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Warum räumen Kinder nie auf?

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Neulich fiel mir mal wieder die Unordnung bei uns zu Hause auf: eine einsame Socke hing über der Sessel-Lehne, ein Matchbox-Auto-Stau zog sich vom Kinderzimmer über den Flur bis unter den Küchentisch …

Dort endete die Auto-Reihe in einem gewaltigen Massen-Unfall, in den auch einige Schlümpfe verwickelt waren. Unter besagtem Tisch lagen auch eine Zeitung von letzter Woche und »Schnuffel-Schnuff«, das ist Sannes Einschlafteddy. Ich erspare Ihnen weitere Details, sonst verliere ich noch meinen Faden, denn es soll ja um die Unordnung gehen.

»Aufräumen!«, rufe ich also durchs Haus, und die Kinder, die sich eben noch gelangweilt haben, wirken auf einmal höchst beschäftigt. »Ich habe Schularbeiten«, erklärt mir Sanne und schüttet Bücher auf den Küchentisch, auf dem noch die Frühstücksteller von heute Morgen liegen. Was sich unter diesem Tisch so alles befindet, wissen Sie sicherlich noch. Ein kleiner Junge liegt nun auch noch darunter. »Ich lösche hier gerade ein Feuer«, sagt Max ungeduldig, denn er hat jetzt keine Zeit für Auseinandersetzungen mit seiner Mutter. »Und ich muss mal dringend aufs Klo«, klärt mich Samuel auf.

Resigniert blicke ich mich im Wohnzimmer um. »Dann räume ich allein auf!«, rufe ich. »Und ich werfe alles fort, was mir unter die Finger kommt.«

In der Küche wird heftig getuschelt, Samuel hat das Badezimmer wieder hektisch verlassen, denn jetzt herrscht Krisensitzung. Man einigt sich wohl auf »vorläufiges Abwarten bei verschärfter Beobachtung der Situation«, denn nichts passiert, nur ab und zu sehe ich eine Kindernasenspitze hinter der Tür hervorblitzen. Ich raffe zerfledderte Comic-Hefte in eine Mülltüte und ein unvollständiges Puzzle rieselt hinterher. »Halt!«, hallt es entsetzt, und Sanne stürzt herbei. »Nicht meine ›Wendys‹ wegwerfen, die lese ich alle noch einmal und dieses Puzzle …« Hier versagt ihr kurz die Stimme vor Empörung. »Dieses Puzzle ist mein Lieblingspuzzle.«

»Aber es fehlen mindestens fünf Teile«, sage ich. »Was macht das schon?«, fragt sie und reißt wieselschnell die Mülltüte an sich, mit der sie in ihr Zimmer flüchtet. Aber ich gebe nicht auf und eile, wild entschlossen, weiter aufzuräumen, über den Flur. Dabei trete ich auf einen Legostein, und das tut ganz schön weh. »Aufräumen!«, kreische ich wütend. »Alle! Sofort!«

Inzwischen hocken zwei kleine Jungs unter dem Küchentisch und bewachen ihren Stau. »Den haben wir eben erst aufgebaut!«, schimpfen sie wie die Rohrspatzen. »Nie können wir in Ruhe spielen, immer müssen wir sofort alles wieder wegräumen.« Kurz lasse ich mich beeindrucken. Unterdrücke ich gerade die spielerische Kreativität meiner Kinder? Erziehe ich sie gar zu sortiersüchtigen, fantasielosen Menschen, die später einmal ihr gesamtes Leben in nummerierte Schubladen ordnen und ihrem Psychiater erzählen werden, dass ihre Mutter sie nie in Ruhe spielen ließ? Während ich darüber nachsinne, fällt mein Blick auf den Garderobenhaken, an dem schätzungsweise vier Regenjacken, drei Strickjacken, zwei verknotete Springseile und ein Hula-Hoop-Reifen hängen. Und das bringt mich wieder zur Vernunft. »Aufräumen«, beharre ich und gehe in Sannes Zimmer. Verstört sitzt das Kind auf dem Bett, zusammen mit den Puppen Lisbeth und Schnuppi. »Nicht«, fleht sie, als solle sie jetzt ihre Sachen für das Internat packen und erst in einem Jahr wiederkommen. »Sanne«, sage ich sanft, denn schon wieder nagen Zweifel an mir. »Darf ich diesen Pferdekalender von 1998 wegwerfen?«

»Nein«, sagt sie. »Da ist das Bild von dem sich aufbäumenden Hengst drin.«

»Jeder soll nur seine eigenen Sachen in Ordnung halten. Das ist doch nicht so schwer«, erkläre ich geduldig.

»Das tust du ja selbst nicht«, murrt sie hinter Lisbeths Rücken, und die Augendeckel der Puppe klappern energisch. »Wie bitte?«, brause ich auf.

»Da lässt immer die Zeitung unter den Küchentisch fallen.« Sanne grinst. »Und die Schublade mit deinen Unterhosen sieht auch sehr durcheinander aus.« Mir verschlägt es den Atem. Sanne beobachtet mich scharf. »Und auf deinem Schreibtisch …« Sie holt tief Luft. »Das brauche ich alles!«, rufe ich dazwischen. »Du brauchst den großen, blauen Feuerstein zum Schreiben?«, fragt Sanne mit gerunzelter Stirn. »Ja«, sage ich.

»Und die Statue mit dem Engel und lauter Porzellandöschen und Kerzen?«, forscht sie weiter. »Das brauche ich alles«, wiederhole ich panisch und erinnere mich daran, dass ich diesen Satz in meiner Kindheit oft gesagt habe. Sanne nickt. »Na siehst du«, sagt sie freundlich. »Und ich brauche eben mein Puzzle, meine Puppen und Schnuffel-Schnuffi.«

»Ha«, mache ich und gewinne meine elterliche Autorität zurück. »Weißt du überhaupt, wo der ist?«

»Natürlich«, antwortet sie lächelnd. »Unter dem Küchentisch, der passt da auf deine Hausschuhe auf, die du schon so lange suchst.«

Da habe ich es aufgegeben, denn so ein bisschen kreative Unordnung scheint noch keinem Menschen geschadet zu haben!

Tanjas Welt Band 4

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