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Laabs Kowalski und die Reise der Lampenschirme
ОглавлениеWenn die Welt gerecht wäre, müsste man nicht mehr sagen als das: wie Thomas Mann, Heinrich Böll, William Kotzwinkle. Aber in dieser ungerechten Welt muss man erklären, Laabs aus Dortmund, Erfinder des Satzes »Hoëcker, Sie sind raus!«, verdienter Fernsehautor, Verfasser mehrerer Bücher, manche unter Pseudonymen wie in diesem Fall unter Brasse Hering (sic), Verleger und nicht zuletzt Veranstalter denkwürdiger Lesungen.
Nach kurzem Umherirren durch das Belgische Viertel in Köln finden wir einen Ort, wo es ein halbwegs akzeptables Frühstück gibt, wenn auch zu Laabs’ Unmut keinen Gin Tonic, und wo man nach Herzenslust rauchen kann. Als die Kirchenglocken von St. Michael am Brüsseler Platz verhallt sind, schiebt Laabs sich die letzte Scheibe Käse rein.
Ist »Die Reise der Lampenschirme durch den Kongo« dein erster Reiseroman?
»Der erste Reiseroman. Es sind aber nicht meine ersten Geschichten, die sich ums Reisen drehen. Ich habe zum Beispiel Erzählungen aus Gambia geschrieben, wo ich mit ganz anderen Größen Karten spielen musste …«
Sambia oder Gambia?
»… aus New Orleans, wo mir Schwarze den Arsch gerettet haben, weil ich durch das Black Quarter gelaufen bin, obwohl man mich davor gewarnt hatte, und ich hatte dabei so eine Malcolm-X-Mütze auf. Es war aber eine Imitation.«
Das heißt, das waren reale Reisen?
»Genau. Das Schöne bei Reiseromanen ist, dass eine Chronologie vorgegeben ist. Man muss sich nicht so einen Kopf machen um die Strukturen. Das Ziel ist schon vorhanden.«
Du hast das Ziel gewusst, bevor du mit dem Roman losgefahren bist?
»Im Fall der Lampenschirme durch den Kongo, ja. Aber das war eh eigenwillig. Das ganze Buch kam in einem Strahl vom Himmel innerhalb von vier Tagen, aus einem Guss. Und ich hoffe, man merkt ihm auch an, dass es aus einem Guss ist.«
Welche Reiseromane oder Reisebücher magst du selbst?
»Die ganzen Klassiker von Jules Verne, ob das ›Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer‹ ist oder ›In 80 Tagen um die Welt‹. Ein anderer großer Reiseroman ist natürlich ›Herz der Finsternis‹ von Joseph Conrad, den kann man gar nicht toppen. Und ›Die Reise der Lampenschirme durch den Kongo‹ ist ja die humoristische Antwort darauf.«
Ich dachte, deine Figur Alois Zauselmeyer wäre so ein Wiedergänger von Livingstone.
»Beim ›Herz der Finsternis‹ haben wir auch einen Reisevertreter, der das Kontor im Herzen des Kongo in Ordnung bringen soll. Und deswegen bringt der Zauselmeyer die Lampenschirme ins Herz von Afrika.«
Ach so, ich dachte eher, du willst den Tropenhelm und den Kochtopf der Kannibalen und all diese wunderbaren Dinge ins Jahr 2009 versetzen.
»Da unten gibt es heute noch jede Menge Kochtöpfe. Das ist wirklich so, in diesem Dreieck Kamerun, Kongo gibt es tatsächlich noch weiße Flecken, wo noch niemand war. Die sind zwar aus der Luft kartografiert und insofern keine weißen Flecken. Da war nur noch kein Weißarsch und hat das erforscht.«
Du warst zur Recherche im Kongo?
»Ich war mal in Kamerun, das ist im Osten. Das war früher mal deutsch, einige sprechen heute noch Deutsch, die heißen alle Fritz, Wilhelm und Anton.«
Das heißt, man darf auch über den Kongo schreiben, ohne jemals im Kongo gewesen zu sein.
»Jou! Hemingway hat auch nie einen großen Fisch gefangen und trotzdem einen Roman darüber geschrieben.«
Ich glaube, es gibt viele Leute, die sich wundern, wenn sie erfahren, was Karl May gemacht hat: erst darüber schreiben, Jahrzehnte später mal hinfahren.
»Karl May ist das beste Beispiel. Denn beim Schreiben geht es ja darum, dass ich zu Hause im stillen Kämmerlein sitze und meine Fantasie auf Wanderschaft gehen lasse, was auch eine wunderschöne Reise ist.«
Die »Lampenschirme« enthalten alles, was den modernen Reiseroman ausmacht: raffinierte Blondine, unfähiger Schiffskoch, blutdürstige Eingeborene, eine wertvolle Fracht, Schiffbrüchige, französisches Programmkino, homosexuelle Piraten und einen Protagonisten, dessen klügster Begleiter ein sprechender Dorsch ist.
Wenn ich die Reise in den »Lampenschirmen« real nachreisen würde, dann hätte ich spätestens bei den geheimen Höhlen von Blahla ein Problem. Wo die eine Hälfte der schlechten Bücher der Welt gelagert ist. Und die andere Hälfte ist irgendwo in Gütersloh, so schreibst du, untergebracht.
»Stimmt. Aber die Hafenstadt Banana, die gibt es wirklich. Da finden auch regelmäßig Boxkämpfe statt, wie in dem Buch.«
Man kann kaum einen erfunderen Namen erfinden als Banana.
»Das ist die größte Verladestation für Waren aller Art im Westen Afrikas, an der Kongomündung. Da war ich mal mit einem Freund, Olaf Wiedemann. Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, in den Kongo zu fliegen, um mit dem Postschiff den Fluss Kongo hochzufahren. Als wir das Postschiff gesehen haben und die Zustände … das ging nicht. Wir sind nach vier Tagen wieder zurückgereist, haben dann noch einen kurzen Abstecher auf die Kapverdischen Inseln gemacht. Aber damals wurden auch gerade alle Europäer aus dem Kongo ausgeflogen. Wir wussten das nicht, da waren große Bürgerkriegsunruhen, das hat man uns im Reisebüro nicht gesagt. Wir kamen an, und am Flughafen war schon die Hölle los. Gerade wurden die Belgier ausgeflogen.«
Wie und wohin reist du am liebsten?
»Am liebsten dahin, wo gar kein Tourismus ist, und erkunde alles auf eigene Faust. Wie damals auch Mitte der 90er in New Orleans, dahin bin ich ganz alleine geflogen. Und ich bin unglaublich naiv gewesen. Im Hotel warnte man mich davor, zu Fuß zum French Quarter zu laufen, sie hätten Shuttlebusse. Ich bin natürlich trotzdem zu Fuß gelaufen.
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Gehen Sie nicht über Los! Madrid ohne Stierkampf, Amsterdam ohne Drogen, Berlin ohne Internetcafés. Undenkbar. Demnächst kommt Rom ohne korrupte Cops aus, LA ohne Autodiebe und Münster ohne Ödnis.
Aber genau so denkt der Reiseveranstalter China Tours, der auf seiner preisgekrönten Website klar und deutlich ankündigt, was Sie »bei uns nicht finden«, unter anderem:
☺ eine Kampfvorführung im Shaolin-Kloster, denn die ist sehr kurz, und da redet dauernd jemand chinesisch.
☺ Ming-Gräber in Peking. Jaja, Weltkulturerbe, aber duster ist es da und hektisch und überhaupt.
☺ »Traditionelle Chinesische Medizin« – auf dem Niveau von Kaffeefahrten, auf denen ein paar überteuerte Kräuterli verkauft werden.
Und in vielen anderen Fällen seien hier »bis zu 60 000 Menschen« täglich, oder es sei »meist überfüllt«, wenn nicht »meist hoffnungslos überfüllt«, was »immer sehr lange Warteschlangen« bedeutet, wie im Quanjude, der Wiege der Pekingente, einem Restaurant mit »Platz für 2000 Personen«. Chinatours.de kennt gottlob genügend Alternativen … cool!
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Dort gab es einen Hutladen, ich bin da rein, und es stand nur schwarze Kundschaft drin, die wirkten auch alle ganz böse. Der Film ›Malcolm X‹ war damals in den Staaten angelaufen, und ich wollte auch so eine Mütze haben. Die kuckten mich unglaublich bedrohlich an, und ich brachte den wunderbaren Satz raus: ›Don’t mind my eyes, I’m as black as you are, brothers!‹ Dann haben die sich vor Lachen auf den Boden geschmissen und gesagt: Okay, du bist genauso schwarz wie wir, Bruder! Und haben mir die Mütze geschenkt und mich eindringlich davor gewarnt, die überhaupt aufzusetzen. Das habe ich auf dem Rückweg vom French Quarter zurück zu meinem Hotel durch dieses Viertel natürlich ignoriert. Da kamen mir schon Leute entgegen: ›Ah, the stupid friend from Germany!‹ Und die brachten mich wieder zum Hotel. Und als ich vom Hotel dann am nächsten Tag wieder ins French Quarter wollte, kam wieder ein schwarzer Getto-Freund auf mich zu: ›Ah, the stupid friend from Germany. This is a very dangerous quarter, let my help you.‹ Da haben mich tausend Engel beschützt. Ich hatte komplett alles dabei, mein ganzes Bargeld, mein Flugticket, meine Pässe …«
Das Glück des Naiven. Du versuchst also, auf eigene Faust zu entdecken.
»Wenn ich in einer ganz fremden Welt bin, dann mach ich das immer so. Ich bin ja kein Sprachgenie, also suche ich mir einen Einheimischen, der möglichst groß und kräftig ist, und ziehe die ganze Zeit mit ihm rum. Da lernt man das ganze Land viel besser kennen. In Gambia hatte ich so einen Taxifahrer, Kemo, der war schon ordentlich groß, trug eine riesige rosa Filzmütze auf dem Kopf, die war größer als die Mitra des Papstes. Der hatte auch ein Taxi mit Schiebedach, damit die Mütze nach draußen gucken konnte, und der hat mir Strände gezeigt, wo kein Mensch war. Aber als ich zurückwollte, da war Kemo vollkommen bekifft. Ich kriegte den gar nicht wach, dann habe ich ihn auf den Rücksitz des Taxis gezerrt und bin selber gefahren. Dann an einer leeren Kreuzung, wo links eine Hütte war und rechts eine Hütte, da habe ich gedacht: Stopp mal, so passieren Unfälle, mitten in der Pampa, wo es eigentlich keinen Verkehr gibt. Und in dem Moment, wo ich an der Kreuzung stoppte, trat aus der linken Hütte ein Polizist mit Maschinengewehr: Warum ich betrunken wäre, warum ich ein Taxi fahre, wer der komatöse Mann hinten auf dem Rücksitz sei. Und ich musste mit auf die Wache. Da saß ich dann vier Stunden. Die sprachen Wolof, kaum Englisch.«
Was ist Wolof?
»Eine der Landessprachen. Gegenüber war da so eine Art Kiosk, da hab ich gefragt, ob man da Zigaretten holen kann. Mein Plan war: Bring mal jedem ’ne Stange Marlboro, dann wird das vielleicht alles ein bisschen einfacher. Dann hatten die auch Kaugummi, und auf der Straße spielten so zwei verlorene Kinder. Da habe ich einen ganzen Karton Kaugummi gekauft, bin zu den Kindern gegangen, und in dem Moment – die sind aus dem Boden gewachsen, da gab es keine Hütten – war ich umringt von einer riesigen Traube von 40, 50 Kindern, die mich niederrissen, mir das Kaugummi entwanden, und die Polizisten standen vor ihrem Häuschen, hatten total Spaß. Dann hab ich denen die Zigaretten gegeben, dann haben sie mir – obwohl ich immer noch betrunken war – wieder ins Taxi geholfen und mir eine gute Weiterreise gewünscht. So was hätte ich natürlich alleine nie erleben können, dazu brauchst du jemanden, der dich auch in Ecken bringt, wo keinerlei Touristengesetze dich schützen.«
Also insofern kann man das Reisen lernen?
»Man sollte sich auf alles Mögliche einlassen. Man kann auch etwas übers Land erfahren, wenn man die Hotelanlage gar nicht verlässt. Aber halte dich ans Personal.«
Ich habe gehört, dass du unterwegs Bücher liest und dabei teilweise brutal mit ihnen umgehst.
»Bei ganz dicken Büchern reiße ich die vorher schon halb durch, damit die in meine Jeansjacke passen. Bücher sind nichts Heiliges. Das, was drinsteht, kann eventuell etwas Heiliges sein, aber die äußere Form des Buches, wen juckt die? Das ist ja so, als wenn man sich nur in eine intakte Frau verlieben würde. Jetzt fällt mir auch ein, welches das beste Reisebuch der Welt ist: Das ist nämlich ›Pan‹ von Knut Hamsun, wo der Protagonist zu den Lofoten reist, um Urlaub zu machen, und sich dort unglücklich verliebt und von diesem geheimen Zauber, der dort oben herrscht, ganz und gar vereinnahmt wird, und zwar so sehr, dass er daran zugrunde geht.«
Das ist Romantik.
»Sehr melancholisch.«
Danke, Laabs.
»Das war’s?«
Das war’s.