Читать книгу Tanjas Welt Band 4 - Tanja Wekwerth - Страница 4
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Brot kaufen kann so anstrengend sein …
ОглавлениеSind Sie jemand mit viel Geduld? Jemand, der seelenruhig die festgezurrten Doppel-Knoten an herumzappelnden Kinderschuhen löst? Jemand, der gerne Puzzle zusammensetzt, am besten mit 10 000 Teilen? Ich nicht!
Gut, ich will nicht behaupten, ich wäre ungeduldig. Aber stählerne Nerven habe ich nicht. Und die hätte ich neulich gut gebrauchen können, als ich beim Bäcker stand und ein Sonnenblumenbrot kaufen wollte. Für den Kauf eines Sonnenblumenbrotes braucht man weder Geduld noch stählerne Nerven, werden Sie jetzt sagen, aber warten Sie mal ab, bis Sie diese Geschichte zu Ende gelesen haben!
Vor mir stand ein älterer Herr und hatte die Stirn in Falten gelegt. »Haben Sie Kommiss-Brot?«, fragte er die Verkäuferin, die bedauernd den Kopf schüttelte. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass sich meine drei Kinder ebenfalls in dieser Bäckerei aufhielten. Noch waren sie friedlich: Die Jungs pressten ihre Nasen gegen die Glasvitrine, Sanne zählte die Brote. »Und was ist das da?«, fragte der Opa.
»Das ist Ciabatta«, erklärte die Verkäuferin geduldig.
»Tscha … was?«, fragte er.
»Cia-bat-ta. Das ist italienisch.« Die Verkäuferin war in ihrem Element. »Mit Walnüssen, Oliven oder getrockneten Tomaten gibt es dieses Landbrot!«
»Passt denn auch Kirschmarmelade auf Tscha-Tscha-Dings-bums?«, fragte der Opi und schaute skeptisch.
Sanne begann zu kichern. Die Jungs machten sich einen Spaß daraus, mit ihren Zungen die Vitrine abzulecken.
»Lasst das sein!«, zischte ich wütend, denn mein Geduldsfaden, wenn ich überhaupt jemals einen besessen hatte, war mir gerissen.
»Verzeihen Sie«, mischte ich mich in das Gespräch, »ich hätte nur gerne ein klitzekleines Sonnenblumenbrot, wäre es möglich, mir …«
»Nun seien Sie doch nicht so ungeduldig«, herrschte mich die Verkäuferin an. »Ich erkläre dem Herrn nur noch ganz kurz, was ein Baguette ist.« Du liebe Güte, war das hier ein Sprachkurs an der Volkshochschule?
Samuel und Max bildeten gerade eine »Räuberleiter«, um an die Süßigkeiten auf dem Tresen zu gelangen. Eine kleine Hand fischte in dem Behälter mit weißen Schaummäusen herum.
»Ein langes Weißbrot in der Form eines Stockes heißt Baguette, und Sie können auch wunderbar Kirschmarmelade dazu essen.« Die Verkäuferin war ganz gewiss jemand, der gerne puzzelt. Bestimmt waren die Wände ihrer Wohnung behängt mit zusammengesuchten Eiffeltürmen, Schäferhundwelpen und Sonnenuntergängen.
»Zwanzig Brote!«, rief Sanne, die offensichtlich fertig gezählt hatte.
»Vielleicht nehme ich lieber so ein kleines, dunkles da unten«, entschied der Opa.
»Dieses?«, fragte die Verkäuferin.
»Nein, weiter links.«
»Hier?«
»Nein, weiter rechts!«
Ich sah, wie meine Fußspitze nervös auf- und abwippte.
»Aaaah, sie meinen dieses?«, rief die Verkäuferin und hielt triumphierend ein kleines, braunes Brötchen in die Luft.
»Ja!« Opa und Verkäuferin freuten sich. Zwei weitere Schaummäuse verschwanden in den Mündern meiner Söhne. Besser als Vitrinen ablecken, fand ich und sagte nichts.
»Wissen Sie …«, hörte ich die Verkäuferin sagen. »Das ist aber ein Zwiebelbrötchen, da passt keine Marmelade drauf.«
Da griff ich auch nach einer Schaummaus und begann verzweifelt auf ihr herumzukauen.
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich noch einmal einmische«, begann ich mit zitternder Stimme, als ich meine Maus runtergeschluckt hatte. »Meine Tochter hat soeben 20 verschiedene Sorten Brot gezählt. Da sollte wohl etwas für Sie dabei sein. Wie wäre es denn mit einem Kürbiskernbrot?«
»Ich habe doch nichts an der Prostata!«, erregte sich der Opa beleidigt.
»Nein … natürlich nicht …«, begann ich zu stottern. »Dann nehmen Sie doch einfach ein paar Schrippen.«
Die Verkäuferin sah mich wütend an. »Der Herr wird bedient. Und zwar von mir!«
»Puzzlespieler soll man nicht reizen«, dachte ich mir. Aber Ungeduldige auch nicht. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Minuten würde ich dieser Angelegenheit noch geben, und dann wäre ich raus aus dem Laden!
»Wie wäre es denn mit einem Bagel?«, hörte ich die Verkäuferin fragen.
»Was soll denn das nun wieder sein?«, fragte der Opa zurück.
Gleich, gleich würde ich meinen Verstand verlieren. Warum lassen die mich nicht einfach mein Sonnenblumenbrot kaufen und wieder gehen? Warum gibt es so eine verwirrend große Auswahl an Broten, Eis, Joghurts und Nudeln in unserer Welt? Warum ist manchmal alles so schwer? Während ich deprimiert über den Sinn des Lebens gegrübelt habe, hat sich der Opa offensichtlich entschieden. Mit einem Paket unter dem Arm verlässt er die Bäckerei und würdigt mich keines Blickes mehr.
»Was darf es sein?«, fragt die Verkäuferin mich kühl.
»Ein Sonnenblumenbrot«, sage ich.
»Bedaure, das letzte hat der Herr vor Ihnen soeben gekauft«, antwortet sie schnippisch, und einen Hauch Häme kann ich heraushören. Aber ich lasse mir nichts anmerken und kaufe vier Schrippen, bezahle lächelnd dreizehn weiße Schaummäuse. Als ich schon an der Tür bin, drehe ich mich noch einmal um. »Mögen Sie eigentlich Puzzles?«, frage ich die Verkäuferin. Ihr Gesicht erhellt sich. »Ich liebe Puzzles!«, ruft sie. »Und jegliche Art von Geduldsspielen. Ich sticke auch für mein Leben gern!«
Nun weiß ich Bescheid. Vielleicht sollte ich mir zu Weihnachten mal ein Puzzle wünschen? Mit allen Brotsorten der Welt darauf?