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4.2 Das Antlitz

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Wichtig sind in diesem Zusammenhang Plotins zahlreiche Verweise auf die reine und immaterielle Schönheit des Lichts. Denn das Licht ist – wir hörten es bereits – eine Gegebenheit, in der sich Einheit auf exemplarische Weise verwirklicht. Wichtiger als das physische Licht jedoch, das als Metapher für das Eine gelten kann, ist bei Plotin das Licht, das vom menschlichen Antlitz, ausgeht, das Licht der Seele und des Geistes.77 Der Ausdruck von Lebendigkeit und Geistesgegenwart, und wohl auch die Strahlkraft des Auges, sind offenbar wesentliche Elemente dessen, was Plotin unter Schönheit im engeren Sinne versteht. Nicht die Regelmäßigkeit als solche macht bereits die Schönheit eines Menschen (oder seines Abbildes) aus, sondern – so kann man Plotins Gedanke wohl weiterführen – dasjenige, was uns als Charisma, als Charme, als lebendiger Zauber einer Person, eines vernunftbegabten Wesens, anspricht und was nicht in Zahlbestimmungen gefasst werden kann. So heißt es bei Plotin:

„Weshalb denn auch hier auf Erden man die Schönheit nicht so sehr in der Symmetrie zu erblicken hat als in dem Glanze, der über der Symmetrie strahlt und der den eigentlichen Reiz des Schönen ausmacht. Denn warum leuchtet der Glanz des Schönen heller auf einem lebenden Antlitz, auf dem eines Verstorbenen dagegen nur noch als ein schwacher Schimmer, und zwar ehe noch das Fleisch des Gesichts und sein symmetrisches Gefüge verfallen ist? Und warum sind die Bildwerke, die lebendiger sind, schöner als die anderen, auch wenn diese symmetrischer sind? Und warum ist ein weniger schöner Mensch, der lebt, schöner als ein schöner, der im Bilde dargestellt wird? Nun, weil der konkret Vorhandene eher Gegenstand des Trachtens ist. Das aber ist er, weil er Seele hat; und dies, weil er in höherem Maße gutgestaltig ist, und dies wieder, weil er gewissermaßen vom Licht des Guten überstrahlt ist und durch diese Strahlen wachgeworden ist und sich emporgeschwungen hat und mit emporhebt, was in ihm ist, und dieses nach seinen Kräften ebenfalls gutmacht und aufweckt.“ (Plotin, Enn., VI, 722)

Das Urphänomen des Schönen ist also für Plotin das Lebendige, sowohl im physischen als auch im geistigen Sinne, und nicht etwa, wie später bei Hegel und Schelling, vor allem das Werk der schönen Kunst. Schön ist der lebendige Mensch, der seelenvolle Ausdruck und die Manifestation von Geistigkeit, die für Plotin letztlich mit dem Ausdruck des Guten zusammenfallen.

Eine verwandte Anschauung, die allerdings mit dem Blick auf Kunstwerke formuliert wurde, finden wir in den Imagines eines gewissen Philostratos aus der ersten Hälfte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts, Beschreibungen von Gemälden, bei denen allerdings nicht auszumachen ist, ob es sich hierbei um wirkliche oder lediglich fiktive Werke handelt. Dem Auge, dem Gesichtsausdruck der dargestellten Personen gilt die besondere Aufmerksamkeit des Autors und sie werden mit einem scharfen Blick für alle Nuancen des Seelenlebens beschrieben.78

„Die Augen aber […] wollen wir nicht nach ihrer Größe und Schwärze beurteilen, sondern nach der Macht des Geistes, der aus ihnen leuchtet, und bei Zeus, nach der Vielfalt der inneren Vorzüge, die sie in sich aufnahmen, jetzt zwar in erbarmungswürdigem Zustand, doch ihres Glanzes nicht beraubt und voll des Mutes, eines Mutes aber mehr der Überlegung denn der Verwegenheit, dazu des Todes gewärtig, aber noch nicht scheidend. Sehnsucht, die Gefährtin der Liebe, ist über ihre Augen gegossen, so dass sie ganz fühlbar von ihnen ausströmt.“79

Zwar geht es hier um die Beschreibung eines Kunstwerks und nicht um die eines wirklichen Menschen – eines Kunstwerk jedoch, das die Züge von Leben und Beseeltheit aufweist, die für Plotin so wichtig waren. Manche Ideenhistoriker haben Plotins Vorbehalte bezüglich der symmetria-Lehre als Manifestation oder als Vorbereitung eines neuen unklassischen ästhetischen Ideals aufgefasst: Plotin habe sich von der klassischen Idee der Proportionalität, wie sie etwa im Kanon des Polyklet zum Ausdruck kam, entfernt. Er habe die Idee der organischen Einheit in der Menschendarstellung zugunsten einer starken Betonung des Auges verworfen. Und dies entspreche den Entwicklungen in der spätrömischen Kunst, die den klassischen Naturalismus zugunsten einer Tendenz auf starre Stilisierung und Abstraktion preisgibt.80 In der Tat scheint der starke Nachdruck, der dem weit geöffneten Auge gilt, wie er in der Kunst aus der Zeit Konstantins und der späteren byzantinischen Kunst wahrzunehmen ist, mit bestimmten Akzenten in Plotins Denken übereinzustimmen. Es sind Augen, die ganz und gar im Schauen aufzugehen und die nicht mehr auf weltliche Dinge gerichtet zu sein scheinen. Bei näherer Betrachtung jedoch erweist sich diese kunsthistorische Deutung Plotins als weniger überzeugend als sie zunächst erscheinen kann. Obschon die spätere christliche Theorie der Kunst und des Schönen sich in mancher Hinsicht dem Platonismus verbunden fühlen konnte, hat Plotins Lehre wohl nichts mit den postklassischen Tendenzen der Spätantike zu tun, die in der Kunst des Mittelalters wirksam bleiben sollten. Denn Leben und Lebendigkeit sind für ihn die vorzüglichen Merkmale des Schönen, ein Ideal, dem die spätrömische Tendenz nach Stilisierung und hieratischer Starrheit gerade nicht entspricht. In der Tat scheinen diese Entwicklungen noch außerhalb von Plotins Gesichtsfeld zu liegen, das durch das klassische griechische Denken bestimmt ist. Zudem hat Plotin, was oft übersehen wird, die symmetria, die Proportionalität nicht als solche verworfen. Er hat allerdings in ihr auch nicht die hinreichende Bedingung des Schönen gesehen. Denn nochmals: Fundamentaler als die symmetria ist die Idee, die Zweckbestimmung und der hierdurch bedingte Bauplan eines Seienden, die Seele des Ganzen, durch die allererst ein Maß für die Maßverhältnisse gegeben ist.

Die spätantike Porträtkunst, wie sie uns vor allem in den Mumienporträts (etwa aus Fayum) aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert überliefert ist, scheint – will man hier überhaupt Analogien aus dem Reich der bildenden Kunst herbeiziehen – besser als die stark stilisierten Werke der spätrömischen Zeit geeignet, um die von Plotin gemeinte Lebendigkeit zu verdeutlichen, womit keineswegs behauptet sei, er habe dergleichen Werke im Blicke gehabt. Was den heutigen Betrachter bei diesen Bildnissen überrascht, ist vor allem die ungewöhnliche Direktheit und das Lebensvolle der Auffassung, die wir als geradezu ‚modern‘ erfahren. Diese Porträts hatten die Aufgabe, das Bild des Gestorbenen als lebend festzuhalten, sowohl zur Erinnerung für die Nachwelt, als auch als Statthalter auf seiner Jenseitsreise.81 Sie können uns deutlich machen, wie tief die christliche Vorstellung eines ewigen Lebens und einer Auferstehung des Leibes bereits im Lebensgefühl des Altertums wurzelt. (Abb. 1)


Abbildung 1: Mumienporträt einer jungen Frau, Berlin Antikensammlung

Soweit die Theorie des Schönen, wie sie sich den plotinischen Schriften entnehmen lässt. Den Spuren ihrer Wirkung werden wir bis ins 19. Jahrhundert immer wieder begegnen. Noch Hegels Begriff der ,Idealität‘, in der die Materialität und Äußerlichkeit, wenn nicht gar zum Schein, so doch zur Erscheinung einer inneren geistigen Einheit herabgesetzt werden, ist ohne Plotin nicht denkbar.

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