Читать книгу Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit - Thilo Koch - Страница 12
GEORG STEFAN TROLLER
ОглавлениеPERSONENBESCHREIBUNG
Ich bin stets gern etwas früher am Tisch als
mein Gast. Am Abend eines schwülen
Pariser Sommertages gibt es kaum etwas Schöneres,
als bei einem Glas Champagner mit frischem
Aprikosensaft unter dem geöffneten Dach des
Restaurants »Lasserre« auf einen Freund zu warten.
Das üppige Grün der mächtigen Kastanien,
die die Avenue Franklin D. Roosevelt säumen,
überwölbt schattenspendend
den klassizistisch dekorierten Gourmettempel
mit den drei Sternen im Michelin.
Noch plaudern die Garçons dezent im Hintergrund miteinander. Eine resolute Amerikanerin marschiert an der Spitze einer Schar junger Leute herein, der reservierte Tisch gefällt ihr nicht, Headwaiter Jacques runzelt diskret die Stirn, zieht seine Platzverteilungsskizze zu Rate, und die höflich wartende Runde aus Übersee erhält die gewünschte »cosy corner«.
Aber schon kommt das nächste Problem auf Monsieur Jacques zu. Mit besorgter Miene, die mich an Andrej Gromyko erinnert, nähert er sich meinem Tisch: »Excusez, Monsieur Kosch!« Im Französischen klingt mein Nachname weicher. »Ihr Gast wartet unten im Foyer auf Sie, es gibt da ein Problem.«
Er geleitet mich zum Fahrstuhl, greift sich an seine Frackschleife: »Der Herr trägt keine Krawatte, und im Lasserre, Sie verstehen . . .«
Unten treffe ich auf einen wütend paffenden Georg Stefan Troller. »Es ist unerhört, was bilden die sich ein, normalerweise würde ich wieder gehen. Hier habe ich Peter Handke interviewt. Und nun dieses Theater.«
Nicht einmal der Ärger verändert den unverwechselbaren Klang seiner Stimme, mit dem er seit gut 30 Jahren deutsche Radiohörer und Fernsehzuschauer betört, besonders die älteren wie jüngeren Damen.
Während ich seine charmante, aber ebenfalls wütend paffende Frau Kerstin begrüße, geht mir durch den Kopf, was im Französischen so hüsch »corriger la fortune« heißt. »Darf ich Sie anfassen, George? So hieß es doch beim Militär.«
Ehe er sich wehren kann, habe ich ihm seinen seidenen Schal, den er unter dem Hemd trägt, gelöst, den Hemdkragen umgeschlagen, das Tuch außen herumgebunden, ein Knoten, und fertig ist der Schlips.
»D’accord?« frage ich Monsieur Jacques. Er neigt resigniert das Haupt, Kerstin löscht ihre Zigarette, George sagt: »Na, da haben Sie gleich einen netten Aufhänger für Ihr Tischgespräch.«
Es bleibt die einzige Unstimmigkeit des Abends. Der mit Goldenen Kameras, Grimme-Preisen, Bambis überschüttete, vom Fernsehruhm verwöhnte Kollege ist ganz der nachdenkliche, auf jene ausgestorbene, unwiederholbare jüdisch-wienerische Art urbane Mann, als den ich ihn Anfang der fünfziger Jahre zum ersten Mal in Paris traf.
»Wissen Sie noch, was eine Maihak war?« frage ich ihn. »Na, hören Sie, ich bin doch jahrelang mit dem irrsinnig schweren Ding herumgelaufen, habe all meine Rundfunkreportagen für den Südwestfunk damit gemacht.«
Wir erklären den Damen, daß dieses erste tragbare Tonbandgerät der Nachkriegszeit, das »Sendequalität« lieferte, noch mit der Hand aufgezogen wurde, daß es unser unentbehrliches Handwerkszeug war – für ihn in Paris, für mich in Berlin.
Natürlich muß ich die geflügelten Worte sprechen, die allen »alten Kameraden« einfallen, wenn sie zurückdenken: »Wer hätte das gedacht, George, als ich Sie im verbeulten Trenchcoat und erheblich schlanker zum ersten Mal in einem Bistro traf, und Sie mir St.-Germain-des-Prés zeigten, mit Sidney Bechets Klarinette im Jazzkeller, den es nicht mehr gibt, und mit Sartre, den es auch nicht mehr gibt, beim Aperitif im Café Flore?«
»Sie meinen, wir haben uns nicht träumen lassen, daß es einmal zu einem Diner im Lasserre langen würde. Weiß Gott.«
Das Menü muß gewählt werden. Er nimmt eine Vichyssoise, für »nebbich« 95 Francs die billigste Vorspeise. Mit Bleistift ganz zart sind Girolles Fraîches, frische Pfifferlinge am Rand notiert, dafür entscheidet sich Kerstin. Bei den Entrées sinnt George über das Pigeon André Malraux nach und schüttelt den Kopf: »Der streitbare Kulturzar de Gaulles und ein Täubchen?«
Spätestens jetzt ist mir klar: das wird ein langer Abend. Fünfzig Folgen (oder mehr) hatte seine Serie »Personenbeschreibung« – er weiß unendlich viele Anekdoten von seinen Interviewpartnern. Und wie er sie erzählen kann! Wer war ihm der liebste?
»Fast möcht’ ich sagen: der Handke. Ich mochte seinen sensiblen Humor, seine leise Melancholie. Und er ist großzügig. Als junger Schriftsteller bestimmt kein Krösus, lud er uns hierher ein und gab sein ganzes Honorar dafür aus.«
»Wen hätten Sie besonders gern noch vor Ihrer Kamera gehabt? Nur als Idee, es muß kein lebender Unsterblicher sein.«
Ohne zu zögern sagt er: »Arthur Schnitzler, Josef Roth, Hemingway.« Er bittet mich dringend, eines seiner Davidoff-Zigarillos zu probieren. Wir trinken einander zu. Er sagt: »Gewiß ist das alles hier vortrefflich, aber . . . schicken Sie mich bitte nicht weg, wenn ich ehrlich sage: Ich bin kein Gourmet, ich bin ein Bauer, ich mag einfache Sachen.«
»Und komplizierte Menschen. Oder nur vor der Kamera?«
Er lehnt sich zurück, wiegt das mächtige Haupt, streicht den weißen Bart. »Alle Probleme der Menschheit kommen aus dem einzelnen Menschen. Also interessiert mich der einzelne Mensch, wenn ich unsere Welt verstehen will.«
»Aber dieses Interesse allein löst die Zunge des anderen nicht.«
»Es kommt auf das Klima eines Gesprächs an. Mein Partner darf sich niemals uneasy fühlen mit mir.«
»Bringt man wirklich allein damit die Leute zu einer Art seelischem Striptease, wie Sie, George, das besser können als jeder andere?«
»Sie fragen beharrlich. Wir sind ja auch zwei alte Dinosaurier unserer Spezies, wir sterben aus. Also, vielleicht ist es dies: Ich versetze mich in meinen Gesprächspartner, ich identifiziere mich vorbehaltlos mit ihm, auch wenn er ein Verbrecher ist. Aber der Interviewte – und das mag Sie überraschen – versetzt sich auch in mich.«
Georg Stefan Troller hat einen vielbeachteten Film über Sigmund Freud gemacht. Meint er das Phänomen der Übertragung? Auf Freuds berühmter Couch entwickelt sich eine positive (zärtliche) oder negative (feindliche) Beziehung des Patienten zum Therapeuten – um so intensiver, je tiefer der Patient seine unbewußten Regungen, seine Libidobesetzung, preisgibt. Trollers Kamera als Couch?
1938 ist er wie Freud aus Wien emigriert. Von 1943 bis 1948 war er Soldat der amerikanischen Streitkräfte. Der Zufall hätte es wollen können – wir sind gleichaltrig –, daß er mir einmal an der Front gegenübergelegen hätte. Diese Seite, jene Seite – ein paar »rassische« oder »völkische« Ingredienzien können es entscheiden, so oder so.
»Pariser Journal«, »Pariser Geschichten« – Meilensteine der Erfolgsstory Georg Stefan Troller. Wurde er zum Pariser?
»Ganz und gar nicht. Viel lieber wäre ich Amerikaner geworden. Mein Englisch ist wesentlich besser als mein Französisch. Victor Hugo hatte 8000 Worte, Goethe 15 000, Shakespeare 30 000. Das französische kennt witzige Verbindungen, ist aber eine vergleichsweise arme Sprache. Für mich ist Sprache ein Essential. Ich bin aufgewachsen mit Karl Kraus und Alfred Polgar und Egon Friedell. Das vergißt sich nie.«
Ich erzähle ihm von einem Pariser Eindruck: Jedes Mal sehe ich hier mehr Afrikaner, mehr Araber – jedesmal wirken sie dominierender, selbstbewußter, manchmal auch anmaßend. Dasselbe begegnet mir in London. Was ist das? Steigt der Bevölkerungsdruck der Dritten Welt wie eine Flut? Ist die westliche Welt eine Art Venedig, dessen Fundamente fast unmerklich in dieser Flut versinken?
Er lächelt und sieht jetzt wirklich aus wie der Wunder-Rabbi aus Martin Bubers »Geschichten der Chassidim«. Er hebt sein Glas, blickt durch die hohen Fenster mit den Brokatportieren auf die nun nachtdunkle Avenue Roosevelt, trinkt mir noch einmal zu und sagt: »Der weiße Mann geht.«