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Romuald und das rollende Hotel

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Dienstagabend im ICE 120 von Frankfurt nach Köln, gerade ist es dunkel geworden. Und keiner will sich ins Abteil zu dem merkwürdigen alten Herrn setzen, der viele Jacken und Pullover um sich drapiert hat, überhaupt einen Großteil seines viel zu vielen Gepäcks um sich ausgebreitet hat. Er könnte ein Nazi sein, er könnte stinken, vielleicht quatscht er ja auch zu viel. Ich setze mich gegenüber. Er heißt Romuald, RRRomuald, spricht mit einem starken slawischen Akzent, und Romuald ist kein Nazi und kein Stinker, Romuald quatscht. Vielleicht hat die Welt ein Ende, Romualds Sätze haben keins.

Auf dem Weg von München bis hierher war er allein im Abteil und hat Sudokus gelöst. Allein ihm die Frage »Woher« zu stellen war, wie das Radio anzustellen und dabei den Einschaltknopf abzubrechen. Ein Naturereignis bricht über mich herein.

»Sie müssen doch Rotel kennen!«

Rotel?

»R-o-t-e-l. Wie Hotel, mit R. Jeder kennt Rotel, ist die größte Busreisefirma der Welt. Hinten ist ein Sarg im Bus. Falls einer stirbt unterwegs. Mit Rotel habe ich fünf Weltreisen gemacht. Ich war in Südafrika, Australien, Amerika, und in Thailand war ich mit Rotel. Jetzt komme ich aus Kenia zurück. Vierzig Grad war da, und hier fünf! Doch jo, deswegen hab ich die Jacken an, und dann schwitzt man wieder. Im Moment ist ja Kenia nur 20 Prozent Auslastung für ein Drittel des Preises, und dann Rail & Fly, dafür fährt man schon mal drei Stunden mit dem Zug zu einem anderen Flughafen, na ja, zahl ich 29 Euro, aber sonst hätt ich gezahlt 122 Euro. Manche Leute fliegen vier Tage von Nairobi an den Strand. UNO-Mitarbeiter arbeiten in Krisenstadt mit S, wie heißt die denn …? Aber die sitzen auch mit Nairobi, wo ist etwas sicher, und fahren zwei bis drei Tage in den anderen Staat mit S, Senegal …«

Ich bin unsicher, ob er Stadt oder Staat meint, und frage: »Sudan?«

»Sudan, Sudan … Ich habe gesagt, mit S! Die fahren da für zwei, drei Tage – und dann kommen sie in Hotel!«

Ich klappe meinen Laptop auf und frage Romuald, ob ich mir ein paar Notizen machen darf, weil ich seine Reisen spannend finde. Er nickt.

»Ich hab alle neuen Weltwunder abgehakt, bin die höchste Autobahn gefahren, in Angkor Wat war ich, Chichén Itzá. Bin ich acht Monate im Jahr unterwegs. Warum soll ich zu Hause Fernseh kucken? Mit 65 bekam ich meine Lebensversicherung ausgezahlt, davon kann ich die teuren Reisen machen. Jetzt im April fliege ich all-inclusive nach Hammamet/Tunesien. Ich heiß Romuald, das wissen ja die Leute nicht, aber der Romeo von Romeo und Julia, was glauben Sie, wie der richtig heißt, na?«

Ich rate wüst drauflos: Romuald?

»Ja, aber bei uns schreibt man das anders. Und ich heiß ja auch noch Jan. Romuald-Jan. Tiefbauingenieur. Mein ganzes Leben werde ich niemals jemandem raten, das zu studieren.«

Romuald-Jan hat zum Beispiel manchen Tunnel der Kölner U-Bahn gebaut. Und er reist schon recht lange.

»Aus der Gegend von Danzig bin ich, Kaschube. 81 war ich in der Solidarność, doch jo, da haben wir Pässe bekommen zum ersten Mal und sind losgereist. Jetzt war ich Kenia, das war relaxt, Safaris kenne ich schon von Namibia und Südafrika, die Affen morgens habe ich fotografiert, in Kenia haben die unglaublich große Ebbe und Flut. Dort sind dann Tintenfische, und nachher gehen und schleppen sie dann fürs Abendessen. Die Leute sind sehr arm, weiß nicht, warum, die haben alles. Ich glaube, die haben schlechte Politiker. Dort regnet auch, die haben diesen Dschungel, da ist alles. Gehen zwei Meter ins Meer, da sind Fische. Ich fahre oft nach Marokko, Tunesien. Aber Kenia werde ich öfter kommen, weil ist so fantastisch, ist schön. Wenn Wasser ist weg, sieht man Korallen, wunderschön. Doch jo.«

Romuald sagt oft »doch jo«, und er ist seiner Meinung nach der einzige Mensch, der noch nie einen James-Bond-Film gesehen hat, dafür einen Film mit Bette Midler, der ihm sehr gefallen hat, und vielleicht meint er Bette Davis. Aber was macht’s? Er war schließlich zweimal in LA.

»Wenn ein Hund in Marina del Rey auf die Straße macht, kostet 500 Dollar, das ist der größte Jachthafen der Welt, Malibu gehört ja nicht zu LA dazu. In San Diego war ich auch, 2005 hab ich die fünf Nationalparks gesehen.«

Ich weiß nicht, wieso Romuald kein Hawaiihemd trägt, aber ich bin wie gefesselt von seinen Koffern mit Aufklebern »Auch am Tag sicherer mit Licht«, »Bungee Jump« und mehrere mit Schmetterlingen. Und er nimmt am Bonusmeilenprogramm von Air Berlin und LTU teil. Oder L’tur? Man weiß es nicht, bei ihm klingt es ähnlich.

Einerseits denke ich in diesem Moment, dass man mit einem Romuald bis ans Ende der Welt fahren kann, er wird immer etwas zu erzählen haben, andererseits glühen meine Fingergelenke vom Highspeedtippen, und wir sind erst eine Viertelstunde unterwegs. Während ich beruhigt sehe, dass der Akku meines Laptops halten wird, ist Romuald-Jan schon um den halben Erdball.

»60-Tage-Reise nach Feuerland, Fahrt, Flug, Halbpension, die machen Frühstück, Abendessen. Oder man reitet in Australien die Strauße. Ich bin der Einzige, der beim Reiten vom Strauß geflogen ist. Voriges Jahr war ich das erste Mal in Warschau, die haben den Billigflug nach Danzig abgeschafft; und von Danzig 26 Stunden mit dem Bus nach Hause … Da hab ich gesagt, nie mehr. Aber im Bus gibt es Video, gibt es Fernsehen. Die dummen Polen haben – statt für die Leute Wohnungen zu bauen –, die haben Danzig restauriert. Jetzt kommen die Deutschen, die sich das als Touristen leisten können. Da kostet jetzt auch eine Nacht 100 Euro fast, die normalen, die Luxushotels kosten natürlich 300. Die Halbinsel Hela ist der schönste Strand von Europa. Wenn die Sonne scheint, das duftet! Das ist fantastisch! Sieben Kilometer FKK-Strand, noch viel größer als Las Palomas. Die ganze Camping, das sind fast alle Deutsche, die fühlen sich da zu Hause. Der frisch geräucherte Aal, der schmeckt so fantastisch, geht man Seezunge essen, das ist so viel billiger. Ich esse immer Seezunge, wenn ich in Thailand bin. Normal esse ich für 80 Cent in Thailand Garküche, Abendessen. Einmal die Woche gehe ich für 4,20 zum All-inclusive, da bin ich in drei Stunden wie ein Ballon. Aber in Kenia sind fantastische Papayas. Ich war Halbpension in dem Luxushotel, aber das war so fantastisch. Das alles war so wunderbar. Dreimal pro Woche war Barbecue auf der Terrasse, jetzt war gerade Vollmond, das war wie ein Traum.«

Kann man vom Zuhören betrunken werden? Gibt es eine Art Mitreisenden-Rausch? Will dieser herzerwärmende Egomane wissen, ob man ihm zuhört? Sein Erinnerungsvermögen ist geschüttelt und gerührt, zweimal war er in Havanna, hat da eine Puccini-Oper gesehen, er wird im Juni nach Bulgarien fliegen, denn Bulgarisch spricht er auch, nicht nur sein heimisches Kaschubisch, eine so seltene Sprache, dass ich als Slawist meine wahre Freude an jedem einzelnen Wort habe. Ach, Romuald.

»Wissen Sie, was kostet mit dem Schlafwagen von Warna nach Sofia? 14 Euro. Das sind 450 Kilometer. Man schläft und ist morgens um sechs da, das hat Berge mit 3000 Meter hoch, da fahren Sie mit Seilbahn, und dann gehen Sie auf den Gipfel. Bei Borowez, im Winter das ist berühmteste Skiort, das ist sehr günstig und sehr schön. Ich weiß nicht, was die Leute erwarten, ich brauche nur Obst, und die Bulgaren haben diese ›kiselo mleko‹, saure Milch. Mehr brauche ich nicht.«

Und dann kommt unser Zug an, und mein Reisebegleiter muss noch umsteigen Richtung nach Hause, und das ist Aachen.

»Aber«, fragt er, »aber wissen Sie, was in dem Rucksack ist? Den lasse ich nie aus dem Auge, das ist 3000 Euro wert. Das ist Gerät für Apnoe, kennen Sie das, weil kriege ich keine Luft beim Schlafen. Ärzte sagen, na ja, paar Jahre, vielleicht eins oder zwei. Aber solange ich noch kann … Helfen Sie mir beim Umsteigen?«

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