Читать книгу Sisis schöne Leichen - Thomas Brezina - Страница 21

13

Оглавление

Das Wirtshaus war um diese Zeit leer. Das Hinterzimmer erwies sich als viel zu klein für die vielen Leute. Deshalb bot die quirlige Wirtin an, dass die Trauergäste sich an alle Tische setzen konnten. Zu Alexander und seiner Mutter sagte sie warnend: »Die Rechnung wird geschmalzen, das will ich Ihnen nur schon sagen.«

Der Onkel hatte die Warnung mitbekommen und beruhigte den Neffen und die Schwägerin damit, dass er für die Kosten aufkommen würde. Das sei er seinem Bruder schuldig.

Hunger hatte Alexander keinen. Er trank nur ein Bier. Stumm starrte er in den Bierkrug vor sich auf dem Tisch. In letzter Zeit schien das Unglück an ihm zu haften.

Der Stuhl neben ihm wurde gerückt. Alexander sah auf. Professor Lobmüller setzte sich zu ihm. Als Kind hatte ihm die Erscheinung des Professors Angst eingejagt. Professor Kilian Lobmüller war der Vorgesetzte seines Vaters gewesen und der oberste Direktor der Hofbibliothek. Seine Haare und der lange Vollbart waren schlohweiß. Seine Haut hatte etwas von dem Papier, mit dem er sich täglich umgab. Alexander kannte den Professor nur mit Vatermörderkragen und einer gekreuzten schwarzen Krawatte.

»Xandi!« Der Professor nickte ihm zu. Er war der Einzige, der ihn noch mit dem Spitznamen aus seiner Kindheit ansprechen durfte.

Alexander kam zu Bewusstsein, dass der Professor mindestens siebzig Jahre alt sein musste.

»Professor Lobmüller.«

»Komm zu mir in die Bibliothek. Lass uns sprechen.«

»Wenn es meine Arbeit für die kaiserlichen Hoheiten zulässt, sehr gerne. Aber ich werde vielleicht in nächster Zeit auch die Stunden meines Vaters übernehmen müssen. Oberst Latour hat sowas schon angedeutet.«

»Lass ihn von mir grüßen. Er soll dir einen Nachmittag frei geben. Dein Vater war ein besonderer Mensch und du sollst nicht denken, ab nun allein im Leben zu stehen.«

»Danke.« Mehr brachte Alexander nicht heraus.

Der Professor sah Alexander unter den buschigen weißen Augenbrauen gütig an. »Du kannst mich jederzeit in der Hofbibliothek aufsuchen, wenn du mit mir sprechen möchtest.«

Alexander bedankte sich mit einem Nicken. Ihm fiel ein, wie sein Vater ihn als Kind in den Ferien manchmal in die Hofbibliothek mitgenommen hatte. Er durfte an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer sitzen und bekam Bücher über Tiere und Pflanzen vorgelegt. Stundenlang blätterte er darin und bestaunte die Abbildungen. Bei der Erinnerung lächelte Alexander. »Ich komme sicher vorbei«, versprach er.

»Gut, Xandi. Gut.« Professor Lobmüller zögerte, bevor er die nächste Frage stellte. »Hat dein Vater im Kreis der Familie vielleicht etwas Ungewöhnliches erwähnt oder erzählt?«

»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«

»Es ist mehr ein Gefühl als eine Gewissheit. In letzter Zeit war er viel außer Haus unterwegs, hat aber niemandem die Gründe dafür genannt. Ich wollte mit ihm darüber reden, doch dann…«

Er brach ab und rieb seine Fingerspitzen aneinander. »Leider kam es nicht mehr dazu. Ich mache mir Vorwürfe, er könnte Sorgen oder sogar Probleme gehabt haben, die mir nicht bewusst waren. Sind dir oder deiner Mutter Veränderungen an ihm aufgefallen?«

»Er hat keinen Alkohol mehr getrunken«, fiel Alexander ein. »Seit ein paar Wochen. Sonst trank er am Abend nach dem Essen immer ein Glas seines Kräuterlikörs. Er hat den Likör jedes Jahr selbst angesetzt.«

»Und wieso die plötzliche Abstinenz?« wollte Lobmüller wissen.

»Er ist vor nicht zu langer Zeit einmal sehr betrunken nach Hause gekommen. Am nächsten Tag war er sehr unruhig und hat besorgt gewirkt. Meiner Mutter hat er versichert, nie wieder Alkohol anrühren zu wollen.«

Alexander klopfte mit dem Finger auf die Tischplatte. »Weil die Zunge zu locker sitzt, wenn man zu viel trinkt, hat er gesagt. Ich erinnere mich genau. Er hat mich gewarnt, vom Wein und auch von Schnaps fernzubleiben, weil im Suff so mancher Streit beginnt und Worte gesagt werden, die besser nie ausgesprochen worden wären.«

»Der gute Alfred.« Professor Lobmüller rieb weiter seine Fingerspitzen aneinander. »Er war ein recht verschwiegener Mann. Am glücklichsten war er in seinem Zimmer in der Hofbibliothek, wie mir erschien, in den Archiven und auf der Leiter im Prunksaal, um die ältesten Ausgaben aus den höchsten Regalen zu holen.«

Alexander und er schwelgten noch einige Zeit in weiteren Erinnerungen.

Schließlich klopfte ihm der Professor beim Aufstehen auf die Schulter. »Du kannst immer zu mir kommen. Mit allen Sorgen und Nöten. Vergiss das nie, Xandi.«

»Danke. Ich weiß das sehr zu schätzen. Besonders in dieser Zeit…«

Lobmüller setzte sich wieder und blickte Alexander besorgt an. »Was willst du damit andeuten?«

Scham und Enttäuschung gaben Alexander das Gefühl, noch kleiner und dünner zu werden, als er ohnehin schon war. »Ich hätte das nicht sagen sollen«, meinte er ausweichend.

»Da du es aber nun gesagt hast, will ich gerne wissen, was dich so bedrückt?«

Ihm blieb kein Ausweg. Alexander erzählte, dass er sich um eine Stelle am Institut für Biologie der Universität beworben hatte, aber nicht genommen worden war.

Außerdem hatte er der Schwester einer seiner wenigen Freunde einen Brief geschrieben und ihr seine Zuneigung gestanden. Durch Zufall hatte er bei seinem nächsten Besuch ein Gespräch mitbekommen, das sie mit einer Freundin führte und in dem sie sich über Alexander lustig machte.

»Wie kommt er nur auf die Idee, ich könnte Interesse an ihm haben?«, hatte sie gesagt. »Er wirkt wie eine Vogelscheuche.«

»Mein armer Junge. Frauen können hart und ungerecht sein.«

Alexander spielte mit dem Bierkrug. »Ihrem Bruder, von dem ich dachte, er wäre mein Freund, habe ich Geld geliehen. Ich werde es wohl nie zurückbekommen, wie es aussieht. Einer wie ich hat wohl kein Glück.«

»Das solltest du nicht einmal denken. Das Leben hält vieles für uns bereit«, philosophierte Lobmüller vor sich hin. »Manchmal Freuden, oft aber Enttäuschung und Trauer. Am Ende steht die Frage, wie viele Hoffnungen sich erfüllt haben und wie viele nicht. Auf welche Seite neigt sich diese Waage?«

Alexander leerte den Bierkrug mit einem Zug. Er glaubte zu wissen, auf welche Seite sich seine Waage neigte.

Sisis schöne Leichen

Подняться наверх