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Elisabeth saß am kleinen Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer und verfasste einen Brief an ihre Schwester Helene. Auf dem roten Sofa lag Houseguard ausgestreckt. Der Wolfshund gab leise schnarchende Laute von sich. Hinter Elisabeth flog die Tür auf. Sie drehte sich um und wollte gegen die Störung protestieren, als sie sah, dass es Rudolf war, der hereinstürmte. Sein Gesicht glänzte feucht, sein Haar klebte an der Stirn. Das Hemd hing aus der Kniehose und ein Strumpf war bis zum Schuh hinuntergerutscht.

Hinter Rudolf folgte seine große Schwester Gisela. Die Schleifen in ihrem dunkelblonden Haar waren aufgegangen, die Enden hingen lose herab.

Houseguard hob den Kopf und knurrte.

»Still«, befahl ihm Elisabeth. »Du kennst die zwei doch.«

Der Wolfshund klopfte nun zur Begrüßung mit dem Schwanz auf den seidenen Bezug des Sofas.

»Mama!« Rudolf schluchzte auf, lief zu ihr und verbarg seinen Kopf in ihrem Schoß. Elisabeth hob die Hände und legte sie nach kurzem Zögern tröstend auf den Jungen.

Gisela blickte sie mit großen Augen an. Ihre Unterlippe zitterte.

»Ist etwas geschehen?«, wollte Elisabeth wissen.

Als Antwort huschte Gisela neben sie und umklammerte ihren Oberarm.

Mit einer Hand strich die Kaiserin Rudolf über den Kopf, die andere musste sie verdrehen, um Giselas Gesicht zu ertasten. Sie fühlte etwas Feuchtes auf ihren Wangen. Gisela weinte.

Elisabeth hörte ein kurzes Räuspern. Sie sah Latour mit seiner betont aufrechten Haltung eintreten. Hinter sich schloss er die Türe. Sein Haar war dicht und gescheitelt, ein buschiger, sorgsam gepflegter Schnauzbart verdeckte den Großteil seiner Oberlippe.

»Latour?« Die Kaiserin deutete mit den Augen auf die verstörten Kinder.

Elisabeth hörte, wie Rudolf etwas murmelte.

»Was hast du gesagt?«

Rudolf richtete sich auf. »Er kommt doch morgen wieder? Morgen ist er wieder da, oder?«

Gisela schluchzte.

Elisabeth war ratlos über den Gefühlsausbruch der Geschwister. Josef Latour schien nach Worten zu ringen.

Houseguard verließ das Sofa. Helle Haare blieben auf dem Stoff zurück. Der Wolfshund gähnte und schüttelte sich, worauf sich noch mehr Haare aus dem Fell lösten und durch die Luft schwebten.

Die Kaiserin wollte nach der kleinen Glocke greifen, die auf dem Schreibtisch stand, die Umklammerung der Kinder hinderte sie aber daran. Latour kam zu Hilfe und reichte Elisabeth die Glocke. Es dauerte nur einige Sekunden, bis ein Diener eintrat.

»Majestät?«

»Limonade für die Kinder und…?« Sie blickte Latour fragend an.

»Limonade auch für mich, bitte.«

Der Diener verneigte sich und verschwand so schnell und lautlos, wie er gekommen war.

»Rudolf, Gisela, ihr erdrückt mich«, sagte Elisabeth und versuchte, sich behutsam zu befreien. Doch Rudolf krallte sich nur noch fester in den gekreppten Stoff des Rockes.

Josef Latour fasste den Kronprinzen sachte an den Schultern. »Kaiserliche Hoheiten, setzt Euch mit mir. Wir trinken Limonade und beruhigen uns.«

Die Kinder gehorchten. Er nahm sie mit zum Sofa, auf dem Houseguard gelegen hatte. Als Elisabeth den Mund öffnete, um sich nach dem Grund für die Aufregung zu erkundigen, platzte Gisela schon damit heraus.

»Er ist tot.«

»Wer ist tot?«, fragte Elisabeth erschrocken.

Rudolf und Gisela schluchzten wieder leise.

Latour wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Majestät, auf unserem heutigen Ausflug zu Studienzwecken waren die kaiserlichen Hoheiten unglücklicherweise Augenzeugen eines bedauerlichen Unfalls.«

»Wie fürchterlich.« Elisabeth wollte fragen, wer ums Leben gekommen war, aber es erschien ihr besser, damit zu warten, bis sie mit Latour allein war.

»Als wir ins Schloss zurückkamen, wollten die Hoheiten sofort zu Ihnen und ich konnte ihnen diese Bitte nicht verwehren.«

»Natürlich nicht.« Die Kaiserin sah ihre Kinder mitfühlend an. »Meine armen Lieblinge.«

Rudolf und Gisela waren bleich und wirkten müde.

Latour erhob sich. »Wenn ich vorschlagen dürfte, die Hoheiten gleich in ihre Zimmer zu bringen. Ruhe wäre fürs Erste das Beste.«

Elisabeth nickte zustimmend. Sie winkte die Kinder zu sich, breitete die Arme aus und drückte die beiden zum Abschied kurz und zart. Danach verließen sie mit Latour den Raum.

Elisabeth blickte eine Weile auf die geschlossene Tür und drehte sich dann wieder zum Schreibtisch. Dort lag der angefangene Brief. Sie hatte gehofft, die Zeilen an ihre Schwester Helene würden ihr helfen, mit der Schwermut des heutigen Tages besser zurecht zu kommen. Neun Jahre, dachte Elisabeth. Neun Jahre ist es nun schon her. Und die Trauer wird nicht leichter.

Es klopfte und der Diener brachte auf einem Tablett drei Gläser Limonade. Nachdem er gegangen war, zerriss sie den Brief und ließ die Stücke auf dem Tisch liegen. Was sie nun brauchte, war Bewegung und frische Luft. Gerne hätte Elisabeth mit Ida über alles gesprochen, aber ihre Vertraute würde erst später am Nachmittag ins Schloss zurückkehren. Sie war noch unterwegs, um schöne Leichen zu besorgen.

Elisabeth wollte ihr Appartement nicht durch das Gardezimmer verlassen. Schon oft hatte sich ihre Idee als nützlich erwiesen, eine Wendeltreppe einbauen zu lassen, die das Schreibzimmer mit ihrem Gartenappartement im Erdgeschoss verband. Unbemerkt konnte sie auf diesem Weg das Schloss verlassen.

»Komm, Houseguard«, sagte Elisabeth und klatschte in die Hände. Mit einer Hand hielt sie die Schleppe des Kleides hoch, die andere lag auf dem Geländer. Die Mode der weiten Röcke machte das Treppensteigen nicht gerade einfach. »Wir machen einen Spaziergang!«, rief sie dem Wolfshund zu.

Latour würde sie finden, wenn er sich um die Kinder gekümmert hatte, um ihr von den Ereignissen zu berichten. Hier aber wollte sie nicht bleiben.

Houseguard zögerte. Elisabeth wusste, dass ihm die offenen Stufen unheimlich waren. Die Aussicht auf den Spaziergang war aber verlockend. Einen Augenblick später hörte sie seine Krallen auf dem Metall der Treppe kratzen.

Sisis schöne Leichen

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