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4. Plotins Lehre vom Schönen 4.1 Die Abhandlung Über das Schöne

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Das Schöne und das Gute sind für Plotin ausgezeichnete Formen dieser ursprünglichen Einheit. Anhand beider Phänomene will Plotin vor allem seinen Grundgedanken erläutern. Doch verhilft Plotins Theorie auch zu einem besseren Verständnis des Guten und des Schönen? Und was trägt Plotins Denken für die Fragestellungen einer philosophischen Ästhetik im modernen Sinne bei? Dieser Frage wenden wir uns im Folgenden zu.

In seiner kurzen Abhandlung Über das Schöne beginnt Plotin mit einer Aufzählung all dessen, was man gemeinhin schön nennt. Das Schöne finden wir auf dem Gebiet des Gesichtssinns und des Gehörsinns. Aber ebenso sehr kennen wir schöne Handlungen, Sitten, Lebenshaltungen und schöne Wissenschaften. Vor allem werden die Tugenden in einem ausgezeichneten Sinne als schön bezeichnet. (Ob es Schönheiten noch höherer Ordnung gibt, lässt Plotin hier offen.) Wodurch nun – und hier folgt die platonisch-sokratische Standardfrage – sind diese verschiedenen Dinge schön? Und weiter: Kommt ihnen die Schönheit wesentlich oder nur akzidentell zu? Denn nicht alles, was am Schönen teilhat, ist auch notwendigerweise schön. Die areté, die sittliche Tugend etwa, so erläutert Plotin, sei wesenhaft schön, die Körper dagegen nur per accidens, denn einige Körper sind schön, andere dagegen hässlich. Wodurch jedoch kommt den Körpern Schönheit zu? Dies ist die erste Frage, die Plotin beantworten will.

Er beginnt seine Untersuchung mit der Diskussion einer sehr einflussreichen und weitverbreiteten Auffassung vom Schönen, der wir bei Augustinus wiederbegegnen werden. Wir können sie, bei Plotin anknüpfend, die Symmetrialehre vom Schönen nennen. Symmetrie hat hier nicht die moderne Bedeutung von Spiegelungsentsprechung, sondern meint die in Zahlen ausdrückbare Proportionalität, die richtigen Maßverhältnisse.

„Ziemlich allgemein wird behauptet, dass ein Wohlverhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen, und zusätzlich das Moment der schönen Färbung, die sichtbare Schönheit ausmacht; schön sein bedeute, für die sichtbaren Dinge und überhaupt für alles andere, symmetrisch sein, Maß in sich haben. Für die Verfechter dieser Lehre kann es also kein einfaches, sondern notwendig nur ein zusammengesetztes Schönes geben; das Ganze ferner kann schön sein, seine einzelnen Teile können von sich aus nicht schön sein, sondern nur sofern sie zur Schönheit des Ganzen beitragen. Aber wenn denn das Ganze schön ist, müssen es auch die Teile sein; denn ein Schönes kann doch nicht aus hässlichen Bestandteilen bestehen, sondern die Schönheit muss alle Teile durchsetzen. Die schönen Farben ferner, wie das Licht der Sonne, da sie einfach sind und ihre Schönheit also nicht auf Symmetrie beruhen kann, bleiben für sie vom Schönsein ausgeschlossen. Und das Gold, wie kann es dann noch schön sein und das Funkeln der Nacht. Da nun ferner das nämliche Antlitz, ohne dass sich die Symmetrie seiner Teile ändert, bald schön erscheint, bald nicht, so muss man zweifellos das Schöne als etwas ansehen, das erst zu dem Symmetrischen hinzukommt, und das Symmetrische muss seine Schönheit erst durch ein anderes erhalten.“74

Und, so fährt Plotin fort, was soll symmetria bei schönen Beschäftigungen, Gesetzen und Wissenschaften, bei der Seele, bei der areté eigentlich besagen? Hat die Seele und haben ihre ‚Teile‘ eine messbare Quantität? Und wo soll der Maßstab herkommen, der angibt, welches Verhältnis das richtige ist? Es ist deutlich, dass Plotin diese traditionsreiche und bis heute einflussreiche Theorie, die das Wesen des Schönen in bestimmten zahlenmäßig zu fixierenden Verhältnissen erblickt, für unzureichend hält. Was die Seele und die areté betrifft, werden wir wohl keine allzu große Mühe haben, uns dem Verdikt Plotins anzuschließen.75 Die Forderung, die Tugend in Zahlbegriffen zu beschreiben, erscheint uns genauso ungereimt wie der Versuch, den Zahlen Farben zuzusprechen. Mathematische Präzision können wir auf dem Gebiet des Handelns und des Ethos wohl kaum erwarten.

Doch wie steht es mit Plotins Einwänden gegen die Zahlentheorie – nennen wir sie ruhig die ‚pythagoreische‘ – auf dem Gebiet des Schönen im engeren Sinne des Wortes? Plotin führt gegen diese Auffassung Verschiedenes ins Feld. Wenig Probleme bietet sein Verweis auf die Schönheit des Einfachen, auf die Schönheit des Nichtzusammengesetzten, wie die Schönheit des Lichts, einer Farbe, eines Tons, aber auch des funkelnden Sternenhimmels.76 Die ‚pythagoreische‘ Auffassung, dass Schönheit in einem zahlenmäßig bestimmbaren Verhältnis von Teilen besteht, trifft auf diese Fälle offenbar nicht zu. Wie steht es jedoch mit anderen, komplexeren Erscheinungsformen des Schönen?

Plotin bringt gegen die ‚Pythagoreer‘ vor, sie müssten annehmen, dass das Schöne aus Bestandteilen zusammengesetzt sei, die selbst nicht schön seien. Schönes aber – so der entscheidende Punkt – könne nicht aus Nicht-Schönem entspringen und daher müsse die zahlenmäßige Auffassung vom Schönen verworfen werden. Dieses Argument setzt zweierlei voraus: Zum einen, dass allem Zusammengesetzten einfache Bestandteile zugrunde liegen, die aber selbst nicht als schön gelten können, da Schönheit der pythagoreischen Voraussetzung zufolge nur dem Zusammengesetzten zukomme. Zum andern wird angenommen, dass Schönes nicht aus Nicht-Schönem entspringen könne. Warum jedoch, wird man fragen, sollte die Schönheit eines Kunstwerks nicht aus der Kombination von Elementen hervorgehen, die, für sich genommen, nichtssagend, wenn nicht gar hässlich sind? Was also ist der Sinn von Plotins Einwand?

Plotin will offenbar darauf hinaus, dass das schöne Ding nicht angemessen als Kompositum begriffen werden kann, d.h. als Kombination von voneinander unabhängigen Elementen. Das Schöne ist vielmehr ein integrales Phänomen, bei dem die Teile nur ‚unselbstständige Momente‘ sind, um einen hegelschen Ausdruck zu gebrauchen, der hier sehr am Platze ist. Denn Momente haben ihre Bedeutung, ihr Sein und Sosein nur im Zusammenhang des Ganzen. Plotin hat bei seinen Bemerkungen zum Wesen des Schönen in erster Linie nicht Kunstwerke im Blick, sondern Organismen, lebende Wesen, schöne Körper. Die Glieder, die ‚Teile‘ eines lebenden Körpers sind ein klassisches Beispiel für solche unselbstständigen ‚Momente‘. Denn jedes ‚Teil‘ ist das, was es ist, nur im Zusammenhang des Ganzen, dem es sein Bestehen zu verdanken hat. Denn um existieren und tätig sein zu können, ist es auf die Aktivität der anderen Glieder und Organe angewiesen. Wendet man gegen Plotin ein, ein schönes Ganzes könne auch aus unschönen, gar hässlichen Teilen zusammengefügt werden, dann wäre dies in seinen Augen so, als wollte man ein lebendiges Ganzes als Kompositum von toten, dem lebendigen Zusammenhang entfremdeten Teilen begreifen.

Plotins Einsicht, die primär am Phänomen des Lebendigen gewonnen wurde, trifft jedoch auch auf Kunstwerke zu. Der ‚Baustein‘ einer künstlerischen Komposition, der für sich genommen nichtssagend oder gar hässlich ist, kann schön oder ausdrucksvoll erscheinen, wenn er in den Zusammenhang des Ganzen versetzt wird. Dies bedeutet aber gerade nicht, dass das Schöne aus unschönen Teilen zusammengesetzt ist. Vielmehr erfährt das unschöne Element im Zusammenhang des Ganzen eine Veränderung seines Wesens und seiner Physiognomie. Was es nun ist, ist es nur in diesem Kontext.

Bei einer rein quantitativen Auffassung jedoch, wie sie der Gegenstand von Plotins Angriffen ist, sind die verschiedenen ‚Teile‘ einander fremd, äußerlich und ‚gleichgültig‘ gegeneinander. Denn eine Zahl, bzw. eine Anzahl fordert nicht als solche, durch eine andere Zahl ergänzt zu werden. Solange die zahlenmäßige Auffassung nicht durch eine fundamentalere ergänzt wird, ist die Einheit, die dem Schönen zukommt, eigentlich nicht begriffen. Die Frage, in welchem bestimmten Verhältnis die Teile jeweils zueinanderstehen müssen, lässt sich ja klarerweise erst dann beantworten, wenn wir den Bauplan des Ganzen kennen, die Idee, das eidos, oder um es anders auszudrücken, die Bestimmung der Sache, ihren Zweck.

„Die Idee tritt also hinzu; das, was durch Zusammensetzung aus vielen Teilen zu einer Einheit werden soll, das ordnet sie zusammen, bringt es in ein einheitliches Gefüge und macht es mit sich eins und übereinstimmend, da ja sie selbst einheitlich ist und das Gestaltete, soweit es ihm, das aus Vielem besteht, möglich ist, auch einheitlich sein soll.“ (op. cit., I, 12)

So verstehen wir nun besser, warum Plotin behaupten kann, dass die Teile eines schönen Ganzen selbst schön sein müssen. Er hat hierbei die vorgängige Bezogenheit der Teile auf das Ganze im Auge, die in einer rein quantitativen Ansicht der Dinge außer Betracht bleibt. Ist das Ganze schön, dann müssen die ‚Teile‘ auf diese Schönheit, auf das Ganze zugeschnitten sein. So ist etwa nur der Körper gesund, dessen Glieder ihre Funktion erfüllen, d.h. selbst gesund und wohlgeformt sind. Dasselbe gilt auch für die gute, die schön gebildete Seele: Nur die Seele ist wahrhaft ‚schön‘, bei der die verschiedenen ‚Teile‘ (Einsicht, Verlangen, Willensenergie) der Seele nicht miteinander in Konflikt sind, sondern durch einen Geist, eine Gesinnung beseelt sind, wo also Einsicht, Neigung und die Impulse des Handelnden miteinander übereinstimmen. Vor allem in dieser Hinsicht sind Gutheit, Schönheit und Gesundheit also ausgezeichnete Beispiele für das Wesen des Einen, für die beseelende Kraft des Einfachen, das das Viele durchherrscht und es beieinander hält.

Dies ist der Kern von Plotins Darlegungen, die allerdings von nüchterner Sachlichkeit weit entfernt, vielmehr durch einen emphatischen und nostalgischen Ton ausgezeichnet sind. Mit Nachdruck hebt Plotin die emotionalen Seiten der Erfahrung des Schönen hervor, dem wir nicht, wie Kant es nannte, mit ‚interesselosem, kaltsinnigem, Wohlgefallen‘ gegenüberstehen, sondern das uns zutiefst bewegt, ergreift und erschüttert – als Manifestation unseres ursprünglichen Seins.

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