Читать книгу Endstation Reisen - Thomas Baumann - Страница 13
Koffer – 8 Ecken, 2 Räder, 0,3 PS
ОглавлениеDie »Washington Post« ließ ihre Leser abstimmen, welche moderne Erfindung, die das Reisen erleichtert, sie am meisten schätzen. Vakuumtaschen oder GPS oder Online-Einchecken oder Rollkoffer oder iPods oder Online-Stadtpläne oder Handys oder Digitalkameras oder der Euro oder PDAs oder Internetreisebuchung oder Geldautomaten oder Online-Reiseberichte oder öffentliche WLAN-Zugänge oder Online-Preisvergleich oder Schallschutz-Kopfhörer oder Haustausch oder Bordfernsehen oder Selbsteincheckterminals oder schnell trocknende knitterfreie Wäsche. Sie wählten den Rollkoffer.
Man kann sie treten, tragen, schieben, hochhieven, herumwerfen, sich draufsetzen, den Kopf drauflegen und anderen Leuten ganz leicht stibitzen, indem man empört ruft: »Wer hat denn den Flugsaurier hier in die Schalterhalle gelassen?«
Selten muss der Duden solche Verrenkungen machen, um etwas Simples wie den Koffer zu beschreiben: »größeres rechteckiges Behältnis mit aufklappbarem Deckel u. Handgriff zum Tragen an einer Schmalseite, das dazu bestimmt ist, Kleider u. andere für die Reise notwendige Dinge aufzunehmen«.
Sporttaschen werden leicht zusammengedrückt. Tragetaschen sind oben offen, indiskutabel. Körbe? Ja, warum nicht gleich dekorative Keramik-Obstschalen? Nein, der Koffer an sich ist so konkurrenzlos wie die Zahnbürste. Seien sie von den alten Sumerern erdacht oder von den dauerverdächtigen Chinesen (das Wort Koffer ist vermutlich griechisch, auf den Weidenkorb kóphinos zurückzuführen).
Bei fremden Leuten in der Abstellkammer oder auf dem Kleiderschrank die Koffer zu betrachten hat immer etwas Entlarvendes. Aha, ein Praktiker. Sieh an, ein Ästhet. Okay, Mister Billigheimer. »Egal« gibt es bei Koffern nicht. Und wenn es riesenhafte Exemplare gibt, in deren Griffen voll funktionierende Kompasse eingearbeitet sind, so wird das schon einen Grund haben. Wenn auch keinen praktischen.
Ästhetisch ist die aktuelle Koffermode ein Trauerspiel. Wie bei Autos auch geht der allgemeine Trend zur Nichtfarbe, zur Neutralform, zur allgemeinen Gesichtslosigkeit. Statements, Charakter, gar Stil sind unerwünscht.
Während ich noch grüble, ob ich den Namen »Samsonite« direkt bei der Begrüßung fallen lasse, zerrt mich die handfeste urkölsche Pressedame der Kofferfirma in die Produktionshalle. Ja, hier wird teilweise per Hand gearbeitet. Und hier werden wirklich Waren hergestellt. Und das Unternehmen ist noch in Familienbesitz – klingt alles nach Gebrüder Grimm. Vielleicht steht das 100 000-Mitarbeiter-Werk in Wahrheit in Changzhou, und hier in Köln-Ossendorf werden Schreiberlinge durch Potemkinsche Dörfer geführt. Die lächerliche Stylewelt von der Website voller Begriffe wie »Integrierter Add a bag holder« ist hier jedenfalls nicht zu sehen.
Stattdessen die Ausbeulabteilung, ein Job, wie ihn sich zehnjährige Jungs wünschen. Mit Kling und Klong auf Blech herumhämmern, dagegentreten und draufhauen.
Wir stehen vor einem Stapel Sondermodelle, einem herzförmigen Köfferchen für Unicef – »dat war äwwer noch vor däm Skandal!« –, einem Geigenkoffer für »Steve Garrett«. Ich nicke brav, denke, dass sie vielleicht Nigel Kennedy meint, dass das aber nicht sein kann und außerdem egal ist. Ab zwanzig Exemplaren kann man so ein Sondermodell bestellen, macht sich prächtig bei der Großfamilienweihnachtsfeier unterm Baum.
Toll ist natürlich die Geschichte des »Ronin«-Koffers. Der mittelprächtige Actionfilm mit De Niro, in dem die üblichen Verdächtigen – Geheimdienst, Mafia, CIA – einem Koffer hinterherjagen und -ballern, dessen Inhalt man aber selbst am Schluss des Films nicht erfährt. Die Pressedame – heißt sie Frau Schmitz? Wenn nicht, dann sollte sie es aber –, Frau Schmitz zeigt mir beklebte Vorzeigeexemplare, Koffer, wie sie in vergilbten Comics vorkommen, mit Aufklebern von Venedig, London, Paris, Hawaii. Heute haben es Koffertransporteure schwerer, müssen sich alleine auf die beim Einchecken aufgeklebten Strichcodes verlassen. Die meisten dieser altehrwürdigen Stücke hat Rimowa Kunden abgekauft, die diese Koffer eigentlich reparieren lassen wollten, denn es gab Zeiten, da hat man sich wenig um Dinge wie Firmen- und Produktgeschichte gekümmert.
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Der schnellste Reisende …
… der je mit öffentlichen Verkehrsmitteln die EU bereist hat, ist der Mönch Michael Bartlett. 2005 fuhr er in Malta mit dem Bus los, durch damals alle 25 Staaten der EU, brachte binnen zwölf Tagen 16 000 Kilometer hinter sich, und als er in Dublin ausstieg, hatte er das größte Furunkel Europas am Hintern. Ein Flug mit Air Malta hätte übrigens 300 Euro gekostet.
Erste Wochenhälfte zzt. vergriffen.
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Rimowa steht für »Ri-chard Mo-rszeck Wa-renzeichen«, was mich auf die Idee bringt, künftig meine Taschenbücher unter ThoBaTaBü zu veröffentlichen.
Der Vater des heutigen Chefs entwickelte immerhin einen Koffer, der in den 20er-Jahren auf Reisen an Autos befestigt werden konnte, die fortan einen Raum für Koffer, einen Kofferraum hatten. 1937 kam der entscheidende Sprung zum Leichtmetall, heute eine Legierung aus Aluminium und Magnesium.
Als ein Feuer die Produktionshallen zerstörte, blieben nur Aluminiumplatten übrig, ein klares weiteres Argument für das rostfreie Material. Und aus Verehrung für das Flugzeug von Junkers stanzte man 1950 lange Rillen in das Metall, was zudem die Stabilität erhöhte (wie bei Faltmöbeln aus Pappe) und auch noch den Markenschutz ermöglichte.
Samsonite hatte in den 70ern die Idee, an seinen Koffern kleine Rädchen zu befestigen, in der Welt des Reisens eine Wiedererfindung des Rades.
Plötzlich brauchte man zum Reisen keine Kofferträger mehr. Reisen hatte sich einen Schritt aus der Luxuswelt entfernt. Und die armen Kofferkulis wurden arbeitslos und dazu verdonnert, an Mittelmeerstränden traumhaft aktuellen Modeschmuck zu verhökern, dessen Farbe nach einer halben Stunde wie durch Zauberhand von ganz alleine entschwindet.
In den 90ern blickte der heutige Chef Dieter Morszeck noch ehrfürchtig auf Samsonite, versuchte dann wenigstens ein kleines Stückchen vom Plastikkoffer-Kuchen zu kriegen, ließ in Polycarbonat herstellen und hat jetzt den Löwenanteil des Marktes.
Die Wörter Koffer und Rollkoffer sind heute fast synonym. Rimowa hat im gesamten Programm von Schminkcase bis Tropenkiste nur noch zwei Modelle ganz ohne. Ich frage Frau Schmitz, welche Temperatur so ein edler Tropenkoffer aushält. Sie fragt zurück: »Ab wann schmilzt Alu, 100 Grad?« Sie hat recht, und tatsächlich sind es sogar 660 Grad.
»Ham Sie mein Koffa jefun’n? Der is so silba …«
Zur Demonstration, wie man Metall knickt, lässt Frau Schmitz eine Maschine anwerfen, die brav das Stückchen Metall knickt, das man ihr in den Schlund steckt. Der Groove bei den Mitarbeitern ist nicht hektisch, aber alle sind am Wursteln. Obwohl der Chef verreist ist. »Wissen Se, der Chef lässt uns machen. Und wir machen auch! Das ist ein Familienbetrieb. Hier, sehen Sie mal!« Ich muss eine gläserne Schaubude mit Postern der Cheerleader des 1. FC Köln bewundern. Und ein Riesenposter der Fußballnationalmannschaft. Und ich entdecke erstaunt das Designschild von Porsche. Pardon, wenn das alles wie eine Firmenwerbung klingt, aber wenn nette Leute ihre größenwahnsinnige lokale Fußballmannschaft unterstützen und dann noch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, ist es kein Wunder, wenn eine Firma 110 Jahre alt wird. Frau Schmitz zeigt mir tatkräftig, was Polycarbonat kann, und tritt beherzt eine tiefe Delle in einen Koffer, der kurz darauf von alleine wieder seine Form annimmt.
Zum Abschied schenkt Frau Schmitz mir keinen Koffer, sondern einen Werbeclip. Ein Globetrotter lässt sich in einer Favela seinen Koffer klauen, das Straßenkind flüchtet damit über Treppen, vor Gangs, springt über eine Mauer, wird fast von einem Dobermann gebissen, dessen Besitzer schnappt den Koffer, trägt ihn auf die Straße, erklärt jemandem den Weg, und zufällig erlangt der Ursprungsbesitzer seinen Koffer wieder – wahnsinnig unrealistisch, denn niemand raubt dem Globetrotter seine Markenjacke, die Designerhose und die Rolex. Aber was soll’s, Werbung darf lügen, das weiß jeder »Koffer« (österr.: Idiot).