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Bei Fremden sind meine Söhne so lieb

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Meine Söhne sind Spezialisten in der Kunst des Verstellens. Nicht nur meine Möbel meine ich – sondern auch ihre Charakterzüge …

Wo sie zu Hause Banditen mit deutlich minimachohaften Allüren sind, entpuppen sie sich bei anderen Leuten als brave, engelhafte Jüngelchen, die »danke« und »bitte« sagen können. Aber nur, solange ich nicht anwesend bin. Gibt es da zufällig einen Kinderpsychiater, der mir das erklären kann?

»Also, deine Söhne!«, tschilpt Tante Berta, als ich Samuel und Max abholen komme. »So was Liebenswertes und Wohlerzogenes!«

Ich bin sprachlos. Meine Söhne grinsen mich tückisch an. Auf der Rückfahrt im Auto frage ich: »Warum seid ihr zu Hause nicht liebenswert und wohlerzogen?«, aber keiner hört mich, denn auf der Rückbank geht es gerade darum, wer am lautesten »Puuups!« brüllen kann, und das ist eindeutig Max.

»Hört auf!«, rufe ich entnervt.

»Puuups!«, lautet die Antwort, und ein geschockter Teddybär fliegt nach vorn, gegen die Windschutzscheibe. Zu Hause angekommen, werde ich weiter ignoriert, die Jungs schreien »Hunger!« und »Fernsehen!« und wollen sich die Hände nicht waschen.

So geht es noch eine ganze Weile weiter, bis ich sie nach endlosen Diskussionen ins Bett bekommen habe. Erschöpft lande ich mit zerzaustem Haar vor dem Fernseher und frage mich, kurz bevor ich dort einschlafe, wie mir mein Leben so entgleiten konnte.

Am nächsten Tag sind die beiden Terror-Brüder bei ihrem Kindergartenfreund Thomas eingeladen. Noch im Hausflur schärfe ich ihnen ein, nicht »Pups« zu brüllen und höflich zu sein. Sie kichern wie kleine Teufel, sagen mir ein herzliches »Tschüss, Pipi-Pups-Mama!« und sind mit Indianergeheul im Kinderzimmer verschwunden. Mit hängenden Schultern gehe ich nach Hause. Warum tun sie das? Suchen sie Grenzen? Geben sie sich bei mir ganz natürlich und sind im Grunde ihres Herzens Hottentotten? Als ich sie zwei Stunden später wieder abhole, frage ich zuallererst die Mutter von Thomas: »War es sehr schlimm? Sie müssen wissen, jedes Kind macht Phasen durch, in denen es verbale Experimente …«

»Ich weiß gar nicht, was Sie meinen«, unterbricht sie mich und lächelt ehrlich erstaunt. »Ihre Söhne singen übrigens so nett.«

»Wie bitte?«, stammele ich.

»Ja«, sagt sie. »Sie haben mir ›Alle meine Entchen‹ vorgesungen und das Lied von Rudolf, dem Rentier. Ganz allerliebst und wohlerzogen.«

Spricht diese Frau von meinen Söhnen? Von Samuel und Max, die sich am liebsten gegenseitig Schokoladenpudding ins Gesicht schmieren und von Lachsalven geschüttelt, übelste Worte von sich geben, die ich hier gar nicht erst wiederholen möchte?

»Mama ist da!«, rufe ich froh, denn vielleicht ist in den vergangenen zwei Stunden ein Wunder geschehen. Ist es aber nicht, denn sofort höre ich Samuel losrüpeln: »Puäh, Mami-Bammi ist da!« Und Max wirft sich vor lauter Wiedersehensfreude auf den Fußboden und kreischt: »Will nicht nach Hause!«

Wieder gibt es viel Geschimpfe und Diskussionen, und erst, als ich hoch und heilig verspreche, dass morgen Thomas zu uns kommen darf, ziehen sie sich knurrend die Schuhe an. Als ich sie auf dem Nachhauseweg frage, warum sie mir niemals etwas vorsingen, sagen sie: »Weil singen was für Eierköppe ist!«, und damit ist das Thema beendet. Es gibt den allabendlichen Streit um die größere Scheibe Gurke, um das gelbe Badeschiffchen, um die Vorlesegeschichte, und wieder breche ich hinterher auf dem Sofa zusammen.

Am nächsten Nachmittag haben wir also Besuch von Thomas. Ein nettes Kind! Höflich, freundlich, bescheiden. Er sagt mir, wie gut ihm meine geblümte Bluse gefällt, und er macht zwanzig Kniebeugen für mich.

Zum Abschied malt er mir ein Bild mit Wachsstiften und küsst mich herzlich auf beide Wangen. Ich glühe vor Neid. Gleich kommt seine Mutter ihn abholen, und er wird folgsam seine Schuhe anziehen, uns allen die Hand schütteln und dann brav nach Hause gehen. Es klingelt. »Das wird deine Mama sein«, sage ich, und schlagartig wendet sich das Blatt. »Mag nicht!«, kreischt Thomas in höchsten Tönen und windet sich auf dem Fußboden.

»Jedes Kind macht Phasen des Trotzes und des Widerstandes durch«, keucht seine Mutter mit hochrotem Gesicht und versucht, ihm die Schuhe anzuziehen, die er ihr an den Kopf geworfen hat.

»Ha«, denke ich. »Ich bin nicht allein auf der Welt. Ich bin nicht die einzige Mutter, bei der es mit der Kindererziehung hapert.« Das ist sehr gut zu wissen.

An diesem Abend, vor dem Schlafengehen, sagt Max schläfrig: »Mama, du bist so schön. Ich habe mich in dich verliebt.« Ich bin gerührt, doch bevor mir die Tränen in die Augen treten können, ruft Samuel: »Und ich bin auch in dich verliebt!« Meine Söhne! Wie süß sie doch sind, wie zart fühlend. »Ich habe es zuerst gesagt«, erbost sich Max.

»Na und? Aber ich habe es zuerst gedacht«, kreischt Samuel. »Eierkopp!«

»Selber Eierkopp!«

»Pups-Kopp!«

Während die ersten Kuscheltiere durch die Luft surren, verlasse ich lächelnd das Kinderzimmer. Meine Söhne! Sie haben eben viele Charakterzüge und werden zu schillernden Persönlichkeiten heranwachsen. Das ist doch was!

Tanjas Welt Band 4

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