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PETRUS KOOP

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EIN MANN, DER KEINEN FEHLER MACHEN DARF

Bei diesem Tischgespräch ist vieles ein

bißchen anders. Mein Gast trinkt keinen Alkohol.

Und mein Gast ist nicht mein Gast,

sondern wir sind beide Gäste der Swissair.

Schließlich kann dies keine der gewohnten Tafel-

runden sein, denn der Herr Flugkapitän

darf während der Stunden über dem Atlantik das

Cockpit nicht verlassen . . .

So plaudern wir in drei Etappen miteinander: kurz vor dem Start in Zürich unten in der Kabine, dann oben »bei ihm zu Hause« im Cockpit bis zum Anflug auf den John F. Kennedy-Airport und zuguterletzt im New Yorker Swissair-Hotel »Drake«.

Zunächst muß ich also meinen Swissair-First-Class-Lunch allein absolvieren. Das ist nicht gerade eine Strafe. Die blonde Stewardess Antoinette Müller und Maître de Cabine Margit Stalder rollen den Trolley heran mit dem Kaviar vom Kaspischen Meer und den Hummerscheren aus Taiwan. Das reicht eigentlich schon, denn Antoinette kommt zweimal vorbei. Aber man hat ja Zeit, der bequeme Sessel verspricht die gemächliche Siesta, und das Abendbrot darf ausfallen.

Manche Passagiere sehen sich jetzt einen Western an oder hören Tschaikowski. Ich blinzle noch etwas hinaus, der Blick ermüdet schnell über dem unendlichen weißen Wolkenmeer, also ziehe ich die Augenbinde auf die Nase herunter und lasse mich von dem gesunden Brustton der vier Riesentriebwerke in den Schlaf brummen.

Die Zeit vergeht hier oben ja nun buchstäblich »wie im Fluge«. Eine Stunde vor Ankunft greife ich den Photoapparat und steige zum verabredeten Rendezvous ins Cockpit hinauf. Die Tür ist verschlossen, eine Stewardess öffnet mir, nachdem sie nach meinem Namen gefragt hat. Während ich mich im freien Sitz hinter dem Kapitän einrichte, sagt er lächelnd: »Ich habe Sie natürlich angemeldet, sonst hätte es womöglich Probleme gegeben – mit unseren Tigern.«

Er erklärt mir, daß im Swissair-Jumbo zwei bewaffnete Marshalls mitfliegen. »Sie bewachen insbesondere das Cockpit, und wir nennen sie halt Tiger. Außerdem bewacht uns eine Videokamera. Hier dieser Monitor zeigt uns, was in unserem Rücken, also in den Kabinen vor sich geht.«

Herr Koop macht mich mit seinem Copiloten Karl Stuerzinger und seinem Flugingenieur Werner Kaeser bekannt. Auch sie haben Tausende von Jumboflugstunden und Millionen von Flugkilometern absolviert.

Petrus Koop sitzt seit 22 Jahren hinterm Steuerknüppel, er hat sogar noch die gute alte DC 3 geflogen. Jumbopilot ist er im fünften Jahr. 150 Jumboleute hat die Swissair: 50 Kapitäne, 50 Copiloten, 50 Flugingenieure, er ist der oberste, der Chefpilot. Was zeichnet ihn aus vor allen anderen?

»Vielleicht auch dies«, sagt er, »daß ich mich gar nicht auszeichnen will. Und dann: man muß ein bißchen darüber stehen.«

Das Darübersitzen ist er gewöhnt, bei der Boeing 747 befindet sich der Pilotensitz haushoch über dem Boden, genau 15 Meter. Kann der Flugzeugführer so hoch droben ein Gefühl für die Riesenmaschine unter sich und hinter sich haben? Kann er noch »mit dem Hintern« fliegen? Bei der Landung vor allem?

»Es ist bei diesem Großgerät im wesentlichen eine technische Landung. In den letzten Augenblicken vor dem Aufsetzen ruft der Copilot die verbleibenden Höhen aus: 30 – 15 – 10 Meter . . .«

Unter uns liegt jetzt Long Island in glitzernder Sonne, es ist ein schöner Winternachmittag. Durch die sechs Stunden Zeitdifferenz kommen wir nach dem Abflug in Zürich um 12:30 schon am frühen amerikanischen Ostküstennachmittag in New York an.

Wir haben Glück, der Kennedy-Controller reiht uns nicht in die Perlenkette der ungezählten Maschinen ein, die jetzt rund um uns am Himmel hängen und alle landen wollen, sondern nimmt uns sofort in die Einflugschneise.

Immer kommt im letzten Moment das Rollfeld mit atemberaubendem Tempo gewissermaßen auf einen zu, und schon setzen wir auf, weich und selbstverständlich, als wären wir nicht ganze 250 Tonnen schwer und so groß wie ein Ozeandampfer.

Macht es eigentlich immer noch und immer wieder Spaß, Können und Erfahrung einzusetzen in diesen wichtigsten Augenblicken eines jeden Flugs, bei der Landung? Wir sprechen über dies und alles andere am nächsten Tag beim Lunch in New York City.

»Natürlich, Herr Koch, ist die Fliegerei eine Passion – auch.«

»Auch? Sie sagen das so ein bißchen einschränkend? Haben Sie nicht einen Traumberuf? Für viele junge Männer überhaupt denTraumberuf?«

»Ganz sicher. Jedoch müssen Sie auch dies sehen: Inzwischen kennt man die Welt, die schöne, weite, und die Familie hat nicht so viel vom Mann und vom Vater, wie sie wohl sollte.«

Petrus Koop spricht deutsch mit schwyzer Tonfall, aber es klingt noch etwas anderes mit, auch bei seinem perfekten Englisch.

»Ja, ich bin in Holland geboren, 1937 in Eindhoven, aber seit gut zwei Jahrzehnten ist die Schweiz meine Heimat, wir leben in Winterthur.«

»Und wie viele Tage sieht Ihre Frau Sie dort, unterm Strich, in der Jahresbilanz?«

»Es könnte schlimmer sein: die Hälfte bin ich unterwegs, die Hälfte zu Hause.«

»Und unterwegs heißt ja auch nicht, daß Sie von einem Flug auf den nächsten springen.«

»Nein, nein, es sind Ruhetage streng vorgeschrieben, jetzt in New York zum Beispiel 19 Stunden. Auf einem Weltflug Los Angeles – Australien – Hongkong – Europa sind es zwischen Landung und Start stets mindestens 12 bis 15 Stunden.«

»Dabei entsteht dann der Eindruck: diese Airline-Crews liegen eigentlich nur an den Swimmingspools von Luxushotels herum, wo die Piloten mit den hübschen Stewardessen schäkern.«

»Jeder Beruf, Sie wissen es, muß mit den drangehängten Legenden und Klischeevorstellungen leben.«

»Keine Legende aber ist es wohl, Herr Koop, daß das fliegende Personal gut verdient.«

»Es ist kein Geheimnis, ein Jumbopilot – und das ist immer ein älterer, erfahrener Kapitän – erreicht 180 000 Schweizer Franken im Jahr.«

»Aber er wird ziemlich früh pensioniert.«

»Ja, mit 55 Jahren. Ich zum Beispiel kann nur noch 6 Jahre fliegen. Dann zahlt die Swissair mir 46 Prozent meines letzten Salärs.«

»Dann ist der Petrus Koop noch lange kein alter Mann. Was hat er noch vor?«

Er schaut mich mit seinen klaren Augen, die alles blitzschnell erfassen, prüfend an, dann lacht er. »Also gut, ich sage es Ihnen. Ich möchte dann noch einmal studieren: Archäologie.«

Ich trinke auf sein Wohl. Welch ein Mann! Welch ein Lebensprogramm! Ein Leben lang zog es ihn nach oben, schwebte er in 3000 oder 12 000 Meter Höhe über der Erdoberfläche. Und zuguterletzt lockt nun die Tiefe, möchte er die Schichten freilegen und erforschen helfen, in denen die Geschichte der Menschheit in all den Jahrtausenden festgestampft und aufbewahrt wurde.

»Ihr Beruf, Herr Koop, ist ja nicht zuletzt auch ein Leben mit der Technik, für die Technik. Kann es sein, daß dies am Ende nicht mehr befriedigt?«

»Ohne Technik und Naturwissenschaften könnten wir nicht fliegen. Aber nun kommt es mir so vor, als gerate die technische Entwicklung außer Kontrolle, der Mensch kommt nicht mehr mit.«

»Und deshalb Archäologie, die ja danach fragt, woher der Mensch kommt und was er tat, bevor er ins technische Zeitalter eintrat. Aber noch einmal zurück in unsere schöne, ›brave new world‹, die Gegenwart. Manche Leute haben ja Angst beim Fliegen. Kennen Sie so ein Gefühl überhaupt?«

»Für Angst haben wir keine Zeit. Und: Wir sehen unseren Beruf recht nüchtern. Die Unfallstatistik beweist weltweit, daß der Flugverkehr die relativ sicherste Fortbewegungsart überhaupt ist. Ich weiß natürlich, daß rationale Argumente gegen Gefühle nicht viel ausrichten.«

»Besonders wenn Angstgefühle durch die Nachrichten von spektakulären Flugzeugabstürzen angeheizt werden. Es gibt ja tatsächlich gerade für den Jumbo schwarze Jahre.«

»Wir in allererster Linie sind natürlich an der Unfallanalyse interessiert. Es stellt sich immer wieder heraus, daß es kaum monokausale kritische Situationen gibt, fast immer handelt es sich um eine Kette von verhängnisvollen Faktoren.«

»Menschliches und technisches Versagen können sich addieren.«

»So ist es, und deshalb haben wir Piloten ein oberstes Gebot, es besteht aus drei englischen Wörtern: check, recheck, doublecheck.«

»Also überprüfen, gegenprüfen und doppelprüfen. Aber ist es denn vorstellbar, daß beispielsweise die Besatzung des koreanischen Jumbos, der 1985 von den Russen abgeschossen wurde, dieses oberste Gebot übertreten hat und deshalb vom Kurs abkam?«

»Wir wissen es nicht. Was wir wissen, ist allerdings, daß bei mancher Airline Wartungsnachlässigkeiten, nicht ernst genommene Materialermüdung und dergleichen eine Rolle spielten. Check, recheck, doublecheck – das ist natürlich auch am Boden oberstes Gebot.«

»Sie sagten: Materialermüdung. Und wie steht es mit der Ermüdungsgefahr beim fliegenden Personal? Es gibt ja so etwas wie den Biorhythmus des Menschen, die Tageskondition. Auch ein Pilot hat einmal Kummer oder ist unausgeschlafen.«

»Wir sind auch nur Menschen, ja. Aber wir sind dazu erzogen worden, nichts zu riskieren. Kein Tropfen Alkohol 8 Stunden vor dem Start. Aber das ist das Wenigste. Ein Pilot muß top-fit sein, wenn er sich hinter den Steuerknüppel setzt.«

»Sonst darf er es eben nicht tun, muß sich lieber krank melden.«

»Ja. Wir sind keine Übermenschen, aber wir sind alle getestet und trainiert auf hohe physische und psychische Belastbarkeit. Das muß man ganz, ganz ernst nehmen. Die Fliegerei, Herr Koch, ist das Schönste, für mich. Ich finde sie auch gar nicht so besonders schwierig. Nur eines: Sie vergibt keinen Fehler.«

Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit

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