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»Das ist ja sooo ungerecht!«

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Meine drei Kinder haben einen ausgeprägten Sinn für Gerecktigkeit. Und das nicht nur, wenn es darum geht, eine Viererpackung »Hanuta« zu teilen.

»Das ist ja so ungerecht«, erbost sich Samuel, weil seine Schwester einen Millimeter mehr der heiß begehrten Haselnuss-Knusperwaffel ergattert hat. »IMMER bekommt Sanne mehr als ich. IMMER wird sie vorgezogen, nur weil sie ein blödes Mädchen ist!«

Haben Sie schon mal versucht, ein viereckiges, krümeliges Hanuta in drei gereckte Teile zu zerlegen? Es ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn man dabei von drei argwöhnischen Augenpaaren beobachtet wird. »Na schön«, habe ich also erwidert und das Messer, mit dem ich die höchst komplizierte Zerlegprozedur durchgeführt hatte, beiseite gelegt. »Ich habe eine bessere Idee.« Und dann habe ich mir das dreigeteilte Objekt der geschwisterlichen Verfeindung selbst in den Mund gestopft.

Zuerst herrschte schockierte Stille in der Küche. Man körte nur meine Kiefer mahlen. (Ganz schön lecker, so ein Hanuta). Dann gellte es aus drei geknechteten Kinderkehlen: »Das ist ja so ungerecht!!!«

»Wieso?«, gab ich mit vollem Mund zurück. »Im Gegenteil: Ihr drei habt jeder ein Hanuta gehabt, und das vierte ist für mich. Ganz einfach.«

»Aber du bist auf Diät!«, erinnerte mich Sanne listig. Und Samuel schüttelte fassungslos den Kopf. Dass seine Mutter so egoistisch, so verfressen, so gehässig sein konnte, ihren eigenen Kindern ein wichtiges Grundnahrungsmittel vor der Nase wegzufuttern!

Er sah jedenfalls so aus, als ob er all das gerade dachte.

Mäxchen zog die Nase kraus. »Mamas brauchen keine Schokolade«, erklärte er mir. Das fand ich dann wiederum ganz schön ungerecht.

»Mamas sind auch Menschen«, erinnerte ich ihn. Und dann machte ich mich daran, die Spülmaschine auszuräumen. »Kann mal einer helfen?«, fragte ich in die Besteckschublade, doch da waren alle Kinder auf einmal verschwunden. »Das ist ja so ungerecht«, murmelte ich.

Wenig später fiel mir auf, dass die englische Rose auf Nachbars Balkon viel schöner blühte als meine. Um genau zu sein, blüht meine überhaupt nicht mehr, sie ist nämlich eingegangen. Und das ist auch wieder ungerecht. Ungerecht von wem eigentlich? Von der Rose? Oder vom Schicksal? Wie auch immer. Ob es um ein Hanuta geht oder um das Glück, den grüneren Rasen, den größeren Busen, die talentierteren Kinder zu haben, immer ist es irgendwie ungerecht.

»Du hast Samuel drei Gute-Nacht-Küsschen gegeben und mir nur einen«, schluchzt Mäxchen unter seiner Bettdecke.

»Dafür warst du zehn Sekunden länger bei Mäxchen«, kontert Samuel und verzieht sich ebenfalls unter der Decke. Und wie aus einem Munde tönt es gedämpft an mein Ohr: »Das ist ungerecht.«

Also küsse ich links noch zweimal nach, verweile rechts zehn weitere Sekunden (nicht elf! Um Gottes Willen!) am Bettrand und gehe dann hinüber zu Sanne, die sich sowieso immer ungerecht behandelt fühlt. Von mir, von ihrem Vater, von ihren Brüdern, Freundinnen, Lehrern. Es muss am Alter liegen.

»Elisa hat viel längere Wimpern als ich«, stößt sie verbittert hervor.

»Dafür hast du längere Haare«, versuche ich zu trösten.

»Aber ihre sind gelockt und meine sind Schnittlauch.«

»Weißt du«, sage ich zu Sanne, »manche Leute haben überhaupt keine Haare.« Nachdenklich sieht sie mich an.

»Stimmt«, sagt sie.

»Und Heidi Klum hat auch Schnittlauchhaare und verdient eine Menge Geld damit«, fahre ich fort.

»Stimmt«, sagt Sanne wieder und sieht auf einmal ganz zufrieden aus.

»Man findet immer, dass es andere besser haben«, fahre ich mit meiner Predigt fort, weil ich gerade so gut in Schwung bin. »Aber meistens stimmt das nicht.« Den Gedanken an Nachbars üppig blühende Rose verdränge ich schnell. Dafür werde ich mir Lavendel kaufen, der ist nämlich nicht so zickig wie englische Rosen.

»Aber dass Deutschland gegen Italien verloren hat, ist ungerecht!«, kräht Samuel aus dem Nachbarzimmer.

»Ist es nicht«, ruft Sanne zurück. »Die Italiener haben einfach besser gespielt!« Sie grinst mich an, als lautes Protestgeheul aus dem Jungszimmer zu uns dringt.

»Aber dass die Bayern Bruno den Bären abgeschossen haben«, kreischt Mäxchen wie eine Feuerwehrsirene, »das ist wirklich ungerecht!«

»Stimmt!«, gebe ich zu. »Vielleicht hätte man sich mehr Mühe geben müssen, ihn lebend zu fangen, aber wisst ihr, Bären sind sehr gefährlich und …«

»Und was am aller-aller-ungerechtesten ist …«, werde ich von Samuels Stimme unterbrochen, »… ist, dass du immer ewig bei Sanne am Bett sitzt und bei uns nie so lange!«

»So ist das Leben«, erwidere ich etwas einfallslos und müde, denn es ist inzwischen halb zehn, und ich wollte eigentlich noch ein bisschen lesen. Manches ist Schicksal, manches kann man ändern, anderes nicht. Manches ist so wie es ist. So ist das Leben, liebe Leserin. Und mit diesen nachdenklichen Worten schließe ich diese Geschichte, die einmal mit einem zerbröselten Hanuta begonnen hat.

Tanjas Welt Band 6

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