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AUGUST EVERDING

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ER ZÄHMTE SEINEN SPIELTRIEB NICHT

Wenn er eintritt, füllt er sofort das kleine Séparée:

leiblich, geistig, stimmlich. Er schaut sich um

und sagt: »Hier pflegte Franz Josef Strauß zu

dinieren, wenn er zum Käfer kam. In diesem kleinen

Stüberl sind schon manch’ große Entscheidungen

gefallen. Aber, zunächst die Dramaturgie

unseres Menüs.«

Hat er Zeit mitgebracht für unser Tischgespräch? Um 14.30 Uhr muß er zur Vorlesung, und es ist jetzt gegen 13 Uhr. »Austern?« fragt er und taxiert mich aus den Augenwinkeln. Ich erzähle, bei welcher Gelegenheit ich Kaviar kennenlernte – als ich mit Adenauer 1955 in Moskau war.

Ein anerkennendes Nicken, für den Kaviar, für mich – in dieser Reihenfolge. Mit Blinis, möchte er. »Wir haben Kartoffeldatschi dazu bereit«, sagt der Oberkellner. Blinis sind ihm lieber: »Aber aus Buchweizen!« »Probieren’s doch beides, Herr Generalintendant.« Gut. Zum Kaviar gehören ein eiskalter Wodka und Champagner. »Kein Wodka für mich, muß heute abend noch Karajan in Berlin treffen.« Zwei Gläser Lanson Rosé Brut sind blitzschnell zur Stelle. Wie anmutig sich der gewichtige Herr verneigen kann, beim ersten »Zum Wohl«, wie zierlich die Hand das Glas balanciert.

Ist er für Karajan oder für das Orchester? »Für Karajan, natürlich, auch öffentlich.« Die Berliner Philharmoniker waren vor Karajan da und werden nach Karajan da sein, gebe ich zu bedenken und berichte von einer Begegnung mit Herrn von Stresemann, dem Überbrückungsintendanten – der sehe, wie seinerzeit sein Vater Gustav, der Außenminister, einen »Silberstreif am Horizont«.

Er wiegt den schweren Kopf, nein, es ist ein veritables Haupt. Er trinkt bedächtig und mit Behagen einen zweiten langen Schluck: »Ein herrliches Getränk, aber was geschieht hier auf unserer kleinen Bühne nach dem Vorspiel? Im Drama folgt dann der Hauptteil mit dem Höhepunkt, mit der Katharsis.« Nun, die Läuterung unserer Seelen werden wir beim Käfer nicht finden, darauf ist nicht einmal er, der lukullische Tausendsassa Münchens, vorbereitet.

Der Oberkellner macht einen gastronomisch-dramaturgischen Vorschlag, dem wir beide sofort zustimmen: junger Fasan mit Trauben, Nüssen, Weinkraut, Pilzen und Kartoffelpüree. Welchen Wein? Einen Sancerre, sagt der Intendant kurz und bestimmt. Darf es auch der schönste Wein der Loire sein, der Pouillyfumée »Baron L«, frage ich. Wieder das anerkennende Blinzeln und das liebenswürdige Neigen des Hauptes. Er hat das Volumen eines Barockfürsten, aber den Charme eines Rokokokavaliers.

War sein Vormittag anstrengend? Er hebt die Schultern unterm blauen Nadelstreifenjackett. So etwas wie Anstrengung paßt nicht zu ihm, seine rastlose Motorik scheint ohne Reibungsverlust zu laufen – ständig rotierend und doch souveräne Ruhe vermittelnd. »Es ging um unsere neue ›Ariadne‹, heute morgen, gestern abend war ja Premiere im Nationaltheater.« »Zufrieden?« Er neigt sich herüber und bemerkt leise und kühl: »Erfolgreich und unbedeutend.« Für eine Sekunde ist da nichts als kritische Härte.

Selbstverständlich ist auch einem August Everding der Erfolg nicht geschenkt worden. Warum ging er nicht nach New York an die Metropolitan? Kann ein Mann so überheblich sein, diesen Spitzenjob in seiner »Branche« auszuschlagen? Jetzt schüttelt er das Haupt energisch. »Ich habe mich nicht gegen New York, sondern für München entschieden; ich will hier das Residenztheater wieder aufbauen und sonst einiges für das kulturelle Klima der Stadt tun.«

Außerdem ist ihm eine Inszenierung pro Jahr an der »Met« sicher. Er versteht offenbar die seltene Kunst, einen Kuchen zu essen und zu behalten. August Everding kann mühelos lachen, schmunzeln, lächeln, zu passender Zeit und immer in der richtigen Art. »Der Fasan läßt auf sich warten.« Zum ersten Mal schaut er auf die Uhr, aber ganz gelassen. Gerd Käfer steckt den Kopf herein, auf seine eigene Weise motorisch. Zwei Profis sind sofort im Gespräch und auf dem Punkt. »Machen’s doch ein Fest im Resi, Herr Professor, die Garderobentische fürs Buffet, eine Band, was glauben’s, wie das lauft.«

Schon ist der Wirbelwind wieder draußen und weiter. Everding schaut ihm nach, väterlich wohlwollend – in der Tat hat er vier Söhne. »Er macht meine Theaterbuffets hervorragend.« »Darf man sagen, der Käfer ist der Everding der Gastronomie?« Der Vergleich behagt ihm. Der Fasan kommt, wird zerlegt und serviert und gekostet und gelobt. Wie hat »der General« angefangen? Ganz theoretisch, auf der Universität, mit Philosophie, Theologie, Theaterwissenschaft und einer Doktorarbeit über den »Tod auf der Bühne«.

Er verehrte Romano Guardini, den katholischen Schriftsteller, der von der Kirche nicht immer so hochgeschätzt wurde wie von der Jugend jener Jahre, August Everding wurde 1928 geboren, in Bottrop, Vater Organist. Die Praxis, das war dann zunächst Regieassistent bei Schweikart und Fritz Kortner. Den unzähligen Kortner-Anekdoten fügt er – »für Sie, Herr Koch, ich habe das noch nie erzählt« – eine hinzu. »Ich mußte einmal für einen Schauspieler einspringen, nur in der Probe. Ich hatte einen Finger zu heben, nicht zu hoch – ja, so ist es gut. Nächster Tag, mein Stichwort, ich erscheine, hebe den Finger, vielleicht 3 cm höher. Kortner: ›Everding, hemmen Sie Ihren Spieltrieb!«

Genau das hat er nicht getan und es dadurch weiter als fast alle in seiner Generation, in seinem Metier gebracht. Fürs Dessert ist es schließlich zu spät. Wann und wo immer August Everding sich erhebt und verneigt, hat das Gewicht und Bedeutung. »Verstehen Sie sich gut mit Strauß, der auch so gern an diesem Käfertisch speist?« »Ich bin Westfale, wie Sie wissen, und wir haben mit den Bayern dreierlei gemein: Dickfälligkeit, Humor und Biestigkeit.«

Sagt’s, neigt das Haupt und enteilt zu seinen Studenten und zu Karajan. Biestigkeit? Er ist ein Büffel, denke ich, ein starker, schöner Büffel, bei dem man nie weiß, ob er nicht bereits zu einer ungeheuerwuchtigen Aktion ansetzt, während er scheinbar nur zierlich mit den Hufen scharrt.

Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit

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