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HELMUT RAASCH

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VORBILD ZUR SEE

War es sein Traum, einmal Traumschiffkapitän zu

werden? »Zur See wollte ich schon mit 15,

und natürlich hatte ich es mir in den Kopf gesetzt,

mein Kapitänspatent zu machen. Aber das Glück,

einmal Kapitän der ›Europa‹ zu werden,

davon kann ein Seemann nicht mal träumen.«

Der Kapitänstisch steht genau in der Mitte des Restaurants. Kapitän Raasch hebt das Glas bedächtig und schaut durch die großen Fenster hinaus – ringsum nur blauer Atlantik: »Wir halten Kurs Nord, fahren zur Zeit 15,2 Knoten und werden morgen früh sieben Uhr Teneriffa erreichen. Backbord von uns jetzt die Kapverdischen Inseln, Steuerbord Mauretanien. Aber selbst wenn die westafrikanische Küste in Sichtnähe wäre, wir würden nichts sehen als Wüste.«

»Wie schaffen Sie es, daß wir immer auf die Minute pünktlich im Bestimmungshafen festmachen?«

»Das ist heute kein Kunststück mehr. Wir kennen Entfernung, Windstärke, Seegang, haben genaue Seekarten und die Standortbestimmung via Satellit mit Magnavox. Wir kennen unsere Maschinenleistung. Den Rest besorgen Radar, Echolot, der wachsame Offizier auf der Brücke und der Rudergänger.«

»Ist der Kapitän eines Kreuzfahrers also nur noch der große Salonlöwe, gut fürs Farbfoto vom Begrüßungscocktail, den Händedruck und das freundliche Wort für jeden?«

»Wenn das alles wäre, hätte ich dieses Kommando nicht übernommen. Der Kapitän ist verantwortlich für das ganze Schiff und alles, was auf ihm und mit ihm passiert. Eigentlich habe ich drei Jobs: Ich bin der Vorgesetzte von fast 300 Mann Besatzung, ich fahre einen 30 000-Tonner als ›Kapitän auf großer Fahrt‹, und ich habe mich um Wohl und Wehe der 600 Passagiere zu kümmern. Das allein kostet allerdings etwa die Hälfte der Zeit.«

»Sind Sie ständig an Bord? Wieviel Urlaub haben Sie? Können auch Sie das Schiff verlassen, wenn Landgang im Tagesprogramm steht?«

»Seeleute werden heute nicht mehr ausgebeutet, jedenfalls deutsche nicht. Reedereien und Gewerkschaft haben Tarifverträge ausgehandelt. Neben hochanständigen Löhnen, Kranken- und Altersversicherung gibt es fast vier Monate Urlaub im Jahr, auch für Kapitäne. Dazu gehört eine feste Arbeitszeit pro Tag, allerdings nicht für Kapitäne. Dazu gehört auch die Möglichkeit, die Ehefrau mitzunehmen.«

Kapitän Raasch erwartet seine Frau in Teneriffa, wo ein Hapag-Lloyd-Charterflug zeitgünstig eintrifft. Bis Bremerhaven wird sie an Bord bleiben. »Es klappt gerade gut mit der Familie, und sie hat ja alles an Bord, was die Kapitänsfrau so braucht. Auch Frau von Neuhoff hat ihren Schrank in der Kapitänskajüte.«

Michael von Neuhoff ist der andere Kapitän der »MS Europa«. Er und Helmut Raasch lösen sich ab, fahren zwischendurch auch mal wieder ein Containerschiff ihrer Reederei. Das haben sie gründlich gelernt, bevor man ihnen das große Passagierschiff anvertraute, den Stolz von Hapag-Lloyd, den größten und schönsten deutschen Kreuzfahrer.

»Wie ist es heute auf einem Frachtschiff, auf einem Tanker?«

»Ehrlich gesagt, ziemlich eintönig. Früher hatten wir oft ein paar Passagiere an Bord. Früher gab es auch noch Geselligkeit bei der Mannschaft. Heute schiebt jeder seine Videocassette in den Recorder, hockt vorm Bildschirm, trinkt sein Bier allein, und das ist es dann.«

»Und ›Schön ist die Liebe im Hafens‹, das ist auch vorbei?«

»Wir haben heute in der Frachtschiffahrt Liegezeiten von durchschnittlich sechs Stunden, jede Minute kostet. Da geht kaum noch jemand an Land. Man kann also auf diese Weise die Welt nicht mehr kennenlernen. Man sitzt komfortabel und sozial abgesichert auf seinem Pott. Das ist nicht zu verachten, aber das ist auch alles.«

Helmut Raasch wurde 1936 in Pommern geboren. Der Vater fiel im Krieg. Gleich nach der Schule verschwand er in Richtung Westen. »Es war ein point of no return. Meine Mutter hat mir das nicht verziehen, bis ich Kapitän wurde. Wenn sie noch lebte, würde ich sie gern mal mitnehmen, hier auf der ›Europa‹.«

Er fing ganz unten an, als »Moses«, als Schiffsjunge »vor dem Mast«, den alle herumstoßen und herumschicken können. »Es war der harte Weg, aber darum habe ich auch heute noch diesen Kontakt zum letzten Matrosen. Ich sitze nicht nur hier beim Galabuffet, sondern gern auch in der Mannschaftskantine, bei Birnen, Bohnen und Speck, zu einem Klönschnack, mit meiner Frau, wenn sie da ist.«

Seine ruhigen, ernsten Augen bekommen einen amüsierten Ausdruck, wenn er wohlwollend-kritisch die Damen in der Abendtoilette und die Herren im Smoking mustert, wie sie um ihn herum speisen und den relativ preiswerten Champagner fließen lassen.

»Gibt es den typischen Kreuzfahrer, Kapitän Raasch? Wer kann sich den Luxusliner leisten, für mehr als 500 Mark pro Tag, und wie sieht der Repeater aus, der immer wieder kommt?«

»Der Repeater ist meistens eine Dame, und wir schätzen natürlich unsere Stammkundschaft besonders, zeichnen sie aus, mit einer silbernen Nadel für 75 Tage an Bord, einer goldenen für 150 Tage. Es kommen auch Gruppen, Leserreisen, Clubs, für die gibt der Kapitän einen Sondercocktail. Im übrigen sind es durchaus nicht nur die sogenannten Kapitalisten, von denen wir leben, die reichen Unternehmersgattinen oder was man ›die oberen Aussteiger‹ nennt. Nein, wir haben pensionierte Beamte, erfolgreiche Handwerksmeister, Zahnärzte, Architekten – ein erstaunlich buntes Spektrum.«

Durchschnittsalter? »Das liegt schon gut über den 50, 60.« Durchschnittsgewicht? »Gehört nicht zum Zuständigkeitsbereich des Kapitäns. Dafür ist der überhaupt wichtigste Mann an Bord verantwortlich, Chefkoch Detlef Löwenberg.«

Und der bietet jeden Tag fünfmal an, was der dicke Bauch der »Europa« hergibt. Es kann ein jeder auswählen aus dem überreichen Angebot, was für ihn bekömmlich ist – nur, die meisten sind gerade auf Kreuzfahrt kein bißchen weise.

Wie viele Passagiere braucht die »MS Europa«, um rentabel zu sein, um nicht das beklagenswerte Schicksal der auch sehr schönen »Astor« zu erleiden?

»Die Reederei rechnet mit einer Untergrenze von 70 Prozent Auslastung. Alles was darüber ist, bringt schwarze Zahlen. Unsere ›Europa‹ liegt mit über 85 Prozent Durchschnittsbuchungen an der Spitze und fährt deutlich Gewinn ein. Das macht natürlich auch dem Kapitän Spaß.«

»Und wieviel Spaß macht das Kreuzfahren dem Kreuzfahrer? Bei den Landgängen hat er doch nie mehr als den Blick durchs Schlüsselloch. Vieles mißversteht er. Und umgekehrt wird auch er von den verschiedenen ›Eingeborenen‹ mißverstanden. Wenn er von seinem weißen Traumschiff steigt, muß er den Afrikanern, den Südamerikanern, Asiaten vorkommen wie ein Wesen vom anderen Stern.«

»Sie sprechen das komplizierte Problem des heutigen Massentourismus an, Herr Koch. Es stimmt, man kann die Welt nicht durchs Schlüsselloch wirklich kennenlernen. Es stimmt auch, daß einige Passagiere vorgestern in Dakar Aggressionen erlebt haben. In der Dritten Welt wachsen die Spannungen. Aber bringt der Tourismus diesen Ländern denn nicht eine Menge dringend benötigter Devisen?«

»Manche leben davon.«

»Drum müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir sie besuchen. Es ist mein Job, Touristen zu befördern, so angenehm wie möglich. Tourismus ist eine der wenigen Wachstumsbranchen der achtziger Jahre. Und der Anteil der Kreuzfahrten wächst.«

Hat der »Europa«-Kapitän, der alle Weltmeere befuhr, und ungezählte Häfen kennt, der ein Menschenführer erster Ordnung sein muß, vor irgendetwas Angst?

»Ja, daß ich einmal zu spät an Bord zurückkommen könnte.«

»Ihr Stellvertreter, der Leitende Offizier, wird wohl kaum ohne seinen Kapitän abdampfen.«

»Das würde ich ihm auch nicht raten. Aber wäre ich dann noch ein Vorbild?«

Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit

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