Читать книгу Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit - Thilo Koch - Страница 7
GERD BACHER
ОглавлениеWIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN . . .
Vom rotgedeckten Frühstückstisch im Restaurant
des Hotels im Palais Schwarzenberg blicken wir in
den Park, der das Palais Schwarzenberg und das
Schloß Belvedere verbindet, das sich vor 300 Jahren
Prinz Eugen, der edle Ritter, bauen ließ.
»Dort drüber wohne ich«, sagt Gerd Bacher,
»im Gesindehaus des Belvedere.«
Österreichs Würdenträger werden auch heute, im Zeitalter der Demokratie, feudal untergebracht. Die Schlösser, Palais und Herrensitze der Habsburger Monarchie sind ja alle noch da. Wien überstand, anders als Berlin, den Zweiten Weltkrieg ohne Totalzerstörung.
»Fünfundvierzig, das verlief bei uns vergleichsweise gelinde, mit den vier Besatzungmächten ›in einem Jeep‹. Aber das Jahr 1918/19, das war hier ein wesentlich tieferer Einschnitt als in Deutschland. Beispielsweise wurde nach dem Weltkrieg Nummer 1 in Österreich der Adel abgeschafft. Seine Durchlaucht, der Fürst Karl Johannes von und zu Schwarzenberg, in dessen Haus wir hier frühstücken, durfte sich nur noch Herr Schwarzenberg nennen. ›Von Karl dem Großen geadelt, von Karl Renner entadelt‹, hieß es damals.«
»Dennoch«, sage ich »blieb Österreich – anders als wir ›draußen im Reich‹ – konservativ bis in die Knochen. Bis heute? Oder heute wieder? Oder heute erst recht?«
Er schenkt sich bedächtig etwas Kaffee nach, greift zu einem Kipferl: »Schauen Sie, der Kreisky, das war doch nichts weiter als ein Theaterdonner, ein sozialistischer. Was hat der denn seinem beklagenswerten Nachfolger Sinowatz hinterlassen? Einen Trümmerhaufen.«
»Sie waren, Herr Bacher, einmal Berater Helmut Kohls, bevor er Bundeskanzler wurde. Und Sie wollten dazu beitragen, daß er es wurde. Wie beurteilen Sie ihn heute, nachdem er es ist?«
Viele kleine Fältchen um die blauen Augen geben seinem Blick etwas Lustig-listiges. Gerd Bacher, ein Herr von 59 Jahren, trägt ein dezent kariertes Jackett, weinrote Strickkrawatte und Pullunder. Er redet lebhaft und gern, kann aber auch aufs Liebenswürdigste geduldig zuhören. Er sagt:
»Man spricht ihm Brillanz ab. Seine Art zu regieren sei ohne Glanz – ein Kleinbürger. Insofern ist Helmut Kohl vielleicht wirklich a bisserl der Gegentypus zum Kreisky. Aber er ist es eben auch im positiven Sinne. Wo auf der Welt finden Sie heute eine so solide, erfolgreiche Regierungsarbeit wie in Bonn? Nennen Sie mir ein einziges Land. Von Wien aus betrachtet, muß ich es schon erstaunlich finden, daß man diesen deutschen Bundeskanzler – und sein großartiges Team notabene – nicht so schätzt, wie er es verdient. Nur weil er nicht so ›brillant‹ ist wie sein Vorgänger Helmut Schmidt?«
»Nun, er hat vielleicht etwas zu vollmundig von der großen Wende gesprochen. Die blieb aus: für die Arbeitslosen, bei der Rentenfinanzierung. Aber Sie kennen nicht nur Helmut Kohl, den Politiker. Man sagt, er liebe Österreich ganz besonders. Warum, was glauben Sie?«
»Er hat 13 Jahre lang hintereinander stets bei uns seinen Urlaub verbracht. Er mag uns, wir mögen ihn. Vielleicht findet er bei uns eine Lebensart, die leichter ist als die seine, wir nehmen halt auch das echt Tragische nicht so ganz tragisch. Nein, ich bewundere ihn wirklich. Allein wie er mit seinem großen Problem in München fertig geworden ist. Na . . .«
Die Serviererin im weißen Schürzchen möchte uns gern noch etwas Kräftigeres bringen, vielleicht Rührei mit Schinken? Er dankt: »Ich unterhalte mich besonders gern morgens in der Früh, aber es bleibt beim kleinen Caféhaus-déjeuner.«
»Was wurde aus dem Wiener-Caféhaus? Ich gehe in Wien natürlich immer mindestens einmal zum Dehmel.«
»Schon der leckeren Canapés wegen?«
»Ja. Und ein bißchen nostalgisch ins Sacher-Café, wo ich früher stets Friedrich Torberg traf.«
»Er und Hans Weigel – in ihrem Caféhaus hielten sie geradezu Hof, täglich. Dort schrieben sie auch ihre Rezensionen, die dann ganz Wien in zwei Lager spalteten. Das ist vorbei. Wir beide, Herr Koch, trafen uns das letzte Mal ja in Ihrer Heimatstadt, in Berlin.
Berlin und Wien haben einiges gemeinsam. Zum Beispiel auch dies: den Verlust der Juden. Das haben beide Städte nie verwunden. Dreihunderttausend waren es in Wien, die nach dem ›Anschluß‹ 1938 verschwanden, man hatte Wien ganz zu Recht das zweite Jerusalem genannt.«
»Männer von Weltgeltung wie Sigmund Freud mußten emigrieren. Immerhin, Torberg und Weigel, Hilde Spiel, andere kamen nach 1945 zurück.«
»Das war ungeheuer wichtig, ich war ein junger Mann damals, ich habe zu ihren Füßen gesessen. Aber nach Wien kehrten die paar Überlebenden noch zögernder heim als nach Deutschland. Warum? Weil man sich 1945 und danach hier viel schlimmer als bei Ihnen aus der Verantwortung gestohlen hat. Das mußte einem Wiener Juden doppelt widerwärtig sein. Er hatte ja am eigenen Leibe den Antisemitismus Wiens erfahren, auch vor 1938, vor 1933, noch früher, als Hitler selbst seinen Judenhaß hier in Wien so grauenhaft folgenreich in sich aufsog.«
»Gerd Bacher stammt aus Salzburg, wurde fast so etwas wie ein Wiener Lokalpatriot, aber er bleibt auch hier der kritische Beobachter und Historiker?«
Wieder lächelt er lustig-listig mit seinen Augenfältchen: »Vielleicht auch deswegen, weil es sehr wienerisch ist, Wien zu kritisieren.«
Wir kommen – wie könnte es anders sein – auf unsere recht unterschiedlichen Erfahrungen mit den elektronischen Medien in Österreich und Deutschland zu sprechen. Der Gebieter über alle Rundfunk- und Fernsehsendungen in Österreich führt es auf Wien zurück, daß die Atmosphäre in seinem »network« auch heute noch immer persönlicher ist, legerer und gerade deshalb auch kreativitätsfördernd.
»Mir steht nur ein Fünftel des Etats zur Verfügung, über den Herr Stolte in Mainz gebietet. Damit machen wir täglich 137 Stunden Rundfunk und 22 Stunden Fernsehen. Täglich, Herr Koch!«
Er beugt sich über sein Gedeck zu mir herüber und ist nun sichtlich engagiert. Natürlich könne auch er nicht ohne bürokratischen Apparat auskommen. Aber der sei wesentlich kleiner, habe nicht so viel zu sagen wie in Deutschland.
»Der entscheidende Vorteil jedoch heißt schlicht und einfach Wien. Hier ist alles, hier ist jeder. Wir von der ORF leben kulturell von diesen herrlichen Institutionen der Musik, des Theaters, von der Burg, von der Staatsoper, in die Sie heute abend gehen. Bedenken Sie, der kleine Staat Österreich mit seinen 7 Millionen Einwohnern gibt jährlich 300 Millionen Mark, nicht Schilling, für die Kultur aus.«
»Und zugleich haben Sie das gesamte politische Leben ihres Landes in unmittelbarer Nähe.«
»Genau, in der Bundesrepublik Deutschland fehlt das nationale Zentrum, es fehlt Berlin.«
»Hand aufs Herz, Herr Bacher: Ist Intendant eines großen Funk- und Fernsehhauses heute nicht ein ›impossible job‹? Was soll der arme Mann nicht alles sein: ein souveräner Programmplaner und bedeutender Journalist, ein Verwaltungs- und Finanzgenie, ein Betriebs- und Menschenführer erster Güte und last but not least: alle Parteien müssen ihn – es lebe der Proporz – akzeptieren.«
Der Generalintendant lehnt sich zurück, blickt hinaus zu den Statuen Lorenzo Matiellis im Park und spricht die geflügelten Worte:
»Ich liebe meinen impossible job, ich bin gern Intendant, mit Leib und Seele. Ich bin hier in Wien frei, alle wichtigen Personalentscheidungen allein zu treffen und zu verantworten: meine Unterschrift genügt. Und ich bin stolz auf das, was wir machen. Überall in der Welt weiß man das, erkennt man es an, nur bei uns zuhause nicht: Das deutsche Fernsehen – und da schließe ich das österreichische ein – ist das beste der Welt. Gleich nach dem englischen, sollte ich fairerweise hinzufügen.«
Hat auch er ein Generationenproblem? Hat er in seinen Redaktionen Alternative, Grüne?
Seine Augen werden etwas kleiner, kühler, der Mund wird spitz, aber auch spitzbübisch: »Schauen’s, natürlich, die Jungen müssen sich artikulieren, müssen opponieren, haben wir doch auch getan. Die Grünen, das sind für mich die Romantiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sie knüpfen an die Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts an. Die herrliche Lyrik der deutschen Romantik, was feierte sie? Tod und Vergehen. Und die Grünen heute? Ihr Schlüsselerlebnis ist die Angst. Haben Sie bemerkt, daß unser deutsches Wort Angst gerade im Begriff ist, ein angelsächsisches Lehnwort zu werden? Sie können heute in der International Herald Tribune Sätze lesen wie: ›The main issue in Germany today is angst . . .‹«
Sieht er diese »deutsche Angst« auch in Österreich?
»Wir nehmen ›Angst‹ vielleicht nicht ganz so teutonisch-tragisch. Wir sind ja angeblich Lebenskünstler. Aber wenn Sie mich fragen, was liegt alledem zugrunde, so antworte ich Ihnen mit Arnold Toynbee: Eine Zivilisation, die nicht mehr um ihr Überleben kämpft, ist zum Untergang verurteilt. Offenbar sind wir jetzt dran, nachdem sieben Hochkulturen vor uns schon zur Hölle gefahren sind, weil sie zu schwach waren, zu bequem und zu satt, um ihr Überleben zu kämpfen.«
Gerd Bacher ein Kulturpessimist? Er blickt mich voll an. Keine Allüren, keine Rhetorik, ohne jeden Wiener Schmäh’ sagt er leise und fest: »Ja.«
Greift zu Mantel und Hut, wünscht mir ein »Alles Walzer« beim Opernball, eilt ins Chefzimmer der ORF und tut das Seinige, um den Untergang des Abendlandes aufzuhalten. Oder nur: so angenehm wie möglich zu gestalten?