
Rittlings hocken sich die Kinder auf die Sofalehne, verdrehen die Hälse und sehen sich ihren Zeichentrickfilm an.
Es sieht sehr ungemütlich aus.
Auf dem Weg zur Mülltonne, mit Tante Gertruds Blumenvase unter dem Arm, treffe ich Frau Kröger.
»Schicke Vase«, sagt sie. »Ist ja wieder ganz im Trend.«
»Ach ja?«, frage ich.
»Ja, unbedingt. Bei IKEA gibt es jetzt sogar eine ganz neue Retro-Kollektion. Alles im Stil der Siebzigerjahre. Aber Ihre Vase ist bestimmt ein Original.«
»Natürlich!«, rufe ich und presse das gute Stück fest gegen mein Herz.
»Wo wollen Sie denn damit hin?«
Ich denke scharf nach. »Ich gehe ein wenig mit meiner Lieblingsvase spazieren«, antworte ich.
Das Sofa steht an seinem alten Platz, die Gardinen hängen wieder. Nur Tante Gertruds Vase hat einen Ehrenplatz erhalten. Die Sache mit den Künstlertreffen in meinem Wohnzimmer verschiebe ich vorerst ein paar Jahre. Der Kratzer im Parkett wird mich schon daran erinnern.