Читать книгу Sisis schöne Leichen - Thomas Brezina - Страница 15

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Als Elisabeth in ihr Appartement zurückkehrte, war das Abendessen vorbei. Sie war froh, keine Ausrede erfinden zu müssen, wieso sie am Essen nicht hatte teilnehmen können. Die Waage hatte am Morgen knapp 52 Kilogramm gezeigt und das war für Elisabeth entschieden zu viel. Ein Fastentag würde ihr guttun.

Sie begab sich in das Ankleidezimmer, wo sie bereits von den Kleiderzofen erwartet wurde. Es waren schüchterne Mädchen, die unter Anleitung einer älteren Zofe beim Auskleiden halfen. Eine Zofe hielt den seidenen Hausmantel der Kaiserin bereit und Elisabeth schlüpfte hinein. Es war angenehm, den kühlen Stoff auf der Haut zu spüren.

Im Toilettezimmer wartete Fanny Feifalik auf sie. Fanny knickste, als Elisabeth eintrat, und rückte ihr den Stuhl vor dem Spiegel zurecht.

»Ich kann es heute kaum erwarten, meine Augen zu schließen«, sagte Elisabeth. Sie nahm wahr, wie Fanny nickte und die Lippen zusammenpresste. Am Morgen hatte sie noch ein paar tröstende Worte verloren, doch Elisabeth hatte ihr befohlen, zu schweigen.

»Ida?«, rief sie. Sie war gewohnt, dass ihre Hofdame immer in der Nähe war. Aber Ida kam nicht. Sie konnte sich doch nicht schon zurückgezogen haben? Elisabeth fiel ein, dass Ida einen Photographen hatte aufsuchen wollen, um ihr Bilder von Verstorbenen zu besorgen. So reizvoll sie die Idee am Vortag gefunden hatte, so wenig gefiel sie ihr heute.

Mit geschulten Händen löste die Friseuse die kunstvoll hochgesteckte Frisur der Kaiserin, bis die Haare offen fast bis zum Boden fielen. Behutsam glättete sie das Haar mit einer Bürste.

»Reich mir mein Album, Fanny«, verlangte Elisabeth.

»Wo kann ich es finden, Majestät?«

»Es liegt wohl in meinem Gartensalon auf dem Tisch.«

Fanny unterbrach das Bürsten und ging nach unten. Doch sie brachte jenes Album, das Elisabeth für die schönen Leichen vorgesehen hatte.

Elisabeth reagierte gereizt. »Nein, das andere. Das volle Album.«

Fanny entschuldigte sich und eilte davon. Mit einem dicken, in Leder gebundenem Buch kehrte sie wieder. Elisabeth legte es sich auf die Knie und begann darin zu blättern. Es war eine Sammlung von Photografien verschiedener Frauen, die in ihren Augen Schönheiten waren. Sie hatte den Auftrag gegeben, dass alle Botschafter aus den verschiedenen Ländern Lichtbilder der schönsten Frauen senden sollten.

Pauline Metternich, die Frau des österreichischen Botschafters in Paris, hatte Elisabeth jedoch Fotos von Frauen der Halbwelt geschickt. Elisabeth und »Mauline Petternich«, wie die Kaiserin sie gerne nannte, konnten sich nicht ausstehen. Die Frau des Botschafters lebte nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Elisabeth empfand das als geschmacklos.

»Sie dachte wohl, ich merke das nicht«, sagte Elisabeth zu Fanny, während sie durch die Seiten blätterte. »Aber einige dieser Frauen sind wahre Schönheiten. Die Metternich sollte sich an ihnen ein Beispiel nehmen.«

Fanny unterdrückte ein Lachen. Die Prozedur des Bürstens nahm einige Zeit in Anspruch. Elisabeth gähnte und wollte zu Bett gehen. Im Toilettezimmer ließ sie sich die Zahnbürste reichen, auf die aus einem Tiegel schon ein Klecks Zahncreme aufgetragen worden war.

Nach dem Zähneputzen begab sich Elisabeth in das eheliche Schlafzimmer. Eine Zofe nahm ihr den Morgenmantel ab, unter dem sie nackt war. Nachdem sie sich hingelegt hatte, arrangierte die andere Zofe ihr Haar rund um ihren Kopf auf dem Laken. Kopfkissen gab es keines, da es Falten im Gesicht verursachen konnte.

Auf den Bauch ließ sich Elisabeth ein nasses Laken legen. Die Kälte sollte helfen, die schlanke Taille zu bewahren. Zum Abschluss öffneten die Zofen die Fenster und ließen die Nachtluft in das Zimmer. Zwei Kerzen auf einem Tisch in der Ecke spendeten ein wenig Licht.

Franz Joseph, mit Nachthemd und langen Unterhosen bekleidet, schlüpfte auf seiner Seite des Bettes unter die Decke und wünschte Elisabeth eine gute Nacht.

Das Ehepaar lag nebeneinander im Doppelbett. Nah und doch so weit voneinander entfernt, dachte Elisabeth. Statt der Freiheit, nach der sich Elisabeth so sehr sehnte, kannte ihr Mann bloß die eiserne Pflicht, mit der er sein Weltreich regierte. In diesem riesigen Imperium war Platz für Millionen von Menschen, und doch kam ihr vor, als gäbe es keinen Platz für sie. Elisabeth drehte den Kopf zu Franz Joseph, der auf dem Rücken lag und die Augen geschlossen hatte.

Sie war jung und dumm gewesen, als der Kaiser sich in sie verliebt und sie diese Verliebtheit als Auszeichnung empfunden hatte. Mit 15 Jahren hatte sie keine Ahnung davon gehabt, was es bedeutete, Kaiserin von Österreich zu sein. Ihr Vater war über die Heirat nie begeistert gewesen. Elisabeth hatte den Freiheitsdrang von ihm in die Wiege gelegt bekommen.

Sie erinnerte sich an die ersten Tage nach der Hochzeit, die sie in Schloss Laxenburg verbracht hatten. Die beiden Mütter lauerten wie Geier auf einen Beweis, dass die Ehe vollzogen worden war. Franz Joseph hatte sie die meiste Zeit allein gelassen, weil er den Regierungsgeschäften nachgehen musste. Erzherzogin Sophie, seine Mutter, hatte den ganzen Tag etwas an Elisabeth auszusetzen gehabt und mit ernster Miene ständig angemerkt, dass sie sich dem Hofprotokoll unterzuordnen hatte.

Damals war ihr klargeworden, dass sie in einem goldenen Käfig gefangen saß. Aus Sisi, die voller Lebensfreude steckte, war Kaiserin Elisabeth geworden, die von Tag zu Tag bedrückter wurde.

In ihren Briefen an die geliebte Schwester Sophie hatte sie einmal geschrieben: Franz Joseph ist mehr Monarch als Ehemann. Die Pflicht geht für ihn immer vor. Die wichtigste Frau in seinem Leben ist seine Mutter. Es regiert in ihm der Kopf, kaum aber sein Herz.

Die quälenden Verpflichtungen als Kaiserin, der Tod der ersten Tochter, die Geburt von Rudolf, das alles hatte Elisabeth krank gemacht. Der schwere Husten, der sie quälte, erforderte eine Luftveränderung, hatte der Arzt diagnostiziert und Madeira vorgeschlagen. Elisabeth war glücklich gewesen, dem Hof, aber auch Franz Joseph und seiner Mutter entfliehen zu können.

Wehmütig dachte sie oft an ihre Kinderzeit zurück. Ihre Mutter hatte immer darüber geklagt, sie könne nie stillsitzen und interessiere sich wenig für das Lernen. Ihr Vater aber hatte ihre Liebe zum Reiten gefördert, ihre Zeichnungen bewundert und sich ihre ersten selbst verfassten Verse angehört. Wie gerne war sie mit ihm in die Berge gegangen oder hatte seinem Zitherspiel gelauscht.

Damals war sie die stürmische, vergnügte Sisi gewesen.

»Sisi«, sagte Franz Joseph neben ihr und riss sie aus der Grübelei. War er die ganze Zeit wach gewesen? Er verwendete ihren Kosenamen. Das bedeutete, er wollte etwas von ihr.

»Was willst du?«, fragte Elisabeth.

»Du hast heute schon wieder das Abendessen ausgelassen.«

»Ich war bei Rudi und Gisela. Sie brauchten ihre Mutter.« Elisabeth konnte sich diese Spitze nicht verkneifen, die gegen Erzherzogin Sophie, des Kaisers Mutter, gerichtet war, und vom Kaiser auch so verstanden wurde.

»Man hat mir zugetragen, dass einer der Lehrer plötzlich verstorben wäre. Die Kinder mussten es mitansehen, nicht wahr?«

»Deshalb habe ich den Abend mit ihnen verbracht.«

»Sisi, die neuen Lehrer haben nicht den Stand, um einen Kronprinzen zu unterrichten.«

»Wurde nicht einer deiner Lehrer im Duell getötet? Ist das der richtige Stand, um Kinder zu unterrichten? Wenn zwei Männer die Waffen aufeinander richten, weil sie sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen?«

»Sisi, du musst das verstehen…«

»Ich muss nichts«, erinnerte ihn Elisabeth.

Das Schweigen bildete eine unsichtbare Wand, die sich mitten im Bett zwischen die Eheleute schob. Schließlich schliefen sie ein, jeder auf seiner Seite.

Sisis schöne Leichen

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