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DDDDR: Durften Die Da Drüben Reisen?
ОглавлениеDie zwei Schlagworte, wieso die DDR »weg«sollte (aber wohin?), waren Meinungsfreiheit und Reisefreiheit. Dabei hatten die Menschen sehr wohl eine Meinung, und sie sind auch sehr wohl gereist.
Für junge Menschen gab es unter anderem den Reiseveranstalter »Jugendtourist«. Aber was mich mehr interessierte, war die Möglichkeit, eine Reise zu buchen. Und tatsächlich gab es in der DDR ein Reisebüro. Mit Betonung auf ein Reisebüro.
Viele eingewanderte Westdeutsche tragen allmorgendlich ihren Kaffeebecher daran vorbei in die S-Bahn, ohne es zu ahnen. Es lag am Alexanderplatz, offizielle Adresse Alexanderstraße 7, 1000 Berlin.
Natürlich gab es eine Form des privaten, »wilden« Verreisens, indem man zum Beispiel einfach mit dem Zug nach Ungarn oder Bulgarien fuhr und dort wild campte oder die Kurzzeitregel an der Ostsee für Spontancamper bis zu drei Tagen nutzte. Das war nicht wirklich unsozialistisch und war erlaubt. Es war auch keineswegs verboten, nach Kuba oder Vietnam zu reisen, nur eben richtig teuer. Noch kurz vor dem Zusammenbruch vermittelte dieses Reisebüro nach amtlichen Zahlen im Jahre 1988 vor allem Reisen nach:
Rumänien (20 000)
Bulgarien (60 000)
Ungarn (100 000)
UdSSR (200 000)
ČSSR (600 000)
Wenn jemand weiß, wie das Reisen in der DDR funktioniert hat, dann Frau Dr. Kohlmetz, heute bei der Zeitung »Neues Deutschland« verantwortlich für Leserreisen. Das ND schickt seine Leser heute noch bevorzugt nach: Gursuf, Darłówko, Kołobrzeg und Dźwirzyno – Orte, die für Westdeutsche wie Straflager klingen.
»Ich habe damals als Redakteurin im Schulbuchverlag Volk und Wissen gearbeitet. Da bin ich natürlich privat mit Familie in der Regel jedes Jahr in Sommerurlaub und auch eine Woche in den Winterurlaub gefahren. Man hatte in der Regel 20 bis 22 Tage Jahresurlaub, als werktätige Frau pro Monat außerdem einen bezahlten Haushaltstag.«
Die Organisationswege waren verschieden. Ein großer Teil der Bevölkerung reiste über die FDGB-Angebote, ein Teil über betriebliche Angebote.
Wie viele andere Verlage hatte Volk und Wissen Partnerverlage in den sozialistischen Ländern. Diese wiederum hatten über ihre Gewerkschaft oder in Eigeninitiative Ferienobjekte – ganz unterschiedliche Kategorien an Häusern oder Anlagen –, die man dann über bestimmte Termine austauschte.
»Meine Mutti war Lehrerin und zeltete jahrelang an der Ostsee in von der Lehrergewerkschaft über die Sommersaison aufgestellten Zelten. Wenn man damals an Seen oder Stränden entlangfuhr, konnte man vielfach Bungalowsiedlungen oder Häuser mit Pensions-/Hotelcharakter oder Ähnliches sehen mit einem Schild dran: ›Betriebsgelände des VEB …‹.«
Bestimmte Auslandsreisekontingente wie Jugoslawien, Schweden, Kuba und Schiffsreisen wurden außer an das Reisebüro auch über die Gewerkschaft an die Betriebe gegeben, zu relativ günstigen Preisen. Diese Reisen hatten dann den Charakter einer staatlichen Auszeichnung oder Prämie und wurden in den Betrieben über die Gewerkschaft – ausdrücklich nicht über die Partei! – an Kollegen vergeben.
»Ich selbst habe nie eine solche Reise erhalten, aber ehrenamtlich in der BGL an den Diskussionen zur Vergabe teilgenommen. Ich will noch was zu den Eliten sagen. Eine Ankleidefrau aus dem Theater zählt für mich nicht unbedingt zu den Eliten, war aber in der Reisegruppe in die Sowjetunion, in der mein Mann und ich über das Reisebüro gebucht waren, ebenso vertreten wie ein junger Ingenieur mit seiner Studentenfreundin. Aber es waren auch der Professor von der Humboldt-Universität und die Hausdame des damaligen Interhotels dabei, also eine ›gemischte Raubtiergruppe‹, wie man sagen würde.«
Laut einer Forsa-Studie von 2008 wünscht sich rund ein Zehntel aller Berliner die Mauer zurück. Laut derselben Studie wollen das neun Zehntel lieber nicht. Wenn man es allen recht machen will, kann man ja zehn Prozent der Mauer wieder aufbauen …